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REZENSION/178: C. Johnson - Selbstmord der amerikanischen Demokratie (SB)


Chalmers Johnson


Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie



Als am 11. September 2001 die Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt mitansehen mußten, wie die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Centers Ziel eines beispiellosen "Terroranschlags" wurden und zusammenstürzten, gab es Menschen, die zwar genauso wie alle anderen über die einmaligen Ereignisse schockiert waren, die jedoch nicht sonderlich überrascht gewesen sein dürften. Hiermit sind diejenigen gemeint, die zuvor das 2000 erschienene Buch "Blowback: The Costs of American Empire" ("Ein Imperium verfällt. Wann endet das amerikanische Jahrhundert?") von Chalmers Johnson gelesen hatten. Unter Verweis auf den Begriff Blowback (Rückstoß), "den internen CIA- Terminus für unbeabsichtigte und unerfreuliche Folgen verdeckter Auslandsoperationen", hatte Johnson eindringlich gewarnt, daß die Außenpolitik Washingtons Länder und Gruppen, die zu Opfern gemacht worden waren, regelrecht dazu provozierte, Vergeltungsschläge gegen die USA zu führen.

Mit seinen damaligen Kassandrarufen hatte der 1931 geborene, emeritierte Professor der Universität von Kalifornien eine heftige Kontroverse innerhalb der Meinungselite der USA, die aktiv die Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons diskutiert, ausgelöst. Doch seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September und der Ausrufung des "globalen Antiterrorkrieges" der Regierung George Bushs gilt Johnson im nachhinein als Hellseher, der als einer der ersten die Gefahren und Risiken des neuen amerikanischen Imperialismus erkannt hat. Für sein Ansehen in Kreisen englischsprachiger Politologen spricht zum Beispiel die Tatsache, daß er im Frühjahr für die renommierte London Review of Books "Secrets", die Memoiren Daniel Ellsbergs über den Vietnamkrieg und die Pentagon-Papiere, rezensieren durfte. Eine verkürzte Version der aufschlußreichen Buchbesprechung erschien sogar am 6. Februar im Guardian, der großen liberalen Tageszeitung Großbritanniens.

Mit "Ein Imperium verfällt" wollte Johnson, der Präsident des Japan Policy Research Institute bei San Diego ist und nach eigenen Angaben sein Leben als Universitätsprofessor mit dem Studium der Politik und Wirtschaft Japans und Chinas verbracht hat, die eigenen "Landsleute auf die Zielsetzung der amerikanischen Außenpolitik und die Art und Weise ihrer Umsetzung" aufmerksam machen. Dabei hat er sich besonders auf das Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und auf "die sich in Ostasien herausbildende neue Machtbalance" konzentriert. Sein jüngstes Buch "Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie" versteht Johnson eigenen Angaben nach als "einen Führer durch die terra incognita des amerikanischen Imperiums". Wer in den letzten Wochen vielleicht mitbekommen hat, daß der Haushalt des US- Verteidigungsministeriums für das Jahr 2004 die 400 Milliarden-Dollar- Grenze überschritten hat und damit die Wehretats der übrigen NATO- Länder, Rußlands, Chinas, Japans und der sogenannten Schurkenstaaten zusammen übertrifft, macht sich nicht notwendigerweise ein Bild vom Ausmaß der weltumspannenden Militärinfrastruktur des Pentagons. Es ist das große Verdienst Chalmers Johnsons, Amerikas "Imperium der Militärbasen" sichtbar gemacht zu haben. Da sind "die 234 Golfplätze, welche das US-Militär weltweit betreibt" und "die 71 Learjets, die 13 Gulfstream III und die 71 Cessna Citations, mit denen Admiräle und Generäle" der USA an ihren jeweiligen Einsatz- oder Stationierungsort geflogen werden, die alleroberste Spitze desjenigen Eisberges, an dem nach Meinung Chalmers Johnsons nicht nur Amerika, sondern die ganze Welt regelrecht zugrundezugehen droht.

Angefangen mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 und dem Erwerb der Kolonien Puerto Rico, Kuba und Philippinen, über die Besetzung der beiden "Trophäen" des Zweiten Weltkrieges, Deutschland und Japan, bis hin zur Errichtung der jüngsten Militärstützpunkte der USA in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens sowie des Kaukausus liefert Johnson eine gründlich recherchierte Geschichte der Entstehung des Militärimperiums Washingtons und verschafft dem Leser so einen seltenen, höchst informativen Eindruck vom amerikanischen Leviathan in seiner "institutionellen Form". Nach Angaben Johnsons verfügen Militär und Geheimdienst der USA im Ausland über mehr als 700 Stützpunkte. Ein Beispiel für die Hartnäckigkeit, mit der die USA an diesen Einrichtungen festhalten, ist die Affäre um den australischen Premierminister Gough Whitlam. Als sich dieser 1974 anschickte, die hochgeheime NSA-Lausch- und Radarstation Pine Gap zu schließen, kam es zur schwersten Verfassungskrise in der Geschichte Australiens. Auf Betreiben Washingtons wurde Whitlam, immerhin der gewählte Regierungschef eines westlichen, englischsprachigen Industriestaates, kurzerhand von britischen Generalgouverneur - dem Vertreter von Königin Elizabeth II. - abgesetzt.

Das Urteil von Johnson, der selbst von 1967 bis 1973 bei der CIA als China-Experte des Office for National Estimates gedient hat, über die Außen- und Sicherheitspolitik der USA fällt vernichtend aus. Demnach hätten die Militaristen in Washington den Zusammenbruch der Sowjetunion fast als göttliches Zeichen aufgefaßt, daß jetzt die Zeit für eine weltweite Pax Americana gekommen wäre. Wie man weiß, versuchen die Bush-Männer eifrig, den entsprechenden, erstmals 1992 von Paul Wolfowitz verfaßten Plan vor allem seit dem 11. September 2001 in die Tat umzusetzen. In seiner Behandlung des ehrgeizigen "Projektes für ein Neues Amerikanisches Jahrhunderts" läßt Johnson klar durchblicken, wie suspekt ihm die Umstände der Flugzeuganschläge, jenes "zweite Pearl Harbor", welches die Neokonservativen in ihren Schriften herbeigewünscht hatten, vorkommen. Wie Johnson unter Verweis auf den Golf-von-Tonkin-Vorfall, die berüchtigte Operation Northwoods, oder die jüngste, hysterisch anmutende Desinformationskampagne über die Gefährlichkeit Saddam Husseins selbst anmerkt, haben die Amerikaner immer wieder Kriegsgründe erfolgreich fabriziert.

Die Offenheit, mit der Johnson die Dinge beim Namen nennt, beeindruckt. Er spricht vom "Konzentrationslager" in Guantánamo Bay. Das vor kurzem geschaffene Kommando des Pentagons für den nordamerikanischen Kontinent bezeichnet er als "Grundlage für eine Militärdiktatur". Seines Erachtens sind die großen Medien in den USA zu "Verlautbarungsorganen" des Weißen Hauses verkommen. Die einfachen GIs stellen für Washington nichts anderes als "Kanonenfutter" dar. Die "schwarzen Budgets" und die "Insider-Geschäfte" des "petromilitärischen Komplexes" unterliegen keinerlei Kontrolle durch den Kongreß. In Verbindung mit Waco und Ruby Ridge spricht er unverblümt von "Staatsterrorismus". Das Gerede von "Präzisionswaffen" kanzelt er als "Heuchelei" ab. In Washington herrscht seiner Einschätzung nach "imperialistische Paranoia". Seit der Rückkehr der alten Haudegen der Reagan-Bush-Ära an die Macht breite sich am Potomac eine "Institutionalisierung jener Machenschaften, die hinter dem Iran-Contra-Skandal der 1980er Jahre steckten" aus, so Johnson. Im sogenannten "Antiterrorkrieg" sieht er lediglich eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Angesichts des unbestreitbaren, moralischen und wirtschaftlichen Zerfalls der USA meint Chalmers Johnson, das Land habe bereits den Zenit seiner Macht überschritten, die Bemühungen der Unilateralisten in Washington beispielsweise um eine alleinige Kontrolle des erdnahen Weltraums durch das Pentagon - Stichwort Nationales Raketenabwehrsystem - sei zum Scheitern verurteilt. Nichtsdestotrotz würden die Nutznießer des militärisch-industriellen Komplexes der USA das Land immer tiefer in den Ruin treiben und aus der einst liberalen Republik einen hochtechnisierten Polizeistaat machen. Wie Chalmers Johnson selbst zugibt, ist es ihm als Patrioten nicht leichtgefallen, das Buch "Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie" zu schreiben. Was sich von der Zusammenfassung her vielleicht wie eine antiamerikanische Schmähschrift anhört, ist ein Werk, das aus tiefster Sorge des Autors um das Schicksal seiner Nation und seiner Mitbürger entstanden ist. Trotz der Tatsache, daß er eine Zeit des "Leids und der Not" heraufziehen sieht, hat es sich Johnson mit seinen 72 Jahren zur Aufgabe gemacht, den Irrweg Amerikas in den Militarismus nachzuzeichnen - was ihm auch meisterhaft gelungen ist.

12. Dezember 2003


Chalmers Johnson
Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie
Aus dem Englischen von Hans Freundl und Thomas Pfeiffer
Originaltitel: "The Sorrows of Empire -
Militarism, Secrecy and the End of the Republic"
Karl Blessing Verlag, München, Herbst 2003
480 Seiten, 23,- Euro
ISBN 3-89667-226-6