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REZENSION/721: Hanna Poddig - Klimakämpfe (SB)


Hanna Poddig


Klimakämpfe

"Wir sind die fucking Zukunft"



Sommer 2021 - wer gerne numinose Kräfte bemüht, spräche wohl von einem Schicksalsjahr. Wer hauptsächlich den menschlichen Faktor für die sich zusehends beschleunigende Klimakrise verantwortlich macht, der bringt die aktuelle Zuspitzung eher auf den Begriff einer historischen Zäsur oder eines Moments der Entscheidung ohne Wiederkehr. Während die Klimakrise nun auch in gemäßigten Breiten mit aller Macht in Erscheinung tritt, während in der sich drei Mal schneller als im mitteleuropäischen Durchschnitt erwärmenden Arktis nie dagewesene Rekordtemperaturen erzielt werden, während der Zusammenhang von Klimawandel und Pandemieentstehung auch einem breiteren Publikum bewusst wird, während immer häufiger von klimabedingten Engpässen in der Welternährung gesprochen wird und die Zahl der durch die dürre- oder überflutungsbedingten Zerstörungen aus ihren Lebenswelten fliehenden Menschen stetig anwächst, scheint business as usual angesagt zu sein.

Daran hat weder die Veröffentlichung des ersten Teils des sechsten Sachstandsberichts des IPCC Anfang August noch der Weltklimagipfel COP 26 in Glasgow Anfang November etwas geändert. Wiewohl KlimawissenschaftlerInnen und KlimaaktivistInnen klar ist, dass die etwa alle sechs Jahre erscheinende Auswertung zehntausender Studien zur Entwicklung des Weltklimas in diesem Fall wohl die letzte sein wird, aufgrund derer Maßnahmen getroffen werden können, die eine Begrenzung der Erhitzung der Erdatmosphäre auf nicht mehr als 1,5 Grad im Jahr 2100 im Vergleich zur Mitte des 19. Jahrhunderts möglich macht, erscheint das Momentum gesellschaftlicher Entwicklung in seiner destruktiven Trägheit so unbeirrbar, wie die natürlichen Grundlagen, auf denen es fossil befeuerte Fahrt aufgenommen hat, zusehends kollabieren und wegbrechen.

Wie das strikt auf die Klientel der WählerInnen orientierte Verhalten deutscher PolitikerInnen zeigt, sind Weichenstellungen von einer Radikalität, derer es bedürfte, der Destruktivität gesellschaftlicher Naturverhältnisse ein ganz anderes Leben und Arbeiten entgegenzustellen, nicht im Angebot der im Bundestag vertretenen Parteien. Das gilt auch für die klimapolitisch rhetorisch starke und um so weniger an die Wurzel des Problems gehende Ampel. Die künftige Koalitionsregierung beschränkt sich darauf, die Differenzen zwischen einem liberalen Freiheitspathos und einer Green Economy auszutarieren, was im Ergebnis Grüner Kapitalismus mit allen Konsequenzen neokolonialer Ressourcenpolitik und eurozentrischer Festungsmentalität bedeutet.

Wo das gesellschaftliche Modell eines Ökosozialismus durch Abwesenheit glänzt, bleibt die notwendige umfassende Reduzierung der Freisetzung fossiler Energien an der Quelle Wunschdenken. Die Eigentumsfrage nicht nur sozialökonomisch, sondern auch sozialökologisch zu stellen, um jegliche Form der Umlastung fossiler Zerstörung auf dafür nicht verantwortliche Bevölkerungen oder eine Externalisierung von Klimakosten nach der Formel "Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren" auszuschließen, könnte als Schwelle des Umsteuerns in eine sozial und ökologisch verträgliche Zukunft markiert werden.

Je utopischer sich derartige Überlegungen ausnehmen, desto mehr stellt sich die Frage, wer das handelnde Subjekt in künftigen Klimakämpfen sein wird. Dass das Problem des Klimawandels bereits 2019 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte, bevor die Covid-Pandemie diesen Platz einnahm, war vor allem den weltweiten Massenprotesten jugendlicher AktivistInnen zu verdanken. Schon damals wurde die faktische Gewissheit manifester Veränderungen in der Biosphäre jeden Tag aufs Neue bestätigt. Dabei ist das Konfliktpotential dieses eng mit der seit 150 Jahren durch die Verfügbarkeit fossiler Energie explodierenden Entwicklung industrieller Produktion und militärischer Vernichtung bedingten Verlaufes keineswegs nur dem Klimawandel geschuldet. Es handelt sich um eine Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse von potentiell finalem Charakter, wie die Kontamination biologischer Organismen mit chemischen Produkten aller Art, die Übersäuerung der Meere, die Vergiftung der Atemluft, die Verschmutzung des Trinkwassers, die Verödung und Versiegelung der Böden, die Vermüllung der Ökosphäre durch Plastikabfälle, der Infarkt des motorisierten Individualverkehrs, das Aussterben von immer mehr Pflanzen und Tieren wie die monströse Ausbeutung sogenannter Nutztiere belegen.

Von einem adäquaten Umgang des Menschen mit diesem Problem kann keine Rede sein, ist die kapitalistische Vergesellschaftung doch in Herrschaftsstrukturen eingebettet, deren Auftrag und Interesse in der Reproduktion des Kapitalverhältnisses und nicht seiner Überwindung besteht. Die Aufhebung des kapitalistischen Akkumulationsregimes, die Umkehr seiner Wachstumsdynamik und die Beendigung sozialdarwinistischer Marktkonkurrenz sind, schon aufgrund des unveränderten Anwachsens der Emission von Treibhausgasen und der fortwährenden Ausweitung extraktivistischer Landnahme und Ressourcenaneignung, notwendige Voraussetzungen der Beschränkung des Klimawandels auf weniger als 1,5 Grad Erwärmung. 1,2 Grad Erwärmung wurden trotz 25-jähriger internationaler Bemühungen um eine Eindämmung des Klimawandels bereits erreicht - eine negative Erfolgsbilanz, die belegt, dass das Anstoßen grundlegender Veränderungen gesellschaftlicher und politischer Art weit schwieriger ist als das Einwirken auf Naturprozesse, deren Komplexität bis heute nicht vollständig verstanden wurde.

Das belegt die Relevanz der These, dass Klimakämpfe eigentlich Sozialkämpfe sind. Die Spaltung und Isolation, Krieg und Vernichtung generierenden Faktoren gesellschaftlicher Ordnung werden zwar immer häufiger in Frage gestellt, doch ihrer praktischen Überwindung stehen mächtige AkteurInnen im Weg, die über ein erhebliches Aggressions- und Gewaltpotential verfügen. Demgemäß klafft zwischen allgemeinem Krisenbewusstsein und privatem Eigentumsanspruch eine Lücke, die nicht durch eine bloße Anspruchshaltung, die sich bestenfalls in einer Veränderung des Konsumverhaltens erschöpft, oder gar apokalyptische Ängste zu schließen ist. Diese führen am ehesten dazu, dass sich klimapolitischer Handlungsbedarf und das Wissen um die massive globale Ungleichheit in eine nationalistische Abwehrhaltung übersetzen, die rassistisch argumentierenden und faschistisch agierenden Parteien Aufwind verschafft.

So einleuchtend angesichts dessen die Radikalität sozialrevolutionärer Handlungskonzepte und Lebensentwürfe erscheint, so reaktionär wird ihnen auf der Ebene der unter Druck geratenen sozialen Reproduktion bürgerlicher Existenz entgegengetreten. Die derzeit auf Bundes- und EU-Ebene geführten Debatten um das Ausmaß erforderlicher Eingriffe in Arbeit, Mobilität und Konsum machen immer mehr Menschen klar, dass ein epochaler gesellschaftlicher Bruch ansteht, der ihre ganz persönlichen Lebensinteressen in Frage stellt. Das löst soziale Erschütterungen aus, die längst überwunden geglaubte Ideologien des Rassenhasses und Nationalchauvinismus mit neuer Überzeugungskraft versehen, aber auch die Hoffnung darauf beflügeln, in einer postkapitalistischen Welt neue Formen des Arbeitens und Lebens, der Kollektivität und Solidarität entwickeln zu können.

Obwohl der Klimawandel für die meisten Menschen in der Bundesrepublik in ihrem subjektiven Erfahrungshorizont immer noch abstrakt bleibt, müssen politisch einschneidende Maßnahmen getroffen werden, um erst später konkret hervortretende Zerstörungsverläufe zumindest zu begrenzen. In diesem Limbus zwischen Aktualität und Potentialität finden die Klimakämpfe statt, über die die langjährige Aktivistin Hanna Poddig berichtet. Für die Klimagerechtigkeitsbewegung hat die Zukunft schon begonnen, denn der systemische Charakter der Klimafrage rückt utopische Lebensentwürfe in die Reichweite jedes Menschen, der für ihre Realisierung eintritt. Diese wiederum werfen Fragen auf, die die herrschenden Gewaltverhältnisse zwischen Menschen betreffen und alle Formen hierarchischer Ordnung in Frage stellen:

Wer den Klimawandel nicht als ein Problem unter vielen, namentlich Rassismus, Kapitalismus, Sexismus, Klassismus und weiteren Unterdrückungsformen, sondern als "die größte Bedrohung" sieht, macht den gleichen Fehler, wie ihn auch orthodoxe Marxisten begehen, wenn sie zunächst den Kapitalismus abschaffen und sich sodann vermeintlichen Nebenwidersprüchen wie dem Patriarchat widmen wollen.
(S. 55)

Hanna Poddig hat eine gut verständliche und leicht zu lesende Einführung in den Aktivismus der Klimagerechtigkeitsbewegung vorgelegt, die dem subjektiven Duktus ihres Textes gemäß politisch klar positioniert ist. Das gilt nicht nur für ihr anarchistisches Selbstverständnis, sondern auch für die Analyse und Kritik der in der vielfältigen Klimagerechtigkeitsbewegung anzutreffenden Positionen. Der Erkenntnisgewinn, den viele AktivistInnen aus dem Buch ziehen werden, ist zweifellos produktiv, mag aber auch für diejenigen, die sich in ihren guten Absichten verkannt fühlen, ärgerlich sein.

Notwendig ist diese Kritik allemal, nicht um einzelnen AktivistInnen inkonsequentes oder konformistisches Handeln anzulasten, sondern um die inhaltlichen Positionen der Klimagerechtigkeitsbewegung gegen Versuche der Vereinnahmung und Instrumentalisierung durch diejenigen, gegen deren Vormacht sie antritt, zu immunisieren. Zu wissen, dass derartige Versuche unternommen werden, entspringt keiner Verschwörungstheorie, sondern zeigt sich in der herkömmlichen Praxis staatlicher wie unternehmerischer Öffentlichkeitsarbeit, die wie alle AkteurInnnen auf dem Feld massenmedial und informationstechnisch induzierter Aufmerksamkeitsökonomie aktives Konsensmanagement betreiben und sich dazu des hochentwickelten Instrumentariums moderner PR-Techniken und des social networking bedienen. Anders herum gesagt - wer sich diesen Mitteln verweigert, wofür es gute Gründe gibt, läuft Gefahr, unsichtbar zu bleiben.

Da die Autorin selbst Erfahrungen mit Medienpräsenz gemacht hat und dementsprechend bekannt ist, ohne dass dies ihre aktivistische Praxis und politische Positionierung verändert hätte, ist sie mit den Problemen, die zwischen notwendiger Öffentlichkeitsarbeit und widerständiger Praxis entstehen können, gut vertraut. Je mehr die Klimagerechtigkeitsbewegung in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, desto mehr Menschen erreicht sie mit ihren Aktionen, bietet ihren GegnerInnen aber zugleich große Angriffsflächen. Wozu früher ein Laptop in einem Baumhaus ohne weiteres reichte, das wird heute, zumindest wenn sich große NGOs des Themas bemächtigen, mit professioneller Apparatur und medialer Breitenwirkung vollzogen.

Mit der Räumung des Hambacher Forstes im Sommer 2018 erlangte die da schon sechs Jahre währende Besetzung des Waldes bundesweite Bekanntheit und ist inzwischen zu einem Symbol geworden, das sich auch gerne AkteurInnen ans Revers heften, denen die BesetzerInnen zuvor politisch zu radikal waren. Auch Ende Gelände hat den Status einer Unverwechselbarkeit erreicht, der es nicht mehr zulässt, in Nachrichtensendungen über ihre Aktionen gegen die fossile Energieindustrie ohne Nennung des korrekten Namens zu berichten. Greta Thunberg und Fridays for Future stehen weltweit für den Aufbruch einer Jugend, die sich ihre Zukunft nicht klauen lassen will. Extinction Rebellion hat von vornherein auf spektakuläre PR-Events gesetzt und gewinnt angesichts der drastischen Verschlechterung der Lebensverhältnisse weltweit mit ihrer apokalyptischen Performanz an Zuspruch. Kurz gesagt, die Klimaschutz- und -gerechtigkeitsbewegung ist zu einem gesellschaftspolitischen Akteur von Rang geworden. Sie kann nicht mehr ignoriert oder unterdrückt werden, trägt aber auch viel Verantwortung, was die Diskussion um die von Poddig ausführlich diskutierte Selbstverpflichtung zur Gewaltfreiheit nicht leichter macht.

Diesen und anderen Bewegungen und Organisationen wie einigen exemplarischen Interventionen in den gesellschaftlichen Normalbetrieb widmet Hanna Poddig den größten Teil des Buches. In ihrer Kritik stets zugewandt und solidarisch hält sie an aktivistischen Überzeugungen fest, die mit der Professionalisierung und Institutionalisierung sozialer Bewegungen bis hin zur Etablierung als sogenannte Nichtregierungsorganisation kaum mehr vereinbar sind [1]. Analog zum Marsch der Partei Die Grünen, die die Autorin in gebotener Kürze auf ihren selbstgewählten Topf setzt, in die politische Mitte und der integrativen Funktion weltweit aufgestellter Non-Profit-Unternehmen im Bereich des Umweltschutzes, die wie Großkonzerne den Effizienzprinzipien der Corporate Governance unterworfen sind, bleiben aktivistische Basisbewegungen nicht immun dagegen, von opportunistischen Manövern unterlaufen zu werden. Das betrifft etwa partizipative Angebote wie das einer Mitarbeit in der Kohlekommission, für die die Autorin eher ablehnende Argumente findet:

In der Kohlekommission saßen zwar alibimäßig auch ein paar kritische Stimmen, aber viel mehr als eine Feigenblattfunktion hatten sie nicht. Dennoch verbanden viele Umweltverbände und Initiativen mit eben dieser Kohlekommission unfassbare Hoffnungen, während andere von Anfang an davor warnten, solche Gremien zu überhöhen. Die Bewegung lebt sicherlich von ihrer Vielfalt, aber eben auch von der kontroversen Debatte darum, wann es schlau ist, kollektiv Vereinnahmungs- oder Befriedigungsangebote zu verweigern. Gerade in der Verweigerung kann ein Akt der Stärke liegen, weil niemand am Ende behaupten kann, die Initiativen hätten ihr Kritikrecht durch Mitentwicklung eines vermeintlichen Konsenses verwirkt. Zwar kann durch Mitarbeit auch Einblick in die internen Abläufe solcher Gremien sichergestellt werden, aber gerade wenn die Kräfteverhältnisse von Anfang an klar gegen einen ergebnisoffenen Dialog und emanzipatorische Anliegen sprechen, eröffnet die Mitarbeit der Gegenseite die Möglichkeit, durch Einbindung und Besänftigung einiger Kritiker*innen insgesamt die Akzeptanz der Vorhaben zu erhöhen.
(S. 66 f.)

Gerade weil die Klima- und Umweltthematik im gesellschaftlichen Mainstream angekommen ist und es sich keine Partei außer der AfD mehr leisten kann, auf diesem Gebiet nicht zumindest den Eindruck um die Rettung des Planeten bemühten Engagements zu erwecken, muss sich die Klimagerechtigkeitsbewegung fragen, inwiefern sie nicht eine unter vielen SachwalterInnnen ordnungs-, steuer- und verteilungspolitischer Herrschaftsdispositive zu werden droht. Zwar haben Fridays for Future und Ende Gelände den politischen Diskurs erfolgreich in Richtung der konkreten Umsetzung klimapolitischer Erfordernisse getrieben, könnten damit aber auch zu Legitimationsfaktoren eines im Grundsatz grünkapitalistischen Paradigmenwechsels werden. Wo mit der Einführung einer CO2-Steuer die kapitalistische Arbeitsgesellschaft modernisiert und eine Innovationsoffensive des Exportgiganten Deutschland mit allen Implikationen ressourcentechnischer Ausbeutung und Landnahme entfacht wird, ist es mit globaler Klimagerechtigkeit nicht weit her.

Wo der Emissionshandel den technologischen Vorsprung, die infrastrukturelle Logistik und die industrielle Produktivität in den Staaten Nordamerikas und Westeuropas zu Lasten der Lebensmöglichkeiten von Millionen Menschen im Globalen Süden sichert, werden neokolonialistische und imperialistische Praktiken unterstützt, anstatt das steile Wohlstands- und Verbrauchsgefälle zwischen den verschiedenen Weltregionen einzuebnen. Hier gilt es für soziale Bewegungen, die vor allem von weißen Mittelstandsmenschen mit häufig akademischem Hintergrund gebildet werden, zuzuhören, wenn AktivistInnen aus dem Globalen Süden ihr Interesse artikulieren. Eine Eröffnung in diese Richtung hat jüngst die radikalen Positionen eher unverdächtige BUNDjugend mit der Broschüre "Kolonialismus und Klimakrise - 500 Jahre Widerstand" [2] gemacht. Die darin erhobene Forderung, gerade auch im weißen Mittelstandsaktivismus die eigenen Anteile an Rassismus, Kolonialismus und Sexismus zu reflektieren, spricht für eine Weitung des Blickes auf die Klimakrise, mit der das Problem aus der Sicht und Betroffenheit der am meisten davon betroffenen Bevölkerungen und Menschen bearbeitet werden kann.

Von daher sind Aktionskonsense und Blockadestrategien immer auch politisch bestimmt, muss doch die Frage, ob damit überhaupt relevante EntscheiderInnen getroffen werden oder es sich eher um symbolpolitische Interventionen handelt, präzisiert und schlagkräftig entwickelt werden. So unterzieht Poddig die appellative bis affirmative Strategie der Bewegung Extinction Rebellion einer umfassenden Kritik, die in die Forderung mündet:

Es wird Zeit, die Politik der Vertreter*innen abzuschaffen, statt ihre Probleme intern zu reproduzieren. Zeit, das Handeln nicht mehr zu delegieren und anderen zu überlassen, sondern selbst eigenverantwortlich aktiv zu werden. Selbstbestimmt und vielseitig, kreativ und unberechenbar, mal in Großgruppen, oft in kleineren Strukturen, mal symbolisch, aber immer wieder auch ganz direkt an den Orten des Geschehens einzugreifen.
(S. 64)

Anders als politische Parteien neigen soziale Bewegungen nicht dazu, ihre internen Diskussionen und Machtkämpfe nach außen zu tragen. Das ist sinnvoll, um ein möglichst kraftvolles Auftreten für die Sache zu gewährleisten. Das ist aber auch fragwürdig, wenn damit eine Aushöhlung politischer Prinzipien einhergeht, die die Handlungsfähigkeit sozialökologischer Bewegungen auch dann sicherstellen sollen, wenn über niedrigschwellige Aktionsformen hinausgegangen wird und etwa intensive Soli-Arbeit zur Unterstützung verhafteter AktivistInnen erforderlich ist. Gerade weil der Klimaaktivismus mit seinen politischen Forderungen im gesellschaftlichen Mainstream angekommen ist, sollte über inhaltliche Fragen in basisdemokratischer Transparenz diskutiert und gestritten werden, um dem Anspruch zu genügen, mehr Menschen als die eigene Szene für das Ziel des besseren Lebens für alle und ein Ende der Gewalt gegen welches Lebewesen auch immer zu erreichen.

Mit dem Buch Klimakämpfe hat Hanna Poddig außerhalb häufig exklusiver sozialer Netzwerke, Plattformen und E-Mail-Verteiler den Anfang eines Diskurses gesetzt, den aufzugreifen und fortzusetzen allen Menschen zu empfehlen ist, denen es um die Sache selbst geht. Ohne die Erarbeitung und Ausformulierung eines politischen Bewusstseins, das die elementare Widerspruchsbewegung kapitalistischer Zurichtung und gesellschaftlicher Naturverhältnisse verständlich macht, können Klimakämpfe kaum den Platz einer Avantgarde gesellschaftlicher Umwälzung einnehmen, mit der die Finalität destruktiver Verläufe vielleicht doch noch zu verhindern ist.

Empfehlenswert dazu sind auch zwei aktuelle Vorträge Hanna Poddigs zu der Geschichte der Ökologiebewegung [3] und dem Einfluss rechter Ideologien auf gesellschaftliche Naturverhältnisse [4]. Wie in der Broschüre der BUNDjugend vorgeschlagen ist die kritische Auseinandersetzung mit kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen, kolonialistischen Strukturen und gesellschaftstheoretischen Entwürfen für die junge Generation heutiger KlimaaktivistInnen unverzichtbar, lässt sich doch aus der Geschichte früherer Kämpfe viel lernen, so dass historische Fehler nicht wiederholt werden müssen und strategische Abkürzungen auf dem Weg in eine neue Wirklichkeit genommen werden können.


Fußnoten:

[1] INTERVIEW/133: Klimacamp im Rheinland - wo gehobelt wird ...    Hanna Poddig im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0133.html

[2] https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus-und-Klimakrise-Ueber-500-Jahre-Widerstand-11.pdf

[3] https://www.youtube.com/watch?v=Z-3Onou_T7Q&t=3s

[4] https://www.youtube.com/watch?v=905JKZWXAUc&t=2s



erstveröffentlicht am 19. Dezember 2019

überarbeitet am 1. Dezember 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 170 vom 4. Dezember 2021




Hanna Poddig
Klimakämpfe
"Wir sind die fucking Zukunft"
Reihe: unrast transparent - bewegungslehre Band: 8
Unrast Verlag, Münster 2019
104 Seiten, 10,00 Euro
ISBN: 978-3-89657-173-7


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