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AKTION/1504: Urgent Action - Russische Föderation, drohende Folter bei Auslieferung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-150/2013, AI-Index: EUR 46/017/2013, Datum: 10. Juni 2013 - ar

Russische Föderation
Drohende Folter bei Auslieferung



MAHAMADILLO KADIRZHANOV, 42-jähriger ethnischer Usbeke
GAIRATBEK SALIEV, 24-jähriger ethnischer Usbeke
BAHTIJOR MAMASHEV, 28-jähriger ethnischer Usbeke

Drei ethnischen Usbeken droht die Auslieferung von Russland an Kirgisistan, wo sie in großer Gefahr wären, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Ihre Rechtsbeistände sind der Ansicht, dass die gegen die Männer erhobenen Vorwürfe jeder Grundlage entbehren und ethnisch motiviert sind.

Gairatbek Saliev, Bahtijor Mamashev und Mahamadillo Kadirzhanov sind ethnische Usbeken aus dem Gebiet Dschalalabad im Südwesten Kirgisistans. Die drei Männer waren im Juli 2010 nach Russland geflohen, nachdem es im Monat zuvor im Süden Kirgisistans zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Kirgisen und Usbeken gekommen war, die vier Tage lang anhielten. Gegen die Männer waren in Kirgisistan gemäß dem Strafgesetzbuch mehrere Vorwürfe erhoben worden: Man warf ihnen Mord, Massenaufruhr, Raub, mutwillige Zerstörung von Eigentum und illegalen Waffen- und Munitionsbesitz vor. Die Anklagen standen in Verbindung mit den Vorfällen im Juni 2010, als es in der Nähe der Baumwollfabrik SANPA in der Region Susak zu Ausschreitungen kam und 16 Personen getötet wurden, darunter auch ethnische Kirgisen und Sicherheitskräfte. 19 Personen, alles ethnische UsbekInnen, wurden in diesem Zusammenhang im November 2010 verurteilt. 18 von ihnen erhielten in einem Gerichtsverfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren nicht entsprach und erhobenen Foltervorwürfen nicht nachging, eine lebenslange Haftstrafe. Gairatbek Saliev, Bahtijor Mamashev und Mahamadillo Kadirzhanov beteuern, nicht an den gewalttätigen Ausschreitungen vom Juni 2010 beteiligt gewesen zu sein. Die Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation bewilligte am 27. Februar 2013 den Auslieferungsantrag für Gairatbek Saliev und Bahtijor Mamashev, und am 18. März den für Mahamadillo Kadirzhanov.

Im April wiesen russische Bezirksgerichte die Rechtsmittel der Männer gegen die Auslieferung zurück. Die letztinstanzliche Anhörung im Berufungsverfahren von Gairatbek Saliev ist für den 19. Juni vor dem Oberstern Gerichtshof der russischen Föderation angesetzt. Die Anhörungstermine für Bahtijor Mamashev und Mahamadillo Kadirzhanov stehen noch nicht fest. Die Rechtsbeistände der Männer sind der Ansicht, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe jeder Grundlage entbehren und ethnisch motiviert sind. In allen drei Fällen haben die Rechtsbeistände der Männer auf zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten hingewiesen, welche die kirgisischen Behörden der russischen Generalstaatsanwaltschaft vorgelegt haben.

Die kirgisischen Behörden haben den russischen Behörden zwar diplomatische Zusicherungen gemacht, Amnesty International ist jedoch der Ansicht, dass Gairatbek Saliev, Bahtijor Mamashev und Mahamadillo Kadirzhanov bei einer Auslieferung an Kirgisistan schwere Menschenrechtsverletzungen drohen würden. Insbesondere besteht die Sorge, dass sie Opfer von Haft ohne Kontakt zur Außenwelt, Folter und anderen Misshandlungen oder Inhaftierung unter grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen nach einem unfairen Gerichtsverfahren werden könnten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Bei der Gerichtsverhandlung im Oktober 2010 sollen die Familien der "SANPA"-Opfer während der gerichtlichen Anhörung einige der Angehörigen der Angeklagten sowie einen Anwalt der unabhängigen Menschenrechts-NGO Spravedlivost ("Gerechtigkeit") angegriffen haben. Die Rechtsbeistände von Spravedlivost gaben an, dass ihre Mandanten in Polizeigewahrsam gefoltert worden waren, um sie dazu zu bringen, die Tötungen zu "gestehen". Der vorsitzende Richter zog diese Vorwürfe jedoch nicht in Betracht und ordnete auch keine Untersuchung an. ZeugInnen der Verteidigung konnten aus Sicherheitsgründen nicht vor Gericht erscheinen. Im Vorfeld des Gerichtsverfahrens erhielten die VerteidigerInnen zudem keinen regelmäßigen und privaten Zugang zu ihren Mandanten in Polizeigewahrsam.

Im Juni 2010 kam es in den im Süden von Kirgisistan gelegenen Städten Osch und Dschalalabat zu gewalttätigen Ausschreitungen, die vier Tage lang anhielten und mehreren hundert Menschen das Leben kosteten. Tausende weitere Menschen wurden verletzt und hunderttausende Personen zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen. Angehörige beider ethnischen Gruppen machten sich seinerzeit schwerer Verbrechen schuldig, ethnische UsbekInnen hatten jedoch die größte Zahl an Toten und Verletzten wie auch die meisten Sachschäden zu beklagen. MenschenrechtsbeobachterInnen bereitet Sorge, dass in Verbindung mit den Vorfällen vom Juni 2010 ethnische UsbekInnen in unverhältnismäßiger Weise wegen Massenaufruhr strafrechtlich verfolgt werden, obwohl Angehörige beider ethnischen Gruppen schwere Verbrechen begangen haben. Angehörige der inhaftierten ethnischen UsbekInnen zögern noch immer, die Folter und anderweitige Misshandlung ihrer Verwandten bzw. Fälle von Einschüchterung und Erpressung bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft zu melden, da sie Repressalien fürchten. RechtsanwältInnen, zu deren Mandantenkreis ethnische UsbekInnen gehören, denen eine Beteiligung an den Vorfällen vom Juni 2010 vorgeworfen wird, werden seit Mitte 2011 bedroht und tätlich angegriffen. Derartige Vorfälle haben sich bisweilen sogar im Gerichtssaal abgespielt. Gerichte aller Instanzen bis hin zum Obersten Gerichtshof haben regelmäßig Beweismittel zugelassen, die unter Folter erlangt worden sind. Im Mai 2011 wiesen die Behörden die Erkenntnisse einer Internationalen Untersuchungskommission zu den gewalttätigen Ausschreitungen vom Juni 2010 zurück. Die Kommission hatte überzeugende Beweise dafür zutage gefördert, dass seinerzeit in der Stadt Osch an ethnischen UsbekInnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden waren.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Stoppen Sie bitte unverzüglich die geplante Auslieferung von Gairatbek Saliev, Bahtijor Mamashev und Mahamadillo Kadirzhanov.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Russland seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält und dass der Anordnung Nr. 11 des russischen Obersten Gerichtshofs vom 14. Juni 2012 Folge geleistet wird, nach der niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem ihm oder ihr schwere Menschenrechtsverletzungen drohen würden.

APPELLE AN

GENERALSTAATSANWALT
Yurii Ya. Chaika
Bolshaia Dmitrovka 15 A
125993 Moscow, RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 692 1725

AUSSENMINISTER
Sergei Lavrov
Ul. Smolenskaya-Sennaia pl, 32/34
119200 Moscow, RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Außenminister)
Fax: (00 7) 499 244 34 48 (Bitte sagen Sie "Fax")
E-Mail: 3dsng@mid.ru


KOPIEN AN

VORSITZENDER DES OBERSTEN GERICHTSHOFS
Vyachslav Mikhailovich Lebedev
Povarskaya ul. 15
121260 Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 495 695 51 72
E-Mail: nikibor@vsrf.ru

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. Juli 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to halt the extradition of Mahamadillo Kadirzhanov , Gairatbek Saliev and Bahtijor Mamashev.
  • Calling on them to honour and uphold the Russian Federation's obligations under international law, and their own Supreme Court's Decree Number 11 of 14 June 2012, not to forcibly return anyone to a country where they would be at risk of serious human rights violations.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Drei Jahre nach den gewalttätigen Zusammenstößen berichten MenschenrechtsbeobachterInnen über eine rückläufige Zahl willkürlicher Festnahmen; allerdings scheinen Folter und andere Arten der Misshandlung durch Ordnungskräfte noch immer an der Tagesordnung zu sein: bei der Festnahme von Personen auf offener Straße, auf dem Weg in die Hafteinrichtung, bei Hausdurchsuchungen, während des Verhörs und in Untersuchungshaft. Allem Anschein nach nehmen PolizeibeamtInnen nach wie vor ethnische UsbekInnen ins Visier und drohen ihnen mit einer Anklage wegen schwerer Verbrechen wie z. B. Mord in Verbindung mit den Vorfällen vom Juni 2010, um Geld von ihnen zu erpressen.

Kirgisistan hat die Auslieferung zahlreicher ethnischer UsbekInnen gefordert, die von den Behörden beschuldigt werden, die gewaltsamen Ausschreitungen vom Juni 2010 in Osch und Dschalalabad organisiert oder an ihnen teilgenommen zu haben. Die meisten der gesuchten UsbekInnen waren nach Russland geflohen, einige auch nach Kasachstan und in die Ukraine. 2011 gewährten die russischen Behörden vielen ethnischen UsbekInnen vorübergehend Asyl und weigerten sich, den Auslieferungsanträgen von Kirgisistan nachzukommen. Im Mai 2012 bewilligte die russische Generalstaatsanwaltschaft jedoch einen Auslieferungsantrag für den ethnischen Usbeken Mamir Nematov und machte diese Entscheidung erst wieder rückgängig, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingriff und Russland anwies, Mamir Nematov nicht auszuliefern.

Am 16. Oktober 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Makhmudzhan Ergashev gg. Russland, dass die Auslieferung eines ethnischen Usbeken kirgisischer Staatsangehörigkeit nach Kirgisistan einen Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten würde (Verbot der Folter oder anderer Misshandlung und Verbot der Auslieferung von Personen in Gebiete, in denen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Behandlung drohen würde). Dies war das erste Urteil des Gerichtshofs bezüglich der Gefahr der Folter und anderer Misshandlung für ethnische UsbekInnen, die nach Kirgisistan ausgeliefert werden sollen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-150/2013, AI-Index: EUR 46/017/2013, Datum: 10. Juni 2013 - ar
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2013