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REZENSION/383: Wayne Madsen - Moralischer Bankrott (US-Politik) (SB)


Wayne Madsen


Moralischer Bankrott

Der amerikanische Offenbarungseid



"Moralischer Bankrott" - so lautet der im ersten Moment drastisch klingende Titel des neuen Buchs des amerikanischen Investigativjournalisten Wayne Madsen über das bisherige Ergebnis der Politik der USA unter der Führung von Präsident George W. Bush. Bedient sich Madsen dabei anti-amerikanischer Klischees in der Bewertung der Arbeit der neokonservativen Regierung um den Präsidentensohn und ehemaligen republikanischen Gouverneur von Texas? Mitnichten. Der bekennende Patriot untermauert sein vernichtendes Urteil mit einer Fülle schwer widerlegbarer Fakten, die das wahre Ausmaß der Korruption und des Sittenverfalls in der amerikanischen Politik - das nicht unwesentlich zur wirtschaftlichen Aushöhlung und zum Verlust des moralischen Führungsanspruchs der Supermacht USA geführt hat - erst erkennbar werden lassen.

Zwar ist Madsen international lange nicht so bekannt wie sein großes Vorbild Seymour Hersh - schließlich ist er rund zwanzig Jahre jünger als der Pulitzerpreisträger -, doch unter Kennern der Geheimdienstszene gilt er als recht zuverlässige Quelle explosiver Insiderinformationen. Im Februar 2000 trat er als Experte bei "60 Minutes", dem von CBS produzierten, wichtigsten Politmagazin des US-Fernsehens, auf, als es um die Bewertung der damaligen transatlantischen Kontroverse um das weltumspannende, elektronische Lauschsystem der USA mit Namen Echelon ging. Als Anfang 2002 das Enthüllungsbuch "Die verbotene Wahrheit - Die Verstrickung der USA mit Osama Bin Laden" der beiden französischen Geheimdienstexperten Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié weltweit Furore machte, war es Madsen, der das Vorwort zur amerikanischen Ausgabe beisteuerte. Und als im Frühjahr 2002 der linksliberale Guardian die Verstrickung der Bush-Regierung in den gescheiterten Putschversuch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez publik machte, stützte sich die führende Tageszeitung Großbritanniens zum nicht geringen Teil auf die Angaben Madsens. Dasselbe gilt für die Bekanntmachung des Skandals um die Folterflüge und das geheime Gefängnisnetzwerk der CIA außerhalb der USA durch den Guardian im Frühjahr 2003.

Madsen ist ein ehemaliger Mitarbeiter der National Security Agency (NSA), des in Fort Meade im Bundesstaat Maryland ansässigen, größten Nachrichtendienstes Amerikas, Leutnant a. D. der US-Marine, Gründungsmitglied des Electronic Privacy Information Center (EPIC) und Mitstreiter der Gruppe Scholars for 9/11 Truth, die sich zunehmend erfolgreicher um eine Klärung der mysteriösen Umstände der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 bemüht. Er schreibt seit Jahren für diverse, dem linksliberalen Spektrum zugerechnete US-Zeitschriften wie Counterpunch, In These Times, Online Journal und The Progressive, für die Zeitungen der Verlagsgruppe Knight Ridder, die heute McClatchy Newspapers gehört, sowie für die kanadische Publikation Global Research. Der eine oder andere Artikel von ihm, der häufig zuerst im Internet auf der Homepage Wayne Madsen Report erscheint, ist bereits von der hiesigen Onlinezeitung Telepolis in der deutschen Übersetzung veröffentlicht worden. Darüber hinaus hat Madsen mehrere Bücher geschrieben, darunter "Genocide and Covert Operations in Africa 1993-1999", "The Handbook of Personal Data Protection" und das mit dem Militärexperten John Stanton zusammen verfaßte "America's Nightmare: The Presidency of George Bush II.".

Im vorliegenden Buch, das im letzten Sommer in den USA unter dem Titel "Jaded Tasks: Big Oil, Black Ops, and Brass Plates" herauskam, läßt der in Arlington, Virginia, und damit am Sitz des Pentagons wohnende Madsen eine schier endlose Reihe von brisanten Ereignissen, Skandalen und Affären Revue passieren, die in den letzten Jahren die Außen- und Innenpolitik der USA bestimmt haben und zu deren öffentlicher Aufklärung er selbst mit Artikeln, Auftritten und Interviews nach besten Kräften beigetragen hat. Zu den im Buch behandelten Komplexen gehören unter anderem die aktive Rolle der USA beim Massaker der Hutus an den Tutsis in Ruanda 1996; die Verwicklung der israelischen und pakistanischen Geheimdienste in die Anschläge vom 11. September; die Verschleppung des Ägypters Hassan Osama Nasr durch die CIA und den italienischen Geheimdienst SISMI im Februar 2003 auf offener Straße in Mailand; die Teilnahme israelischer Ex-Geheimdienstleute und der privaten Sicherheitsunternehmen CACI und Titan an den Folterexzessen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib im selben Frühjahr; die von Mitarbeitern des Weißen Hauses initiierte Enttarnung der CIA-Undercoveragentin Valerie Plame und damit die Torpedierung der hochgeheimen Operation der Scheinfirma Brewster, Jennings & Associates gegen den illegalen Atomschmuggel; die Manipulation der US-Präsidentschaftswahl 2004 zugunsten Bushs unter Verwendung von elektronischen Stimmenzählmaschinen; das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri im Februar 2005 einschließlich der darauf erfolgten, durchsichtigen Bezichtigungskampagne gegen Syrien sowie der sich gegenwärtig noch ausweitende, große Korruptionsskandal in Washington um den früheren republikanischen Spendeneintreiber Jack Abramoff.

Für Madsen ist unter Ronald Reagan, Bill Clinton sowie Bush-Senior und -Junior genau das passiert, wovor Präsident Dwight D. Eisenhower 1961 in seiner Abschiedsrede dringend warnte, nämlich daß der militärisch-industrielle Komplex einen "ungebührlichen Einfluß" auf die Gesellschaft der USA erlangt hat. Unter Verweis auf die Einmischung großer US-Unternehmen aus den Bereichen Energie, Finanzen, Rüstung und private Militärdienstleistungen in die Belange des amerikanischen Staates - und nicht nur dort - stellt Madsen resümierend fest:

Die Unterwelt der Briefkastenfirmen, Schwarzen Operationen und Big Oil hat die Psyche der amerikanischen Bevölkerung und die Struktur der USA unwiderruflich verändert. Ihre Intrigen und abgebrühten Machenschaften haben die Vereinigten Staaten zu einem zentralen Kampfschauplatz des Terrors gemacht; es wird Jahrzehnte dauern, bis sich Amerikas Demokratie von der beinahe fatalen Wucht des 11. September und seiner Nachwehen erholt hat. Unterdessen werden unsere In- und Auslandsgespräche ganz "legal" ausspioniert, Besucher aus Ländern, die seit langem zu Amerikas Verbündeten gehören, müssen es sich gefallen lassen, dass man sie bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten fotografiert und ihre Fingerabdrücke nimmt, man spricht schon von stichprobenartigen Durchsuchungen der Fahrgäste in Zügen und Bussen in ganz Amerika, die innig geschätzten amerikanischen Denkmäler in Washington wurden von Mauern umgeben, und den amerikanischen Präsident sieht man kaum noch ohne seinen Hofstaat begeisterter - und nicht selten uniformierter - Anhänger und bedrohlich wirkende bewaffnete Sicherheitsleute. Man hat Amerika an die Bieter mit dem höchsten und moralisch verwerflichsten Gebot verschachert.
(S. 372)

Gemäß des eigenen Verständnisses der Prinzipien der amerikanischen Gründungsväter scheut Madsen nicht davor zurück, diejenigen beim Namen zu nennen, die sein Land über den Weg eines großimperialistisch agierenden Polizeistaates in den Abgrund führen. Damit leistet der ehemalige NSA-Mann Aufklärungsarbeit im ursprünglichsten Sinne und liefert gleichzeitig spannenden, zum Teil schier haarsträubenden Lesestoff, der jeden Spionageroman in den Schatten stellt. Ob jedoch die unüberhörbaren Kassandrarufe von Wayne Madsen und Gleichgesinnten wie Seymour Hersh, Scott Ritter, Ken Silverstein, Ray McGovern, James Bamford, Chalmers Johnston, Ron Suskind, Mark Danner, Robert Parry und James Ridgeway ausreichen werden, um die Vereinigten Staaten vor der sich abzeichnenden Katastrophe zu retten, muß sich erst noch zeigen.

8. Mai 2007


Wayne Madsen
Moralischer Bankrott
Der amerikanische Offenbarungseid
Englischer Originaltitel: Jaded Tasks: Big Oil, Black Ops, and Brass
Plates
HWK Verlag, Wassertrüdingen, 2006
415 Seiten
ISBN: 978-3-937245-20-1
Preis: 19,95 Euro