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REZENSION/606: Hannes Hofbauer/David X. Noack - Slowakei (SB)


Hannes Hofbauer/David X. Noack


Slowakei

Der mühsame Weg nach Westen



Die Historie gibt die Entstehungsgeschichte von Staaten nicht immer authentisch und nur selten in ihren Konflikt- und Widerspruchsfeldern angemessen wieder. Unterdessen schafften nicht alle Völker den Sprung zur Staatenbildung. Die Kurden stehen beispielhaft für ein Scheitern in den geostrategischen und supranationalen Machtkämpfen. Andere Bevölkerungen verdanken ihre staatliche Existenz einer zuweilen schon in frühkolonialer Zeit entbrannten Konkurrenz um Einflußsphären zwischen imperialistischen Nationen.

Das Gebiet der heutigen Slowakei an der Ostflanke Europas war in seiner wechselvollen Geschichte Siedlungsraum verschiedener Völker. Zum Zankapfel um militärstrategische Ziele und Aufmarschpläne geriet dieser Wirtschafts- und Kulturraum vor allem zwischen den Weltkriegen und dann später zu Zeiten der ideologischen Systemkonfrontation. Je nach Geschichtsdatum und Verlauf der Demarkationslinie wurde die Slowakei mal den Westmächten und mal der sozialistischen Staatenwelt zugerechnet.

Hannes Hofbauer und David X. Noack haben in "Slowakei - Der mühsame Weg nach Westen" die historischen Etappen und machtpolitischen Kämpfe um diese mittelosteuropäische Region beginnend vom Großmährischen Reich im 9. Jahrhundert über die magyarische Invasion, die Einbrüche der deutschen Kolonisierung bis zum Untergang der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie auf wenigen Seiten übersichtlich und stringent dokumentiert und dabei das Hervorbrechen der ersten Sonnenstrahlen einer slowakischen Selbst- und Identitätsfindung inmitten der Ära spätkolonialistischer Territorialumbrüche akkurat aufgezeigt. Ihr Hauptaugenmerk richtete sich jedoch auf die moderne Staatlichkeit der Slowakei, der der Großteil des Buches gewidmet ist.

Aufgrund seiner ethnischen Zerrissenheit und gefangen im Abwärtssog der großen, aber im Kern morsch gewordenen Monarchien wie Frankreich, England, das Wilhelminische Deutschland und Habsburger Österreich, deren industriell hochgerüsteter Militarismus auf einen drohenden Krieg zusteuerte, war eine slowakische Eigenstaatlichkeit, weil die Basisvoraussetzungen dafür fehlten, lange Zeit ein Traum ohne Widerhall.

Laut den Autoren fielen die Auffassungen des deutschen Philosophen Johann Gottfried Herder von einer "Kultur- und Sprachnation" auch im mehrheitlich slawisch besiedelten Norden Ungarns auf fruchtbaren Boden. "Damit war die geistige Grundlage für ein Slowakentum im heutigen Sinn gelegt." (S. 26) Der Aufstand gegen den Wiener Kaiserhof nahm historisch gesehen am 3. März 1848 seinen Anfang, als der Rechtsanwalt und Revolutionär Lajos Kossuth aus ungarisch-slowakischem Kleinadel in seiner Rede vor dem Landtag in Pressburg/Pozsony "eine unabhängige Regierung für Ungarn und politische Gleichberechtigung für die ungarische Nation" (S. 28) forderte. Vom Freiheitswillen angespornt gründete sich im September 1848 ein "Slowakischer Nationalrat", der die Loslösung der Slowakei vom ungarischen Staatsgebiet zur zentralen Forderung erhob. Allerdings waren die schlecht ausgerüsteten slowakischen Freiwilligenverbände der ungarisch-revolutionären Honvéd-Armee hoffnungslos unterlegen. So wurden die slowakischen Aufrührer zur Abschreckung am Straßenrand an sogenannten "Kossuth-Galgen" der Reihe nach aufgehängt. Der Konflikt zwischen der magyarischen Mehrheitsgesellschaft und der slawischen Minderheit im Land sollte noch bis ins 20. Jahrhundert hinein nichts von seiner Brisanz verlieren. Selbst Friedrich Engels sprach unter dem Eindruck der Ereignisse in einem Artikel vom 13. Januar 1849 in der Neuen Rheinischen Zeitung vom "revolutionsverräterischen Slawentum". (S.30)

Tatsächlich bildeten sich in Osteuropa neben panslawischen Sammlungsbewegungen auch slowakisch-nationale Strömungen, die der Idee des Tschechoslowakismus anhingen. Doch die historische Entwicklung begrub alle Hoffnungen auf kulturelle Selbstbestimmung. 1867 kam es zum Ausgleich zwischen Wien und Ungarn, das bis auf die Außen- und Verteidigungspolitik de facto zu einem eigenen Staatswesen wurde und in der Folge mit einer "Magyarisierungswelle, die alles in den Schatten stellte, was bis dahin an antislawischer und antirumänischer Politik von Budapest aus betrieben worden war" (S.32), die nicht-magyarischen Bevölkerungsgruppen der Serben, Rumänen und Slowaken unter starken Assimilierungsdruck setzte.

Daß trotz unterschiedlicher Entwürfe ein tschechoslowakischer Staat entstand, "der aus den Trümmern des Ersten Weltkrieges entstiegen ist, hat nicht nur mit der Vorliebe politischer Strömungen in Prag und Bratislava zu tun, sondern dürfte auch einer bereits länger andauernden geopolitischen Strategie vor allem Frankreichs geschuldet gewesen sein". (S. 35) Frankreich, das als stärkste Kontinentalmacht aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen war, verfolgte mit der Gründung des tschechoslowakischen Staates durchaus eigennützige Ziele. So verlor der Uraltrivale Österreich mit der Abspaltung Ungarns industrielle Kernregionen, während Ungarn mit der Herauslösung der Slowakei auf wichtige Rohstoffzentren verzichten mußte.

Das konnte den westeuropäischen Mächten nur recht sein. Viele tschechoslowakische Führer hielten sich während des Krieges in den USA, England oder Frankreich im Exil auf und bauten enge Verbindungen zu den dortigen Banken und großen Industriebetrieben auf. Als die tschechoslowakische Politik nach Ende des Krieges 1919 Nostrifizierungsgesetze erließ, die alle Großbetriebe aus den Zeiten der Monarchie dazu zwang, ihren Sitz in die Tschechoslowakei zu verlegen, bedeutete dies faktisch die Enteignung österreichischer und deutscher Industriekonzerne zugunsten britischer und französischer Großunternehmen. Die Briten sicherten sich zudem den Zugriff auf die Schifffahrtsindustrie der Donauregion, während die Bank of England durch die Ausgründung der Anglo-Czechoslovak Bank in die Tschechoslowakei vordrang und mit dem exportorientierteren Teilen der tschechoslowakischen Industrie Handelspartnerschaften schloß.

Dem Autorengespann ist es zudem gelungen, die Grundzüge einer in späteren Jahren sich rasant problematisierenden Orientierungspolitik kenntlich zu machen, mit der sich das noch junge und ungefestigte Staatsgebilde gegen die alten europäischen Machtzentren politisch als auch wirtschaftlich zu behaupten versuchte. Die Kräfte, die die alteingewurzelten Gesellschaften Europas aufrüttelten, kamen indes aus einer ganz anderen als nationalstaatlich gesinnten Richtung. Der Aufschrei der organisierten Arbeitermassen nach politischer Umgestaltung der kapitalistischen Eigentumsordnung, die in den Marxisten und sozialistischen Utopisten des 19. Jahrhunderts ihre Vordenker hatte, sollte nach dem hohen Blutzoll des Ersten Weltkriegs den Zündstoff für Umstürze von kosmopolitischer Bedeutung liefern.

Hofbauer und Noack sind unbescheiden genug, in bürgerlichen Publikationen gerne verschwiegene Randzonen der Geschichte zur Geltung kommen zu lassen, um den kämpferischen Charakter einer dialektischen Geschichtsauffassung zu unterstreichen, die eben nicht den Primat der Kapitalinteressen vor menschliche Entwicklungsmöglichkeiten stellt. Seien diese auch noch so oft gescheitert, so könnte die Konzeption einer Zukunft, in der der Mensch die Notlagen seiner Unterdrückung und wirtschaftlichen Ausbeutung zu überwinden vermag, nicht zeitgemäßer sein. So rief im März 1919 eine Gruppe von Kommunisten in Budapest die Gründung der Ungarischen Sowjet-Republik aus. Nationale Komitees für die verschiedenen Nationalitäten des ehemaligen Vielvölkerstaats, darunter auch ein Tschecho-Slowakisches, wurden in Budapest als Grundlage für eine zukünftige Sowjetrepublik, gemeinsam mit der Slowakei, konstituiert.

Die imperialistische Antwort blieb unterdessen nicht aus. In einem Telegramm aus den USA ernannten slawische und tschechische Exilgruppen Vavro Srobár zum slowakischen Regierungsbevollmächtigten der neuen Tschechoslowakei. Es kam zu heftigen Kämpfen, während derer die mit den Entente-Mächten abgestimmten Demarkationslinien überschritten wurden und Truppen der Ungarischen Räterepublik zwei Drittel der Slowakei besetzten. Im Juni 1919 verkündeten slowakische Kommunisten nach der Einnahme Presovs offiziell die Slowakische Sowjetrepublik. Eine wirkliche Unabhängigkeit der Slowakei innerhalb eines sozialistischen Staatensystems sah die Budapester Räte-Führung nach Ansicht der Autoren jedoch nicht vor. "Aufgrund des zermürbenden Krieges mit Rumänien nahm der Budapester Regierungschef Béla Kun ein Angebot des französischen Premiers Georges Clemenceau an und zog im Juni 1919 die Truppen der Ungarischen Roten Armee aus der Slowakei ab." (S. 41) Im August 1919 fiel die ungarische und somit auch die slowakische Räteregierung. Die Roten Armeen der Slowaken und Ungarn lösten sich im Durcheinander der Bürgerkriegswirren auf und begruben damit die Vision eines slowakischen Staates mit sozialistischer Ausrichtung.

Die Staatsführung der Ersten Tschechoslowakische Republik (CSR) teilte das Land in fünf Verwaltungsbezirke: Böhmen, Mähren, Schlesien (ab 1928 Teil Mährens), Slowakei und Subkarpatisches Ruthenien. "Mit der Gründung und Konsolidierung der Tschecheslowakei ging ein Exodus eines Teils der ungarischen Bevölkerung aus der Slowakei einher. Viele Arbeiter aus Tschechien ersetzten daraufhin ungarische Fachkräfte." (S. 42) In der Folgezeit mußte sich die Tschecheslowakei gegen die revisionistischen Bestrebungen Deutschlands, Polens, Österreichs und vor allem Ungarns zur Wehr setzen.

Das Münchner Abkommen vom 30. September 1938 besiegelte das Ende der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Ausgerechnet die Schutzmächte Großbritannien und Frankreich opferten den jungen Staat im Rahmen einer zweifelhaften europäischen Friedenspolitik dem von Rassenwahn und Kriegsplänen befeuerten Machthunger Hitlers, der zunächst die deutschsprachigen Sudetengebiete annektierte. Aus der sogenannten "Zweiten Tschechoslowakischen Republik" entwickelte sich vorübergehend eine autoritäre Staatsdiktatur unter Jozef Tiso, bis das faschistische Deutschland im März 1939 die "Zerschlagung der Rest-Tschechei" (S. 49) vollendete. "Die slowakische Wirtschaft sollte verbindlich darauf ausgerichtet werden, den 'Wehrwirtschaftsinteressen Deutschlands' zu dienen." (S. 50)

Von den Geburtsumständen der slowakischen Nation bis zur Ausrufung der Unabhängigkeit am 1. Januar 1993 schält sich ein Grundmuster heraus, das die Autoren Hofbauer und Noack dezidiert herausgearbeitet haben. Dabei verzichteten sie nicht darauf, die weltpolitische Dimension hervorzuheben, die den Werdegang der Slowakei in all ihren Staatsformationen an der Schnittstelle zwischen kapitalistischen und realsozialistischen Gesellschaften entscheidend beeinflußte. Um vor diesem Hintergrund als Nation zu bestehen, übte sich die Slowakei in einer Art Pendelpolitik. Schon in der Vorkriegsperiode zum Ersten Weltkrieg und in zunehmendem Maße nach den revolutionären Umbrüchen im russischen Zarenreich stand Mittelosteuropa im Fokus zweier politischer Weltanschauungen, die sich vor allem in der Frage des Eigentums in den jeweiligen sozioökonomischen Gesellschaftsordnungen voneinander unterschieden.

So ging es den beiden Autoren keineswegs darum, einer Chronistenpflicht Genüge zu tun, als vielmehr die radikalen innerslowakischen Richtungsänderungen und die "Neuformierung politischer Eliten und Oppositionen" (S. 9) in den Wechselfällen der Republik mit dem ideologischen Machtkampf der politischen Blöcke von Ost und West in Beziehung zu setzen. Für eine nationalgeschichtliche und landespolitische Entwicklung hatte die Tschechoslowakei weder die Zeit noch einen freien Handlungsrahmen, weil ihr ungewollt wie gleichermaßen unvermeidlich eine Stellvertreterrolle im globalen Ringen der konkurrierenden Machtsysteme von Kapitalismus und Sozialismus aufgedrängt wurde. Hin und her gerissen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen der Warschauer Vertragsorganisation und der westeuropäischen Wertegemeinschaft in Gestalt der NATO und EU mußte sich die Tschechoslowakei diesem Konflikt stellen, der eine politische Konsolidierung unmöglich machte und schließlich mit dem Niedergang des Landes endete.

Aber auch die scheinbar selbständige Slowakei konnte ihre Integrität nicht wahren. "Nirgendwo sonst in Europa haben über zwei Jahrzehnte hinweg Parteienkonstellationen sowohl auf der sozial-nationalen wie auch auf der liberalen Seite soweit von links bis rechts gereicht." Die doppelte Orientierung trieb die Slowakei zwischen die Mahlsteine unvereinbarer Gegensätze. "Der Drang westeuropäischen Kapitals nach Osten, politisch vertreten durch die Brüsseler Union, trug zur Zerstörung lokaler Strukturen bei, während gleichzeitig die traditionellen Bindungen mit Russland in energiewirtschaftlicher und schwerindustrieller Hinsicht aufgrund ihres potenziell erpresserischen Charakters keine gangbare Alternative einer Ostintegration boten." (S. 9)

Trotz des Beitritts zur EU 2004, dem der Aufbau des EU-weit größten Automobilclusters vorausging, bleibt die Slowakei noch heute in einer peripheren Westintegration gefangen, während die soziale Verelendung großer Teile der Bevölkerung voranschreitet und die slowakische Politik den aufoktroyierten neoliberalen Reformauflagen, die das Land in einen Musterknaben der Kapitalverwertung verwandeln, nichts entgegenzuhalten vermag. Dies, weil Bratislava längst nicht mehr über die staatlichen Regulierungsinstrumente verfügt, um die durch ungezügelte Privatisierungsprozesse verursachten sozialen Schieflagen in der Bevölkerung abzufedern.

Diese Schritte hin zur Unterwerfung unter das Diktat einer von Weltbank und IWF gesteuerten wirtschaftlichen Transformation samt ihrer verheerenden Hypothek des sozialpolitischen Abbaus fundamentaler Arbeiterrechte und staatlicher Daseinvorsorge zu durchleuchten, macht das Buch zum wertvollen Lesestoff für ein kritisches Verständnis kapitalistischer Wirkweisen und ihrer wirtschaftspolitischen Methoden zur Subordinierung staatlicher Institutionen, die dem ungehemmten Kapitalverkehr aus dem Ausland ansonsten einen sozialpolitischen Riegel vorgeschoben hätten.

Weder werden dabei Personen des öffentlichen Rechts in ihrem politischen Wirken überzeichnet noch die Nutzeffekte der Privatisierungsschübe für Wachstumszentren wie Bratislava oder inländische Investmentgruppen wie Penta heruntergespielt. Wohl aber wird das Augenmerk darauf gerichtet, daß der Ausverkauf von Staatseigentum an private ausländische Investoren den Referenzrahmen zur Erhaltung von Infrastruktur und sozialen Mindeststandards unwiderrruflich nach unten verschoben hat und Krisenregionen vor allem in der Ostslowakei mit Arbeitslosenquoten bis zu 40 Prozent entstanden sind.

Für ein besseres Verständnis des vergeblichen Versuchs zur Zähmung schrankenloser gesellschaftlicher Deregulierungen und der Verschleuderung des planwirtschaftlich erarbeiteten Kollektivvermögens durch Investitionsfonds haben die Autoren etliches Quellenmaterial durchforscht und Interviews mit leitenden Personen aus Bratislava, Wien, Budapest, Berlin, Kosice und Prag geführt. Die Frage, ob, wie im Untertitel angedeutet, der mühsame Weg nach Westen wirklich eine Befreiung vom Joch angeblicher sozialistischer Bevormundung darstellte oder sich die Irrfahrt des Peripheriestaates nach seiner Öffnung für die Expansionsinteressen westeuropäischer Kapitale mit der Einbindung in die europäische Finanzwirtschaft sowie im Bekenntnis zu freiem Kapital-, Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr in einer Weise verschlimmert hat, deren Abgrund vor dem Hintergrund der maßlosen Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, eines Lohndumpings an der Grenze des Existenzminimums und einer durch Arbeitsmigration zunehmend entwerteten Binnenstruktur noch gar nicht abzusehen ist, kann und muß gegenwartsbezogen geklärt werden.

Wieviel Sinn es macht, auf den Knien in die Europäische Union gerutscht zu sein, hat das Land zwischen Donau und Hoher Tatra am eigenen Leib erfahren müssen. Die Wohlstandsverluste eines von billigen Importprodukten überschwemmten Binnenmarktes wären an sich schon dramatisch genug gewesen, wurden jedoch noch überboten durch rigide Haushaltdefizitbegrenzungen und enge Vorgaben für Inflationsraten, so daß dem Beitrittskandidaten kein Spielraum für wirtschafts- und sozialpolitische Interventionsmöglichkeiten blieb.

"Die aufgenommenen Kredite flossen zudem mitnichten in die reale Wirtschaft, es wurden damit keine neuen Investitionen getätigt, sondern sie dienten der Zinstilgung alter Schulden und der Durchführung von Struktur-, sprich Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor." (S. 142) Während der Gewinnabfluß ausländisch investierten Kapitals in die Mutterkonzerne neue Rekordmarken erreichte, Kernstücke der Landesökonomie wie die Ostslawischen Stahlwerke in Kosice in US-amerikanische Hände gingen, wurden im Gegenzug vor allem in der radikal-liberalen Ära von 1998 bis 2006 das staatliche Pensions- und Gesundheitswesens weitgehend zerschlagen, das Arbeitsrecht ausgehebelt, im Auftrag Brüssels eine Deregulierung der Preise und Löhne im Energie-, Verkehrs-, Wohnungs- und Arbeitsmarktsektor forciert und staatliche Subventionstöpfe ausgetrocknet, was tiefe soziale Verwerfungen in der slowakischen Gesellschaft hinterließ.

Seit der Rückkehr der sozialdemokratischen Smer-Partei auf die Regierungsbank im März 2012 hofft die Slowakei auf einen Neuanfang in der Demokratisierung des Landes. Nach Einschätzung der Autoren verschärft der Akkumulationsdruck externer Kapitalgesellschaften jedoch die arbeitsrechtliche Prekarisierung durch Formen verdeckter Selbständigkeit und geringfügiger Beschäftigung, um so Sozialausgaben einzusparen, auf so schwerwiegende Weise, daß die Gewerkschaften, zumal unter einer Regierung, die keine von Außen unabhängige Sozial- und Regionalpolitik verordnen kann, den monetaristischen Spardirektiven Brüssels hilflos gegenüberstehen.

Die Slowakei war und ist den Autoren zufolge ein EU-Exerzierplatz für ein ultraliberales Sozialexperiment, das kapitaloptimierte Rahmenbedingungen wie die Abschaffung des progressiven Steuersystems, die Einführung einer Flat Tax, die Möglichkeit für Betriebe, sich über Branchentarifverträge hinwegzusetzen, und den Abbau der Sozialversicherungssysteme in den öffentlich-rechtlichen Strukturen fast widerstandslos durchsetzte. Die durch grassierende Arbeitslosigkeit und neoliberale Marktdoktrin entsolidarisierte Arbeiterschaft hatte dem auch deshalb wenig entgegenzusetzen, weil die slowakische Bevölkerung im Realsozialismus keine kooperativen Formen des Arbeitskampfes entwickelte und im weitgehend blinden Vertrauen auf ihre politischen Führer dem angeblich alternativlosen Weg in den Westen und damit in die Entuferung kapitalistischer Wertschöpfung folgte. Die Slowakei ist im Westen angekommen - doch unter welchen Bedingungen und Verlusten? Dieser Frage sind Hofbauer und Noack in schonungsloser Offenlegung aller daraus resultierenden gesellschaftlichen Entwicklungschancen wie auch Verfallserscheinungen im Rahmen sozialantagonistischer Lebenspraxen nachgegangen.

13. Februar 2013


Hannes Hofbauer/David X. Noack
Slowakei
Der mühsame Weg nach Westen
Promedia Verlag, Wien, 2012
248 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-85371-349-5