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REZENSION/512: Sabine Schiffer, Constantin Wagner - Antisemitismus und Islamophobie (SB)


Sabine Schiffer und Constantin Wagner


Antisemitismus und Islamophobie

- ein Vergleich -



Warum überhaupt Antisemitismus und Islamophobie miteinander vergleichen, mag der eine oder andere angesichts dieser seit Jahren immer wieder neu aufkochenden Debatte fragen? In beiden Fällen handelt es sich um religiös konnotierte Formen des Rassenhasses, die nicht nur im Fall des modernen Antisemitismus, der an den christlichen Antijudaismus anknüpft, auf eine lange Geschichte wegen ihres Glaubens bis zum Mord verfolgter Menschen zurückblickt. Die am Islam festgemachte Gefahr einer Eroberung Europas durch Anhänger des Propheten Mohammed wurzelt allerdings im Unterschied zum Antisemitismus in einer Geschichte miteinander konkurrierender Reiche und Imperien, während an Juden gerade die nichtverortbare nationale Herkunft zum Ausgangspunkt eines universalen Feindbilds wurde. Handelte es sich bei den Kreuzzügen um einen Gründungsakt imperialer Machtentfaltung des christlichen Europas, so fanden die gegen Juden gerichteten Feindseligkeiten eher im innergesellschaftlichen Raum statt, was diese Gruppe als kompensatorisches Entlastungsmoment für herrschende Widersprüche besonders geeignet erschienen ließ.

Während es fundamentale inhaltliche Unterschiede zwischen diesen beiden Feindbildkonstrukten gibt, ist ihnen gemein, daß in beiden Fällen die Anhänger monotheistischer Religionen getroffen werden, die mit dem Christentum durch eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte verbunden sind. Hinzu kommt, daß nach langer, weitgehend friedlicher Koexistenz zwischen Muslimen und Juden aufgrund der jüdischen Neuansiedlung in Palästina und der Gründung des Staates Israel Spannungen zwischen diesen beiden Gruppen aufgekommen sind, die sich nun ebenfalls auf beiden Seiten in rassistischen Stereotypien entladen. In der Geometrie dieser drei Kulturkreise haben sich, bedingt durch den europäischen Kolonialismus sowie die Unterstützung des in Europa entstandenen Zionismus durch westliche Regierungen, die Distanzen zur islamischen Welt vergrößert, während sich die staatlichen Exponenten jüdischer und christlicher Kultur auf politischer Ebene angenähert haben.

Die historische Sonderstellung des Völkermords an den europäischen Juden durch das deutsche NS-Regime und der breite Konsens seiner kompromißlosen Verurteilung haben zu einer politischen Unterstützung des Kampfes gegen den Antisemitismus geführt, die bei muslimfeindlichen Einstellungen aufgrund antagonistischer Entwicklungen zwischen westlicher Welt und Staaten mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung nicht in gleicher Weise gewährt wird. Um so brisanter sind die rassistischen Ressentiments, die aufgrund der Migration von Menschen aus islamisch geprägten Ländern nach Westeuropa, vor allem verursacht durch die eigene Kolonialgeschichte respektive eine ökonomisch bedingte Zuwanderungspolitik, geschürt werden. Erschwerend hinzu kommt die seit 2001 verschärft gegen islamische Staaten gerichtete interventionistische Politik westlicher Großmächte, die den Vorwand der Terrorismusbekämpfung dazu benutzen, die eigene Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten auszubauen.

Aus dieser Gemengelage ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, Gemeinsamkeiten wie Unterschied zwischen "Antisemitismus und Islamophobie" zu entdecken. Die Verfasser des so betitelten Buches, Sabine Schiffer und Constantin Wagner, gestehen zwar zu, daß man auch andere rassistische Diskurse als Vergleichswert für Islamophobie hätte wählen können. Ihren Ansatz, "gerade den Antisemitismus des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit aktuellen Tendenzen zu vergleichen", halten sie dennoch für vertretbar, weil "der antisemitische der am besten erforschte rassistische Diskurs überhaupt" ist, weil "bei breiten Leserkreisen eine Art Grundwissen über diesen Diskurs vorausgesetzt werden" kann und weil die "absolute Tragödie" des Holocaust, die "ohne die Vorbereitung in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor nicht denkbar gewesen wäre, den meisten Menschen präsent" ist. Schließlich erscheint es den Autoren "fruchtbar, die Situation im 19. Jahrhundert als einer Zeit von Veränderung staatlicher Verfasstheit, mit der des frühen 21. Jahrhunderts zu vergleichen, in der sich ebenfalls ein Wandel von Staatlichkeit vollzieht" (S. 202).

Schiffer und Wagner entwickeln ihre Analyse durchaus an den Gegensätzen zwischen beiden Feindbildkonstrukten, um im Ergebnis jedoch Parallelen aufzuzeigen, so am Beispiel des gegen Juden in der Hochzeit europäischer Nationalstaatlichkeit gerichteten Vorwurfs, sich nicht mit dem Land, dessen Staatsbürger sie waren, zu identifizieren, sondern in erster Linie mit dem jüdischen Volk. Dies sei vergleichbar mit dem gegen Muslime gerichteten Vorwurf der Bildung von "Parallelgesellschaften", der dem Verdacht entspreche, hier bilde eine Minderheit einen Staat im Staate. Zu Recht wird unter Verweis auf Jürgen Nowak darauf verwiesen, daß es keine deutsche oder europäische Leitkultur gebe, "denn alle Kulturen sind hybrid, d.h. aus verschiedenen Kultureinflüssen zusammengesetzt" (S.203). Von den gegen Normalverdiener abgeschotteten Refugien der Reichen als "Parallelgesellschaften" zu sprechen und ihre soziale Integration durch Vergesellschaftung ihres Eigentums zu fordern ist alles andere als opportun, sondern ruft eher den Staatsschutz auf den Plan.

Den gegen Muslime und andere Minderheiten, die auf kulturelle Eigenständigkeit bestehen, gerichteten Vorwurf, sich in sozialen Exklaven abzusondern, in den historischen Kontext der Judendiskriminierung zu stellen, ist auch deshalb von Bedeutung, weil mit dieser Bezichtigung ein grundlegender Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung in Frage gestellt und durch die Zugriffssicherheit administrativer Kontrolle ersetzt wird. Wenn dem Anspruch religiöser, weltanschaulicher oder ethnischer Minderheiten auf kulturelle Eigenständigkeit staatlicherseits mit dem Vorwurf entgegengetreten wird, damit auf destruktive Weise gegen das Mehrheitsinteresse zu handeln, hat man es mit einem klassischen Topos autoritärer Herrschaftsicherung zu tun. Sich zur Schaffung allgemeiner Akzeptanz hegemonialer Interessen der Ausgrenzung durch gemeinsame Merkmale zu identifizierender Gruppen der Bevölkerung zu bedienen, muß nicht zwingend durch deren Anspruch auf Eigenständigkeit bedingt sein, sondern kann, wie am Beispiel der Verdächtigung der Empfänger sozialer Transferleistungen als "faul" und "parasitär" zu studieren, auch ohne die aktive Beteiligung der Betroffenen erfolgen. Um so relevanter ist die universale Wirkmächtigkeit der von Schiffer und Wagner beschriebenen Mechanismen rassistischer Ausgrenzung, kreisen sie doch um die Signatur des "anderen" als des im Kern fremden und feindlichen.

So bietet die Debatte um die Anwürfe des Bundesbankers Thilo Sarrazin, die nach Erscheinen des Buches im Juni 2009 geführt wurde, bestes Anschauungsmaterial für Nowaks Verweis auf die "Kulturalisierung und Ethnisierung sozialer Konflikte" (S.203) als Mittel zur Ausblendung gesellschaftlicher Widersprüche. Indem der ehemalige Berliner Finanzsenator angeblich unproduktiven Arabern und Türken eine demografische Verdrängungsstrategie durch die Geburt von immer mehr "Kopftuchmädchen" anlastete, indem er diesen Vorwurf mit dem Argument, "daß vierzig Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden", zu einem Angriff auf die angeblich zu großzügige Versorgung aller Menschen, die "nicht ökonomisch gebraucht" werden, erweiterte, um diese schließlich mit dem erbbiologischen Stigma teilweise genetisch bedingter Defizite gänzlich aus dem "produktiven Kreislauf" auszugrenzen, legte er in dem berüchtigten Interview mit der Zeitschrift Lettre International (09/2010) unter dem programmatischen Titel "Klasse statt Masse" ein exemplarisches Zeugnis für die Konvergenz rassistischer und sozialchauvinistischer Argumente zum neuen Sozialrassismus neokonservativer Eliten ab.

Zwar spannen Schiffer und Wagner den Bogen ihrer Analyse nicht so weit, daß sie in die explizite Bestimmung des rassistischen Charakters kapitalistischen Krisenmanagements mündete, doch liefern sie mit der sozialwissenschaftlichen Darlegung der strukturellen und semantischen Merkmale antisemitischer wie islamophober Einstellungen das Rüstzeug für eine entsprechende Politisierung des Rassismusdiskurses. Wie ein roter Faden durchzieht die Aufdeckung der Verallgemeinerung rassistischer Zuschreibungen zu Gruppenmerkmalen die vergleichende Darstellung der gegen Juden und Muslime gerichteten Ausgrenzungspraktiken. Die Stigmatisierung des anderen als der eigenen Lebensweise unversöhnlich gegenüberstehend bildet die Grundlage einer Feindbildproduktion, die die der betroffenen Gruppe zugeordneten Menschen erniedrigt und dehumanisiert, wobei die dafür in Anspruch genommenen Gründe variabel sind, sofern sie nur den beabsichtigten Zweck erfüllen:

"Anhand welcher Kriterien und Merkmale diese Gruppen konstruiert werden, was also darüber entscheidet, wer als 'fremd', 'anders' oder gegebenenfalls 'bedrohlich' wahrgenommen wird, ist keinesfalls 'natürlich', sondern hochgradig historisch kontingent und folgt vor allem den sozioökonomischen Bedingungen der jeweiligen Gesellschaft im Sinne der beschriebenen individualpsychologischen Entlastung und Legitimation von Abgrenzungsmechanismen".
(Fußnote 147, S. 58f.)

Die zweckrationale Beliebigkeit dokumentiert den grundsätzlich subjektiven Charakter des rassistischen Anwurfs, der, gegen wen er sich auch richtet, alles über seinen Urheber und nichts über dessen Adressaten mitteilt. Wo immer Übereinstimmungen seines Urteils am Beispiel mehrerer Menschen belegt werden könnten, ließen sich ohne weiteres andere Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen schaffen. Entscheidend ist allein die Absicht, Menschen kollektiv zu vereinnahmen und sie auf diese Weise auch individuell verfügbar zu machen. Den aggressiven Charakter dieses Übergriffs zu unterstreichen erfordert schon die Unteilbarkeit des Grundrechtsanspruchs auf Menschenwürde, den aufzuheben das Interesse jener "Islamkritiker" zu sein scheint, die vertreten, im Unterschied zu Juden und Christen lägen bei Muslimen objektive Gründe für das ihnen auferlegte Urteil vor. Behauptungen wie diese befördern eine Entwicklung, in der die herkunftsspezifische Verortung des jeweiligen Feindbilds in der übergeordneten Kategorie "der Muslime" oder "des Islam" aufgeht. Illustrierte "der Russe" im Kalten Krieg die kommunistische Bedrohung, wurde "der Türke" mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit zum Freßfeind erklärt. Mit dem Aufdämmern der 1991 nach dem zweiten Golfkrieg von US-Präsident George H.W. Bush proklamierten "Neuen Weltordnung" und den Anschlägen des 11. September 2001 geriet "der Moslem" ins Visier einer zivilisatorischen Suprematie, die der US-Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington mit der These vom "Clash of Civilizations" in zivilreligiöse Dimensionen trieb.

Ohne die Erfordernis, die geostrategischen und hegemonialen Interessen westlicher Staaten mit der Bedrohung durch den "islamistischen Terrorismus" zu legitimieren, hätte das Feindbild des "Muslim" oder "Islam" kaum jene Selbstevidenz angenommen, die sich im unausgesprochenen Einverständnis mit seiner medialen und politischen Hypertrophierung ausdrückt. Wäre es anders, dann müßte gerade in Deutschland die Mahnung von den zu wehrenden Anfängen beherzigt werden. Was vom publizistischen Mainstream gerne als linke Verschwörungstheorie gebrandmarkt wird, wird in dem vorliegenden Buch nicht zuletzt durch den Nachweis strukturell vergleichbarer Stigmatisierungspraktiken antisemitischer und islamophober Art umfassend belegt. Das zentrale Gegenargument jüdischer Betroffenheit durch den Holocaust, mit dem die Unvergleichlichkeit beider Diskurse eingefordert wird, bedient sich eines quantitativen Arguments, das auf negative Weise nichts anderes praktiziert als das vermeintlich Unvergleichliche zu vergleichen.

Schiffer und Wagner geht es nicht darum, die Sonderstellung des Antisemitismus unter den rassistischen Dispositionen zu bestreiten, sondern das verbindende Element der Feindbilder zur Aufklärung ihres irrationalen Charakters produktiv zu machen. Daß sie dabei einer angeblichen Kritik am Islam - die diesen Begriff nicht verdient, weil sie durchaus Kritikwürdiges an seiner religiösen und gesellschaftlichen Doktrin ausschließlich apologetisch verwendet, anstatt die Normen der Bewertung im Kontext eigener Vergesellschaftungspraktiken kritisch zu reflektieren - ihrerseits rassistische Methoden anlasten, kann angesichts der Instrumentalisierung antiislamischer Ressentiments als gesellschaftliches Regulativ nicht ausbleiben.

Wie stets im gesellschaftlichen Diskurs werden in dieser Debatte keine Wahrheiten verhandelt, sondern Positionen gegeneinandergestellt, deren Durchsetzungskraft maßgeblich von den herrschenden Machtverhältnissen bestimmt wird. Sich des Beispiels des Antisemitismus zu bedienen, um die Gefährlichkeit islamophober Einstellungen zu dokumentieren, ist bereits davon geprägt, daß emanzipatorische Bestrebungen seit längerem in die Defensive geraten sind. Wenn das in Deutschland besonders scharfe Schwert des Antisemitismusvorwurfs gegen antirassistische Aktivisten ins Feld geführt und anhand des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern als Waffe imperialistischer Apologie eingesetzt wird, dann hat man es mit einer Unversöhnlichkeit auf der Seite der deutungsmächtigen Eliten zu tun, dergegenüber sich die Verteidiger von Minderheitenrechten keine ideologische Borniertheit leisten können. Sich der normativen Parameter des hegemonialen Diskurses zu bedienen, um mit ihnen eine Art Immunreaktion auszulösen, die die eigene Kritik an den herrschenden Verhältnissen legitimiert, wirkt nicht zu Unrecht subversiv, was die zum Teil heftigen Reaktionen auf die verschiedenen Versuche, Islamophobie am Beispiel des Antisemitismus zu thematisieren, erklärt.

Die Autoren des vorliegenden Buches haben sich nach Kräften bemüht, die Gefährlichkeit antiislamischer Demagogie zu belegen und die prinzipielle Verurteilung antisemitischer Einstellungen von Spannungen zwischen Juden und Muslimen freizuhalten. Nichtsdestotrotz wurden sie von Ismail Küpeli in der Onlinezeitung Trend (03/2010) "verschwörungstheoretischer und anti-emanzipatorischer" Aussagen bezichtigt oder von Sabine Pamperrien in Das Parlament (47/2009) als zur rechten Islamfeindschaft äquivalente Sachwalter einer im linken Spektrum angesiedelten "pseudo-wissenschaftlichen Propaganda" erklärt. Selbst wenn es in ihrem Text Mißverständliches oder gar Unrichtiges geben sollte, wie Pamperrien am Beispiel eines Zitats von Herfried Münkler, dessen Urheberschaft dieser bestreitet, darlegt, so wird mit einer solchen Disqualifizierung das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Schiffer und Wagner haben umfassend erklärt, wie rassistische Vorbehalte zustandekommen und ins zerstörerische Werk der Freund-Feind-Dichotomie gesetzt werden. Die ihnen von den beiden Rezensenten als unzureichend begründet angelastete Nennung von Personen aus dem Lager sogenannter Islamkritiker wegzulassen wäre in Anbetracht dessen, daß die antiislamische Meinungshegemonie von einer überschaubaren Zahl von Akteuren getragen wird, ein Verlust gewesen. Keinesfalls sind die Autoren in Ermangelung stichhaltiger Argumente auf die Personalisierung der Debatte ausgewichen, sie haben viel mehr mit exemplarischen Beispielen eine Feindseligkeit dokumentiert, die dem Leser schon vor Augen geführt werden sollte, um das Ausmaß des Schürens antiislamischer Ressentiments beurteilen zu können. Allerdings wäre es der Lesbarkeit des von soziologischer und psychologischer Terminologie geprägten Textes gut bekommen, wenn seine inhaltliche Dichte durch das Einfügen gelegentlicher Absätze klarer strukturiert worden wäre.

Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, über die Nachstellungen zu berichten, denen Sabine Schiffer aufgrund der Fragen ausgesetzt ist, die sie zum rassistischen Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht im Sommer letzten Jahres aufgeworfen hat (siehe hierzu http://www.solidaritaet-mit-dr-sabine-schiffer.de/). Der Versuch, die aufklärerische Arbeit der Medienwissenschaftlerin zu kriminalisieren, steht wie das tragische Schicksal der Ägypterin auf emblematische Weise für eine gesellschaftliche Polarisierung, die als willkürlich erzeugt und systemopportun verwertet zu kritisieren Ausdruck der Sorge um eine friedliche Zukunft ist.

15. April 2010


Sabine Schiffer und Constantin Wagner
Antisemitismus und Islamophobie
HWK Verlag, Wassertrüdingen, 2009
260 Seiten, 24,80 Euro
ISBN: 978-3-937245-05-8