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AKTION/1148: Urgent Action - Tadschikistan, Folter soll "Geständnis" bringen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-220/2012, AI-Index: EUR 60/006/2012, Datum: 24. Juli 2012 - gs

Tadschikistan
Folter soll "Geständnis" bringen



45-JÄHRIGER MANN, Name unbekannt

Am 13. Juli wurde ein 45-jähriger Mann unter dem Verdacht festgenommen, den Schwager des tadschikischen Staatspräsidenten getötet zu haben. Er befindet sich derzeit in der Hauptstadt Duschanbe in Polizeihaft. Dort ist er nach Angaben von ZeugInnen gefoltert oder anderweitig misshandelt worden, um ihn zu einem "Geständnis" zu zwingen.

Am 13. Juni wurde der Ehemann der älteren Schwester von Präsident Rahmon mit mehreren Schüssen im Kopf tot aufgefunden. Am 13. Juli nahmen die Behörden einen 45 Jahre alten Mann unter dem Verdacht des Mordes und der Beteiligung an einem terroristischen Anschlag (Paragraph 104 und 179, Absatz 3 des Strafgesetzbuchs) in Haft, nachdem vor seiner Wohnung in einem Wassertank Munition entdeckt worden war. Der Mann gab an, die Munition gehöre ihm nicht, sondern sei von der Polizei dort deponiert worden, als die Ordnungskräfte sein Anwesen ein drittes Mal durchsuchten. Zu Beginn der ersten Vernehmung des 45-Jährigen war ein Rechtsbeistand zugegen, vom 16. bis 21. Juli wurde ihm jedoch kein Zugang zu rechtlicher Vertretung gewährt. Aus Quellen vor Ort verlautete, der Mann sei in der Hafteinrichtung der Polizeiwache von Duschanbe, wo er derzeit noch immer festgehalten wird, schwer gefoltert worden. Man habe ihm feste und flüssige Nahrung verweigert, ihm die Nase gebrochen und Schläge auf die Ohren versetzt, ihn am Schlafen gehindert und gezwungen, die gesamte Nacht stehend auszuharren. Darüber hinaus ist der Mann psychologischer Folter ausgesetzt, indem man unter anderem seine Familie mit Drohungen drangsaliert.

Der Mann, über dessen Namen sich die Behörden ausschweigen und der von seiner Familie drei Mal täglich mit Essen versorgt wird, darf nach vorliegenden Meldungen nur Nahrung zu sich nehmen und sich ein wenig ausruhen, wenn sein Rechtsbeistand ihn besucht. Nach den Besuchen wird er nach eigenen Angaben jedes Mal mit Schlägen traktiert, um ihn zu einem "Geständnis" zu zwingen. MitarbeiterInnen der beim Innenministerium angesiedelten Kriminalpolizei haben den 45-Jährigen in einem Wagen mit getönten Scheiben zum Tatort gefahren und dort geschlagen.

Am 21. Juli beantragte der Rechtsbeistand des Mannes bei der Ermittlungsabteilung der Generalstaatsanwaltschaft, seinen Mandanten durch einen Rechtsmediziner untersuchen zu lassen. Der Antrag soll jedoch abgewiesen worden sein. Ehefrau und Sohn des 45-Jährigen sind Berichten zufolge gezwungen worden, wider besseres Wissen gegen ihn auszusagen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Tadschikistan mit seinen rund 7,2 Millionen EinwohnerInnen grenzt im Osten an die Volksrepublik China, im Süden an Afghanistan, im Westen an Usbekistan und im Norden an Kirgisistan. Das Land erlangte 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Nach dem Zerfall des Sowjetreichs begann 1992 in Tadschikistan ein verheerender Bürgerkrieg, der bis 1997 andauerte. Der tadschikische Präsident Emomali Rahmon ist seit 1994 im Amt. Er hat das Land relativ erfolgreich konsolidiert und sieht sich vor dem Hintergrund möglicher neuer Unruhen als einen unverzichtbaren Garanten für Stabilität und Frieden. Die prekäre wirtschaftliche Lage Tadschikistans und die politisch instabile Situation im benachbarten Afghanistan bergen die Gefahr erneuter Unruhen.

Amnesty International beanstandet schwere Menschenrechtsverletzungen in Tadschikistan wie Folter und andere Misshandlungen durch Ordnungskräfte, Straffreiheit für Folternde, Gewalt gegen Frauen und Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Seit einigen Jahren sehen sich unabhängige Medien und JournalistInnen straf- und zivilrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, wenn sie die Regierung kritisieren. Aus Tadschikistan wird zum Beispiel über Elektroschocks, die Befestigung von mit Wasser oder Sand gefüllten Plastikflaschen an den Genitalien der Gefangenen, Vergewaltigung und Verbrennungen mit Zigaretten berichtet. Schläge mit Schlagstöcken, Knüppeln und Stöcken sowie Tritte und Faustschläge sind Berichten zufolge ebenfalls an der Tagesordnung.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie dringend auf sicherzustellen, dass der unter dem Verdacht des Mordes am Schwager des Staatspräsidenten festgenommene Mann weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt wird. Veranlassen Sie bitte unverzüglich eine unabhängige Untersuchung von Vorwürfen, denen zufolge er nach seiner Festnahme gefoltert worden ist, und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.
  • Ich bitte Sie nachdrücklich, eine umgehende Untersuchung des 45-Jährigen durch einen unabhängigen Arzt zu veranlassen und die Untersuchungsergebnisse sowohl seinem Rechtsbeistand als auch seiner Familie zukommen zu lassen.
  • Ich bin sehr besorgt darüber, dass der Mann in den Tagen vom 16. bis 21. Juli von seinem Rechtsbeistand nicht besucht werden durfte. Stellen Sie bitte sicher, dass er nur im Beisein seiner rechtlichen Vertretung vernommen wird.
  • Ergreifen Sie bitte umgehend Maßnahmen zum Schutz seiner Familie.

APPELLE AN

PRÄSIDENT
Emomali Rahmon
Dom Pravitelstva
Pr. Rudaki 80, 734023 Dushanbe
TADSCHIKISTAN
(korrekte Anrede: Dear President Rahmon / Sehr geehrter Herr Präsident)
E-Mail: mail@president.tj

INNENMINISTER
R. Rahimov
Tekhron Street 29, 734025 Dushanbe
TADSCHIKISTAN
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 992) 37 221 26 48


KOPIEN AN

AUßENMINISTER
H. Zaripov
42 Rudaki Avenue
734051 Dushanbe
TADSCHIKISTAN
E-Mail: info@mfa.tj

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TADSCHIKISTAN
S.E. Herrn Imomudin Sattorov
Perleberger Straße 43
10559 Berlin
Fax: 030-3479 3029
E-Mail: info@botschaft-tadschikistan.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Tadschikisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. September 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urge the authorities to ensure that the individual being held as a suspect for the murder of the President's brother-in-law is protected from torture and other ill-treatment, order a prompt, independent investigation into allegations that he has been tortured and bring those responsible to justice.
  • Urge them to ensure that he is examined promptly by an independent doctor and the results provided to his lawyer and family.
  • Express concern that he was not allowed to see his lawyer between 16 and 21 July and urge them to ensure that he is interrogated only in the presence of his lawyer.
  • Urge the authorities to take immediate measures to protect his family.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die Behörden haben jüngst Maßnahmen zur Unterbindung von Folterpraktiken eingeleitet. So wurde im März dieses Jahres der Tatbestand der Folter in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Die Definition von Folter orientiert sich dabei an den Vorgaben im Völkerrecht. Zudem soll der Innenminister am 13. Juli die Polizeibehörden angewiesen haben, Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass es in den Tagen nach der Festnahme von Menschen zu Folterungen oder anderen Misshandlungen kommt. Amnesty International ist allerdings überzeugt, dass es noch weiterer zielgerichteter Maßnahmen bedarf, um zukünftig Folterungen oder Misshandlungen an Untersuchungshäftlingen zu verhindern. So müssen beispielsweise Schutzvorkehrungen gegen Folter wie etwa der Zugang zu einem Rechtsbeistand konsequent umgesetzt werden. Die Strafprozessordnung spricht einer jeden Person das Recht zu, unmittelbar nach der Festnahme Kontakt zu einem Rechtsbeistand aufzunehmen. In der Praxis können die Ermittlungsbehörden Häftlingen jedoch mehrere Tage lang den Zugang zu rechtlicher Vertretung verwehren. Während dieser Zeit befinden sich die Gefangenen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft und sind dadurch in erhöhtem Maß von Folter oder anderweitiger Misshandlung bedroht. Recherchen von Amnesty International deuten darauf hin, dass für Menschen, die unter der Anklage der Gefährdung der nationalen Sicherheit inhaftiert worden sind, ein besonders hohes Risiko besteht, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden.

Weitere Informationen in englischer Sprache finden sich in den beiden folgenden Berichten: Shattered Lives: Torture and other ill-treatment in Tajikistan (Index: EUR 60/004/2012) und No Justice, No Protection: Torture and Other Ill-treatment by Law Enforcement Officials in Tajikistan (Index: EUR 60/005/2012).

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-220/2012, AI-Index: EUR 60/006/2012, Datum: 24. Juli 2012 - gs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2012