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REZENSION/228: Jean de la Guérivière - Die Entdeckung Afrikas (SB)


Jean de la Guérivière


Die Entdeckung Afrikas

Erforschung und Eroberung des Schwarzen Kontinents



Prächtig! Hätte man nur ein einziges Wort zur Verfügung, um das vorliegende Buch "Die Entdeckung Afrikas" von Jean de la Guérivière zu beschreiben, fiele einem kein treffenderes ein. In dem großformatigen Werk wird an prächtigen Abbildungen nicht gespart. Wenn diese dann noch eine Doppelseite einnehmen oder gar den Ausschnitt eines zeitgenössischen Gemäldes wiedergeben, dann fordert es den Betrachter geradezu auf, einzutauchen in die Welt der europäischen Forschungsreisenden, die zu einer Zeit afrikanischen Boden betraten, als der Kontinent noch ein großer weißer Fleck auf der Landkarte war.

Jene Pracht Afrikas, die der Autor mit seinem Werk auf so eindrückliche Weise zu vermitteln versteht, hatte in den letzten Jahrhunderten gleichermaßen europäische Abenteurer wie naturkundliche Gesellschaften, Regierungen wie Handelsunternehmen fasziniert, so daß sie bereit waren, viel Geld in Expeditionen zur "Erforschung und Eroberung des Schwarzen Kontinents" zu stecken.

Mag das Ziel des einzelnen Entdeckers auch darin bestanden haben, beispielsweise das legendäre Timbuktu zu erreichen oder die Quellen des Nils aufzuspüren, dem Verlauf des Nigers zu folgen, Wege des Sklavenhandels bloßzulegen oder vielleicht auch nur den Kontinent von Ost nach West zu durchqueren und dabei Pflanzen, Tiere und Menschen zu katalogisieren - worauf all diese "Entdeckungen" unvermeidlich hinausliefen, zeigte sich erst später, in der Regel zu spät für die einheimischen Völker, die mit den Mitteln des geschriebenen Worts oder blanken Stahls den Verwertungsinteressen der europäischen Kolonialmächte zugeführt wurden. Von allen Staaten Afrikas war lediglich das alte Kaiserreich Äthiopien nicht vollständig unterworfen worden; in allen anderen dagegen wehte über lange Zeit die Flagge Großbritanniens, Frankreichs, Portugals, Belgiens, des Deutschen Reichs, Spaniens oder Italiens.

Jean de la Guérivière schildert die zweifelsohne entbehrungsreichen, verzehrenden Vorstöße der allerersten weißen Eindringlinge in das Innere des ihnen unbekannten Erdteils. Alsbald sollten Missionare, Soldaten und Geschäftemacher folgen. Es ist die Geschichte von bekannten Forschungsreisenden wie Caillié und Brazza (Frankreich), Livingstone und Stanley (Großbritannien), Barth und Nachtigal (Deutschland), die hier geschildert wird - es ist nicht die Geschichte der "Entdeckten". Insofern steht der Titel des Buchs für eine kolonialistische Sichtweise, die einst wie heute in den Beschreibungen Afrikas wiederzufinden ist. Da schildert der Autor in einer Bildunterschrift beispielsweise:

Ein in Bamako in Einzelteile zerlegtes Kanonenboot half den Franzosen im Januar 1894, Timbuktu zu erobern. Vor Ort wurde es wieder zusammengebaut und den Niger hinaufgeschickt, über den man Zugang zu der 'Stadt im Sande' erhielt. Die Truppen unter Oberleutnant Caron und Oberst Bonnier gingen in der Nähe der Stadt an Land, legten über Umwege noch kaum mehr als hundert Kilometer zurück und entrissen Timbuktu schließlich den Tuareg. (S. 66)

Zu dieser vermeintlich großartigen Tat wäre zu ergänzen, daß sich die Franzosen beim Überfall auf Timbuktu und "Entreißen" dieses einstmals geistig-kulturellen Zentrums des arabischen Raums aus den Händen der angestammten Tuareg schwarzafrikanischer Hilfstruppen bedienten, die in früheren Eroberungszügen willfährig gemacht worden waren und nun einen erheblichen Teil des Blutzolls zu entrichten hatten.

Allein schon einen ganzen Kontinent "entdecken" zu wollen, wie es Jean de la Guérivière in seinem Buchtitel behauptet, ist ein hoher, eigentlich zu hoher Anspruch, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Das wird den Lesern durch die "Karte der wichtigsten Forschungsreisen" zum Schluß des Buchs deutlich vor Augen geführt: Dieser riesige Erdteil, der die dreifache Größe Europas besitzt, wird lediglich von ein paar Linien durchschnitten, welche die Reisewege von insgesamt 21 europäischen Forschungsreisenden symbolisieren, die sich zu irgendeinem Zeitpunkt des 18. und 19. Jahrhunderts ein einziges Mal durch Sand, Savanne, Sumpf oder tropischen Regenwald den Weg gebahnt hatten. Alle zusammen haben diese "Entdecker" nur einen Bruchteil des Kontinents zu sehen bekommen.

Sicherlich hatte jeder Reisebericht für sich genommen, jede noch so geringfügige Komplettierung des dürftigen Kartenmaterials und selbst jedes Stück Beute, das gegen Holzperlen und anderen Plunder eingetauscht worden war, letztlich zur Erschließung und Eroberung Afrikas und damit auch der folgenden Aufteilung des Kontinents in europäische Einflußsphären beigetragen, aber ob solche Zuträgerdienste die Bezeichnung "Entdeckung" verdienen, muß doch sehr bezweifelt werden.

Man darf vom dem vorliegenden Buch nicht mehr erwarten, als von "Stern", "Geo" oder "Reader's Digest" bereits bekannt ist, aber es erfüllt alle Ansprüche, die an einen Bildband dieses Formats zu stellen sind. Der Autor hat über 25 Jahre lang für die französische Tageszeitung "Le Monde" Reportagen verfaßt und in Frankreich mehrere Bücher über Afrika veröffentlicht. Das schlägt sich in seiner Übersicht, seinem Wissensfundus und auch in dem gut lesbaren, anekdotischen Erzählstil nieder. Nicht ganz auf der Höhe der Zeit scheint Jean de la Guérivière allerdings bei der Beschreibung einer Expedition des Engländers David Livingstone, der den Fluß Kasai erreicht habe, "nach dem eine Provinz im heutigen Zaire benannt" (S. 84) sei. Bekanntlich wurde der Staat Zaire 1997 von dem inzwischen ermordeten Laurent Desiré Kabila in Demokratische Republik Kongo umbenannt - fünf Jahre vor der in Frankreich erschienenen Originalausgabe "Exploration de l'Afrique noire".

Viele der 200 Abbildungen dieses Buchs haben ein tragisches Motiv. Sie zeigen Sklaven bei der Arbeit, beim Verschiffen oder auf dem Sklavenmarkt; und so manche Abbildung erinnert daran, daß Afrika militärisch erobert wurde und es immer wieder Aufstände gegen die Kolonialmächte gegeben hat. Doch ungeachtet der Not, die das Vordringen der Europäer mit sich brachte, verläßt der Autor nicht den Standpunkt des beobachtenden Chronisten, des Eurozentrikers, der in recht maßvollen Worten die blutige Unterwerfungsgeschichte Afrikas, respektive den Sklavenhandel beschreibt.

An einer Stelle jedoch schimmert noch etwas anderes hindurch, das mehr über den Autor zu verraten scheint, als seine Worte sagen. In einer Bildunterschrift zu drei vergrößert abgebildeten afrikanischen Briefmarken erklärt er:

Zu einer Zeit, als Heranwachsende noch Briefmarken sammelten, nährten die Briefmarken aus Afrika viele Jugendträume. Ethnologen, Kolonialärzte, Soldaten oder Verwaltungsbeamte bestätigten, ihre Berufswahl sei durch diese Sammelleidenschaft entstanden. (S. 177)

Es sei die Spekulation gewagt, daß der Autor den gleichen Traum gehegt hat und dies vielleicht zu seiner späteren Berufswahl - er führte bei "Le Monde" die Ressorts Afrika und Asien - beitrug. Jedenfalls erweckt Jean de la Guérivière den Eindruck, als blicke er mit einer gewissen Wehmut auf eine Zeit zurück, als die Menschen mit Afrika tatsächlich noch Entdeckungen und Abenteuertum verbanden, eben eine Zeit, als Kinder und Jugendliche bunte Briefmarken aus fremden Ländern mit geheimnisvoll klingenden Namen in ihre Alben steckten und sich dabei auf eigene Entdeckungsreisen begaben.

Heute dagegen dürfte die heranwachsende Generation mit Afrika in erster Linie Aids, marodierende Milizenbanden und Dauerhungerkrisen verknüpfen. Entsprechend ernüchternd fällt das Resümee des Autors aus, wenn er schreibt, daß "aus den 'Terra incognitae' der alten Landkarten (...) im Sudan, in Somalia, im Kongo, in Angola und anderswo 'Gefahrenzonen' geworden" (S. 206) sind, vor deren Betreten westliche Regierungen Reisende zu warnen pflegen. Indes läßt er sein Buch nicht mit Enttäuschung ausklingen und schreibt schlußendlich:

Afrika ist zwar besser bekannt - mit dem Flugzeug sind die Entfernungen leicht zu überwinden - doch paradoxerweise ist dieser Kontinent heute auf andere Weise unbekannt. Die unermesslichen Weiten, die furchtlose Weiße einst mit einem Gefühl von Freiheit durchmaßen, das dem unbefangenen Herumtollen der wilden Tiere glich, die sie dort erblickten, gibt es nicht mehr. (S. 206)

Hier spielt der Autor darauf an, daß die Möglichkeit der raschen Überwindung großer Entfernungen mit dem Flugzeug Reisenden die "unermeßlichen Weiten" Afrikas keineswegs nähergebracht hat. Das Unbekannte läßt sich eben nicht allein mit technischen Errungenschaften erschließen. Die Neugier des unbedarft forschenden Geistes, die der Autor den "furchtlosen Weißen" schwärmerisch verklärend attestiert, ist seiner Meinung nach verlorengegangen. Auch mit dieser Einschätzung dürfte Jean de la Guérivière an einen Traum erinnern, den er sich bewahrt hat und an dem er seine Leser mit diesem Buch über Afrika teilhaben lassen will.


Jean de la Guérivière
Die Entdeckung Afrikas
Erforschung und Eroberung des Schwarzen Kontinents
Aus dem Französischen von Egbert Baqué
Knesebeck Verlag, München 2004
215 Seiten, 49,90 Euro
ISBN 3-89660-206-3