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REZENSION/720: Brigitte Kiechle - Frauen*streik (SB)


Brigitte Kiechle


Frauen*streik

"Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen"



Weltweit sind Frauen mit ungefähr 40 Prozent Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung in einem Ausmaße wie nie zuvor in die Erwirtschaftung gesellschaftlichen Reichtums eingebunden, doch das unter deutlich erschwerten Bedingungen. Sie verdienen rund 20 Prozent weniger als männliche Erwerbstätige, sie sind im Dienstleistungs- und Niedriglohnsektor wie bei allen Formen prekärer Arbeit deutlich überrepräsentiert, während ihr Anteil mit wachsenden Einkommen und bei höheren Positionen rapide abnimmt. Zugleich verrichten Frauen weltweit sehr viel mehr unbezahlte Arbeit als Männer nicht nur im Haushalt, sondern auch in der Landwirtschaft und informellen Beschäftigungen aller Art. Ohne die von Frauen kostenlos entrichtete Arbeit im Haushalt, bei der Erziehung des Nachwuchses und bei der Pflege von Angehörigen bräche die soziale Reproduktion kapitalistisch vernutzbarer Arbeitskraft zusammen. Würde dieser Beitrag in die Bilanzierung des gesamtgesellschaftlichen Arbeitsproduktes einfließen, zeigte sich, daß die Reproduktion des Kapitalismus ohne Frauen aufgelastete Zusatzarbeit nicht möglich wäre.

In der Arbeitswelt sind sexuelle Diskriminierung und Gewalt endemisch - in jedem Land und in jeder Branche werden Frauen zusätzlich zu ihrer strukturellen Benachteiligung zum Ziel verbaler oder körperlicher Übergriffe. 1,5 bis 3 Millionen Frauen und Kinder im Jahr werden weltweit Opfer maskuliner Gewalt bis hin zum Femizid, der Ermordung von Frauen allein deshalb, weil sie Frauen sind. Jedes Jahr sterben weltweit etwa 500.000 Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft und der Entbindung, jeden Tag sterben weltweit etwa 500 Frauen an den Folgen eines inoffiziell vorgenommenen Schwangerschaftsabbruches.

Die Folgen patriarchaler Herrschaft im Weltmaßstab in den Blick zu nehmen ist gerade in den hochentwickelten Industriegesellschaften und liberalen Demokratien Westeuropas und Nordamerikas unverzichtbar, wenn es um den Sachstand geschlechtsspezifischer Gewaltverhältnisse geht. Während von der Ausbeutung und Unterdrückung vor allem nichtweißer Frauen im Globalen Süden massiv profitiert wird, herrscht der Eindruck vor, aufgrund der erzielten Fortschritte in der Gleichstellungspolitik bestehe kein Handlungsbedarf mehr. Das trifft schon für die hochentwickelten Industriegesellschaften nicht zu, um so weniger gilt dies für Länder des Globalen Südens, wo, wie etwa in mehrheitlich islamischen Gesellschaften, patriarchale Strukturen so ausgeprägt sein können, daß Frauen immer noch als quasi rechtloses Eigentum ihrer Ehemänner gelten.


Unverminderter feministischer Handlungsbedarf

Wie sehr die Annahme, radikale feministische Kritik sei mit dem Aufbruch der Frauen in den 60er und 70er Jahren abgegolten und im Zeitalter des Gender Mainstreamings obsolet geworden, absichtsvoller Ignoranz gegenüber anhaltender, im Zuge der Vertiefung von Klassenantagonismen sogar verschärfter Ungleichheit in den Geschlechterverhältnissen geschuldet ist, zeigt die in den letzten Jahren insbesondere in Lateinamerika, den USA und der EU rapide ansteigende, den Charakter einer Massenbewegung annehmende Beteiligung an feministischen Protesten. Deren jüngere Geschichte bis hin zu der Frauenstreikbewegung der letzten Jahre hat die feministische Aktivistin und Rechtsanwältin Brigitte Kiechle in dem vorliegenden Buch nachgezeichnet und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten ausgelotet.

Indem sie diese Entwicklung in einen klassenantagonistischen Kontext stellt, geht sie über die liberalen Forderungen konventioneller Gleichstellungspolitik mit der Perspektive, den politischen Streik für feministische Anliegen fruchtbar zu machen, deutlich hinaus. Mit einem Exkurs in betriebliche Frauenkämpfe erinnert sie daran, daß Frauen bei Arbeitskämpfen wie dem sogenannten Schlesischen Weberaufstand häufig eine tragende Rolle spielten, weil sie das Gros der Lohnarbeit leisteten und bei den jeweiligen Streiks an vorderster Front standen. Ein aktuelles Beispiel sind die Arbeitsniederlegungen der Textilarbeiterinnen in Bangla Desh, deren Branche für eine besonders brutale Form der Ausbeutung hauptsächlich von Frauen verrichteter Lohnarbeit berüchtigt ist. Häufig müssen mit dem geringen Lohn der Näherinnen ganze Familien ernährt werden. Die sklavenartigen Arbeitsbedingungen in den Textilindustrien dieses Landes wie ganz Asiens können so gesundheitschädlich sein, daß die betroffenen Arbeiterinnen schon im mittleren Alter körperlich ausgelaugt und nicht mehr erwerbsfähig sind.

Kiechle propagiert einen erweiterten Arbeitsbegriff, der die Leistungen der Sorge- und Hausarbeit integriert, erinnert bei der Forderung nach einer Entlohnung dieser Tätigkeiten jedoch daran, daß diese Form gesellschaftlicher Anerkennung die Stabilisierung und Vertiefung der geschlechtlichen Arbeitsteilung bewirken könne. Weiter führen könnte ein neues Verständnis von Arbeit, das auch die Stärkung feministischer Handlungsmacht beförderte. Die Diskussion um diese Frage wird nicht weiter ausgeführt, bleibt aber zentral für die Politisierung von Care-Arbeit, das Einziehen neuer Klassengrenzen zwischen gut verdienenden Frauen und ihnen zuarbeitenden Care-Arbeiterinnen wie eine feministische Kritik an der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft.

Wie ein roter Faden zieht sich die auch an dieser Stelle von Kiechle betonte Komplementarität der Kritik an Patriarchat und Kapitalismus durch das Buch. Einer feministischen Gesellschaftsanalyse liege die Erkenntnis zugrunde,

dass sich die Geschlechterverhältnisse nicht nur in Abhängigkeit der Produktionsverhältnisse ausprägen, sondern diese ihrerseits konstruierender Teil aller sozialen, politischen und auch wirtschaftlichen Beziehungen sind. Der Kampf um Frauenemanzipation kann sich deshalb auch nie alleine gegen die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse richten, sondern muss gleichzeitig die patriarchalen Strukturen angreifen. Letztere werden sich entgegen der Vorstellung mancher sich links nennender Gruppierungen nach der Revolution nicht automatisch auflösen. Ein erfolgreiches emanzipatorisches Projekt kann somit nur mit der Verbindung von Feminismus und Kapitalismuskritik erreicht werden; es muss sich gleichzeitig gegen Kapitalismus und Patriarchat wenden.
(S. 39 f.)


"Keine einzige weniger" - Massenbewegung gegen Femizid

Die Entstehung eines Frauenstreiks neuen Typs schildert die Autorin anhand dreier westeuropäischer Beispiele, Island 1975, Schweiz 1991 und des FrauenStreikTags am 8. März 1994 in der BRD, an dessen Zustandekommen sie selbst initiativ beteiligt war. Aufgenommen wird der Faden der Frauenstreikbewegung erst wieder 2016, als in Argentinien Hunderttausende von Aktivistinnen der bis heute aktiven Frauenbewegung gegen Femizid unter dem Motto "Ni Una Menos" ankündigen, keine weiteren Frauenmorde hinzunehmen. Ebensowenig wollen sie sich die körperliche Selbstbestimmung durch Einschränkungen des Rechtes auf Abtreibung nehmen lassen, das nicht nur in dem Land, aus dem der derzeitige Papst stammt, sondern in ganz Lateinamerika von katholischen Priestern und evangelikalen Sekten massiv angegriffen wird. Die hohe gesellschaftliche Relevanz der feministischen Bewegung in Argentinien zeigt sich darüberhinaus in den von ihren Aktivistinnen initiierten öffentlichen Versammlungen, den Asambleas, auf denen basisdemokratisch über Probleme aller Art beraten wird, als auch ihrer Beteiligung an sozialen Kämpfen in Betrieben und Gemeinden.

In den USA fiel dieser Impuls noch vor dem Durchbruch des MeToo-Protestes im Oktober 2017 zu einem weltweiten Aufschrei gegen sexistische Gewalt auf fruchtbaren Boden und erreichte am 21. Januar 2017 mit dem Protest von fünf Millionen Menschen gegen den neuen sexistischen US-Präsidenten einen ersten Höhepunkt. Brigitte Kiechle hebt in ihrer Darstellung der Ereignisse vor allem auf den Aufruf "Wir brauchen einen Feminismus der 99 Prozent" ab, mit dem führende linke Feministinnen in den USA den Frauenstreik als integralen Bestandteil antikapitalistischer und antirassistischer Kämpfe propagierten. Die Verfasserinnen vollzogen mit ihrem Manifest zugleich einen Bruch mit dem institutionalisierten Feminismus weißer Karrieristinnen, denen es vor allem um die Eroberung der von Männern okkupierten Kommandohöhen in Wirtschaft und Gesellschaft geht.

Die Kritik an der Instrumentalisierung identitätspolitischer Erkenntnisse zur Ausblendung sozialer, ethnischer, alters- und klassenbedingter Ausgrenzungspraktiken wie der sich dadurch vertiefenden Aufspaltung feministischer Bewegungen in ideologisch zerstrittene Lager sollte allerdings

nicht als trennender Gegensatz zur Identitätspolitik verstanden, aber neu ins Verhältnis gesetzt werden. Silvia Federici formuliert dies in folgender Weise: 'Man kann in einer Gesellschaft, die in einer sehr hierarchischen Weise konstruiert ist, nicht als geschlechtloses, alterloses, race-loses universelles abstraktes Subjekt kämpfen. Wenn nicht von diesen unterschiedlichen Erfahrungen und Formen der Ausbeutung aus der eigenen Position heraus gesprochen wird, dann wird nicht über die Gesamtheit kapitalistischer Ausbeutung gesprochen'.
(S. 73)

Mit über fünf Millionen Menschen legten die Proteste zum Internationalen Frauentag 2018 in Spanien Zeugnis davon ab, daß hier eine Massenbewegung entsteht, deren Dimension nur in der sich zeitgleich formierenden Klimaschutzbewegung erreicht wird. Es ist kein Zufall, daß eine so erfolgreiche Mobilisierung gegen patriarchale Unterdrückung, sexuelle Gewalt und rassistische Diskriminierung in einem Land erfolgte, in dem eine starke, tief im Katholizismus verwurzelte Rechte jahrzehntelang mit diktatorischer Gewalt herrschte und dessen männliche Bevölkerung - wie im von Spanien und Portugal kolonisierten Lateinamerika - häufig einem rigiden Machismo frönt. Zugleich verfügt Spanien über eine reichhaltige anarchistische Tradition, deren basisdemokratische Qualitäten bereits 2011 in der ebenfalls stark von Frauen betriebenen Bewegung der Indignados und Platzbesetzungen hervortraten, wie Brigitte Kiechle darlegt.


Feministischer Streik zwischen Klassen- und Identitätspolitik?

Wie die von Silvia Federici propagierte Aufgabe einer ort- und identitätslosen, in unüberbrückbarer Distanz verbleibende Betrachtung herrschender Verhältnisse zugunsten der tatkräftigen Einmischung in gesellschaftliche Konflikte und der streitbaren Positionierung auf der Seite ohnmächtiger, stumm und überflüssig gemachter Menschen nahelegt, tritt der Frauenstreik vor allem als politischer Streik in Erscheinung. Diesen als Aktionsform zurückzuerobern und sich nicht von einer Politik, die das Streikrecht auf Tarifauseinandersetzungen beschränken und so den Geschäftsbetrieb der kapitalistischen Gesellschaft regulieren will, bevormunden zu lassen ist Gegenstand der Diskussion im vorletzten Kapitel. Die Autorin geht ausführlich auf die Bedeutung der Übernahme des Streikbegriffes durch eine internationale Frauenbewegung und die daraus resultierenden Konflikte mit Gewerkschaften ein, die insbesondere dann, wenn sie sozialpartnerschaftlich organisiert sind, wenig Neigung zu einer feministischen Ausweitung des Arbeitsbegriffes wie der Ausweitung des Streiks auf linksradikal positionierte Kämpfe zeigen.

Zugleich erinnert sie daran, daß Rosa Luxemburg den Massen- bzw. Generalstreik als basisdemokratisches Mittel verstanden hat, dessen kämpferisches Potential erst in der praktischen Auseinandersetzung entwickelt wird. Anstatt auf Anweisungen einer Gewerkschafts- oder Parteiführung zu warten, gehe es darum, den Massenstreik aus der Vielfalt verschiedener Kämpfe autonom handelnder Menschen zu entwickeln. Gesellschaftliche Gegenmacht lasse sich nicht durch "Anpassung an existierende Herrschafts- und Autoritätsstrukturen" (S 97f.) erlangen, argumentiert Kiechle mit Christel Neusüß, die Rosa Luxemburg feministisch interpretiert hat. Die "Lebendigkeit, Unkontrollierbarkeit und Autonomie revolutionären Handelns" richte sich auch gegen "das Streben um männlichen Machterhalt, der die Herrschaft u.a. über Frauen beinhalte und die Angst vor der Selbständigkeit des politischen Handelns und Denkens der revolutionären Subjekte". (S. 98)

Vielleicht ist gerade die Frauenstreikbewegung dazu geeignet, der transnationalen Organisation kapitalistischer Unternehmen ein antagonistisches Moment von unten entgegenzusetzen. So erwähnt Kiechle die Transnational Social Strike Platform (TSS), die dem fragmentierten Internationalismus der ArbeiterInnenklasse neues Leben einhauchen will, indem sie aktionsbezogene Strukturen über nationale Grenzen hinweg zu etablieren versucht. So ist TSS an der Organisierung des transnationalen Streiks gegen Amazon beteiligt und hat eine Broschüre "Power upside down: Women's global strike" herausgegeben, in der Feministinnen aus verschiedenen Ländern über den Frauenstreik als Kampfmittel der ArbeiterInnenklasse nachdenken.

Mit der Sozialhistorikerin Beverly Silver, die die historische Entwicklung des Kapitalismus im Gleichschritt mit Kolonialismus, Rassismus und Patriarchat als wirksames Mittel zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse längs von Statuslinien wie Staatsbürgerschaft, Ethnizität und Geschlecht analysiert, plädiert Brigitte Kiechle für eine Aufhebung dieser Spaltung als "integraler Bestandteil des Kampfes für ein emanzipatorisches Projekt", was auf eine "Einbeziehung tatsächlich aller Arbeitenden in einen Generalstreik" (S. 98) hinausliefe.

Warum sich die Überwindung des Patriarchates nicht auf ein Datum in ferner Zukunft verschieben läßt, sondern sofortiger Handlungsbedarf besteht, kann aus der Position aller von seiner Dominanz und Gewalt betroffenen Menschen keine Frage sein. Das schließt für Kiechle all diejenigen ein, "die sich selbst als Frauen sehen oder die als Frauen definiert werden. (...) Im positiven Verständnis soll dieser Ansatz nicht zur Aufspaltung durch Identitätszuschreibungen führen, sondern Ausschlüsse verhindern." (S. 7) Gleich zu Beginn des Buches erklärt die Autorin unter Verweis auf Simone de Beauvoir,

dass unabhängig von der biologischen Kategorie Frau, Frauen nicht als Frauen geboren sind, sondern durch die rollenspezifische Sozialisation zur Frau gemacht werden. Die persönliche Identitätswahrnehmung ist somit unabhängig von der biologischen Zuordnung zu sehen. Gleichzeitig ist Frausein eine soziale Realität, die für feministische Kämpfe und Perspektiven Begründungscharakter hat.
(S. 7)

Brigitte Kiechle versucht an dieser Stelle zu erklären, wieso die Schreibweise "Frauen*streik" zwar im Titel des Buches auftaucht, im Text jedoch keine weitere Verwendung findet. Letztlich bleibt ihre Begründung, dies "zur Vermeidung immer neuer Schreibweisen und dazugehöriger Erklärungen" wie des Versuches, keine historischen Sachverhalte "nachträglich unzulässig inhaltlich verändern" (S. 7) zu wollen, unbefriedigend. Die jeweiligen Formen einer geschlechtersensiblen Schreibweise sind inzwischen alles andere als beliebig und längst keine Stilfragen mehr, sondern politische Positionsbestimmungen im Raum feministischer und queerer Diskurse. Deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten offenzulegen, um zu versuchen, etwaige inhaltliche Unvereinbarkeiten nicht zum unüberwindlichen Hindernis bei der Formierung einer weltweiten solidarischen Bewegung gegen Kapitalismus und Patriarchat auswachsen zu lassen, wäre den Versuch einer zugewandten Diskussion zweifellos wert.

Auch ohne eine solche Debatte, die den Rahmen dieses handlichen Bandes zweifellos gesprengt hätte, ist "Frauen*streik" ein Buch, dem größtmögliche Verbreitung zu wünschen ist. Weniger um der bloßen theoretischen Reflexion willen als um den Kampf um die Emanzipation von Frauen und LGBTIQ-Menschen mit dieser aktivistisch orientierten Handreichung voranzubringen. Dies ist in einer Zeit, in der der verächtliche und verletzende Antifeminismus der extremen Rechten vielleicht nur einen Vorgeschmack auf weit härtere Auseinandersetzungen zwischen der politischen Reaktion und sozialen Befreiungsbewegungen bietet, von existenzieller Bedeutung für alle Menschen, die patriarchale Herrschaft und geschlechtliche Unterdrückung nicht mehr hinnehmen wollen.

10. Dezember 2019


Brigitte Kiechle
Frauen*streik
"Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen"
Schmetterling Verlag, Stuttgart 2019
112 Seiten, 10,00 Euro
ISBN: 3-89657-173-7


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