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REZENSION/323: Beckett in Hamburg und Berlin 1936/1937 (Biographie) (SB)


Roswitha Quadflieg

Beckett was here

Hamburg im Tagebuch Samuel Becketts von 1936



Erika Tophoven

Becketts Berlin



Der hundertjährige Geburtstag des am 13. April 1906 in Dublin geborenen Samuel Beckett hat weltweit den Anlaß zu zahlreichen Artikeln Büchern, Aufsätzen, Remineszenzen, Aufführungen und Ausstellungen geliefert. Dies gilt insbesondere in Irland, wo die Würdigung des wichtigsten Dramatikers der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dank umfangreicher finanzieller Zuschüsse der Regierung zu einer merkwürdigen Mischung aus Staatsakt und Volksgaudi geriet, sowie in Frankreich, wo Beckett seit 1937 im selbstgewählten Exil lebte, die meisten seiner Romane und Theaterstücke auf französisch schrieb, für die aktive Teilnahme an der Résistance im Zweiten Weltkrieg das Croix de Guerre erhielt und schließlich 1989 in Paris starb. Zwei liebevoll aufgemachte, ebenfalls zum 100. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers von 1969 hierzulande erschienene Bücher, Roswitha Quadfliegs "Beckett was here" und Erika Tophovens "Becketts Berlin", beleuchten die wichtige, jedoch bislang leider viel zu wenig bekannte Beziehung des irischen Schriftstellers zur deutschen Kultur. Vom 2. Oktober 1936 bis zum 1. April 1937 hatte Beckett nämlich ein halbes Jahr in Nazideutschland verbracht, die meiste Zeit in der Hafenmetropole Hamburg und in der damaligen Reichshauptstadt.

Die große Deutschlandreise fiel in eine schwierige Phase von Becketts Leben. Nach dem plötzlich Abbruch einer vielversprechenden, akademischen Karriere als Dozent an der Dubliner Trinity University versuchte Beckett als Schriftsteller Fuß zu fassen. 1936 hatte er - der 1953 mit "Warten auf Godot" über Nacht weltberühmt werden sollte - kaum mehr als einige Zeitschriftenrezensionen und -essays beispielsweise über Seán O'Caseys "Windfalls" und Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" sowie den Gedichtband "Echo's Bones" vorzuweisen. Für seinen ersten Roman "Murphy" erhielte er zu dieser Zeit von den diversen Verlagen nur Absagen. Vor diesem Hintergrund entschied sich Beckett zu einem längeren Besuch Deutschlands, wo er seine Kenntnisse der deutschen Sprache verbessern, seinem Interesse für die bildende Kunst nachgehen und nebenbei sich über die politische Lage informieren wollte. Die Reise wurde von der Mutter daheim im Dubliner Foxrock finanziert, was bei Beckett zu Sparsamkeit und erhöhter Nervosität in den Tagen vor dem Eintreffen der nächsten Überweisung führte.

In "Beckett was here" läßt die Kunstexpertin und Autorin Roswitha Quadflieg den Leser den Weg Becketts durch Hamburg chronologisch verfolgen, während mit "Becketts Berlin" sich dessen langjährige Übersetzerin Erika Tophoven für eine thematische Aufgliederung entschieden hat. Diese Vorgehensweisen passen gut zu der jeweils unterschiedlichen Art der Besuche Becketts in den beiden größten deutschen Städten. In Hamburg kam der "skurrile ... völlig mittellose Ire" (Quadflieg, S. 123) mit vielen Personen aus Künstler- und Literaturkreisen zusammen und lernte die wichtigsten Mitglieder der bereits unter Berufsverbot im inneren Exil lebenden Gruppe "Sezession" kennen. In Berlin dagegen scheint Beckett den Großteil seiner Zeit mit ausgiebigen Besuchen der Museumsinsel und langen, einsamen Spaziergängen verbracht zu haben - "the 11km in 1-3/4 hrs., good going" (Tophoven, S. 33f). Nicht zu vergessen, die abendlichen Besuche der Kinos, Theater und der zahlreichen Kneipen. Allein in Hamburg notiert Beckett von letzteren 42 namentlich in seinen Tagebüchern. Nach dem Besuch des legendären Zillertals auf der Reeperbahn moniert er die "diabolische Blasmusik".

Bereits 1928 und 1932 war Beckett bei Verwandten, der Familie Sinclair, in Kassel gewesen. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache waren bereits zu diesem Zeitpunkt recht ordentlich, denn er las unter anderem Goethe im Original. In Hamburg liest er viele Bücher und verschickt 39 davon, darunter eine Schopenhauer-Gesamtausgabe, nach Dublin. In Berlin scheinen es hauptsächlich, aber nicht nur, die Kataloge der von ihm zum Teil bewunderten, zum Teil kritisierten Bilder zu sein, auf die er es abgesehen hat. Dank Quadfliegs und Tophovens eigener Recherchen der Aktivitäten Becketts jener Tage sowie dessen eigenen in einer kunterbunten deutsch-englischen Mischung verfaßten Tagebuchnotizen bekommt man ein höchst aufschlußreiches Porträt eines eigensinnnigen Künstlers zu sehen, der zwar keinen Durchbruch geschafft hat, jedoch dessen Belesenheit, Wissensdurst und Witz ihn bereits zu einer Ausnahmeerscheinung gemacht haben.

Die Naziherrschaft und die allgemeine Atmosphäre damals in Deutschland erfüllen Beckett mit Unbehagen, wie einige seiner Notizen zeigen. "Aus dem Radio plärren Hitler und Goebbels ... 'Apoplexy. They must fight soon (or burst)', lautet die letzte Eintragung heute. Ein kassandrischer Ruf über die Nationalsozialisten und ihre eigentlichen Ziele." (Quadflieg, S. 29) Beckett, dessen Lieblingsgericht in Deutschland Bauernfrühstück war, läßt sich nach einem Imbißbesuch zu folgendem bissig-ironischen Kommentar hinreißen: "Würste in Bierstube. HH ohne Unterlaß." (Quadflieg, S. 47) Dennoch bleiben gute Erinnerungen an Hamburg, vor allem an "so viele Freundlichkeit" (Quadflieg, S. 197), die man nicht unbedingt bei den eher reservierten Hanseaten vermutet hätte.

Die Zeit in Berlin war von "großer Einsamkeit und Niedergeschlagenheit" (Tophoven, S. 137) geprägt, was Beckett wiederum zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den großen Kunstsammlungen im Deutschen Museum, im Kaiser-Friedrich-Museum, im Kronprinzenpalais, in der Nationalgalerie und im Pergamon-Museum nutzt. Wie man liest, war Beckett in der Kunst recht bewandert und hatte zu allem und jedem eine dezidierte Meinung - wie diese zur deutschen Malerei:

Was gibt es überhaupt Nennenswertes zwischen der hochrangigen Riege Mitte des 16. Jahrhunderts (Penez, Faber, Schäufelein, Bruyn, Baldung, die Cranachs, Corvus, Holbein & Amberger) und den Romantikern? Nicht viel. Elsheimer, der 1610 starb, kann kaum als Bindeglied angesehen werden. Rottenhammer, Sandrart, Dietrich, Brand, Zick, Angelika K., Deuner, die 3 Tischbeins, Chodowiecki, Mengs, Graff, von denen der jüngste, J. H. W. Tischbein, 1829 starb. Schreckliche zwei Jahrhunderte. Es reicht beinahe aus, um einem Wertschätzung für Runge abzugewinnen.
(Tophoven, S. 78f.)

Um dies noch besser nachvollziehen zu können, werden im Buch Tophovens zum Teil farbige Reproduktionen der von Beckett kommentierten Gemälde der Berliner Museen präsentiert. Beide vorliegenden Bücher sind kurzweilig geschrieben und bieten sowohl einen Einstieg, um den Schriftsteller Beckett kennenzulernen, als auch ein besseres Verständnis für dessen Werdegang und den Hintergrund seines Schaffens. Da "Beckett was here" und "Becketts Berlin" sich ideal ergänzen, das eine geht sozusagen in das andere über, liest man sie am besten unmittelbar nacheinander.


Roswitha Quadflieg
Beckett was here
Hamburg im Tagebuch Samuel Becketts von 1936
Hoffmann und Campe, Hamburg, 2006
223 Seiten
ISBN-10: 3-455-09541-0
ISBN-15: 979-3-455-09541-8


Erika Tophoven
Becketts Berlin
Nicolai Verlag, Berlin, 2005
143 Seiten
ISBN: 3-89479-159-4


08.05.2006