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REZENSION/676: Gerhard Oberkofler - Friedensbewegung und Befreiungstheologie (SB)


Gerhard Oberkofler


Friedensbewegung und Befreiungstheologie

Marxistische Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel Berrigan SJ (1921-2016)



Am 30. April 2016 und damit wenige Tage vor seinem fünfundneunzigsten Geburtstag ist Pater Daniel Berrigan, nach Martin Luther King jun. vielleicht der wichtigste Vertreter der amerikanischen Friedensbewegung im 20. Jahrhundert, gestorben. Berrigans Ableben erfolgte im einen Wohnheim für ältere Mitglieder des jesuitischen Ordens auf dem Rose Hill Campus der katholischen Fordham University im New Yorker Stadtteil Bronx. Von seinem bescheidenen Zimmer im dortigen Murray Weigel Hall aus hatte Berrigan bis zuletzt Artikel veröffentlicht, Stellungnahmen abgegeben und sich an Aktionen der Antikriegsbewegung beteiligt. In "Friedensbewegung und Befreiungstheologie - Marxistische Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel Berrigan SJ" ehrt Gerhard Oberkofler die Ikone führender US-Antimilitaristen heutiger Tage wie Chris Hedges und Jeremy Scahill mit einem wohlwollenden, zugleich kritischen Nachruf.

Der 1921 geborene Berrigan hätte bei den Jesuiten ein gemütliches Leben als Seelsorger oder Hochschuldozent führen können. Bereits fünf Jahre nach der Priesterweihe 1952 gewann er den angesehenen Lamont Prize für seine Gedichtesammlung "Time Without Numbers". Doch die Erlebnisse als Kind in Minnesota und New York während der Depression und später als Lehrer unterprivilegierter Kinder in New Jersey hatten ein Ungerechtigkeitsempfinden ausgelöst, das Berrigan den Weg des sozialen Kämpfertums einschlagen ließ. Seit frühen Jahren der linken Catholic Worker Movement verbunden, veranlaßten ausgiebige Reisen 1963/1964 in Afrika und Europa, darunter in den Ländern des Warschauer Pakts einschließlich der Sowjetunion, sowie in Lateinamerika ihn und seinen Bruder und Mitpriester Philip Berrigan zur Gründung der Catholic Peace Fellowship.

Bekannt sind die Berrigans vor allem wegen der aufsehenerregenden Verbrennung Hunderter entwendeter Einberufungsbescheinigungen mittels selbstgemachtem Napalm auf einem Parkplatz eines Wehrersatzamts in Baltimore im Bundesstaat Maryland 1968 sowie des spektakulären Einbruchs 1980 in eine Fabrik von General Electric (GE) in King of Prussia im Bundesstaat Pennsylvania und der Beschädigung mehrerer Interkontinentalraketenköpfe dort. Nachdem Daniel Berrigan wegen ersterer Aktion in den Untergrund abtauchen mußte, eroberte er als erster Priester der Geschichte Platz eins auf der Liste der vom J. Edgar Hoovers FBI meistgesuchten Verbrecher. Die zweite Aktion markierte die Geburtsstunde der internationalen "Schwerter-zu-Pflugscharen"-Bewegung. Wegen antimilitaristischer Umtriebe sollte Berrigan zusammenaddiert mehrere Jahre hinter Gittern verbringen.

Die besondere Stärke des Buchs von Oberkofler ist die Betrachtung des Lebens und Wirkens von Daniel Berrigan aus der Perspektive des Dauerringens innerhalb der katholischen Kirche im allgemeinen, des jesuitischen Ordens im besonderen, zwischen konservativen Anhängern des kapitalistischen Status quo und linken Gegnern von Armut, Unterdrückung und sozialer Benachteiligung. Recht früh geriet Berrigan mit den Kirchenfürsten in Konflikt, wie seine wegen öffentlicher Kritik am Vietnamkrieg vorübergehende Verbannung in die Sozialfürsorge in Lateinamerika 1965 durch den damals übermächtigen Kardinal Francis Spellman, der unter Amerikas Geistlichen der entschiedenste Verfechter des antikommunistischen Feldzugs Lyndon Johnsons in Indochina war, zeigt.

Für die enge Verwobenheit von katholischer Kirche und militärisch-industriellem Komplex in den USA steht Avery Dulles, dessen nach herkömmlichen Maßstäben erfolgreiche Karriere man als Gegenmodell zu der von Berrigan verstehen darf. John Foster Dulles, der Vater des späteren Kardinals, war unter Dwight D. Eisenhower Außenminister. Sein Onkel, Alan Dulles, war jahrelang CIA-Direktor. Als führende Kalte Krieger machten die Dulles-Brüder ganz im Sinne ihrer Geschäftsfreunde an der New Yorker Wall Street erfolgreich jeden Versuch in Richtung Entspannung zwischen der "freien Welt" und den kommunistisch-regierten Ländern zunichte. Ihr Nachfahre Avery Dulles, der als ideologischer Zögling Spellmans gilt, machte sich als Theologe zeitlebens für eine engere Zusammenarbeit zwischen Katholizismus und Protestantismus - und damit für eine Stärkung des Christentums gegenüber Atheismus, Säkularismus, Islam, Buddhismus und allen anderen Weltanschauungen - stark. 2008 starb Avery Dulles ebenfalls in Fordham. Die Kirche auf dem dortigen Universitätsgelände ist ihm gewidmet.

Von den rund 50 Büchern Berrigans sind mindestens zehn auf Deutsch erschienen. Doch auch in der damaligen Bundesrepublik Deutschland schlug Berrigan erbitterte Feindschaft seitens reaktionärer Kleriker und konservativer Presse entgegen. In der katholischen Kirche wurde die Befreiungstheologie, eine hauptsächlich von Jesuiten entworfene, sich der marxistischen Analyse bedienende Antwort auf die gesellschaftlichen Mißstände in Lateinamerika, lange Zeit, vor allem unter der Führung der Päpste Johannes Paulus II. aus Polen und Benedikt XVI. aus Deutschland, heftigst bekämpft. Im Buch wirft Oberkofler nicht ganz ohne Berechtigung Daniel Berrigan vor, sich nicht energisch für seine jesuitischen Kollegen, die damals in Ländern wie El Salvador und Guatemala wegen ihres Eintritts für die Armen Repression bis hin zur Ermordung zu erleiden hatten, eingesetzt zu haben.

Heute mit dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio als Heiliger Vater im Vatikan scheinen sich die linksliberalen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche durchgesetzt zu haben. Papst Franziskus hat zum Beispiel die kommunistisch denkenden Menschen als die "wahren Christen" bezeichnet, die Waffenproduzenten in den Industriestaaten als die "Händler des Todes" gegeißelt und sie für das blutige Chaos in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas verantwortlich gemacht. Doch die konservativen Kräfte innerhalb der katholischen Kirche geben sich nicht geschlagen und können jederzeit wieder die Oberhand zurückgewinnen. Auf diese Gefahr deuten Berichte über heimliche, gegen Franziskus gerichtete Kontakte zwischen dem US-Kardinal Raymond Burke und Steve Bannon, dem nationalchauvinistischen Politberater von Präsident Donald Trump, hin. Von daher erfährt man in Buch Gerhard Oberkoflers nicht nur viel über Daniel Berrigan, sondern auch über Kirchenpolitik und deren Relevanz, die auch im angeblich "post-christlichen Europa" nicht unterschätzt werden darf.

Zum Schluß sei angemerkt, daß der Schattenblick 2013 selbst ein Interview mit Daniel Berrigan hat führen können, das unter folgender Webadresse gelesen werden kann:

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0200.html

26. Juni 2017


Gerhard Oberkofler
Friedensbewegung und Befreiungstheologie
Marxistische Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel
Berrigan SJ (1921-2016)
Trafo Verlag, Berlin, 2016
131 Seiten
ISBN: 978-3-86464-139-8


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