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REZENSION/130: Kanaana, Heumann - Der palästinensische Witz (SB)


Sharif Kanaana/Pierre Heumann


Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie?

Der palästinensische Witz



Alltagsweisheiten über die belebende Wirkung von Scherzen und das Credo des sogenannten Lebenskünstlers, mit Humor gehe alles leichter, könnten in einer Lebenslage, die so bedrängt ist wie die der Palästinenser im Westjordanland und Gaza-Streifen, nicht deplazierter sein. Wer mit der Gewalt einer brutalen Besatzungsmacht konfrontiert ist, die die eigene Bewegungsfreiheit massiv einschränkt, das tägliche Sattwerden zu einem erheblichen Problem macht, die Bevölkerung mit Kollektivstrafen terrorisiert und jeglichen Widerstand mit Mordanschlägen oder großangelegten militärischen Inkursionen bestraft, hat alles anderes zu tun, als Witze zu reißen.

Von daher liegt bei einem Buch über den palästinensischen Witz der Verdacht, in ihm werde eine besonders zynische Spielart bourgeoiser Konfliktbewältigung betrieben, schon nahe, bevor man es aufgeschlagen hat. Bei der Lektüre des von dem palästinensischen Ethnologen Sharif Kanaana und dem Nahostkorrespondenten der Weltwoche, Pierre Heumann, verfaßten Buches über diese wohl flüchtigste Form folkloristischer Kultur stellt sich denn auch kaum Amüsement, dafür jedoch viel Bitterkeit ein. Der auf dem Einband mit einem Fernglas in weiter Ferne nach Frieden und Demokratie Ausschau haltende und damit den Titel des Buches verkörpernde Palästinenser ist ein sinnfälliges Symbol für die Aussichtslosigkeit, in einer durch räuberische Interessen verödeten Landschaft den Silberstreif am Horizont zu suchen. Als Opfer einer immer gewalttätigeren Politik der Unterdrückung, an deren Ende nach Lage der Dinge kaum die erhoffte Eigenständigkeit, sondern entweder ein zum parzellierten Gefängnis unter freiem Himmel verkommener Pseudostaat oder die weitere Vertreibung stehen wird, symbolisiert er eher den Kontrapunkt aller Belustigung und das Ende aller Weisheit, die vermeintlich aus einem schelmenhaften Umgang mit Diktatur und Unterdrückung resultiert.

Der offensichtlichen Diskrepanz zwischen unterhaltsamer Kurzweil und grausamer Alttagsrealität versuchen die Verfasser schon im Vorwort unter dem Titel "Witze - nicht nur zum Spaß" den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die anfängliche Hoffnung der Autoren, die sich bei einem Vortrag Kanaanas über den palästinensischen Humor an der Universität Tel Aviv kennengelernt haben, ihr Buch "mit einem optimistischen Kapitel über die harmonische israelisch-palästinensische Koexistenz" zu beenden, weist sie als apolitische Verfechter eines Friedensprozesses aus, der sich gerade in der Rückschau nach fast zwei Jahren Intifada als von Anfang an zum Zwecke dauerhafter Okkupation und Enteignung auserkorenes Werkzeug der israelischen Seite erweist.

Das im August 2001 verfaßte Vorwort schließt zwar mit der Einsicht der Verfasser, sich in dieser Hoffnung getäuscht zu haben, mündet jedoch in die Ambivalenz, ihr eher lebensfrohes Sujet an eine Realität anpassen zu wollen, in der den Palästinensern kaum zum Lachen zumute sei, sie aber dennoch nicht auf Witze verzichten wollten, diese allerdings "nicht leichtfertig oder nur aus Spaß" erzählten. Diese Einschränkung wird allerdings durch das dargebotene Material weit überholt, denn je jüngeren Datums die von Kanaana gesammelten Geschichte und Anekdoten sind, desto mehr entbehren sie jeder Unterhaltsamkeit.

Tatsächlich finden sich in dem gesamten Werk, daß das Schicksal der Palästinenser seit Beginn der ersten Intifada 1987 aus der Sicht der Bevölkerung illustrieren soll, so gut wie keine Witze, über die man lachen oder auch nur schmunzeln könnte. Kanaana selbst versucht sich in dem Kapitel, in dem er sich über sein zentrales Forschungsgebiet, das "Verhältnis von Geschichte und volkstümlichem Erzählgut im Palästina des 20. Jahrhunderts" ausläßt, an einer Erklärung der großen Schwierigkeit, den dargebotenen Stoff auf herkömmliche Weise zu honorieren:

Stark vereinfacht läßt sich festhalten, daß Legenden bevorzugt werden, wenn Hoffnungen und Erwartungen oder Ängste und Frustrationen auf ihrem Höhepunkt stehen. Witze dagegen scheinen vor allem dann gebraucht zu werden, wenn sich die Situation beruhigt hat und die Probleme sich nicht zur existentiellen Frage des kollektiven Überlebens oder Sterbens auftürmen. Sie sind wohl eher dafür gemacht, Spott, Haß oder Feindseligkeit auszudrücken sowohl gegen Feinde als auch gegen die eigenen Führer und konkurrierenden Gruppen im eigenen Lager. Für die Kritik an sich selbst oder an der Gesellschaft, aber auch für die Ausübung sozialer Kontrolle scheint der Witz eindeutig das geeignetere Werkzeug zu sein.

Der durchweg zwischen Ohnmacht und Größenwahn changierende und häufig ins zynische tendierende, da mit Widrigkeiten aller Art befaßte Charakter des Materials spiegelt die Zwangslage der Palästinenser, die auch die Zeit zwischen den beiden Intifadas bestimmt hat. Das unterstellte Kritikpotential der Witze läßt an emanzipatorischen Impulsen sehr zu wünschen übrig, macht man sich doch fast ausschließlich über die eigenen Schwächen wie die der Israelis lustig, was im ersteren Fall keineswegs zu einer größeren Geschlossenheit des palästinensischen Widerstands führt und im letzteren ein schnöder Ersatz für den ausbleibenden Erfolg im Kampf gegen die weit überlegenen Israelis ist.

Daher wird die von den Autoren beanspruchte Funktionalität des Witzes vor allem durch das Element der sozialen Kontrolle dominiert, und das in einem ausschließlich reaktionären Sinne. Wo die Klage über die eigene Ohnmacht auf der Ebene allgemeiner Belustigung mit der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten korrespondiert, da wird ein Ventil angeboten für eine Ohnmacht, die auf diese Weise sicherlich nicht zu überwinden ist. Insbesondere der von den Autoren immer wieder in seiner Lachhaftigkeit hervorgehobene und dem Spott preisgegebene Palästinenserführer Jassir Arafat drückt die Widersprüchlichkeit einer Strategie aus, bei der man es auf der einen Seite für nötig befindet, sich seiner vermeintlichen Unabhängigkeit durch das Reißen bösartiger Witze zu versichern, während man auf der anderen das politische System, welches man mit diesen vermeintlich angreift, mitträgt.

Arafat spiegelt als Symbol des palästinensischen Widerstands die ganze Unvereinbarkeit von politischem Kompromiß und militantem Widerstand. Die der Palästinensischen Autonomiebehörde zur Last gelegte Korruption sowie seine Funktion eines Sachwalters israelischer Interessen, die ihn zur autoritären bis tyrannischen Negation des palästinensischen Befreiungskampfes geraten läßt, wird in den Witzen zwar sachgerecht auf die Spitze genommen, doch wem ist damit gedient, wenn die Person Arafats öffentlich in höchst anzüglichen Geschichten über sein Aussehen oder seine Ehefrau demontiert wird? Israelische wie auch amerikanische Kommentatoren üben sich bereits mehr als genug in verletzenden Verhöhnungen des Palästinenserführers, so daß zumindest die eigene Seite in ihm die Verkörperung des zerstörerischen Dilemmas aus fremdem Zwang und eigenem Anspruch anerkennen sollte. Sich von der verzerrenden Wirkung opportunistischen Behauptungswillens angeekelt zu distanzieren hieße, gerade nicht davon frei zu sein, in einer führenden Position ähnlich zu handeln.

Die Frage des Nutzens ist auch zu stellen, wenn die Witze den Autoren zufolge "nichts als Pessimismus und Perspektivlosigkeit erkennen lassen. Der Selbsthaß führt zu bitteren und makabren Pointen. Mit Spott und Ironie verfremden Palästinenser ihre Situation ..." Selbst wenn sich einige Palästinenser auf diese Weise über den Tag und durch die Nacht retten, dann können sie als sich selbst zerfleischendes Objekt voyeuristischen Interesses nur der Minderung des Ansehens der Palästinenser in die Hände spielen. Daher ist auch zu bezweifeln, daß die von Kanaana und Heumann durch die Zusammenstellung der Legenden und Anekdoten in Anspruch genommene Repräsentanz der gesamten palästinensischen Gesellschaft zutrifft. Viel mehr ist davon auszugehen, daß sich in ihnen eine spezifische Distanziertheit der bürgerlichen Klasse spiegelt, die meint, dem Ernst der Lage unbedingt noch etwas Spaß abzugewinnen zu müssen. Schon die Kategorie des Selbsthasses verweist auf defätistische Regression - wo aus gutem Grund anzusprechende Probleme der Effizienz des politischen wie militanten Widerstands in einen Psychologismus der Selbstbezichtigung umschlagen, schließt das dominierende Interesse an moralischer Rechtfertigung entschlossenes Handeln aus.

Wenn in den Geschichten der Versuch, die Israelis zu stoppen, von vorneherein zum Scheitern verurteilt wird, ist es nur folgerichtig, wenn den Märtyrern keine - oder von der falschen Seite - Belohnung winkt. (...) Nicht der Befreiungskampf, sondern die monetäre Entschädigung sei ein zentrales Motiv der Steinewerfer, heißt es boshaft. Letztlich sei das einzige Motiv für den Kampf das Geld, das die Familien der Märtyrer erhalten.

Deutlicher kann man nicht zu erkennen geben, daß es sich bei Witzen dieser Art um den gelungenen israelischen Konter handelt, der von den Autoren auch noch durch die unkommentierte Wiedergabe derartiger Deutungen verstärkt wird. Wenn das Thema der palästinensischen Anschläge allein in das Licht einer angesichts des herrschenden Gewaltverhältnisses höchst zweifelhaften Sinnfrage gestellt und nicht daran erinnert wird, daß es zur Verwandlung eines Menschen in eine Bombe zuvor einer extremen Demütigung bedarf, wenn man zwar die Legende von dem versprochenen Lohn im Jenseits kolportiert, doch die Irrelevanz eines solchen kaum billigster Propaganda genügenden religiösen Motivs für das Gros der Attentäter unterschlägt, dann erfüllt der darüber gemachte Witz zielgenau seine Funktion. Sie besteht darin, den harten vergeblichen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner in die bescheidene Unterwerfung unter die von ihm diktierten Bedingungen umzumünzen.

Bezeichnenderweise mündet das unterstellte Kritikpotential der palästinensischen Witze so gut wie gar nicht in Angriffe auf die eigene Oligarlchie und ein Wirtschaftssystem, das nicht nur aufgrund der israelischen Besatzungs- und Belagerungspolitik, sondern auch seiner kapitalistischen Beschaffenheit zur Verelendung der palästinensischen Bevölkerung beiträgt. Menschen, die sich auf der sozialökonomischen Leiter nicht nur mit den überlegenen Kolonisatoren, sondern auch den Herren im eigenen Land auseinandersetzen, dürfte zu allem anderen als dem Erzählen von Witzen zumute sein. Das kann nur das Privileg einer Klasse sein, die es sich erlauben kann, in verächtlicher Distanz zum Kampfgetümmel abzuwarten, welche Seite sich als die erfolgreichere erweist, um sich ihr - natürlich mit humorvoller Selbstironie - vollends zu unterwerfen.

Auch wenn das Buch von Kanaana und Heumann zwischen den chronologisch geordneten Legenden, bei denen es sich um die meist sehr kurzgefaßte und in ihrer Überhöhung eher traurige Lobpreisung palästinensischer Heldentaten handelt, und Witzen einen streckenweise interessanten Abriß der palästinensischen Geschichte seit Beginn der ersten Intifada bietet, wird man bei der Lektüre nicht den Eindruck los, seine Zeit mit voyeuristischen Schattenspielen zu vertun. Scherze über Menschen in existentieller Not schlagen letztendlich in die gleiche Kerbe wie das legendäre "Kochbuch der Armen", mit dem der von kulinarischen Genüssen umgebene Bourgeois sein übersättigtes Herz an der frugalen Kargheit mittelloser Menschen erwärmen kann.


Sharif Kanaana/Pierre Heumann
Wo ist der Frieden? Wo ist die Demokratie?
Der palästinensische Witz:
Kritik, Selbstkritik und Überlebenshilfe
Chronos Verlag, Zürich, 2001