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REZENSION/733: Éric Stemmelen - Operation Macron (SB)


Éric Stemmelen


Operation Macron



Angesichts der Frage, wer die einflußreichsten Mächte im Dienste der Herrschaftssicherung bürgerlicher Staatlichkeit und des kapitalistischen Verwertungsregimes seien, gelangen selbst erklärte Kritiker der Klassengesellschaft zu durchaus disparaten Schlußfolgerungen. Als miteinander unvereinbare Pole in dieser Kontroverse ließe sich einerseits das Konstrukt eines Systems ausweisen, dem alle Akteure gleichermaßen unterworfen seien, während sich diametral gegenüber Protagonisten einer Weltsicht tummeln, die jeweils spezifische Drahtzieher zu entlarven trachten, als sei damit die Herkunft des Verhängnisses hinreichend aufgeklärt. Was sich in dieser Debatte Bahn bricht, ist nicht zuletzt der Drang, der Weisheit letzten Schluß für sich zu reklamieren, wie dies maßgeblich zur Schwächung der Linken beigetragen hat, als ihr der Gegenwind immer schärfer ins Gesicht blies. Allerdings ist es auch nicht damit getan, in nebulöser Beliebigkeit von "den Verhältnissen", "den Kapitalisten", "den Herrschenden", "den Bossen" oder gar von "denen da oben" zu sprechen, als drohe weder ein Nischendasein in altbräsigem Konsens schwindender Insider noch die abschüssige Gleitbahn der Querfront.

Wer hingegen unabweisliche Gründe geltend machen kann, die Machtfrage zu stellen, kommt nicht umhin, sie entschieden voranzutreiben, ohne sich mit wohlfeilen Antworten welcher Couleur auch immer abspeisen zu lassen. Außenstehende mögen endlos und unergiebig darüber spekulieren, wie es in politischen, wirtschaftlichen und medialen Gemengelagen um Roß und Reiter, austauschbare Figuren und zentrale strategische Zirkel und Netzwerke beschaffen sein mag und welche wirkmächtigen Entwürfe walten. Denn am ehesten ließen sich die Kerngefüge gesellschaftlicher Macht in der Weise umschreiben, daß sie nur zweifelsfrei und konkret identifizieren kann, wer dazugehört. Die daraus resultierende Skepsis, bloße Mutmaßungen über diesen Konnex nicht für bare Münze zu nehmen, zumal sie zumeist der konkurrenzgetriebenen Teilhaberschaft am sozialen Hauen und Stechen entspringen, muß dennoch nicht zwangsläufig in eine Absage an jegliches Unterfangen münden, innovative Verfügungsgewalt und deren relevanteste Profiteure wie auch Treiber zusammen ins Visier widerständigen Aufbegehrens zu nehmen.

Auf welche Weise eine positionierte und akribische Recherche in diesem Sinne zu Werke gehen könnte, demonstriert Éric Stemmelen mit seinem Buch "Operation Macron". Daß eine gehaltvolle und detailreiche Publikation zum Aufstieg des "Jupiterpräsidenten", die das Zeug zum Bestseller haben müßte, zwei Jahre lang keinen Verleger in Frankreich fand, darf als Qualitätsmerkmal ausgewiesen werden. Der Autor geht offensichtlich derart ins Eingemachte, daß sich niemand die Finger daran verbrennen will. Unterdessen hat der Kasseler Mangroven Verlag dankenswerterweise das 2019 in Belgien auf Französisch erschienene Werk in deutscher Übersetzung herausgebracht und damit der hiesigen Sicht auf das bonapartistische Treiben im Nachbarland ein Vergrößerungsglas und Nachtsichtgerät in einem zur Verfügung gestellt.

Warum ist dieses Buch ausgesprochen lesens- und empfehlenswert? Selbst wer sich mehr als beiläufig mit den Geschehnissen in Frankreich befaßt hat, dürfte darin bislang unbekannte oder zumindest nicht schlüssig belegte Details und aufschlußreiche Zusammenhänge finden. Und obgleich die Chronik mit dem Wahlsieg Macrons am 23. April 2017 endet, ist ihre durchweg faktengestützte Analyse höchst relevant für das Verständnis der Gegenwart. Wie der Autor in einem kurzen Epilog bilanziert, unterliege Frankreich nunmehr einem autokratischen Regime. Dieser Despotismus sei gekennzeichnet von Vorteilen, Geschenken und Sonderrechten, die den Favoriten des Fürsten und den Ultrarechten gewährt werden. Diese Selbstherrlichkeit zeige sich in seiner Allgegenwart auf allen Sendern, in der Verfolgung seiner Gegner, in der Entfesselung polizeilicher Brutalität, in massiven Verhaftungen und Beschlagnahmungen, in einer unerbittlichen Justiz im Dienst der politischen Macht. Zugleich maße sich der Monarch das Recht an, ohne irgendeine Diskussion oder Konsultation internationale Verträge zu unterzeichnen, welche die Souveränität des Landes ernsthaft beeinträchtigen. (S. 206)

Wer ist dieser Autor, der sich die Mühe gemacht hat, anhand allgemein zugänglicher, aber weithin ausgeblendeter oder geleugneter Informationen den kometenhaften Aufstieg Macrons nachvollziehbar zu entschlüsseln? Der 1952 geborene Éric Stemmelen ist Statistiker, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und war von 1991-1994 Studiendirektor beim Meinungsforschungsinstitut SOFRES, von 1994-2009 zunächst Forschungs- und Studiendirektor bei France Television, der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt Frankreichs, und danach Direktor für Programm und Programmgestaltung beim staatlichen Fernsehsender France 2. Emmanuel Macron sei "infolge eines unglaublichen Zusammentreffens von Zufällen" Präsident der französischen Republik geworden, werde allseits kolportiert. Als ausgebildeter Statistiker glaube er nicht an das Unglaubliche, schreibt Stemmelen in der Einleitung. Begünstige die Folge der Ereignisse immer die gleiche Person, sei dies nur sehr selten ein Ergebnis des Zufalls. Ein Spieler, der Glück im Casino hat, sei eine Sache, ein professioneller Betrüger im Dienste einer Bande von Glücksrittern eine ganz andere. (S. 11)

Und in der Tat: In der Hochphase des Wahlkampfs um das Präsidentenamt wurden innerhalb von nur drei Monaten fünf der erfahrensten und namhaftesten Politiker aus dem Rennen geworfen: Die beiden ehemaligen Präsidenten Sarkozy und Hollande wie auch die drei früheren Premierminister Juppé, Villon und Valls, obgleich einige von ihnen in eher seriösen Meinungsumfragen lange weit vor dem im Land zunächst wenig bekannten Macron gelegen hatten. Fillon wurde mittels seiner Profitsucht ausgeschaltet, Juppé gab mangels Unterstützung aus den vermeintlich eigenen Reihen gelähmt auf, Hollande vernichtete die Sozialistische Partei und machte dann einen feigen Rückzieher, Sarkozy hatte plötzlich Prozesse am Hals. Marine Le Pen - eine in Erwägung gezogene Alternative beim verkappten Staatsstreich - scheiterte nicht zuletzt an ihren eigenen Schranken, und die Linke wagte es gar nicht erst, sich zu verbünden und auf Sieg zu setzen. Wenngleich schon Napoleon behauptet hat, es sei die erste Stärke des Generals, Glück zu haben, wurde Macron doch in schier überreichem Maße davon zuteil, wie uns glauben gemacht werden soll. (S. 5)

Die Mächtigen aus Finanz und Wirtschaft wollten einen Mann, der ihnen ergeben war, die Medien haben ihn in ihrem Auftrag produziert, so die Quintessenz aus Sicht des Autors. Eine höchst einflußreiche Phalanx fand sich zusammen, um wie gute Feen über den kleinen Macron gebeugt zu wachen und seinen Wuchs zu befördern. Die Liste ist lang und prominent: Die größten Vermögen des Landes wie Bernard Arnault, bei dem das Paar Macron jede Woche einmal zum Essen geladen ist, wie auch Arnaults Schwiegersohn Xavier Niel, der mit ihm "Freund geworden" sei. Der katholische Fundamentalist Vincent Bolloré samt seinem Sohn Yannick, die Besitzer zahlreicher Medien Patrick Drahi und Arnaud Lagardère, Jacques Attali und Jean-Pierre Jouyet, die ihre schützende Hand über ihn hielten. Claude Bébéar, Begründer von AXA, und Peter Brabeck, Präsident-Generaldirektor von Nestlé und Vizepräsident von L'Oréal, Serge Weinberg, der der Familie Pinault nahesteht, Präsident von Sanofi, und viele andere mehr.

Die Medien, so die These des Autors, haben das Drehbuch zu Macrons Machtübernahme geschrieben. Sie gehören zehn Milliardären, deren TV- und Radiosender einen Marktanteil von über fünfzig Prozent erreichen. Bei den Tageszeitungen kontrollieren sie neunzig Prozent der Auflage. Früh schon wird Macron im Nouvel Observateur als "mit unglaublichem Charisma gesegnetes Wunderkind" glorifiziert. In L'Express wird er als "Mozart des Élyséepalasts" bezeichnet, in Closer ist er "der farbigste unter den Ministern". Im Le Parisien ist er "der neue Star der Regierung, brillant aber nicht arrogant", Le Monde spricht von "der Leichtigkeit eines französischen Steve Jobs", in France Dimanche und 20 Minutes ist er "der Sonnyboy der Regierung". Auf den Titelblättern von VSD bilden Emmanuel und Brigitte schon seit März 2016 "ein Paar für den Élyséepalast", und selbst Libération titelt mit Ausrufezeichen "Wählt Macron!" (S. 6)

Sorgsam und präzise zerlegt Stemmelen die Mechanismen zur Herstellung des Geschöpfs, das für einen "stillen Staatsstreich" benötigt wurde. Zu diesem Zweck hat er von Januar 2012 bis zur Amtseinführung im Jahre 2017 Tag für Tag die französischen Medien, die sich in den Händen der Hochfinanz befinden, durchforstet und auseinandergepflückt. So fügt sich für seine Leserschaft Seite für Seite das Puzzle zusammen, wie Macrons fabelhafter Aufstieg vonstatten ging, vorangetrieben von medialen Heldengeschichten, die auch vor Lügen und Fälschungen nicht zurückschrecken, wenn in unablässiger Wiederholung und Ausgestaltung das Prachtbild in Stellung gebracht wird. Die Methodik des Autors könnte seriöser nicht sein, arbeitet er doch bei seiner Medienrecherche die Fakten heraus, die unmittelbar und in chronologischer Abfolge dargestellt werden.

Naheliegende Bedenken, bei dieser Vorgehensweise könne bestenfalls ein trockenes Kompendium, doch kaum ein lesbares Buch herauskommen, weichen schon nach wenigen Seiten einem unverhofften Genuß. Denn Stemmelen geht ebenso positioniert wie scharfzüngig zu Werke, wenn er zwar durchweg der datierten Chronologie treu bleibt, sie jedoch mit boshaften Anmerkungen, aufschlußreichen Erläuterungen und kundigen Querverweisen anreichert. Um dies zu veranschaulichen, seien im folgenden einige Passagen aus dem Zeitraum von März bis August 2016 herausgegriffen, als sich der damalige Wirtschaftsminister als Kandidat in Stellung brachte. Dabei ist jeder Erwähnung einer Zeitung oder eines Fernsehsenders seitens des Autors in Klammern der Haupteigentümer angefügt.

3. März 2016. LObs (Niel) macht mit der Schlagzeile "Projektil Macron: sein geheimer Plan für 2017" auf und lüftet auf den Innenseiten ein Geheimnis: "Mit dem Start seiner Bewegung und der Veröffentlichung von zwei Büchern demonstriert der Wirtschaftsminister seine Ambitionen: die Oberhand über den Präsidentschaftswahlkampf von François Hollande zu erringen; oder diesen zu ersetzen, wenn der Staatschef verzichtet."

9. März 2016. Auf dem Titelblatt von L'Express (Drahi) eine Nahaufnahme, ernsthafter Blick, zusammengepreßte Lippen, gerunzelte Stirn: "Macron, was ich für 2017 will". In einem langen Gespräch, "exklusiv für L'Express, skizziert er zum ersten Mal ein umfassendes Projekt, das Land zu reformieren. Ein präsidentielles Programm?" Doch statt eines Programms legt er alles und nichts dar, und das in einer pedantischen, oft nebelhaften Sprache, durchzogen von widersprüchlichen Forderungen der Art: "Der Jugend die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wann sie die Verantwortung übernimmt". Oder: "Die klare Wahl zugunsten eines wirtschaftlichen und politischen Liberalismus auf einem Sockel der kollektiven Solidarität und der Regulierung zum Ausdruck bringen". Er verkündet: "Mein Kampf ist einer um Fortschritt und Bewegung." [...]

17. März 2016. Das Titelblatt von VSD (Mohn) zeigt uns die Macrons, warm angezogen beim Spaziergang: "Emmanuel und Brigitte Macron. Ein Paar für den Élyséepalast". Die Blattmacher preisen Macrons Vorzüge: "Die Franzosen halten ihn für glaubhaft. Komitees von jungen Menschen unterstützen ihn. Seine Frau spielt eine Schlüsselrolle an seiner Seite." [...]

6. April 2016. Bei einer Zusammenkunft in Amiens reiht Macron vor zweihundertfünfzig Zuhörern mit ernstestem Ausdruck Plattitüden wie Perlen an einer Schnur aneinander. Er kommt zu dem Schluss, dass er letzten Endes und nach reichlicher Abwägung eine Verbesserung der Lage in Frankreich einer Verschlechterung vorzöge. Am Ende einer Stunde derartigen Unsinns kündigt er die Gründung von "En Marche" an: "Ich habe beschlossen, dass wir eine neue politische Bewegung gründen. Es ist eine Bewegung, die nicht rechts und die nicht links sein wird."

7. April 2016. Le Figaro (Dassault) jubiliert über die gesamte Breite seiner Titelseite: "Emmanuel Macron erschüttert die Linke". Halleluja! Le Monde (Niel) verblüfft: "Emmanuel Macron hat die Maske fallen lassen: Ja, der Wirtschaftsminister würde sich gern selbst eines Tages als Präsident der Republik sehen." Donnerwetter! Wer hätte das gedacht? [...]

14. April 2016. Am Vortag in Gala (Mohn) und heute auf dem Titelblatt von Paris-Match (Lagardère) das Ehepaar Macron, in Großaufnahme, strahlend, Hand in Hand: "Gemeinsam auf der Straße zur Macht." Alle falsche Bescheidenheit ist längst abgelegt. Die "Fotos aus ihrem persönlichen Album" hat Brigitte freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Madame Macron scheint überwältigt: "Mein Mann, ein Arbeitssüchtiger, ist ein Ritter, eine Person von einem anderen Planeten, der eine seltene Intelligenz mit einer außergewöhnlichen Humanität vereint." Macron, ein außerirdisches Wesen? [...]

25. April 2016. Beim Besuch eines Werks in Issoire (Département Puy-de-Dôme) wird der Wirtschaftsminister von Arbeitern konfrontiert: "Sie wissen nichts von der Arbeitswelt! Sie wissen nicht, was es heißt, jeden Morgen um fünf Uhr aufzustehen, um auch nur den unwürdigen Mindestlohn zu verdienen. Sie werden dafür bezahlen müssen, dass Sie die Menschen hinters Licht führen." Reaktion Macron: "Es gibt Menschen, für die es nicht besser wird, aber es gibt ein Land, dem es im Durchschnitt besser geht." Sicher, das lässt sich behaupten, wenn man den Durchschnitt zwischen den Milliardären, deren Privatvermögen jährlich um mindestens 15 Prozent wächst, und jenen, deren Lebensstandard seit zehn Jahren stagniert, zugrundelegt. [...]

27. Mai 2016. Bei einem Besuch in Lunel wird Macron von einem jungen Arbeiter angefahren: "Wir haben es satt! Ich habe nicht die Moneten, um mir einen Anzug wie Ihren zu leisten." Macron erwidert: "Sie werden mich mit Ihrem T-Shirt nicht zum Weinen bringen. Die beste Art und Weise, sich einen Anzug leisten zu können, ist es, zu arbeiten." Der junge Mann protestiert vergebens: "Ich arbeite seit meinem 16. Lebensjahr, Monsieur!"

Aus diesem Wortwechsel zieht die PR-Maschinerie ihre Schlüsse. Am 24. November 2016 [...] klärt ein in Paris-Match (Lagardère) erschienener Artikel die Öffentlichkeit über die Kleidung Emmanuel Macrons auf: "Der Exminister hat seine 1.200-Euro-Anzüge von Lagonda abgelegt und gibt sich zufrieden mit solchen für 340 Euro. Er bezieht sie von Jonas et Cie., einer Schneiderfirma in der Rue d'Aboukir." Warum so viel Augenmerk auf dieses Thema? Der Preis für die Maßanzüge von Fillon wird die Blätter jedenfalls während des Wahlkampfes noch in Aufregung versetzen. [...]

19. August 2016. Bei einem Ausflug in den Themenpark Puy du Fou in der Vendée zeigt sich Macron an der Seite des Vicomte Philippe de Villiers. Der Reaktionär vertritt ein vorsintflutliches Familienbild, verteidigt christliche Werte und spricht sich für den repressiven Staat bei vollkommenem Laissez-faire auf wirtschaftlichem Gebiet zugunsten des Großgrundbesitzes und der Industriekonzerne aus. Bei dieser Gelegenheit steckt Macron den anwesenden Journalisten: "Die Ehrlichkeit verpflichtet mich, Ihnen zu sagen, dass ich kein Sozialist bin." Ein Knüller!

30. August 2016. Macron tritt als Wirtschaftsminister zurück und mimt den General de Gaulle bei dessen Aufbruch nach London: "Ich möchte heute eine neue Etappe meines Kampfes einleiten." Den ganzen Tag lang widmen die Fernsehsender BFM TV (Drahi), I-Télé (Bolloré) und selbst das öffentlich-rechtliche France Info diesem historischen Ereignis gefühlt 100 Prozent ihrer Sendezeit. Am Abend ist Macron zu Gast in der Nachrichtensendung "20 heures" auf TF 1 (Bouygues), wo er sich fast achtzehn Minuten lang äußern darf. Das ist mehr als jemals einem anderen Politiker in dieser Sendung gewährt wurde. Dazu vier weitere Beiträge über insgesamt fast zehn Minuten voll des Lobes für den zurückgetretenen Minister. Gleichzeitig spendieren ihm die Abendnachrichten von France 2 ihrerseits zweiundzwanzig Minuten in elf kurzen Beiträgen, alle geradezu hymnisch: "Er fühlt sich auf gleichsam mystische Art und Weise berufen, Frankreich zu dienen. Heute abend bringt er sich in Position, diese Berufung zu erfüllen."

Zwei Jahre hatte Macron als Wirtschaftsminister Gelegenheit, sich in Stellung zu bringen. Er hat die Geschäfte von General Electric, Nokia und Vinci, von Vincent Bolloré (Havas und Vivendi) und Patrick Drahi (SFR) gefördert. Er hat seinen Beitrag geleistet, die Rechte der Arbeiter weiter einzuschränken. Und er hat die Besteuerung auf Erlöse von Wertpapieren, die den Unternehmenschefs qua Posten zugeteilt werden, halbiert.

31. August 2016. Emmanuel Macron ist auf den Titelseiten aller Tageszeitungen in Frankreich.

(S. 136-158) 

Ein etwas empfindsamer, aber gutaussehender junger Mann, so der Autor süffisant, wurde zum König der Franzosen gemacht. Wenngleich von hochrangigsten Kreisen protegiert und in Stellung gebracht, ist er insofern keine beliebige Marionette der Macht, als er sich nach Kräften angedient und mithin qualifiziert hat. Ihn als bestens vernetzt zu bezeichnen, träfe zwar zu, würde aber dem konkreten Beziehungsgeflecht und den Vorgehensweisen der französischen Eliten nicht annähernd gerecht, wie sie Stemmelen herauszuschälen bestrebt ist. Als Jesuitenzögling und Absolvent der Elitehochschule ENA stand Macron die Tür zum höheren Staatsdienst offen, doch wie er zum Protegé einflußreichster Akteure avancierte, sucht seinesgleichen. Wollte man ihm besondere Gaben attestieren, so wäre insbesondere sein Talent zu nennen, weit über das Maß eines austauschbaren Günstlings hinaus persönliche Beziehungen zu Patriarchen und deren Familien zu knüpfen, als sei er ein vielversprechender Schwiegersohn, der nicht nur in den Codes der Eliten trittsicher ist, sondern deren maßgebliche Vorhaben zuverlässig und zielstrebig umzusetzen versteht.

So tritt er beispielsweise auf Empfehlung Serge Weinbergs im September 2008 in die Geschäftsbank Rothschild & Cie. ein, wo er vom bloßen Technokratenanfänger in Rekordzeit bereits Anfang 2011 zum geschäftsführenden Teilhaber befördert wird. Anfang 2012 steuert er die Übernahme der Kindernahrungssparte von Pfizer durch Nestlé, was ihm die Aufmerksamkeit US-amerikanischer Dienste beschert, wie aus von Hillary Clinton empfangenen E-Mails hervorgeht. An diesen und zahlreichen weiteren Beispielen dokumentiert der Autor, auf welche Weise es der Finanzelite gelungen ist, einen ihrer effizientesten Vertrauten an den Schalthebeln des Staates zu plazieren, einen Ultraliberalen, der bereit ist, alles zu geben im Dienst für die großen Vermögen. (S. 7)

In der Wirtschaftspolitik unterscheidet sich Emmanuel Macron kaum von Marine Le Pen. Beide geben wie einst Mussolini vor, weder links noch rechts zu sein, beide sind gegen das Anheben des Mindestlohns, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Abschaffung des Steuernachlasses für Unternehmen und natürlich teilen sie eine tiefe Abneigung gegenüber Gewerkschaften. Wo Le Pen gegen Migranten und Flüchtlinge hetzt, rümpft Macron zwar die Nase, doch seine Politik der Abschiebung, Verfolgung "illegaler" Arbeitskräfte und Weigerung, Schiffbrüchige zu retten, sind nur die heuchlerische Version derselben repressiven Offensive. Für die "autoritäre Verschiebung" des Staates können sich beide verbürgen, doch was den amtierenden Präsidenten als bevorzugte Option des Machtgefüges hervorhebt, ist seine Attitüde, von langer Hand geplante soziale Grausamkeiten nicht nur endlich durchzusetzen, sondern sie seinen Landsleuten auch noch als Luftschlösser innovativen Aufbruchs in bessere Zeiten zu verkaufen - ein absurdes Versprechen, dessen Fadenscheinigkeit in der laufenden Amtszeit des "Jupiterpräsidenten" immer brutaler zutage tritt.

1. Februar 2021


Éric Stemmelen
Operation Macron
Mangroven Verlag Kassel, 2020
223 Seiten
19,00 EUR
ISBN 9783946946151


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