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REZENSION/141: Ute Kätzel - Die 68erinnen (Frauenbewegung) (SB)


Ute Kätzel


Die 68erinnen

Porträt einer rebellischen Frauengeneration



Die Journalistin und Autorin Ute Kätzel stellt in ihrem Buch "Die 68erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration" 14 Frauen der Jahrgänge 1935 bis 1950 vor, die in biographisch ausgerichteten Interviews über ihre Situation in Berlin um 1968, über Zeitpunkt und Motiv ihrer Politisierung und darüber, welche Auswirkungen ihr Engagement bis heute hat, berichten.

Noch so ein Aufguß der deutschen 68er Vergangenheit, die sich zur Zeit doch so gut vermarkten läßt, im Extrem zum Beispiel konserviert als RAF-Logo mit Stern und Kalaschnikow auf Pop- Plakaten à la Andy Warhol oder Bekleidungsmode à la Baader als Dandy? An der Zusammenstellung - Ute Kätzel nimmt den scheinbar ungefährlichen Anteil der Rebellion ("rebellische Frauengeneration" im Untertitel), gibt ihr eine zeitgeschichtliche Besonderheit (sie haben "etwas völlig Neues gemacht", Vorwort, S. 18) und betont weitschweifig die Heldenhaftigkeit der Frauen ("Sie hatten viele Kämpfe zu bestehen und gewannen daraus persönliche Stärken", Vorwort, S. 18) - wird die Absicht der Autorin deutlich, sich den Schlußfolgerungen und Fragen, die sich aus den Interviews bezüglich der Entwicklung einer Frauenposition ergeben könnten, mit inhaltsleeren Phrasen zu entziehen und eine Beteiligung zu umgehen.

Wozu ist eine Darstellung der Frauenvergangenheit von Nutzen, wenn nicht für eine Analyse und nüchterne Schlußfolgerungen, Korrekturansätze und Veränderungskonzepte, die aber nur von Interesse sind, wenn frau auch heute noch die vielzitierte "Rebellion" in den Vordergrund stellt bzw. ernst nimmt, statt sie als (letztlich gescheiterte) Utopie und (erstarrte) Aufbruchsbewegung auf einen Sockel zu stellen und zum Nutzen der eigenen journalistischen Karriere zu betrachten.

Was als Eindruck von diesen Interviews im Gedächtnis bleibt, ist, daß die "Rebellinnen", die eigentlich aufgrund ihrer zurückgenommenen Radikalität keine waren, bürgerliche Karriere gemacht oder sich mit den gesellschaftlichen Widersprüchen arrangiert haben. Bestenfalls gewinnt man aus diesen Porträts die vielleicht brauchbare Erkenntnis, daß die 68er Rebellinnen und die aus ihnen hervorgegangene neue Frauenbewegung nie etwas anderes als bürgerlich gewesen sind. Anhand der inhaltlichen Schwächen dieser Bewegung ließe sich jedoch eine korrigierte Strategie einsichtig machen, wenn sie denn beim Namen genannt würden und nicht zu einer Art soziologischen Studie herhalten müßten. Denn an den Grundfesten gesellschaftlicher Gewalt hat sich nichts geändert, außer daß unter dem gesellschaftlichen Rationalisierungs- und Optimierungszwang der Gedanke an Kritik und Auflehnung nicht mehr aufkommt.


Entsprechend, das heißt Widersprüche und Fragen in den Hintergrund gedrängt, erscheinen die Interviews gleichförmig, so daß man es schwer durchhält, sie hintereinander zu lesen. Konflikte und Verunsicherungen der Frauen in Bezug auf ihre Politisierung verblassen durch das strenge Frageschema. Trotz dieser sehr verschiedenen Lebensläufe und Persönlichkeiten entsteht so beim Lesen eine langweilige Vorhersagbarkeit. Die Porträts - darunter Sarah Haffner und Helke Sander, Susanne Schunter Kleemann und Gretchen Dutschke-Klotz - werden vor dem Hintergrund beliebiger Anekdoten über Wohngemeinschaften, Kinderläden und schnellebige Beziehungen präsentiert. Eine Stellungnahme zu den "polit-ökonomischen Verhältnissen", wie sie damals in jedem Seminar selbstverständlich war, sucht man in dem Buch genauso vergeblich wie eine Äußerung der früheren Aktivistinnen zu wichtigen politischen Fragen der Gegenwart.

Viele Interviews enden mit der Überzeugung der Frauen, nach wie vor links zu sein, was in der Praxis so aussieht, daß frau sich um Benachteiligte kümmert, nicht über Unrecht hinwegsehen kann, selbstbestimmt, aber nicht rücksichtslos lebt oder sich einer neueren Bewegung (wie Sigrid Fronius der spirituellen Bewegung) angeschlossen hat. Der Ansatz, eine Einheit zwischen Theorie und Praxis herstellen zu wollen, ist geblieben, wird aber auch heute noch nicht näher von den Befragten ausformuliert.

In den Interviews wiederholen sich zeitgeschichtlich bedingte Aussagen, zum Beispiel, daß die Bereitschaft zu politischen Aktionsformen durch den Vietnamkrieg, durch immer gewaltsamere Polizeieinsätze bei Demonstrationen und durch die Berichterstattung in der Springer-Presse ausgelöst oder getragen wurde und daß die aktiven Frauen des studentischen Protests im öffentlichen Bewußtsein kaum eine Rolle spielten. Nur als photogene Beigabe fielen die miniberockten Studentinnen in der Berichterstattung auf.

Forum der Frauen wurde der 1968 ins Leben gerufene "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen". Frigga Haug, heute emeritierte Professorin, beschreibt, daß männliche Mitglieder des Sozialistischen Studentenbunds (SDS) den Aktionsrat radikal ablehnten. Frauenkämpfe galten als kleinbürgerlich. Die Filmemacherin Helke Sanders und Sigrid Fronius, die als erste Frau den Asta-Vorsitz übernahm, fühlten sich von den Männern dennoch anerkannt. Die meisten Interviewten schildern jedoch, daß die Männer keineswegs solidarisch waren und oft herablassend oder amüsiert auf ihre Einwürfe reagierten. Susanne Kleemann, einstige SDS-Aktivistin, ärgert sich noch heute darüber, daß sie für ein Buch mit dem Titel "Bräute der Revolution" photographiert wurde.

Den 68er-Frauen "Beachtung" zu schenken, ihnen ihre "Eigenständigkeit" zu geben, soll eines der Anliegen dieser Interviews sein. Diese inhaltliche Ambition scheint überflüssig, denn wenn frau ihre Vorstellungen in die Praxis umgesetzt hat, d.h. nach ihnen lebt, braucht sie keine Anerkennung oder den Lärm darum. Die Interviews sind aber durchaus als Dokument und Forschungsmittel von Nutzen. Allerdings reicht es dann nicht, sich seiner Herkunft bewußt zu werden, um das weibliche Selbstbewußsein zu stärken, sondern ergiebiger ist es - wenn frau sich auch heute noch der Gewaltfrage stellen will -, sich mit den Ideen und auch den Fehlern und dem Scheitern der Frauen von '68 auseinanderzusetzen.


Ute Kätzel, geboren 1955, ist Historikerin und Soziologin. Sie war dreizehn Jahre lang Journalistin und Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1995 arbeitet sie als freiberufliche Journalistin und Autorin in Berlin. - Die 68erinnen basiert auf einer mehrjährigen Forschungsarbeit mit einem Stipendium des Berliner Senats.


Ute Kätzel
Die 68erinnen
Porträt einer rebellischen Frauengeneration
Rowohlt Verlag, Berlin 2002
319 Seiten, 55 Abbildungen, 22,90 Euro
ISBN 3-87134-447-8