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AKTION/1040: Urgent Action - Syrien - Ärzte in Haft gefoltert


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-114/2012-1, AI-Index: MDE 24/042/2012, Datum: 9. Mai 2012 - gs

Syrien
Ärzte in Haft gefoltert



DR. MAHMOUD AL REFAAI, Kardiologe
DR. MOHAMAD OSAMA AL-BARROUDI, Gastroenterologe

Dr. Mohamad Osama Abdulsalam Al-Baroudi wurde am 18. Februar 2012 in Damaskus in seiner dort von ihm betriebenen Klinik festgenommen und befindet sich seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Der Arzt ist mutmaßlich gefoltert worden. Amnesty International ist deshalb in großer Sorge um seinen Gesundheitszustand. Auch sein Medizinerkollege Mahmoud Al Refaai, dessen Festnahme am 16. Februar erfolgt war, befindet sich weiterhin ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft.

Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi, Facharzt für Magen-Darmkrankheiten, wurde nach Auskunft seiner KlinikkollegInnen am 18. Februar 2012 in dem von ihm betriebenen Krankenhaus von Angehörigen der syrischen Kriminalpolizei festgenommen. Die Familie des Arztes erfuhr durch seine KollegInnen von der Festnahme. Nach Angaben eines im Ausland lebenden Familienmitglieds wurde den KollegInnen von Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi offenbar mitgeteilt, er sei zur Wache der Kriminalpolizei in der Nähe der Klinik gebracht worden. Als sich die Familie jedoch auf der fraglichen Wache nach ihrem Angehörigen erkundigte, bestritten die Diensthabenden, Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi dort in Haft zu halten.

Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi scheint später zum Stützpunkt des Luftwaffengeheimdienstes in al-Mezzeh, einem Vorort von Damaskus, gebracht worden zu sein. Ein kürzlich frei gelassener Arzt gab an, dort sei er Ende Februar gemeinsam mit Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi und dem am 16. Februar festgenommenen syrischen Kardiologen Dr. Mahmoud Al Refaai in Haft gehalten worden. Der wieder in Freiheit lebende Arzt berichtete, mehrfach beobachtet zu haben, wie seine beiden Berufskollegen unter anderem mit Schlägen gefoltert worden sind. Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er über Schmerzen im Brustbereich geklagt hatte. Seine Familie ist um ihn äußerst besorgt, da er aufgrund von Diabetes und erhöhtem Blutdruck regelmäßig Medikamente einnehmen muss. Außerdem wurde Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi ein Bypass im Darmbereich gelegt, weshalb er spezielle Nahrung wie auch Nahrungsergänzungsmittel benötigt. Es ist unklar, ob ihm diese Mittel oder seine Medikamente verabreicht werden.

Nach Kenntnis von Amnesty International haben sich die syrischen Behörden zu den Gründen für die Festnahme der beiden Ärzte nicht geäußert. Der jüngst frei gelassene Arzt berichtete der Organisation, er vermute, dass seine eigene Festnahme und die erlittene Folter darauf zurückzuführen sei, dass er verletzten Demonstrierenden medizinische Hilfe geleistet habe. Seiner Einschätzung nach könnten Dr. Mohammad Osama Al-Baroudi und Dr. Mahmoud Al Refaai aus den gleichen Gründen festgenommen worden sein.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der freigelassene Arzt erklärte Amnesty International weiterhin, dass er sowohl Dr. Mahmoud Al Refaai als auch Dr. Osama Al-Baroudi in schmerzhaften Positionen wie der Shabeh-Position, gesehen habe. Bei der Shabeh-Position werden die Folteropfer an den gefesselten Hand- oder Fußgelenken an einem Haken aufgehängt. Offensichtlich zwang man sie außerdem über längere Zeit, nackt im Innenhof der Haftanstalt zu stehen, während man sie in regelmäßigen Abständen mit kaltem Wasser übergoss. Amnesty International wurde weiterhin berichtet, dass der Großteil der Hafträume nur 2 mal 1,7 Meter groß seien, jedoch 10 bis 15‍ ‍Menschen darin festgehalten werden.

Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi stammt aus der Stadt und gleichnamigen Provinz Hama, einer Hochburg der Anfang 2011 ausgebrochenen Unruhen. Ein anderer frei gelassener Gefangener hat in der Haft mitbekommen, wie Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi mehrfach wegen seines Geburtsorts beschimpft worden ist.

Die Demonstrationen für Reformen in Syrien begannen im Februar 2011 und entwickelten sich im März, nachdem erstmals TeilnehmerInnen getötet worden waren, zu Massenprotesten. Obwohl die Demonstrationen weitgehend friedlich verliefen, reagierten die Behörden in ihrem Bestreben, die Proteste niederzuschlagen, mit großer Brutalität. Seitdem finden zwar auch weiterhin friedliche Demonstrationen statt, zunehmend nehmen die Proteste aber auch gewalttätige Züge an. Bewaffnete Oppositionsgruppen, von denen sich viele unter dem Namen "Freie Syrische Armee" in einem losen Verbund zusammen geschlossen haben, verüben Anschläge, die sich in erster Linie gegen die syrischen Sicherheitskräfte richten. Amnesty International verfügt über die Namen von mehr als 9000 Menschen, die Berichten zufolge seit Mitte März 2011 im Zusammenhang mit den Demonstrationen gestorben sind oder getötet wurden. Auch Angehörige der Sicherheitskräfte sind getötet worden, einige von abtrünnigen Soldaten, die ihre Waffen nun gegen die Regierung einsetzen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Es bereitet mir große Sorge, dass Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi und Dr. Mahmoud Al Refaai seit ihrer Festnahme am 18. bzw. 16. Februar unter Bedingungen festgehalten werden, die dem Verschwindenlassen gleichkommen. Ich fordere Sie auf, beiden Männern jegliche erforderliche medizinische Versorgung zu gewähren, sie vor Folter und anderen Misshandlungen zu schützen und ihnen sofort Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen zu verschaffen.

- Ich fordere Sie auf, Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi und Dr. Mahmoud Al Refaai unverzüglich und bedingungslos freizulassen, falls sie sich allein wegen der medizinischen Versorgung von verletzten Personen als gewaltlose politische Gefangene in Haft befinden.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace
al-Rashid Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410
INNENMINISTER
His Excellency Major General Mohamad Ibrahim al-Shaar
Ministry of Interior
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 211 9578

AUßENMINISTER
Walid al-Mu'allim
Ministry of Foreign Affairs
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 214 6253


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herr Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de
press@syrianembassy.de
secretary@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 20. Juni 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi and Dr Mahmoud Al Refaai have been held in conditions amounting to enforced disappearance since 18 February and 16 February 2012 respectively, and urging the authorities to ensure that they are provided with all necessary medical care, protected from torture and other ill-treatment and given immediate access to their families and lawyers.

- Calling for Dr. Mohamad Osama Al-Baroudi and Dr Mahmoud Al Refaai and to be released immediately and unconditionally if they are held as prisoners of conscience solely for providing medical treatment to injured people.


HINTERGURNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

In den vergangenen zwölf Monaten sind tausende mutmaßliche GegnerInnen der syrischen Regierung festgenommen und viele von ihnen, vermutlich sogar die Mehrzahl, gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Amnesty International liegen die Nahmen von mehr als 350 Menschen vor, die Berichten zufolge in dieser Zeit in Haft gestorben sind. Die Organisation hat außerdem zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Häftlinge gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sind. Für weitere Informationen zu Fällen von Folter und anderen Misshandlungen von syrischen Häftlingen siehe den englischen Bericht: "I wanted to die": Syria's torture survivors speak out, März 2012,
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE24/016/2012/en

Amnesty International liegen zudem zahlreiche Berichte über Fälle offenkundigen Verschwindenlassens vor, in denen die syrische Regierung den Familienangehörigen keinerlei Informationen über den Verbleib der "verschwundenen" Personen zukommen ließ. In den meisten dieser Fälle sollen die Festnahmen von Sicherheitskräften ausgeführt worden sein.

Die syrische Regierung hat zwar am 27. März 2012 den von Kofi Annan, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, vorgelegten Sechs-Punkte-Plan sowie das Waffenstillstandsabkommen vom 12. April akzeptiert, gleichwohl gehen bei Amnesty International auch weiterhin Meldungen über Festnahmen und anhaltende Inhaftierungen ein. Die Bedingungen, unter denen Menschen in Syrien in Haft gehalten werden, kommen dem Verschwindenlassen gleich. Amnesty International hat darüber hinaus Menschenrechtsverletzungen an verwundeten Personen und MedizinerInnen in einigen syrischen Krankenhäusern dokumentiert. Nähere Informationen finden sich in dem englischsprachigen Bericht Health crisis: Syrian government targets the wounded and health workers,
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE24/059/2011/en

Seit April 2011 dokumentiert Amnesty International in Syrien systematische und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Die Organisation ruft seither dazu auf, die Situation in Syrien der Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterbreiten, ein internationales Waffenembargo gegen das Land zu verhängen sowie die Vermögenswerte von Präsident al-Assad und seinen engsten Vertrauten einzufrieren.

Die interaktive Website www.eyesonsyria.org gibt Auskunft, wo in Syrien die Menschenrechte verletzt werden und welche Initiativen Amnesty International weltweit auf den Weg gebracht hat, um Gerechtigkeit herbeizuführen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-114/2012-1, AI-Index: MDE 24/042/2012, Datum: 9. Mai 2012 - gs
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012