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REZENSION/394: Silvana Koch-Mehrin - Schwestern (Feminismus) (SB)


Neoliberaler Zweckfeminismus




Prinzipiell ist Silvana Koch-Mehrin, Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Autorin der "Streitschrift für einen neuen Feminismus" unter dem Titel "Schwestern", mit Europas neoliberalem Kurs offenbar sehr einverstanden:

Das Leben ist wunderbar, spannend, bunt! (S. 14)

Das Leben liegt uns zu Füßen. Im Prinzip kann jede Frau heute die Lebensform wählen, die sie sich wünscht und die ihren individuellen Bedürfnissen entspricht..."
(S. 21)

Doch Koch-Mehrins positives Lebensgefühl wird getrübt von jenem unsäglichen Retro-Trend à la Eva Herman und Daphne de Marneffe, der nach Ansicht der Autorin vor allem die beruflichen Perspektiven aufstrebender Europäerinnen bedroht. Ein Trend, der mit der "freiwilligen" Selbstbeschränkung der Frau auf Heim und Herd, mit der Wiederbeschneidung der eben erst in Deutschlands Mittelschicht zur Normalität erblühenden weiblichen Selbstbestimmung, von Deutschland aus seine Schatten auf die leuchtende Zukunft Europas wirft. Koch- Mehrin:

Genau das befürchte ich zur Zeit: die Begrenzung der Freiheit für Frauen. Darum will ich mich streiten, darum dieses Buch.
(S. 15)

Anlaß zum Streiten bietet "Schwestern" denn auch genug. Allein deshalb, weil Koch-Mehrin den Begriff "Feminismus" (ursprünglich die Bezeichnung für einen Standpunkt, der explizit von den Anliegen und Bedürfnissen der Frau ausgeht), in ihrem Buch von Halbsatz zu Halbsatz höchst abenteuerlich umdefiniert:

Keinen Feminismus der Frauen gegen die Männer - das war gestern -, sondern einen Feminismus MIT den Männern, der das Leben von uns allen, Frauen, Männern und Kindern, ungemein bereichert.
(S. 16)

Ein "gegen die Männer" gerichteter Feminismus würde voraussetzen, daß seine Vertreterinnen sich vorrangig damit beschäftigten, "gegen Männer" zu sein. Dies mit einem lapidaren "das war gestern" dem feministischen Zweig der Frauenbewegung zu unterstellen, spricht jenen Frauen die Fähigkeit zur Formulierung ureigener Interessen ab, von deren politischem Engagement Koch-Mehrin bis heute profitiert.

Daß Feministinnen, die unabhängig von Männern ihre eigenen Anliegen formulieren, möglicherweise feststellen, daß diese nicht ausschließlich geschlechtsspezifisch sind, sei hier vorausgeschickt. Doch wenn Koch-Mehrin vom "Feminismus MIT den Männern" spricht, meint sie nicht solche im nachhinein festgestellten Übereinstimmungen, sondern eine Berücksichtigung männlicher Standpunkte von vornherein. Damit setzt sie der Begriffsentstellung des Wortes "Feminismus" gewissermaßen die Krone auf. Wie könnte eine feministische, also erklärtermaßen von weiblichen Interessen getragene Position, von Männern von vornherein mitgestaltet werden? Ein Femi-Maskulismus als Begriff könnte von der Aussage her nicht absurder sein.

An zahlreichen weiteren Stellen von "Schwestern" drängt sich die Frage auf, weshalb Koch-Mehrin den für sie offenbar frei interpretierbaren Begriff "Feminismus" überhaupt bemüht. Als ehemalige Studentin der Geschichte hätte sie sich beispielsweise die historische Dimension dieses Begriffs, etwa seine Bedeutung im Zusammenhang mit der antibürgerlichen und pazifistischen US-Jugendbewegung um 1965, zugänglich machen können. Stattdessen verwendet sie den Begriff mitunter so, als hätte sie ihn sich im Vorbeiflug von Verona Pooth (geb. Feldbusch) erklären lassen:

In dieser Lage kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass wir einen neuen Feminismus brauchen. Bis dahin war mir das schnuppe gewesen. Ich und Feminismus? Was sollte mich das angehen? In meiner Eigenwahrnehmung war ich nie Feministin gewesen, denn ich verstand mich nicht als Teil einer unterdrückten Spezies, sondern ganz selbstverständlich als gleichberechtigt.
(S. 10)

Die Despektierlichkeit, mit der Koch-Mehrin hier behauptet, sich nie als "Teil einer unterdrückten Spezies" verstanden zu haben, bringt ihre Ignoranz gegenüber Frauen zum Ausdruck, die sich (ja, das gibt es auch in Deutschland), täglich mit massiver Gewaltanwendung und Erniedrigung durch Männer konfrontiert sehen. Auch wenn die Unterdrückung des Schwächeren durch den Stärkeren nicht auf den Geschlechtsunterschied reduziert werden kann, käme es einer Art Elitär- Feminismus gleich, sich als selbsterklärter Feministin zu leisten, diese spezifische Gewaltproblematik leichthin abzutun.

Koch-Mehrins "neuer Feminismus" beschränkt sich in seiner Kritik denn auch weitgehend auf ökonomische Aspekte weiblicher Benachteiligung, wie sie vorwiegend berufstätige Frauen erleben:

Warum verdienen Frauen weniger als Männer? Weil ihre Arbeit weniger wert ist. Zumindest in Deutschland. Sie erhalten rund ein Viertel weniger Geld, für gleiche Arbeit wohlgemerkt. Bei uns werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt schlechter behandelt als in allen anderen vierzehn alten EU-Staaten. Hat die Bundesregierung festgestellt.
(S. 134/135)

Diesem durch viele Beispiele illustrierten und mit Zahlen statistisch belegten, peppig präsentierten Mißstand läßt die promovierte Volkswirtin Koch-Mehrin eigene Vorschläge folgen. Doch mit einem Solidaritätsaufruf, wie der Buchtitel "Schwestern" durchaus suggeriert, haben Koch-Mehrins Anregungen nichts zu tun. Vielmehr spricht sich die Autorin für mehr Engagement bei der Bildung elitärer Seilschaften aus, jener Nutznieß-Netzwerke, deren "Loyalität" nur dem Erfolgreichen vorbehalten ist. Als Beispiel nennt sie das amerikanische Wellesley College, dessen Absolventinnen (darunter Hillary Clinton und Madeleine Albright) sich angeblich weltweit gegenseitig unterstützen. "So etwas brauchen wir in Deutschland!" (S. 193) Daß Koch-Mehrin dabei keinesfalls an Netzwerke für Frauen in Notlagen denkt, macht sie unmißverständlich klar:

Wir wollen Erfolg statt Frust. Frauennetzwerke sind gut, wenn sie keine Auffangbecken für Selbstmitleidige sind."
(S. 194)

Ebensowenig hält sie mit ihrem Ansinnen hinter dem Berg, sich über besagte erfolgsorientierte Frauennetzwerke zu den Netzwerken erfolgreicher Männer hinüberzuhangeln:

Frauennetzwerke reichen nicht aus. Es wäre dumm, die Männer auszugrenzen. Gemeinsam geht es einfach besser!"
(S. 194)

Das heißt, wenn Koch-Mehrins "neuer Feminismus" als Karriere- Starthilfe seinen Zweck erfüllt hat (zu den Netzwerken erfolgreicher Männer aufzuschließen), hat er auch schon wieder ausgedient. Hier von Zweckfeminismus zu sprechen, ist sicherlich nicht übertrieben.

Ganz im Sinne ihres abgeflachten Gebrauchs des Feminismusbegriffs nimmt Koch-Mehrin des weiteren in ihrem Buch einen vermeintlichen Mutter-Mythos aufs Korn, den sie bis in die Verhaltensbiologie der Primaten hinein als Lügengebilde und konstruierten Ausgangspunkt einer Zurück-an-den-Herd-Propaganda verfolgt.

Schaut man über die Grenzen hinweg, sieht man, dass der Kult um die Mutterschaft eine nationale Spezialität darstellt. Wir Deutschen sind anders. Unser Sonderweg lautet: Kinder und Karriere schließen sich aus. Muttersein ist ein idealisiertes Phänomen. Mutterschaft ist auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein mythisch aufgeladener Begriff.
(S. 20)

Fraglos wurde und wird die Tatsache, daß Frauen Kinder gebären können, in jeder nur erdenklichen Hinsicht (so auch, wenn sie keine gebären), ohne Rücksicht auf die Frauen selbst, politisch verwendet. Die Sanktionierung oder Idealisierung von Mutterschaft ist in fast allen politischen Systemen durchgängig nachweisbar. Doch anstatt der von ihr in Deutschland derzeit ausgemachten Idealisierung von Mutterschaft nachzugehen und die dahinterstehenden politischen Interessen klar beim Namen zu nennen (z.B. Machtzuwachs durch mehr Staatsbürger, Steuerzahler, Soldaten), weicht Koch-Mehrin auf den unverfänglicher anmutenden Begriff des Mutter-Mythos aus. Der Mutterschaft als "mythisch aufgeladenem Begriff" stellt sie ein pragmatisch-nüchternes Mutter-Image entgegen, zu dem beispielsweise die Forderung nach Möglichkeiten für eine weitgehend institutionalisierte Kinderbetreuung (Kinderkrippen für wenige Monate alte Säuglinge, Vorschule und Ganztagsschule für Kinder) gehört.

Dadurch, daß Koch-Mehrin von einem Mutter-Mythos anstatt von einem Mutterschafts-Ideal spricht, macht sie einmal mehr deutlich, daß die populistische Verarbeitung komplexer Begriffe mitunter ganze Bedeutungszusammenhänge auf Minimalaussagen reduziert. Die solcherart plattgebügelten Begriffe werden mit allen möglichen anderen Aussagen kompatibel, weil sie im Grunde aussagelos geworden sind und ihnen lediglich ein interessanter Klang anhaftet, der neue Erkenntnisse verspricht.

So lassen sich Mythen, die oft für schwer vermittelbare Bedeutungszusammenhänge stehen, nicht einfach auf Psychologismen wie "Gluckenverhalten" oder "Arterhaltungstrieb" herunterbrechen. Daher steht auch der Mutter-Mythos keinesfalls für die Verehrungswürdigkeit weiblichen Brutpflegeverhaltens. Vielmehr weist er auf ein Potential hin, das weder mit Arterhaltung noch mit Blutsverwandtschaft (Mutter- Kind) zu tun hat. Lediglich unter Zuhilfenahme des Umstands, daß mancher Mutter (bei weitem nicht jeder!), wenn es um ihr Kind geht, Kräfte erwachsen, die sie zu unerklärlich scheinenden Leistungen befähigen, transportiert der Mutter-Mythos die Aussage, daß der Mensch (auch der Mann) sich ein immenses Potential erschließen kann, wenn er sich in seinem Streben nicht auf den persönlichen Vorteil reduziert. Daß Koch-Mehrin mit ihrem Mutter-Mythos eher die Propaganda von der weiblichen Vorherbestimmung, sich für den Nachwuchs aufzuopfern, meint, liegt nahe. Doch weshalb muß sie dann den Mythos zum zentralen Begriff ihrer Darlegungen machen?

Ob Feminismus, Schwester(lichkeit) oder Mutter-Mythos, Koch-Mehrins leichtfertiger Umgang mit diesen und anderen Begriffen trägt dazu bei, die in ihnen enthaltenen Anliegen, Möglichkeiten und Visionen noch unkenntlicher zu machen, als sie ohnehin schon sind. Daß schließlich Individualisierung und Nutznieß-Netzwerke als die einzig vernünftig erscheinenden Handlungsoptionen übrig bleiben, liegt, wenn auch als Aussage nicht direkt von der Autorin beabsichtigt, doch auf ihrem neoliberalen Kurs. Zu letzterem gehört offenkundig auch, die in Reichweite befindlichen Ressourcen, und seien es "nur" Begriffe, inflationär in Gebrauch zu nehmen.

6. Juli 2007


Silvana Koch-Mehrin
Schwestern - Streitschrift für einen neuen Feminismus
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007
219 Seiten
ISBN 978-3-430-30028-5