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REZENSION/761: Bruce Cumings - The Korean War: A History (SB)


Bruce Cumings


The Korean War: A History



Der 1943 geborene Historiker Bruce Cumings gehört zu den führenden Ostasienexperten der USA. Der einstige Vorsitzende der Geschichtsfakultät an der renommierten Universität von Chicago hat zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht, allen voran sein preisgekröntes doppelbändiges Werk zur Kontroverse über die Gründe für den Ausbruch des Koreakriegs: Origins of the Korean War, Volume 1 (1980) und Origins of the Korean War, Volume 2 (1991). Von 1967 bis 1968 hat Cumings als Freiwilliger beim Friedenscorps, einer 1961 von Präsident John F. Kennedy geschaffenen unabhängigen US-Bundesbehörde, im damals diktatorisch regierten Südkorea gedient. Später hat er zu Forschungszwecken viel Zeit in dem Land verbracht und schließlich sogar eine Südkoreanerin, die Diplomatentochter und Akademikerin Meredith Jung-En Woo, geheiratet.


Umringt von Soldaten und Presseleuten begrüßen MacArthur und Rhee einander - Foto: U. S. Federal Government, Public domain, via Wikimedia Commons

General Douglas MacArthur umarmt Dr. Syngman Rhee auf dem koreanischen Luftwaffenstützpunkt Kimpo im Oktober 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs
Foto: U. S. Federal Government, Public domain, via Wikimedia Commons

2014 hat Cumings für eine Neuveröffentlichung des 1952 erschienenen, von der Fachwelt, der Presse und der breiten Öffentlichkeit leider sträflich vernachlässigten Buchs "The Hidden History of the Korean War" des berühmten linkslastigen Muckrakers I. F. Stone gesorgt und zur Neuausgabe ein lobendes Vorwort beigesteuert. Vier Jahre zuvor hatte Cumings selbst viel Lob für das Buch "The Korean War: A History" erhalten, das in der englisch-sprachigen Welt seitdem als Standardwerk zum Thema Koreakrieg gilt und im Jahr seines Erscheinens, 2010, in Südkorea mit dem Kim-Dae-Jung-Preis für akademische Leistungen und wissenschaftliche Beiträge zu Demokratie, Menschenrechten und Frieden ausgezeichnet wurde. Cumings' "The Korean War" verdient eine große Leserschaft, denn es gewährt wichtige Einblicke in die aktuelle Lage in Ostasien und um Korea, aber auch um die vor wenigen Tagen aufgeflammte Krise um Taiwan infolge des umstrittenen Besuchs der demokratischen Mehrheitsführerin im US-Repräsentantenhaus Nancy Pelosi.

Nach den Atombombenabwürfen der US-Luftwaffe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 ging nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern für die Bevölkerung Koreas auch die vierzig Jahre währende japanische Besetzung zu Ende. In den Norden marschierten sowjetische Truppen, in den Süden die alliierten Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Australiens ein. Zuvor hatten Ministerialbeamte im State Department in Washington die Zuständigkeitsbereiche auf der Halbinsel durch einen Strich auf der Landkarte entlang des 38. Breitengrads und damit knapp nördlich von Seoul in zwei Hälften geteilt - eine Regelung, gegen die man in Moskau keine Einwände erhob. 1946 zog die Sowjetunion ihre Truppen bis auf einige Militärberater aus der Nordhälfte Koreas ab. Die Streitkräfte der USA und ihrer westlichen Verbündeten blieben im Süden dagegen vorerst stationiert. Das unterschiedliche Verhalten hatte einen triftigen Grund.


Vier US-Soldaten stehen mit nacktem Oberkörper im Schützengraben und beschießen den Gegner mit einer 155-mm-Haubitze - Foto: PFC Wayne H. Weidner, Public domain, via Wikimedia Commons

US-Artilleristen verteidigen nahe Wirson den Pusan-Perimeter im Juli 1950
Foto: PFC Wayne H. Weidner, Public domain, via Wikimedia Commons

Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des kaiserlichen Nippons im Zweiten Weltkrieg hatten die Koreaner in der ersten Hälfte 1945 Bürgerkomitees gegründet, die sich zum Teil aus den Reihen des anti-japanischen Widerstands rekrutierten und die dem befreiten Land eine neue Verfassung samt Regierung geben sollten. Die Bürgerkomitees waren im koreanischen Volk stark verankert, da die meisten Mitglieder aus der gebildeten Mittelschicht, der Arbeiterschaft und dem Kleinbauerntum stammten. Während die Sowjetunion diesen Plänen für ein neues Korea wohlwollend gegenüberstand, lehnten sie die USA ab, die sich im Süden Koreas auf die alte Elite, die Großgrundbesitzer und die einheimischen Sicherheitskräfte, die jahrzehntelang mit den Japanern kollaboriert hatten, stützten.


Aus vier an den Strand aufgelaufenen Landungsschiffen strömen Menschen und Material; am neuen Brückenkopf der UN-Streitkräfte in der Bucht von Incheon herrscht reges Treiben - Foto: C.K. Rose, Public domain, via Wikimedia Commons

MacArthurs größte Stunde: die hochriskante, aber letztlich gelungene amphibische Landung bei Incheon an der von der Volksarmee besetzten Westküste der koreanischen Halbinsel Mitte September 1950
Foto: C.K. Rose, Public domain, via Wikimedia Commons

Während sich im Norden allmählich eine Volksrepublik unter der Führung Kim Il-Sungs herausbildete, holten die Amerikaner den alten Exil-Politiker Syngman Rhee aus den USA nach Seoul, damit er dort einem Quisling-Regime von Washingtons Gnaden vorstehen konnte. Die beiden embryonalen Staatengebilde, die Volksrepublik im Norden und die scheindemokratische Republik Korea im Süden, beanspruchten jeweils die alleinige Herrschaft über die gesamte Halbinsel für sich und betrachteten die Gegenseite als einen Haufen Vaterlandsverräter. Ein militärischer Konflikt um die Wiedervereinigung Koreas, die entsprechende Resolutionen der 1945 gegründeten Vereinten Nationen vorsahen, war praktisch vorprogrammiert. Als 1948 in Seoul die Republik Korea feierlich ausgerufen wurde, bekannte sich der prominente Ehrengast General Douglas MacArthur, der seit drei Jahren von Tokio aus als Oberkommandierender der Alliierten Streitkräfte (Supreme Commander for the Allied Powers - SCAP) Japan und dessen untergegangenes Imperium in der umliegenden Region verwaltete, zur baldigen Beseitigung der Grenze am 38. Breitengrad und der Wiedervereinigung Koreas mit Hilfe der USA.


Seoul bietet ein Bild der Zerstörung, in der Ferne steigen Rauchwolken auf, auf offener Straße führen bewaffnete südkoreanische Soldaten mehr als ein Dutzend Gegangene mit erhobenen Händen ab - Foto: Naval Historical Center, Department of the Navy, Washington, D.C., Public domain, via Wikimedia Commons

Südkoreanische Infanteristen nehmen nach der Rückeroberung Seouls Ende September 1950 Soldaten oder mutmaßliche Sympathisanten der Volksarmee fest
Foto: Naval Historical Center, Department of the Navy, Washington, D.C., Public domain, via Wikimedia Commons

Während sich die Alliierten des Zweiten Weltkriegs, die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, weiter erbittert um die Nachkriegsordnung in Europa und Ostasien stritten, verschärften 1949 zwei Monumentalereignisse die geopolitischen Spannungen. Am 29. August führten sowjetische Wissenschaftler ihren ersten erfolgreichen Atombombentest durch. Als bald darauf amerikanische Messgeräte die radioaktiven Spuren der Explosion registrierten, löste dies im US-Sicherheitsapparat Entsetzen aus. Washingtons Kernwaffenmonopol war plötzlich obsolet - und zwar rund fünf Jahre früher als man damit gerechnet hatte. Sofort machten Amerikas Militaristen Spione in den eigenen Reihen für diesen Umstand verantwortlich und bliesen zur Jagd auf die Verantwortlichen. Angeführt wurde die hässlich-hysterische Aktion im Kongress von dem republikanischen Senator Joseph McCarthy.

Wenige Wochen danach, nämlich am 1. Oktober, rief KP-Chef Mao Zedong vor einer riesigen Menschenmenge auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing die Volksrepublik China aus. In den Wochen und Monaten zuvor waren der Führungskader und Zehntausende Angehörige der im chinesischen Bürgerkrieg von den Kommunisten besiegten Armee der nationalistischen Kuomintang um Chiang Kai-shek auf die Insel Taiwan geflohen. Die Niederlage der chinesischen Nationalisten, denen die USA im Zweiten Weltkrieg gegen Japan und ab 1945 gegen die Volksbefreiungsarmee mit gigantischen Geldsummen, Waffen und Munition sowie sogar 50.000 eigenen Soldaten unter die Arme gegriffen hatten, kam für die außenpolitische Elite in Washington einem Erdbeben gleich. Dort machte die selbstsüchtige Frage die Runde, wer in den USA die Schuld am "Verlust Chinas" als Partner und unschätzbarer Markt trage. Führenden Sinologen im Außenministerium wie Owen Lattimore, die rechtzeitig vor der Korruption, Inkompetenz und Unbeliebtheit der Chiang-Clique beim chinesischen Volk gewarnt und zu einem Modus vivendi mit den Revolutionären um Mao und Chou En-Lai geraten hatten, warfen McCarthy und Konsorten vor, heimliche Bewunderer Joseph Stalins zu sein und das Reich der Mitte der kommunistischen Weltverschwörung überantwortet zu haben.


Luftaufnahme von zahlreichen Eisenbahnwagons, die hinter riesigen Feuerbällen verschwinden - Foto: U.S. Army Military History Institute, Public domain, via Wikimedia Commons

Angriff der US-Luftwaffe auf Züge an einer Abzweigstelle der koreanischen Eisenbahn nahe der Stadt Wonsan an der Nordostküste Koreas im Herbst 1950
Foto: U.S. Army Military History Institute, Public domain, via Wikimedia Commons

Um die eigene demokratische Administration vor den entfesselten Kräften des McCarthyismus zu schützen, ernannte US-Präsident Harry Truman im April 1950 den Wall-Street-Anwalt und republikanischen Scharfmacher John Foster Dulles zum außenpolitischen Sonderberater. Am 19. Juni flog Dulles, der später unter Dwight D. Eisenhower Außenminister der USA werden sollte, nach Südkorea. Vor dem Parlament in Seoul, wo Rhees Anhänger bei den Wahlen Ende Mai die Mehrheit verloren hatten, erklärte Dulles die eiserne Treue der USA zur Republik Korea und zum bedrängten Kuomintang-Regime auf Taiwan. Am nächsten Tag begab er sich demonstrativ zur Frontlinie am 38. Breitengrad und ließ sich von Militärs die sich vor ihm auf der Nordseite erstreckende Landschaft erklären. Danach flog Dulles nach Tokio zu Konsultationen mit MacArthur, der sich dort bereits seit dem 18. Juni mit US-Verteidigungsminister Louis Johnson und Generalstabschef Omar Bradley, die normalerweise ihren Dienst in Washington verrichteten, beriet.


Landkarte Ostasiens mit der koreanischen Halbinsel fast gänzlich in grün für die UN-Streitkräfte und nur kleineren Landstrichen vor der chinesisch-russischen Grenze gelb für die koreanische Volksarmee gezeichnet - Karte: Smallchief, CC BY-SA 4.0

Mitte Oktober 1950 haben die UN-Streitkräfte den größten Teil Koreas unter ihre Kontrolle gebracht (grün) und stehen in Sichtweite des Flusses Yalu und damit der Grenze zur Volksrepublik China
Karte: Smallchief, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Um diese Gespräche ranken sich bis heute Legenden. Fest steht, dass MacArthur ein wichtiger politischer Verbündeter der beiden protestantischen Staatenlenker Rhee und Chiang war. Zudem galt er als offener Gegner der erklärten Absicht von Truman und dessen Außenminister Dean Acheson, Taiwan der Volksrepublik zu überlassen. Als Hauptthema auf der Agenda des großen Powwows in Tokio soll ein möglicher Krieg gegen die Sowjetunion gestanden haben. Nach dem Treffen mit MacArthur prognostizierte Dulles bei seiner Abreise am 21. Juni vieldeutig eine "positive Aktion seitens der Vereinigten Staaten, um den Frieden im Fernen Osten aufrechtzuerhalten". Auf die Frage internationaler Journalisten, was er mit "positiver Aktion" meine, wollte Dulles nicht antworten.

Nur vier Tage später brach unter denkwürdigen Umständen der Koreakrieg los. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni kam es zu Feuergefechten am 38. Breitengrad, von denen später niemand mit Sicherheit sagen konnte, wer sie begonnen hatte. Nach nicht einmal 24 Stunden war die Volksarmee in den Süden einmarschiert und auf dem besten Weg, die Halbinsel vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Später behaupteten MacArthur und sein Geheimdienstchef in Tokio, US-General Charles Willoughby, von der nordkoreanischen Invasion "völlig überrascht" worden zu sein, weil es keinerlei Hinweise auf die logistischen Vorbereitungen gegeben habe. Das ist natürlich absoluter Humbug.


Mehrere Trägerteile der zwei parallel verlaufenden Yalu-Brücken liegen im Fluß; in der Luft hängen Rauch und Staub - Foto: U.S. Navy, Public domain, via Wikimedia Commons

Luftaufnahme der im November 1950 durch Bombenangriffe der US-Luftwaffe schwer beschädigten Brücken am Fluß Yalu, welche die Ortschaften Sinuiju in Korea und Dandong in China verbinden
Foto: U.S. Navy, Public domain, via Wikimedia Commons

Wie I. F. Stone in seiner "verborgenen Geschichte des Koreakriegs" bereits 1952 enthüllte, hatte eine Gruppe Chinesen in den USA mit Verbindung zur Chiang-Familie in Taipeh im Vorfeld des Ausbruchs des Koreakriegs auf der Lebensmittelbörse in Chicago die Preise für Sojabohnen in die Höhe getrieben, gleichzeitig mittels Terminkontrakten, sogenannten "Futures", auf künftig stark sinkende Preise gesetzt und beim Ausbruch der Feindseligkeiten auf der koreanischen Halbinsel Gewinne zwischen 30 und 50 Millionen Dollar eingestrichen, was damals eine enorme Summe war. Bei der brisanten Angabe bezog sich Stone auf das offizielle Ergebnis entsprechender Ermittlungen des US-Landwirtschaftsministeriums, das später von Acheson bei einer Anhörung vor dem Kongreß unter Eid bestätigt worden war.

Nicht nur aufgrund der eigenen Schlagkraft, sondern auch wegen der Sympathie weiter Teile der Bevölkerung Südkoreas hatte die Volksarmee bis August den Süden der Halbinsel fast komplett eingenommen. Die alliierten Streitkräfte und ihre südkoreanischen Verbündeten, die seit dem 27. Juni mit einem UN-Mandat ausgestattet waren, kontrollierten lediglich die Region um die südöstliche, Japan direkt gegenüberliegende Hafenstadt Pusan. In dieser bedrängten Situation schlug MacArthurs größte Stunde als Kriegsstratege. Er ordnete für Mitte September eine hochambitionierte, weil äußerst gefährliche amphibische Landung in der Bucht von Incheon an der koreanischen Westküste unweit von Seoul an. Trotz der dort herrschenden starken Gezeiten gelang die spektakuläre Aktion. Innerhalb weniger Tage hatte die UN-Armee Seoul erobert und die eigenen Truppen am Pusan-Perimeter entlastet. Während besonnene Köpfe in Washington zu einer Wiederherstellung des Status quo ante am 38. Breitengrad rieten, drängte MacArthur auf den Einmarsch in den Norden und setzte sich durch.

In der Truman-Regierung machte man sich große Sorgen, Amerikas vor Ambitionen strotzender Cäsar in Übersee wolle die USA in einen dritten Weltkrieg mit der Sowjetunion stürzen. Deshalb befahl Truman MacArthur, die US-Streitkräfte vom Fluß Yalu, der seit jeher die Grenze zwischen Korea und China markiert, fernzuhalten und eine eventuelle Pufferzone lediglich mit südkoreanischen Soldaten zu besetzen. MacArthur hielt sich aber nicht daran. Im Rausch des Erfolges drangen seine Truppen bis wenige Kilometer vor dem Fluß Jalu vor. Unverhofft bestellte Truman seinen übermächtig gewordenen Feldkommandeur zu einer persönlichen Unterredung ein. Zum ersten und einzigen Mal trafen sich MacArthur und Truman am 15. Oktober auf der winzig kleinen Insel Wake im westlichen Pazifik. Der Präsident ließ sich demonstrativ von Omar Bradley und der restlichen US-Militärführung begleiten.


In der verschneiten Landschaft beiderseits des Flusses Yalu erstreckt sich so weit das Auge reicht eine riesige Schlange chinesischer Soldaten - Foto: Foreign Languages Edition, Pyongyang, Public domain, via Wikimedia Commons

Freiwillige Soldaten aus der Volksrepublik China überqueren Ende 1950 den Yalu-Fluß
Foto: Foreign Languages Edition, Pyongyang, Public domain, via Wikimedia Commons

Das Treffen hatte einen denkbar schlechten Auftakt, als der General, statt zu salutieren, seinem ebenfalls weitgereisten Oberbefehlshaber die Hand gab. Danach verschwanden die beiden Männer zu einem Vier-Augen-Gespräch. In der gängigen Überlieferung bleibt der eigentliche Grund für das sonderbare Treffen auf Wake Island unerwähnt, vielmehr wird das Ereignis lediglich als notwendiger Meinungsaustausch vor einem exotischen Hintergrund auf dem Höhepunkt des Koreakriegs abgehakt. Tatsache ist jedoch, dass Truman MacArthur nach Wake Island beordert hatte, weil zwei Tage zuvor US-Kampfflugzeuge einen Militärstützpunkt in der Sowjetunion, unweit von Wladiwostock, angegriffen hatten. Der Vorfall wurde und wird bis heute als Ergebnis von Navigationsfehlern erklärt. Truman musste jedoch befürchtet haben, dass MacArthur dabei war, auf eigene Faust den Koreakrieg auf die Sowjetunion auszuweiten, weshalb er ihn zur Räson bringen wollte. Jedenfalls existiert kein Protokoll, worüber die beiden Männer sprachen.

Nach Korea zurückgekehrt, musste MacArthur im November und Dezember 1950 erleben, wie sich seine beeindruckenden Geländegewinne in ihr Gegenteil verkehrten. Die sogenannte "bis Weihnachten zuhause"-Offensive, mit der er das siegreiche Ende des Kriegs einzuleiten gedachte, geriet zum Fiasko. In der Region um den Fluss Yalu formierte sich die koreanische Volksarmee neu. Unterstützt von Hunderttausenden von Freiwilligen aus der Volksrepublik China schlugen die Nordkoreaner die UN-Armee zurück und trieben sie durch die schneebedeckten Berge und Täler vor sich her. Zur Jahreswende hatten Kim Il-Sungs Truppen Nordkorea wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Im Januar 1951 eroberten sie Seoul zurück und stießen erneut in den Süden vor. In dieser Lage kam es auf amerikanischer Seite zu ernsthaften Überlegungen bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen. Doch am 11. April schickte Truman MacArthur plötzlich in die Wüste. Kurz zuvor hatte Amerikas damals beliebtester General in einem offenen Brief an Joseph Martin, Fraktionschef der oppositionellen Republikaner im US-Repräsentantenhaus, die Kriegsstrategie des Weißen Hauses in Ostasien als viel zu zögerlich und unentschlossen angesichts der kommunistischen Weltbedrohung kritisiert. Wegen ungebührlichen Verhaltens dem Präsidenten und damit dem verfassungsgemäßen Oberkommandierenden gegenüber musste MacArthur seinen Hut nehmen.


Zahlreiche eingeschneite US-Soldaten sitzen an einem Gebirgspass in ihren Jeeps oder hocken und sitzen auf dem eiskalten Boden - Foto: Sergeant Frank C. Kerr, U.S. Marines (Official Marine Corps Photo No. A4852) [http://www.tecom.usmc.mil/HD/images/KWC/Combat_photos/Chosin/A-4852.JPG], Public domain, via Wikimedia Commons

Ausgelaugte US-Marineinfanteristen machen kurz Rast im Verlauf ihres wochenlangen, schwer bedrängten Rückzugs von der chinesischen Grenze Ende November, Anfang Dezember 1950
Foto: Sergeant Frank C. Kerr, U.S. Marines (Official Marine Corps Photo No. A4852) [http://www.tecom.usmc.mil/HD/images/KWC/Combat_photos/Chosin/A- 4852.JPG], Public domain, via Wikimedia Commons

Noch bis September 1951 tobte der militärische Konflikt in Korea auf einem hohen Niveau. Danach flaute er allmählich zu einem Stellungskrieg um den 38. Breitengrad ab. Bereits im Juli 1951 war es in Kaesong zu ersten formellen Friedensverhandlungen gekommen. Dennoch dauerte es weitere zwei Jahre, bis am 27. Juli 1953 der Waffenstillstand unterzeichnet werden konnte. De jure ist der Koreakrieg niemals zu Ende gegangen, sondern wurde lediglich unterbrochen und besteht bis heute. Der Krieg hat den Menschen auf der Halbinsel Zerstörung und Leid in einem unvorstellbaren Ausmaß gebracht. Die Zahl der Getöteten wird auf drei Millionen beziffert. Die US-Luftwaffe hat so viele Bomben und Brandsätze auf Ziele in Nordkorea abgeworfen, dass ihr Oberkommandeur, General Curtis LeMay, später damit prahlte, im ganzen Land hätten keine zwei Steine aufeinander gestanden. Derselbe LeMay sollte sich später, während der Kuba-Krise 1962, gegenüber Präsident John F. Kennedy als Hauptverfechter eines Atomwaffenangriffs auf die sowjetischen Streitkräfte aufspielen.

Eine besondere Stärke des Buchs von Bruce Cumings ist dessen Augenmerk auf das Martyrium der koreanischen Zivilbevölkerung. Deren Dörfer wurden vielfach von der US-Luftwaffe mit Napalm bombardiert. Dazu kommt, dass einfache Arbeiter und Bauern wegen des Verdachts einer Zusammenarbeit mit der Volksarmee von der südkoreanischen Armee und Polizei häufig grausam misshandelt und getötet wurden. So kam es im Verlauf des Krieges zu unzähligen Massakern mit Tausenden von getöteten Männern, Frauen und Kindern. Die Massenmorde auf der Insel Jeju-do und in der südwestlichen Region Jeolla-do, die damals wie heute als liberale Hochburg galt bzw. gilt, hebt Cumings als besonders grässliche Beispiele hervor.

Die einzige Enttäuschung des vorliegenden Buchs ist der Umstand, dass Cumings offenbar aus Gründen der politischen Rücksichtnahme mit keinem Wort den Einsatz biologischer Kampfmittel durch die US-Streitkräfte gegen Nordkorea erwähnt. Zwar hat Washington damals derartige Berichte dementiert und entsprechende Aussagen seitens US-Kriegsgefangener als das Ergebnis kommunistischer "Gehirnwäsche" abgetan, doch wurden die schweren Kriegsverbrechen, die eine Fortsetzung der grauenhaften Kampfmittelforschung japanischer Militärärzte der berüchtigten Einheit 731 an lebenden chinesischen Gefangenen in der Mandschurei während des Zweiten Weltkriegs darstellten, 1952 von einer International Scientific Commission (ISC) unter der Leitung des berühmten britischen Wissenschaftlers und Universalgelehrten Dr. Joseph Needham eindeutig nachgewiesen.


Ein junger Kim Il-Sung in weißer Paradeuniform vor einer Weltkarte sitzend, bekommt das Waffenstillstandsabkommen zur Unterzeichnung vorgelegt - Foto: Unknown North Korean photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Kim Il-Sung unterzeichnet am 27. Juli 1953 das Waffenstillstandsabkommen
Foto: Unknown North Korean photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Auch wenn Amerikas Kriegsfalken um MacArthur und Dulles auf dem Schlachtfeld in Korea nicht all ihre Ziele erreichen konnten, hat die dreijährige Blutorgie doch für sie wichtige Erfolge gezeitigt. Die US-Rüstungsindustrie wurde wieder angekurbelt und blieb als mächtiger innenpolitischer Machtfaktor erhalten, während der nationale Sicherheitsstaat dauerhaft installiert wurde. Die einstigen Feinde Japan und Westdeutschland konnten wiederbewaffnet und zu den wichtigsten antikommunistischen Bollwerken Amerikas in Europa und Asien ausgebaut werden. Die USA haben Südkorea in einen Brückenkopf auf der asiatischen Landmasse verwandelt; dort sind heute noch 37.500 amerikanische Militärangehörige samt Raketenabwehrsystemen stationiert. Und letztlich wurde Taiwan zum unsinkbaren Flugzeugträger vor der Südküste der Volksrepublik China und bekam dafür von den USA eine Sicherheitsgarantie, die bis heute die Funktion hat, Spannungen zwischen Peking und Washington am Leben zu halten.

7. August 2022

Bruce Cumings
The Korean War
A History
Modern Library/Random House, New York, 2010
320 Seiten
ISBN-13: 978-0812978964


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 176 vom 13. August 2022


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