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REZENSION/656: Aindrias O'Cathasaigh - James Connollys Weg (SB)


Aindrias O'Cathasaigh


An Modh Conghaileach

Cuid Sóisialachais Shéamais Uí Chonghaile



Das hundertjährige Jubiläum des Osteraufstands von 1916 hat die gesellschaftlichen Spannungen in Irland deutlich zutage treten lassen: Auf der einen Seite die pompösen Staatsakte, welche die Politelite mit viel Militär und Medien - aus vermeintlichen Sicherheitsgründen - faktisch unter Ausschluß des Souveräns, sprich der Bürger, abfeierte, auf der anderen Seite landesweit die vielen Volksfeste, historischen Führungen, Musikkonzerte, Lesungen und Seminare, mit denen die einfachen Menschen an die Ideale der etwa 2500 Männer und Frauen anzuknüpfen versuchten, die am Ostermontag 1916 die Irische Republik ausriefen, Teile Dublins besetzten und sich sechs Tage lang den personell und waffentechnologisch überlegenen Streitkräften des British Empire widersetzten.

In Irland fühlt sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung von den eigenen Politikern verraten und verkauft, weil diese nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 deren Verursacher, nämlich die Banken, Bauunternehmer und Grundstücksspekulanten, gerettet und dafür dem Volk gigantische Staatsschulden von mehr als 86 Milliarden Euro aufgebürdet haben, deren Bedienung brutale Kürzungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales sowie drastische Steuererhöhungen nach sich zog und weiterhin zieht. Eine ganze Generation junger Iren ist frustriert durch die Perspektivlosigkeit in den letzten Jahren ausgewandert, um in der Fremde Arbeit zu finden. Ein Drittel aller Kinder wächst in Armut auf. Überschuldete Eigenheimbesitzer bringen sich aus Scham reihenweise um. In Dublin hat das Problem der Obdachlosigkeit ein skandalöses Ausmaß angenommen.

Angesichts dererlei beschämender Realitäten kam vielen Iren, als sie in diesem Frühjahr der Erhebung von 1916 gedachten, die Oster-Proklamation, derzufolge das neue, von Großbritannien unabhängige Irland "alle Kinder der Nation auf gleiche Weise umsorgen" würde, wie der reine Hohn vor. Zu groß war und ist der Widerspruch zwischen dem, wofür die sieben Unterzeichner der Proclamation of Independence - Thomas Clarke, James Connolly, Pádraig Pearse, Seán Mac Diarmada, Thomas MacDonagh, Joseph Plunkett und Eamonn Ceannt - gekämpft haben und gestorben sind, und dem, was aus Irland nach der Erlangung der Unabhängigkeit in 26 von 32 Grafschaften geworden ist. Ein vereinigtes Irland, in dem das wichtigste kulturelle Erbe - die gälische Sprache - gepflegt wird und niemand unter materieller oder existentieller Not leidet, erscheint ferner denn je.

Der Widerstand gegen die von den Blockparteien Fianna Fáil, Fine Gael und Labour im irischen Parlament getragene Austeritätspolitik à la IWF, EU-Kommission und EZB, der zuletzt seinen bisherigen Höhepunkt in den landesweiten Massenprotesten gegen die drohende Privatisierung des Wassersystems gefunden hat, hat viele Iren das revolutionäre Erbe von 1916 wiederentdecken lassen. Zu den Wegbereitern des Wiedererstarkens der radikalen Linke Irlands gehört der Historiker Aindrias O'Cathasaigh, der zwar zahlreiche Bücher, die meisten von ihnen auf Gälisch, veröffentlicht hat, jedoch vor allem wegen seiner Mitarbeit bei der preisgekrönten, siebenteiligen Dokumentationsreihe "Seachtar na Cásca" des gälischsprachigen Fernsehsenders TG4 von 2010 bekannt ist, in der jeweils in einer einstündigen Folge Leben und Werk eines der Unterzeichner der Osterproklamation geschildert werden.

Für die linke Handschrift der irischen Unabhängigkeitserklärung war in erster Linie James Connolly verantwortlich [1]. Der 1868 als Sohn irischer Einwanderer in ärmsten Verhältnissen im schottischen Edinburgh geborene und aufgewachsene Gewerkschafter und Autodidakt gilt als wichtigster marxistischer Theoretiker der 2. Internationale im englischsprachigen Raum. In dem auf Gälisch verfaßten, faszinierenden Buch "An Modh Conghaileach" ("Connollys Way") setzt sich O'Cathasaigh mit den umfangreichen Schriften jenes Mannes auseinander, dessen Drohung 1916, mit der von ihm drei Jahre zuvor gegründeten Arbeiterformation Irish Citizen Army (ICA) eigenmächtig den Aufstand gegen Großbritannien anzuzetteln, die Irish Volunteers um Pearse und Clarke zur raschen Umsetzung der eigenen revolutionären Pläne zwang.

Connolly war ein an der Geschichte stark interessierter Mensch. Sein Buch "Labour in Irish History" hatte im 20. Jahrhundert international Vorbildfunktion, was die dialektisch-materialistische Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung im eigenen Land betrifft. Connolly hob hierbei die Andersartigkeit des irischen Clanwesens hervor und stellte sie als humaner im Vergleich zum Feudalsystem dar, das sich in Irland ab 1602 nach dem Sieg der Tudor-Dynastie unter Königin Elizabeth I. über die beiden letzten großen gälischen Häuptlinge Hugh O'Neill und Hugh O'Donnell durchsetzte. Bei aller Anerkennung der um sozialen Ausgleich bemühten Brehon Laws und der Allmende, dem Gemeinschaftsbesitz bei den irischen Klans, wirft O'Cathasaigh Connolly vor, die Verhältnisse auf der grünen Insel vor der Ankunft der Engländer etwas idealisiert zu haben. Ihm zufolge war im Irland der frühchristlichen Ära die Entwicklung vom Clan- zum Feudalsystem und damit eventuell zum Kapitalismus, wenn auch vielleicht weniger ausgeprägt als in dem von den Normannen beherrschten England, schon längst im Gange.

O'Cathasaigh erläutert ausführlich auch den heftigen Disput, den sich Connolly 1904 in den USA mit Daniel DeLeon, dem Chef der International Workers of the World (IWW), lieferte. Es ging hier um die Effektivität des Kampfes um Lohnerhöhungen sowie um die angemessene Haltung des Sozialismus zur Religion. Während DeLeon unter Verweis auf die Preisentwicklung wenig von Streiks mit Lohnerhöhungen als Ziel hielt, widerlegte Connolly, ohnehin ein Verfechter der betrieblichen Selbstorganisation, diesen Standpunkt mit Argumenten aus den Werken von Marx. Auch die kirchenfeindliche Sicht DeLeons, der sich dabei auf die Position August Bebels und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands berief, kritisierte Connolly als Verstoß gegen das Prinzip der Glaubensfreiheit. In beiden Punkten wurde Connolly von Lenin unterstützt.

O'Cathasaigh spricht Connolly vom Vorwurf frei, er hätte wegen seiner kategorischen Feindschaft dem britischen Empire gegenüber in seiner Kapitalismuskritik den deutschen Imperialismus ausgespart. Wie viele linke Intellektuelle damals glaubte auch Connolly, daß vom industrialisierten Deutschland, wo die Arbeiterschaft besser als in jedem anderen Staat der Welt organisiert war, am ehesten die Impulse zur Überwindung des Kapitalismus zu erwarten seien. Tatsächlich erstreckte sich Connollys anti-imperialistische Einstellung auch auf das Wilhelminische Reich. Nicht umsonst ließ er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf der Vorderseite der Liberty Hall, dem Gewerkschaftshaus im Herzen Dublins, ein großes Transparent mit der eindeutigen Aufschrift: "We serve neither King nor Kaiser, but Ireland!" anbringen.

Die Bereitschaft der Arbeiterschaften Europas ab August 1914, sich im Dienste ihrer kapitalistischen Herrscher gegenseitig abzuschlachten, hat Connollys Glauben an den Internationalismus schwer erschüttert. Dennoch blieb er bis zu seinem Lebensende der Überzeugung treu, daß nur derjenige, der sich für die Schwächsten der Gesellschaft einsetzt, der wahre Patriot ist. Darum hat er, als er mit der Irish Citizen Army am frühen Ostermontag zum Aufstand ausrückte, den Kameraden geraten, sie sollten ihre Pistolen und Gewehre gut im Griff behalten. Connolly war klar, daß nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft der Kampf der Arbeiterschaft gegen die irische Geldaristokratie anstand. Er ist auch derjenige, der vor dem Easter Rising erklärte, es gehe nicht darum, den Union Jack gegen die irische Trikolore auszutauschen, sondern um eine gesellschaftliche Transformation einschließlich der Beseitigung der Ausbeutung der vielen durch die wenigen.

Bis heute hält sich hartnäckig die These, die britischen Militärbehörden hätten nach der Niederschlagung des Osteraufstands einen kapitalen Fehler gemacht, als sie im Mai 1916 15 Anführer der Rebellion, darunter alle sieben Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung, von einem Kriegsgericht als Landesverräter aburteilen und standesrechtlich erschießen ließen. Man könnte es auch anders sehen. Die drastischen Maßnahmen haben die Sympathie für die Rebellen zwar steigen lassen, gleichwohl hat sich London all dieser Personen, allen voran Connolly, die sich am wenigsten mit einer Rolle eines nominell unabhängigen Irlands als Rohstoff- und Lebensmittellieferanten Großbritanniens abgefunden hätten, entledigt. Damit war der Weg für die Restauration der alten Verhältnisse frei, wie sie nach dem Unabhängigkeitskrieg 1919-1921 und dem Bürgkerkrieg 1922-1923, wenn auch "grün" gefärbt, tatsächlich eintrat.


Fußnote:

[1] REZENSION/017: Donal Nevin - James Connolly "A Full Life"
http:\\www.schattenblick.de/infopool/buch/biograph/bubir017.html

23. April 2016


Aindrias O'Cathasaigh
An Modh Conghaileach
Cuid Sóisialachais Shéamais Uí Chonghaile
(Connollys Weg - Einblick in den Sozialismus James Connollys)
Coiscéim Verlag, Dublin, 1996
285 Seiten


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