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AFRIKA/159: Kalaschnikows für Kinder (ai journal)


amnesty journal 05/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Kalaschnikows für Kinder

Wer etwas gegen Kindersoldaten tun will, muss Kriege verhindern, sagt Ishmael Beah (26), der als Kind im Bürgerkrieg von Sierra Leone kämpfte.


FRAGE: Der Westen interessiert sich so sehr für das Thema Kindersoldaten, dass sich die deutsch-eritreische Sängerin Senaid Mehari sogar eine entsprechende Geschichte ausdachte, um bekannter zu werden. Woher wissen wir, dass Ihre Geschichte stimmt?

ISHMAEL BEAH: Alle Fakten in meinem Buch wurden überprüft. Menschen, die trotzdem an meiner Geschichte zweifeln, können sich nicht vorstellen, dass ich all das durchgemacht und trotzdem überlebt habe. Es ist leichter zu sagen: "Das ist nicht wahr", als anzunehmen, dass sich jeder von uns in der Barbarei eines Krieges verlieren könnte. Als der Bürgerkrieg mein Dorf noch nicht erreicht hatte, sagten wir: "Quatsch, unmöglich, niemand kann so grausam sein." - Wenig später war der Krieg bei uns...

FRAGE: ... und Sie verloren Ihre Familie. Die Armee rekrutierte Sie im Alter von 13 Jahren als Kindersoldaten. Welche Rolle spielten Kindersoldaten im Bürgerkrieg?

ISHMAEL BEAH: Kinder kämpften in der Regierungsarmee und an der Seite der Rebellen. Die meisten von ihnen hatten alles verloren, ihre Familien, ihr Zuhause. Die Truppe war das einzige, was ihnen Halt gab. Sie wurden aber nicht nur zum Kämpfen missbraucht. Kinder waren auch Träger, Köche, Sexsklaven.

FRAGE: Mit Hilfe so genannter Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme versucht man, sie in die Gesellschaft zurückzuführen. Wie erfolgreich war das Programm in Sierra Leone?

ISHMAEL BEAH: Ich bin einer der "Erfolge", aber es wurden viele Fehler gemacht. Wenn man einen Kindersoldaten wiedereingliedern will, muss die Dorfgemeinschaft an dem Prozess beteiligt werden. Geschieht das nicht, entsteht rasch das Gefühl, die Täter würden für ihre Verbrechen auch noch belohnt: Die Kindersoldaten bekommen regelmäßig etwas zu essen, werden medizinisch versorgt, gehen zur Schule. Die Leute in den Dörfern, die unter den Übergriffen gelitten haben, gehen leer aus und fangen an, dich zu hassen. Das Programm in Sierra Leone hat versagt, diese Kluft zwischen Gemeinschaft und ehemaligen Kämpfern zu überbrücken.

FRAGE: Essen, Medizin, Schulbildung - ist die Wiedereingliederung von Kindersoldaten so einfach?

ISHMAEL BEAH: Wenn nicht dafür gesorgt wird, dass sie auch nach Ende des Programms weiter zur Schule gehen können, werden viele rückfällig. Und leider sind die Programme nicht langfristig angelegt, während ein Friedensprozess aber seine Zeit braucht. All das ist bekannt - was fehlt, ist der politische Wille, die Probleme anzugehen.

FRAGE: Sierra Leone erscheint relativ stabil. Der elfjährige Bürgerkrieg ist seit 2002 vorbei, 2007 gab es Wahlen.

ISHMAEL BEAH: Aber zu viele Wunden sind noch offen. Im Krieg wurden zahlreiche Dörfer zerstört, viele davon sind bis heute nicht wieder aufgebaut - wie soll man so den Krieg vergessen können? Die Regierung bleibt tatenlos, und die Menschen sind frustriert. Ihnen fehlen die notwendigsten Dinge, und sie bekommen nicht die Unterstützung, die sie eigentlich bräuchten. Wir haben seit letztem Jahr eine neue Regierung, die hoffentlich einiges besser machen wird. Aber es ist noch zu früh, das einzuschätzen. Von einem abgeschlossenen Friedensprozess kann jedenfalls nicht die Rede sein.

FRAGE: Sie haben in den USA eine Stiftung gegründet. Wie soll damit ehemaligen Kindersoldaten geholfen werden?

ISHMAEL BEAH: Ich möchte dort anknüpfen, wo die Arbeit der Rehabilitierungszentren aufhört. Das Programm soll Menschen in den Dorfgemeinschaften ausbilden, sich um die Kinder zu kümmern. Und mit Hilfe von Stipendien sollen die Kinder zur Schule gehen können. Das Pilotprojekt startet dieses Jahr.

FRAGE: Es werden aber auch immer wieder neue Kindersoldaten rekrutiert.

ISHMAEL BEAH: Um langfristig etwas gegen das Problem tun zu können, dürfen Kriege gar nicht erst entstehen. Sobald Krieg ist, werden Kinder rekrutiert. Sogar finanziell gesehen lohnt es sich, Kriege zu vermeiden, statt danach das Chaos zu beseitigen. Dazu müsste die internationale Gemeinschaft aber geschlossen handeln und dürfte korrupten Herrschern beispielsweise nicht erlauben, harte Währung auf Schweizer Konten zu horten. Sierra Leone ist reich an Diamanten, aber die meisten Menschen haben noch nie einen Diamanten gesehen. Warum kann man die Diamanten nicht in Sierra Leone schleifen lassen und so Arbeitsplätze schaffen? Stattdessen werden sie als Rohmaterial direkt ins Ausland geschafft. Es sind Kleinigkeiten, leicht umsetzbar, aber der politische Wille fehlt.

FRAGE: Charles Taylor, Rebellenführer, Drahtzieher des Bürgerkriegs in Sierra Leone und Ex-Präsident von Liberia, muss sich seit 2007 vor dem Internationalen Strafgerichtshof für seine Kriegsverbrechen verantworten. Interessiert das die Menschen in Sierra Leone?

ISHMAEL BEAH: Es ist gut, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, denn im Krieg haben die Menschen ihr Vertrauen in Recht und Gesetz verloren. Sie glauben, dass du als Politiker über dem Gesetz stehst. Wenn jetzt Gerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen angestrengt werden, ist das psychologisch wichtig. Was mich aber traurig macht, ist die Tatsache, dass der Prozess gegen Taylor in Den Haag stattfindet.

FRAGE: "Aus Sicherheitsgründen", wie es offiziell heißt...

ISHMAEL BEAH: ... aber es hätte viel weniger gekostet, Taylor in Sierra Leone vor Gericht zu bringen und die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Aber niemand hat von den Kosten gesprochen. Jetzt können lokale Journalisten nicht vom Prozess berichten, weil sie es sich nicht leisten können, nach Den Haag zu fliegen. Von dem Prozess bekommen die Menschen in Sierra Leone praktisch nichts mit. Ginge es wirklich um Wiedergutmachung, würde Taylor in Sierra Leone vor Gericht stehen. Stattdessen bedient der Prozess allein die Bedürfnisse der internationalen Gemeinschaft.

FRAGE: Sie leben inzwischen in den USA. Welchen Bezug haben Sie noch zu Sierra Leone?

ISHMAEL BEAH: Ich liebe das Land, egal, was mir dort passiert ist. Ich glaube, dass Sierra Leone mir die Kraft gegeben hat, nach den Erlebnissen im Bürgerkrieg trotzdem weiterzumachen.

Interview: Rebekka Rust


Ishmael Beah 126) kämpfte als Kind drei Jahre im Bürgerkrieg in Sierra Leone, bevor er mit 16 in ein von UNICEF unterstütztes Rehabilitierungszentrum kam. Beah unterstützt die internationale Kampagne gegen den Missbrauch von Kindersoldaten und ist Autor von "Rückkehr ins Leben. Ich war Kindersoldat".


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UNO-KINDERRECHTSKONVENTION

Trotz internationaler Abkommen gibt es Schätzungen zufolge 300.000 Kindersoldaten weltweit. Viele von ihnen werden zwangsrekrutiert und mit Drogen an die Waffe gezwungen. Gemäß der UNO-Kinderrechtskonvention gilt die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren als Kriegsverbrechen. Wer dagegen verstößt, kann vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden. Mit dem Zusatzprotokoll zu Kindern in bewaffneten Konflikten, das 2002 in Kraft trat, wurde die Altersgrenze für die Zwangsrekrutierung und den Einsatz von Kindern im Konflikt auf 18 Jahre angehoben.


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2008, S. 30-31
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2008