Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/540: C. Ramser - Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten... (Rechtswissenschaft) (SB)


Claudia Ramser


Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000

Europäische Hochschulschriften, Reihe II - Rechtswissenschaft



Im Juli 2010 erschien im Internationalen Verlag der Wissenschaften - Peter Lang unter dem für juristische Laien sperrig anmutenden Titel "Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000" die Dissertation der seit 2006 als Referentin in der Abteilung für Internationales Privatrecht des Bundesamtes für Justiz in Bonn, dem früheren Bundeszentralregister, tätigen Juristin Claudia Ramser. Das Sujet ihrer Arbeit berührt ein, wenn man so will, menschlich-soziales Problemfeld mit hoher politischer Brisanz, handelt es sich doch um die Frage, wie nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern innerhalb der gesamten EU bzw. in ferner Zukunft vielleicht sogar weltweit mit erwachsenen Menschen umgegangen werden kann, soll und darf, die nicht mehr dem gesellschaftlichen Anforderungsprofil entsprechen und als "hilfsbedürftig" gelten mit der Folge, daß ihnen in einer spezifischen Hinsicht oder ganz allgemein die Fähigkeit abgesprochen wird, die Belange des eigenen Lebens verantwortlich zu entscheiden.

Die vorliegende rechtswissenschaftliche Arbeit befaßt sich nicht generell mit diesem Thema, sondern widmet sich ihm auf der Basis einer spezifizierten Fragestellung, die von bestimmten Annahmen ausgeht, um für einen bestimmten Personenkreis eine Problemstellung zu suggerieren, die nach schnellstmöglicher juristischer Abhilfe am besten gleich in der gesamten Europäischen Union zu verlangen scheint. Die Voraussetzungen und Behauptungen dieser Konstruktion, auf der die gesamte Dissertation beruht, sind keineswegs rechtswissenschaftlicher Natur, sondern beruhen auf demographischen Aussagen und Grundannahmen, die strenggenommen einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht unterzogen werden können, weil sie ihrem Wesen nach keinen Wahrheits- und Objektivitätsanspruch erheben können.

Die Verfasserin führt in ihrer Einleitung zunächst demographische Betrachtungen an, um den Weg zu ihrer eigentlichen Fragestellung zu ebnen. Sie entwirft das Bild eines mit immer mehr älteren und immer älter werdenden Menschen geradezu belasteten, um nicht zu sagen überforderten Europa und zitiert demographische Studien, denen zufolge die Zahl der über 80jährigen Menschen von 2004 bis 2050 in Europa "geradezu explosionsartig" (S. 1) von 18 auf 50 Millionen steigen wird. Ramser spricht von einer einschneidenden Veränderung der europäischen Bevölkerungsstruktur, die "hohe Herausforderungen für die Wirtschafts- und Sozialsysteme in Europa" mit sich bringe. Da, wie die Autorin mit Verweisen auf weitere einschlägige Studien zu belegen sucht, mit zunehmendem Alter ein "erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen" bestünde und sich beispielsweise die Zahl der Demenz-Erkrankten ab dem 65. Lebensjahr "alle fünf Jahre" verdoppele, "wird dies auch vermehrte öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege nach sich ziehen" (S. 2).

Bis zu dieser Stelle ist kein Bezug zu einer juristischen Fragestellung erkennbar, was mitnichten bedeutet, daß die Beschwörung einer Ballast älterer und pflegebedürftiger Menschen ohne einen triftigen Grund ganz an den Anfang dieser Dissertation gestellt worden wäre. Um auf die Sorgen und Nöte älterer oder auch jüngerer betroffener oder gefährdeter Menschen einzugehen und zu thematisieren, welche sozialen, zwischenmenschlichen und natürlich auch juristischen Probleme und Fragestellungen sich aus diesem Dilemma ableiten lassen, hätte es vielfache Anlässe gegeben in einer Gesellschaft, in der der schwache und funktionsuntüchtige Mensch bestenfalls noch eine geduldete Bittsteller- und Hilfsempfängerposition einnehmen kann und Gefahr läuft, seiner Rechte de facto verlustig zu gehen, weil er die eigenen Angelegenheiten tatsächlich nicht mehr bewältigen kann oder dies aus Sicht Dritter von ihm angenommen wird.

Die Autorin problematisiert in ihrem Werk die juristischen und administrativen Komplikationen, die auftreten und auftreten können, sobald derartige Betreuungsrechts-, Vormundschafts- oder Vorsorgevollmachtsfälle einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, also die entsprechenden Rechtsordnungen zweier oder mehrerer Staaten berühren und deshalb einer speziellen Klärung der sich daraus ergebenden Rechtsfragen bedürfen. Ramser spricht an dieser Stelle einer Rechtsvereinheitlichung der diesbezüglichen nationalen und im internationalen Zivilrecht bestehenden Regelungen das Wort, angeblich, um dem Schutzinteresse der Betroffenen zur besseren und schnelleren Durchsetzung zu verhelfen. So schreibt sie in ihrem Schlußsatz, daß "Autonomie und Schutz hilfebedürftiger Erwachsener in Europa nicht an nationalen Grenzen halt machen" (S. 153/154) dürfen, was die Sachlage nicht unbedingt trifft, da derartige Fälle auch ohne ein EU-weit vereinheitlichtes Regelungswerk nach den bestehenden Rechten entschieden werden können und auch werden.

Der Grundstock für die auch von Ramser angestrebte Vereinheitlichung wurde mit dem Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, auch Haager Erwachsenenschutzübereinkommen vom 13. Januar 2000 genannt, bereits gelegt. Es soll Abhilfe schaffen bei grenzüberschreitenden Problemfällen dieser Art, krankt bislang jedoch daran, daß es nur von drei Staaten - neben Deutschland von Frankreich und Schottland - bislang ratifiziert wurde. Hier allerdings wäre zu prüfen, ob das von der Autorin in Anspruch genommene und auch den beteiligten Gesetzgebern unterstellte Interesse, für einen besseren Schutz Betroffener Sorge tragen zu wollen, der tatsächlichen Stoßrichtung dieses Gesetzeswerks entspricht oder ob mit ihm nicht zulasten der Betroffenen Lücken geschlossen werden sollen, die aus Sicht der Sachwalter staatlicher wie EU-weiter Interessen derzeit noch bestehen.

Ramser bringt am Schluß ihres Buches ihren Wunsch, daß das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (ErwSÜ) von weiteren Staaten unterzeichnet werden möge, deutlich zum Ausdruck und begründet dies mit der ihrer Meinung nach bestehenden Gefahr, daß andernfalls von Betroffenen errichtete Vorsorgevollmachten in einem anderen EU-Staat nicht anerkannt werden könnten. Die Autorin hält dies für ein gravierendes Problem, das einer kurzfristigen Regelung bedarf:

Angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung sowie der zunehmenden Mobilität der Menschen im europäischen Raum, sind kurzfristig gesamteuropäische Konzepte zur Bewältigung dieser Herausforderungen erforderlich.
(S. 153)

Nun könnte eingewandt werden, daß die Zahl der potentiell Betroffenen in einem Rechtsbereich, der wohlbemerkt überhaupt nur dann relevant wird, wenn die Rechtsordnungen zweier Staaten berührt sind, nicht sehr hoch sein wird im Vergleich zu der großen Mehrheit der Menschen, deren Lebens-, Familien- und Vermögensverhältnisse sich auf ein- und denselben Staat beziehen. Da Ramser die ihrer Meinung nach zunehmende Mobilität der EU-Bürger mehrfach anspricht, wäre vorstellbar, daß sie sich mit ihrer Dissertation dem - wenn auch ungenannt gebliebenen - möglichen Problem, daß mehr und mehr EU-Bürger ihren Alterssitz in die EU-Staaten verlagern könnten, die ihnen den sichersten Schutz vor staatlicher Bevormundung und ungewollter Entrechtung bieten, widmen wollte.

So gibt es zwischen den in den jeweiligen EU-Staaten bestehenden rechtlichen Optionen für hilfsbedürftige Erwachsene durchaus gravierende materiell-rechtliche Unterschiede. Ramser widmet den ersten Teil ihrer Dissertation einem ausführlichen Rechtsvergleich der einschlägigen Bestimmungen in Deutschland und Spanien und macht dabei deutlich, daß es neben den weitgehend vergleichbaren Regelungen - der Betreuungsverfügung und der Vorsorgevollmacht im deutschen bzw. der "autotuela" und dem "mandato de protección" im spanischen Recht in Spanien mit dem Rechtsinstitut des "patromonio protegido" eine weitere Regelung gibt, für die das deutsche Recht kein Äquivalent kennt. Hierbei handelt es sich um ein durch öffentliche Urkunde zum eigenen Nutzen errichtetes Sondervermögen, mit dem auch im Falle einer späteren Hilfsbedürftigkeit mittels eines zu diesem Zweck ernannten Verwalters die lebenswichtigen Belange des Betroffenen sichergestellt werden sollen.

Da ein Vermögen nur angelegt werden kann, wenn ein Vermögen vorhanden ist, wird von dieser Option nur der wohlhabende Teil der Bevölkerung Gebrauch machen können und wollen. Dies könnte nicht zuletzt auch in Hinsicht auf die EU-weit geltende Niederlassungsfreiheit für Vermögende anderer EU-Staaten durchaus von Interesse sein, so diese in ihrem eigenen Staat im Falle einer ihnen später womöglich drohenden Hilfsbedürftigkeit mit Vermögenseinbußen oder einer Fremdverfügung über das eigene Vermögen beispielsweise durch einen von Gerichts wegen bestellten Betreuer, gegen den sie keinerlei rechtliche Handhabe mehr haben, rechnen müssen.

Bevor Fragen dieser Art näher diskutiert werden können, sei an dieser Stelle kurz die rechtliche Problemstellung in Hinsicht auf das deutsche Betreuungsrecht sowie das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht umrissen. Die nicht anders als grobschlächtig zu bezeichnenden Methoden gar nicht so ferner Zeiten, die unter den Stichwörtern Zwangspsychiatrisierung und Entmündigung für nachhaltigen Schrecken weit über den Personenkreis der direkt Betroffenen hinaus sorgten, wurden Anfang der 1990er Jahre durch das Betreuungsrecht abgelöst, das zumindest den Anspruch erhebt, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren. Die Betreuung trat an die Stelle der früheren Entmündigung, Vormundschaft und Gebrechlichkeitspflegschaft. Geblieben sind die Vormundschaftsgerichte, nun Betreuungsgerichte genannt, die gleichwohl - wie gut oder auch schlecht begründet auch immer - in modifizierter und weitaus differenzierterer Form betroffenen Menschen die Verfügungsgewalt über das eigene Leben oder bestimmte Teilaspekte ihrer Lebensgestaltung absprechen.

Die Konsequenzen derartiger Betreuungsverhältnisse werden von den Betroffenen mitunter als schwerwiegend, um nicht zu sagen katastrophal erlebt und bewertet. Da sich die von vielen Betroffenen in den zurückliegenden Jahren gemachten Negativerfahrungen mehr und mehr herumgesprochen haben und durch die Medien verbreitet wurden, gewann die Frage nach einem wirksamen rechtlichen Schutz vor Betreuungsverhältnissen in der öffentlichen Debatte immer mehr an Bedeutung. Der Betroffene kann an der vom Gericht bestellten Betreuung durch eine vorab formulierte "Betreuungsverfügung" sehr wohl mitwirken. Dieser Begriff suggeriert jedoch eine Selbstbestimmung, die der Betroffene im Zweifelsfall nicht hat, da er lediglich Wünsche und Vorschläge unterbreiten, jedoch nicht über sich und sein Leben verfügen kann. Claudia Ramser stellt in ihrer Arbeit die beiden in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlichen Optionen für den rechtlichen Umgang mit hilfsbedürftigen Erwachsenen - Betreuung und Vorsorgevollmacht - dar, ohne auf die hier angedeutete Problematik einer als tatsächliche Entmündigung erlebten und bewerteten Betreuung näher einzugehen.

So entfällt in ihrer Darstellung auch der Zusammenhang zwischen beiden Rechtsinstituten. Sie bezeichnet die Vorsorgevollmacht lediglich als ein "weiteres Instrument zur privaten Vorsorge für die Situation, dass ein Erwachsener seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln kann", wobei der Betroffene "zu einem Zeitpunkt, in dem er noch geschäftsfähig ist, einem anderen Vollmacht für die künftige Besorgung seiner Angelegenheiten" (S. 17) erteilt. So weit, so richtig, doch wenn das Betreuungsrecht hielte, was es verspricht, wäre kaum plausibel zu begründen, warum ein zweites, privatrechtliches Instrument geschaffen und eigens für diese Zwecke in ein Gesetz gegossen wurde. Am 1. Januar 1999 trat ein Gesetz in Kraft, durch das die Vorsorgevollmacht als vollwertiges privatautonomes Rechtsinstitut neben die Betreuung und im Grunde sogar noch vor sie gestellt wurde.

Die Vorsorgevollmacht soll erklärtermaßen eine Betreuung überflüssig machen und ggf. ersetzen durch eine einer Vertrauensperson im voraus erteilte Bevollmächtigung. Ramser kommt bei der näheren Erläuterung der Vorsorgevollmacht nicht umhin, deren Charakter eines rechtlichen Ausweichmanövers, um nicht zu sagen einer Flucht vor der Betreuung, zumindest anzudeuten:

Der Vollmachtgeber plant vorsorgend für den Fall, dass er aufgrund einer Beeinträchtigung selber nicht mehr zu einer Verwaltung seines Vermögens in der Lage sein wird und im Zweifel zu diesem Zeitpunkt auch nicht diese Aufgabe delegieren können wird. Zweck dieser Planung ist die Vermeidung einer Betreuungsanordnung.
(S. 22)

Der Gesetzgeber hat der Vorsorgevollmacht den Vorzug gegeben und beispielsweise den berufsständigen Betreuungsvereinen auferlegt, Betroffene auch über diese Möglichkeit zu informieren. Sollte diese Haltung als eine wenn auch späte Einsicht bewertet werden können, die in die Kritik und öffentliche Diskussion geratene Betreuung auf diesem Wege abzuschwächen bzw. Betroffenen einen gangbaren Ausweg zu eröffnen? Wäre dies der Fall gewesen, wäre eine umfassende Reform oder völlige Neuregelung des Betreuungsrechts wohl das geeignete Mittel der Wahl gewesen. Aus staatlicher Sicht und damit aus Sicht eines Gesetzgebers, der das Interesse an einer Reduzierung öffentlicher Ausgaben nie aus den Augen verliert, ist die Vorsorgevollmacht wohl auch deshalb zu bevorzugen, weil die Kosten einer solchen Fürsorgebeziehung vom Vollmachtgeber getragen und selbst bei dessen Mittellosigkeit nicht - wie bei Betreuungsverhältnissen - von der Staatskasse übernommen werden müssen.

Es wäre jedoch völlig verfehlt, die gesamte Problematik auf diese Weise auf den Kostenminimierungsaspekt der öffentlichen Kassen reduzieren zu wollen. Der vorgebliche "Schutz" hilfsbedürftiger oder auch nur als hilfsbedürftig geltender Menschen ist in seinem Kern höchst problematisch, da mit diesem Begriff bis zur faktischen Ununterscheidbarkeit die möglicherweise erforderliche und angemessene Hilfe vermischt wird mit dem Anspruch des Staates, über seine Bürger zu verfügen und deren Belange amtlicherseits zu gestalten, sprich zu kontrollieren. Lange Zeit wurde das "Modell der Privatautonomie der Vorsorgevollmacht als Alternative zum geltenden Betreuungsrecht", so etwa die Formulierung des in Fragen des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts ebenso sachkundigen wie engagierten Rechtsanwalts Thomas Saschenbrecker, hochgehalten, wenn nicht gar gefeiert, und tatsächlich verspricht dieses auf zivilrechtlicher Basis geschlossene Rechtsinstitut gegenüber der gerichtlich bestellten Betreuung einige Vorteile.

So ist eine auf einer Vorsorgevollmacht beruhende Vertretung generell nicht genehmigungsbedürftig durch die Vormundschafts- bzw. Betreuungsgerichte. Die Kontrolle über die Ausübung der einer anderen Person erteilten Vollmacht liegt beim Vollmachtgeber selbst, was allerdings zu dem Problem führen kann, daß dieser dazu im Falle seiner Hilfsbedürftigkeit nicht mehr in der Lage ist. Nach Paragraph 1896 Abs. 2 BGB kann in einem solchen Fall eben doch ein Betreuer bestellt werden, ein Überwachungsbetreuer sozusagen, der das Recht erhält, die dem Bevollmächtigten erteilte Vollmacht zu widerrufen. Dies kann vom Betroffenen vorab nur verhindert werden, wenn er einem weiteren Bevollmächtigten die Überwachung des oder der primär Bevollmächtigten übertragt, also einen Bevollmächtigtenüberwachungsbevollmächtigten ernennt.

Die interessante Frage allerdings, ob die Vorsorgevollmacht im Unterschied zur Betreuung tatsächlich den versprochenen Schutz vor unerwünschter staatlicher Bevormundung zu erfüllen imstande ist, gehört nicht zu dem in dieser Dissertation bearbeiteten Fragen- und Themenkomplex. Im zweiten Teil ihrer Arbeit geht Ramser auf die Vorsorgevollmacht in Hinsicht auf die "kollisionsrechtlichen Regelungen des Haager Erwachsenenschutzüberkommens" ein, bevor sie sich im dritten und abschließenden Teil zur "Zukunft grenzüberschreitender Vorsorgevollmachten in Europa" äußert. In ihren Ausführungen zum Haager Erwachsenenschutzübereinkommen, die den weitaus größten Teil des gesamten Werkes einnehmen, geht die Verfasserin auf die Grenzen ein, die ihrer Meinung nach auch einer Vorsorgevollmacht gesteckt werden müssen:

Der Erwachsene muss die Macht haben, selber Regelungen aufzustellen und sich diesen zu unterwerfen. Dies bedeutet aber nicht, dass das Selbstbestimmungrecht schrankenlos zu gewährleisten ist. Zur Steuerung und Koordinierung des menschlichen Zusammenlebens bedarf es Grenzen des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Den einzelnen Rechtsordnungen ist insofern ein gewisser Spielraum zuzugestehen.
(S. 86)

Diese Argumentation ist nicht zwingend logisch, werden doch allgemeingebräuchliche Kernsätze etwa dergestalt, daß im menschlichen Zusammenleben die Freiheit des einzelnen ihre natürlichen Grenze an den Rechten anderer Menschen findet, vermischt mit den hier relevanten Fragen der vorsorglichen Regelung der eigenen Lebensumstände. In einem demokratischen Rechtsstaat, dessen Verfassung in Art. 2 Abs. 1 GG jedem "das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" garantiert, dürfte die Erteilung einer Vorsorgevollmacht keinen weiteren Restriktionen unterliegen. In dem von Ramser klar befürworteten Haager Erwachsenenschutzübereinkommen wird nun der Versuch unternommen, das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht (und damit das mit ihm verknüpfte Schutzversprechen vor staatlicher Bevormundung und faktischer Entrechtung) gleichermaßen aufrechtzuerhalten wie zu perforieren. So wirkt es fast ein wenig entlarvend, wenn die Autorin unter dem Punkt "Einräumen einer Vertretungsmacht" in Hinsicht auf das Haager Übereinkommen ausführt:

Die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einer durch einen Erwachsenen eingeräumten Vertretungsmacht gesprochen werden kann, lässt das Übereinkommen offen. (...) Im Folgenden soll daher näher analysiert werden, inwieweit der Erwachsene zumindest auf die Vertretungsmacht einwirken können muss bzw. bis zu welchem Grad eine staatliche Einflussnahme auf die Vertretungsmacht zulässig ist, damit von einem Einräumen der Vertretungsmacht durch den Erwachsenen gesprochen werden kann.
(S. 85)

Unmißverständlich spricht Ramser hier der staatlichen Einflußnahme auch auf die Vertretungsmacht - und damit den durch eine Vorsorgevollmacht beauftragten Bevollmächtigten - das Wort. Ungeachtet dessen, daß sich in Deutschland ein entgegengesetzter Trend feststellen läßt und das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung mehr und mehr anerkennt, daß nicht einmal eine medizinisch indizierte Behandlung gegen den erklärten Willen des Betroffenen vorgenommen werden darf und auch ein als "unvernünftig" geltender Patientenwille respektiert werden muß, wird im Bereich der Vorsorgevollmacht und die sie betreffenden Regelungen des Haager Übereinkommens der staatlicherseits erhobene Anspruch, den Betroffenen schützen zu wollen, ganz groß geschrieben. In dankenswerter Offenheit spricht Ramser in diesem Zusammenhang von dem Interessenkonflikt zwischen dem Betroffenen und den beteiligten Staaten:

Bei der Lösung des Problems, ob staatliche Akte, die dem spezifischen Schutz des Erwachsenen dienen und die in einem engen Zusammenhang mit einer Vorsorgevollmacht stehen, als Schutzmaßnahmen zu qualifizieren sind, müssen schließlich folgende zwei kollidierende Interessen in Einklang gebracht werden: Das Selbstbestimmungsrecht des Erwachsenen und die Interessen der Vertragsstaaten.
(S. 90/91)

Zur Erläuterung: Jeder hoheitliche Akt, durch den der Wille des Betroffenen, so er ihn in einer Vorsorgevollmacht artikuliert hat, gebrochen werden soll, muß und wird als "Schutzmaßnahme" deklariert, was selbstverständlich dann besonders heikel ist, wenn, wie Ramser in diesem Zusammenhang bestätigt, zwischen dem "Selbstbestimmungsrecht des Erwachsenen" und den "Interessen der Vertragsstaaten" eine Interessenskollision besteht. Sprachlogisch bedeutet dies nichts anderes, als daß die Staaten an dieser Stelle Interessen und Absichten verfolgen, die dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen entgegenstehen. Doch welche sind das? Hier redet die Autorin, auf gut deutsch gesagt, "um den heißen Brei herum". Ihrer Auffassung nach soll es bei der Vorsorgevollmacht "Mindestanforderungen" geben, über die der Vollmachtgeber, obwohl er die Vollmacht im geschäftsfähigen Zustand erteilt, nicht verfügen können soll, und zwar "zu seinem eigenen Schutz" (S. 92).

Im Klartext: Wer im körperlich wie geistig völlig uneingeschränkten Zustand durch eine Vorsorgevollmacht dem Fall vorbeugen will, bei einer später auftretenden Hilfsbedürftigkeit, bei der unter Umständen die eigenen Entscheidungen und Willensäußerungen nicht mehr als rechtswirksam gelten, auf schleichendem Wege entmündigt zu werden, kann daran, angeblich zu seinem eigenen Schutz, eingeschränkt oder gehindert werden. Damit wäre das Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht ad absurdum geführt. Das Haager Übereinkommen für den internationalen Schutz von Erwachsenen, derzeit gültig bei zwischenstaatlichen Fällen in den Vertragsstaaten Deutschland, Frankreich und Schottland, hält in Art. 21 die Option bereit, die Anwendung des Rechts einer solchen Vertretungsmacht zu versagen, "wenn sie der öffentlichen Ordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht".

Aufschlußreich ist allerdings auch Art. 16 des Haager Übereinkommens (ErwSÜ), der, wie Ramser ausführt, den Zweck verfolgt, "die Eingriffsmöglichkeiten der zuständigen Behörden zum Schutz des Betroffenen für den Fall zu erweitern, dass der Bevollmächtigte die Vertretungsmacht in einer Weise ausübt, die den Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen nicht ausreichend sicherstellt" (S. 95). Das Haager Übereinkommen ermächtigt die zuständigen Behörden, die erteilte Vollmacht aufzuheben oder zu ändern, wenn der Bevollmächtigte die ihm erteilte Vollmacht schlecht oder unzureichend erfüllt. Dies mag als "Schutzmaßnahme" noch durchgehen, birgt jedoch die Gefahr in sich, daß die Behörden auch dann eingreifen, wenn ihrer Meinung nach der Schutz der Person, aber auch des Vermögens des Vollmachtgebers nicht ausreichend sichergestellt wird. Art. 16 Satz 2 ErwSÜ, so die Autorin, "soll dazu dienen, den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Erwachsenen möglichst gering zu halten" (S. 94), nicht ihn zu verhindern.

Nun gehört es zu den Grundpfeilern eines bürgerlich-demokratischen Rechtsstaates, über das eigene Eigentum in den (grund-)gesetzlichen Schranken frei verfügen zu können, was selbstverständlich die Option einschließt, das eigene Vermögen "zu verprassen", zu verschenken oder einer Nutzung überzuführen, die nicht unbedingt dem gesellschaftlichen Konsens entspricht. Dies müßte selbstverständlich auch für eine rechtlich relevante Willensäußerung wie die Vorsorgevollmacht gelten, so daß sich an dieser Stelle der Verdacht aufdrängt, der Staat und die europäische Staatengemeinschaft, so sie sich, wie von Ramser gewünscht, zu einer einheitlichen, EU-weiten Gesetzgebung nach Maßgabe des Haager Übereinkommens entschließt, wollten verhindern, daß in solchen Vorsorgeverfügungen vermögensrelevante Entscheidungen getroffen und festgelegt werden, die ihren fiskalischen oder sonstigen monetären Interessen entgegenstehen.

Wer für den Fall einer später eventuell eintretenden Demenz seinen Bevollmächtigten per Vorsorgevollmacht beauftragt, sein gesamtes Vermögen einem Brieftaubenzüchterverein zu überschreiben, dürfte ab diesem Zeitpunkt durch eine eventuell eintretende Mittellosigkeit den öffentlichen Kassen zur Last fallen. Wäre es nicht vorstellbar, daß mit den bestehenden bzw. zukünftigen gesetzlichen Regelungen der Exekutive bzw. Judikative Mittel an die Hand gegeben werden sollen, die ein von staatlichen Institutionen als unsinnig eingestuftes Verhalten unterbinden zu können? Anlaß für derartige Vermutungen liefert der Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens, genauer gesagt die "persönlichen Voraussetzungen", die bei einem Betroffenen gegeben sein müssen und die, so Ramser, "bewusst nicht weiter ausdifferenziert" (S. 57) wurden:

Der Anwendungsbereich soll weder von bestimmten Krankheitsbildern noch von juristischen Fachbegriffen wie "Rechts, Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit", die je nach Rechtsordnung unterschiedliche Bedeutung haben können, abhängig gemacht werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Unzulänglichkeit bzw. die Beeinträchtigug des Betroffenen dazu führt, dass diese Person faktisch nicht in der Lage ist, ihre Interessen zu schützen. Die Verschwendungssucht als solche, welche in einigen Rechtsordnungen die Geschäftsunfähigkeit herbeizuführen vermag, löst daher nur dann die Anwendbarkeit des ErwSÜ aus, wenn es sich hierbei um einen krankhaften Zustand handelt, der die Hilfebedürftigkeit hervorruft.
Die schutzbedürftigen Interessen des Erwachsenen sind laut Lagarde-Bericht weit zu fassen. Es handelt sich hierbei nicht nur um die Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen, sondern allgemein um die Pflege des persönlichen oder gesundheitlichen Wohls.
(S. 58)

Auf die Formulierung "schutzbedürftige Interessen des Erwachsenen" kommt es hierbei an, stellen sie doch das Einfallstor dar, durch das staatliche Akte dem in einer Vorsorgevollmacht artikulierten Willen eines Betroffenen entgegenwirken können. Setzt sich diese Entwicklung im gesamten europäischen Raum entgegen der jüngeren Rechtsprechung des bundesdeutschen Verfassungsgerichts durch, wäre die Vorsorgevollmacht als ein zivilrechtliches Instrument, durch das Entmündigungen, ungewollte Betreuungsverhältnisse bzw. Vormundschaften wirksam verhindert werden können, entkräftet.

Die nun vorliegende Dissertation zum Thema "Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000" bietet insofern Anlaß und Gelegenheit, sich vertiefend mit dieser Rechtsmaterie zu befassen. Dabei ist allerdings zu gegenwärtigen, daß die seit Jahren als Referentin im Bundesamt für Justiz tätige Verfasserin Positionen vertritt, die inhaltlich einen hohen Annäherungswert an die von ihr in ihrer Arbeit angeführten "staatlichen Interessen" aufweisen.

21. September 2010


Claudia Ramser
Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des
Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen
vom 13. Januar 2000
Europäische Hochschulschriften
Reihe II - Rechtswissenschaft, Bd. 5050
Peter Lang - Internationaler Verlag der Wissenschaften
Frankfurt am Main 2010
154 Seiten
ISSN 0531-7312
ISBN 978-3-631-60299-7