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REZENSION/157: Hartmann/Vogelskamp - Irak ... sozialer Weltkrieg (SB)


Detlef Hartmann & Dirk Vogelskamp


Irak - Schwelle zum sozialen Weltkrieg

Nachkriegsplanungen der US-Regierung und ihrer Think Tanks



Etwas mehr als einen Monat nach dem Sturz Saddam Husseins und der Vollendung des von den Falken in Washington lange Zeit propagierten "Regimewechsels" in Bagdad sehen sich die angloamerikanischen Streitkräfte im Irak einem zunehmend militanten Widerstand der Bevölkerung ausgesetzt. Zur gleichen Zeit plagt sich daheim in Good Old Germany Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den innerparteilichen Gegnern seiner asozialen "Agenda 2010" herum. Wer meint, es handele sich hier um zwei unterschiedliche Phänomene, die nichts miteinander zu tun hätten, dem kann man nur dringend die Lektüre "Irak - Schwelle zum sozialen Weltkrieg: Nachkriegsplanungen der US-Regierung und ihrer Think Tanks" von Detlef Hartmann und Dirk Vogelskamp empfehlen. Mit diesem nur 82 Seiten starken Sonderheft aus der Reihe "Materialien für einen neuen Antiimperialismus" des Berliner Verlages Assoziation A ist es den beiden Autoren gelungen, dem Leser die Verbindungslinien zwischen dem im sogenannten "Antiterrorkrieg" eingebetteten Anti-Saddam-Feldzug und den "weltweiten 'neoliberalen' Deregulierungsstrategien", mit denen die einfachen Menschen dieser Tage sowohl in den westlichen Industrienationen wie auch in den Entwicklungsländern konfrontiert sind, sichtbar zu machen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Weltwirtschaftskrise erläutern Hartmann und Vogelskamp aus marxistischer Perspektive die laufende Debatte in den USA um Wege zur Durchsetzung des Globalisierungsprozesses. Anhand von Schlüsseldokumenten des letzten Jahrzehntes aus Weißem Haus, Nationalem Sicherheitsrat, Pentagon, State Department und den beiden einflußreichsten Think Tanks der USA, dem "neokonservativen" American Enterprise Institute (AEI) in Washington und dem eher "multilateralistischen" Council on Foreign Relations (CFR) in New York, demonstrieren sie, daß es der geistigen Elite jenseits des großen Teichs in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht in erster Linie um die militärische Eroberung irgendwelcher Ländereien oder Ölfelder, sondern um die weltweite Herstellung derjenigen Verhältnisse geht, die dem kapitalistischen Ausbeutungs- und Verwertungsprozeß am dienlichsten sind.

Den US-Sicherheitsstrategen, den Vordenkern der amerikanischen Denkfabriken und den Finanzjongleuren der Wall Street - wie man weiß, handelt es sich hierbei häufig um dieselben Personen, siehe Alan Dulles, Clark Clifford, Henry Kissinger oder Richard Perle - erscheinen die Millionen von Menschen im Krisenbogen Nahost, aber nicht nur dort, als "Manövriermasse". Sie sollen von ihrem "rückständigen" religiösen Denken und ihren angeblich unzeitgemäßen stammesgesellschaftlichen Bindungen befreit werden, wobei ihnen zu einer neuen "Mentalität" verholfen wird, um sie im kapitalistischen Sinne produktiver zu machen. Nicht anders argumentierte jahrelang Helmut Kohl, als er meinte, die "faulen" Deutschen müßten aus der "sozialen Hängematte" herausgeworfen werden.

Zwar sind die Forderungen aus der Ära Ronald Reagans und Margaret Thatchers "monetaristisch" geblieben, doch der Unterschied zum Ende des 20. Jahrhunderts besteht in der Tiefe der derzeitigen globalen Wirtschaftskrise. Nicht umsonst und völlig zurecht vergleichen Hartmann und Vogelskamp die Lage der USA von heute mit der Deutschlands in den Jahren 1917 bis 1939. Erschwerend - für die restliche Welt wohlgemerkt - kommt das Fehlen einer Gegenposition zu der der Supermacht USA hinzu, was Washington zu dem aktuellen Versuch verleitet hat, nicht nur die wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land, sondern die des Weltkapitalismus mit Gewaltmethoden zu lösen. Diese Vorgehensweise stellt sich in der Außenpolitik Washingtons als immer häufiger erfolgender Rückgriff auf militärische Mittel und weitgehender Verzicht auf herkömmliche diplomatische Umgangsformen - Stichwort "Präventivkriegsdoktrin" - wie auch im Innern als Wiedereinführung längst totgeglaubter polizeistaatlicher Mittel - Stichwort USA-PATRIOT-Gesetz - dar.

Beachtenswert sind die Ausführungen Hartmanns und Vogelskamps zur Geschichte des Irak und dessen traditioneller Rolle als Modernisierungsmotor der arabischen Welt - wobei in diesem Kontext Modernisierung nicht unbedingt positiv gemeint ist. So wird beispielsweise auf die "modernisierende Wirkung" des achtjährigen Iran-Irak-Krieges hingewiesen wie auch ausführlich die neoliberale "Schock-Therapie" behandelt, welche Saddam Hussein unter dem Begriff "Infitah" nach dem Ende des blutigen und enorm kostspieligen Konfliktes mit Teheran der irakischen Wirtschaft aufzwang. Erst vor diesem Hintergrund läßt sich die jahrelange Komplizenschaft zwischen den USA unter Ronald Reagan respektive George Bush sen. und dem Baath- Regime in Bagdad nachvollziehen.

Diese Komplizenschaft hatte nicht nur zur Folge, daß Bagdad vom Westen mit großen Mengen Massenvernichtungswaffen während des Stellvertreterkrieges mit dem Iran und auch sogar danach beliefert wurde, sondern ist vermutlich auch der Grund, warum Saddam Hussein 1991 nach der Vertreibung seiner Truppen aus Kuwait an der Macht belassen wurde und den anschließenden Aufstand der Kurden und Schiiten völlig ungehindert niederschlagen durfte. Womöglich ist jene Komplizenschaft sogar auch der Grund, warum Bagdad Anfang April den amerikanischen Truppen nahezu kampflos in die Hände fiel und weshalb Saddam Hussein bis heute spurlos verschwunden ist.

Von besonderer Bedeutung im 21. Jahrhundert der immer knapper werdenden Ressourcen ist Hartmanns und Vogelskamps Bewertung des zwölfjährigen Öl-für-Lebensmittelmittel-Programms. Anhand von UN- Dokumenten sowie Berichten der westlichen Presse sprechen die Autoren von einer "'kolossalen Übung' von Wohlfahrt und sozialer Kontrolle", ja einem "Experiment der gigantischen technisierten Lagerverwaltung einer gesamten Bevölkerung von 23 Millionen Menschen". Bedenkt man die Hunderttausenden irakischer Kinder, die in den Jahren des Öl-für- Lebensmittel-Programms gestorben sind, droht bei der künftig zu erwartenden Übertragung dieses angeblich bewährten Modells auf andere Länder und Gebiete unvorstellbares Unheil.

In ihrem Sonderheft räumen Hartmann und Vogelskamp mit einigen Legenden auf, die sich im Laufe der jüngsten Irakkriegsdebatte innerhalb der europäischen Linken eingenistet haben. Unter Verweis auf die unrühmliche Rolle von Bill Clinton und Madeleine Albright sowie von Gerhard Schröder und Joseph Fischer beim NATO-Überfall auf Jugoslawien 1999 - dem sogenannten Kosovo-Krieg - machen sie geltend, daß der völkerrechtlich illegale Interventionsdrang des "Cowboys" Bush jun. weder neu noch besonders spezifisch für seine Regierung ist.

Wenn es jedoch etwas an diesem Buch zu kritisieren gibt, dann es ist die - nach unserem Dafürhalten - fehlende Infragestellung der beiden Hauptpfeiler der neuen Sicherheitsdoktrin der Bush-Regierung, nämlich der Konterproliferation und der Terrorismusbekämpfung. Zwar wird vor der gefährlichen Instrumentalisierung der Terrorismusgefahr als Unterdrückungsmittel auch in den westlichen Demokratien gewarnt, der Begriff an sich jedoch ebenso gut und gern verwendet, wie man es von einer Lageanalyse à la Otto Schily oder Günther Beckstein erwarten könnte. Und das, obwohl es höchst zweifelhaft ist, ob es einen Terrorismus in dem Sinne, wie er uns vorgegaukelt wird, nämlich ohne die Aktivitäten der CIA, des MI6, des Mossad und wie sie alle heißen, geben könnte. In dem im September 2000 erschienen, maßgeblich vom Chefideologen der Bush-Regierung Paul Wolfowitz verfaßten Bericht "Rebuilding America's Defences" des Project for the New American Century (PNAC) hieß es schwarz auf weiß:

... der Prozeß der Transformation, selbst wenn er revolutionäre Veränderungen mit sich bringt, wird ohne irgendein katastrophales und katalysierendes Ereignis - wie ein neues Pearl Harbor - voraussichtlich lange dauern.

Ein Jahr später kam es zu dem von Wolfowitz und Co. beschworenen "Pearl Harbor" in Form der bis heute völlig unaufgeklärten Flugzeugangriffe auf das World Trade Center und das Pentagon. Und das soll wirklich ein Zufall gewesen sein?

Mit der Einschätzung "So verkürzend die amerikanische Betonung der 'Massenvernichtungswaffen' auch ist, ist es gefährlich, ihre Bedeutung zu leugnen. Massenvernichtungswaffen in den Händen eines Massenschlächters aus der alten Schule der Entwicklungsdiktaturen sind eine reale Gefahr..." halten Hartmann und Vogelskamp leider am Märchen vom "Bösen", das das zentrale Mobilisierungsmoment der rassistischen Antiterrorkrieger des Westens darstellt, fest. Stalin hatte Millionen von Menschen auf dem Gewissen, besaß ein beachtliches Atomwaffenarsenal und wurde trotzdem erfolgreich "contained". Es gibt sicherlich auch Menschen beispielsweise in Irland, die die Atomwaffen des demokratischen Großbritanniens als eine größere Bedrohung empfinden als die irgendeines dahergelaufenen "Wüstenhitlers". Will man sich dem unilateralistischen Ordnungswillen der selbsternannten "internationalen Gemeinschaft" widersetzen, darf es absolut keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Massenvernichtungswaffen, auf der die gesamte "Full spectrum dominance"-Ideologie Washingtons beruht, geben. Nichtsdestotrotz kann man Hartmann und Vogelskamp attestieren, ein höchst aufschlußreiches Buch geschrieben zu haben, das dem "globalen Antiterrorkrieg" der USA und seiner Bedeutung für die kommenden Jahre auf eine Weise gerecht wird, die auf dem deutschen Büchermarkt sicherlich Seltenheitswert hat.

- 16. Juni 2003


Detlef Hartmann & Dirk Vogelskamp
Irak, Schwelle zum sozialen Weltkrieg
Nachkriegsplanungen der US-Regierung und ihrer Think Tanks
Berliner Verlag Assoziation A, April 2003
83 Seiten
ISBN 3-935936-21-4