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AKTION/1555: Urgent Action - Ägypten, Mitarbeitern von Mursi drohen Anklagen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-196/2013-2, AI-Index: MDE 12/042/2013, Datum: 7. August 2013 - bs

Ägypten
Mitarbeitern von Mursi drohen Anklagen



In Untersuchungshaft:
Herr REFA'A AL-TAHTAWY
Herr ASSAAD AL-SHIKH
Herr AHMED ABDELATY
Herr AYMAN AL-HODHOD

Nach wie vor willkürlich inhaftiert:
Herr AYMAN ALI
Herr KHALED AL-QAZZAZ
Herr ESSAM AL-HADDAD
Herr ABDELMEQUID MASHALI
Herr AYMAN AL-SERAFY

Die ägyptische Staatsanwaltschaft hat Medienberichten zufolge offiziell Untersuchungshaft für vier hochrangige Mitarbeiter des abgesetzten ägyptischen Staatspräsidenten Mohammed Mursi angeordnet, weil gegen sie wegen der Gewalt im Zusammenhang mit Protesten im Dezember 2012 ermittelt wird. Die fünf übrigen Berater des ehemaligen Präsidenten befinden sich nach wie vor willkürlich an einem unbekannten Ort in Haft. Ihren Familien ist bislang weder der Haftort noch der Grund für ihre Inhaftierung mitgeteilt worden.

Die Staatsanwaltschaft hat Untersuchungshaft für Mohammed Mursis Stabschef Refa'a al-Tahtawy, dessen Stellvertreter Assaad al-Shikh, sowie für den Büroleiter des abgesetzten Präsidenten, Ahmed Abdelaty, und seinen Sicherheitsberater Ayman al-Hodhod angeordnet. Gegen sie wurden Ermittlungen im Zusammenhang mit den tödlichen Zusammenstößen zwischen AnhängerInnen und GegnerInnen von Mohammed Mursi in der Umgebung des Präsidentenpalastes in Kairo in der Nacht des 5. Dezember 2012 eingeleitet. Laut ägyptischen Medien drohen den vier Männern Anklagen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Gewalt bei den Zusammenstößen. Sie befinden sich derzeit im Tora-Gefängnis südlich von Kairo.

Medienberichten zufolge hat die Staatsanwaltschaft für die Zeit der Ermittlungen eine 15-tägige Haft für die vier Männer angeordnet. Es ist nicht bekannt, auf welcher rechtlichen Grundlage die Männer festgehalten wurden, bevor die Staatsanwaltschaft entschieden hat, ihre Untersuchungshaft anzuordnen. VertreterInnen von Amnesty International konnten mit Familienangehörigen zweier der Männer sprechen. Sie gaben an, seit deren Festnahme am 3. Juli nicht mit den Männern gesprochen zu haben und von Behördenseiten bislang nicht über ihren Haftort oder die gegen sie erhobenen Anklagen informiert worden zu sein.

Mohammed Mursi hat bislang keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder seiner Familie. Ein Untersuchungsrichter hat Ermittlungen der Vorwürfe eingeleitet, Mohammed Mursi habe während der Unruhen im Jahr 2011 mit der Hamas kooperiert, um die Sicherheitskräfte, Polizeiwachen, öffentliche Gebäude und Gefängnisse anzugreifen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der abgesetzte ägyptische Präsident und neun seiner Mitarbeiter durften nach vorliegenden Informationen bislang keine Besuche ihrer Familien oder ihrer Rechtsbeistände erhalten. Die Außenbeauftragte der EU und eine Delegation der Afrikanischen Union durften Mohammed Mursi in der Haft besuchen, die Behörden teilen jedoch nicht mit, wo genau er festgehalten wird. Zwei Menschenrechtsverteidiger trafen sich am 27. Juli mit dem inhaftierten Stabschef Refa'a al-Tahtawy in einer Militäreinrichtung, deren genaue Lage nicht bekannt gegeben wurde. Refa'a al-Tahtawy erklärte gegenüber den Menschenrechtsverteidigern, dass er gemeinsam mit Mohammed Mursi und Assaad al-Shikh festgehalten werde und dass man sie nach Protesten vor dem Offiziersclub der Republikanischen Garde im Stadtteil Nasr City in Kairo am 5. Juli von dort in die Militäreinrichtung verlegt habe.

Bei den gewalttätigen Zusammenstößen am 5. Dezember 2012 waren mindestens zehn Personen getötet und Hunderte verletzt worden, darunter viele AnhängerInnen von Mohammed Mursi. Während der Auseinandersetzungen ergriffen Mursi-AnhängerInnen mehrere Menschen, verhörten sie und folterten und misshandelten sie in einigen Fällen. Am 30. Juni 2013 gingen Tausende ÄgypterInnen auf die Straße, um den Rücktritt von Präsident Mohammed Mursi zu fordern. Dies war der Beginn einer neuen Protestserie gegen seine Herrschaft. Die Proteste waren durch die Tamarud-Bewegung ("Rebellion") ausgelöst worden, die eine Petition für seinen Rücktritt gestartet hatte und von zahlreichen OppositionspolitikerInnen unterstützt wurde. In den darauffolgenden Tagen gingen viele AnhängerInnen des Präsidenten ebenfalls auf die Straße, um Gegendemonstrationen abzuhalten. In vielen Fällen kam es zu Zusammenstößen zwischen UnterstützerInnen und GegnerInnen des Präsidenten. Am Abend des 3. Juli erklärte Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi, dass die Verfassung ausgesetzt und Mohammed Mursi nicht länger Präsident sei. Er ernannte Adli Mansur, den Vorsitzenden des Obersten Verfassungsgerichts, zum neuen ägyptischen Präsidenten und kündigte an, bis zu den Neuwahlen eine Übergangsregierung einzusetzen.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie, umgehend den Haftort der fünf Mitarbeiter von Mohammed Mursi bekannt zu geben, von denen bislang nicht bekannt ist, wo sie festgehalten werden.
  • Bitte gewähren Sie Mohammed Mursi und seinen neun Mitarbeitern umgehend Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen sowie zu ärztlicher Behandlung.
  • Lassen Sie die fünf o.g. Mitarbeiter von Mohammed Mursi bitte entweder unverzüglich frei oder klagen Sie sie umgehend einer international als Straftat anerkannten Handlung an und stellen Sie sie in einem Verfahren vor ein ziviles Gericht, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren in vollem Umfang entspricht.
  • Ich bitte Sie zudem, dafür zu sorgen, dass alle diejenigen, die angeklagt werden, nur dann inhaftiert werden, wenn es eine Anordnung der Behörden dafür gibt und diese von einem unabhängigen Gericht überprüft wurde. Die Inhaftierung muss dann in einer rechtmäßigen Hafteinrichtung erfolgen.
  • Bitte schützen Sie die Gefangenen vor Folter und anderer Misshandlung.

APPELLE AN

ÜBERGANGSPRÄSIDENT
Adly Mahmoud Mansour
Office of the President, Al Ittihadia Palace
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 202) 2 391 1441

VERTEIDIGUNGSMINISTER
General Abdel Fattah al-Sisi, Ministry of Defence
Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear General / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 202) 2 290 6004 oder
(00 202) 2 291 6227
E-Mail: mmc@afmic.gov.eg

STAATSANWALT
Hesham Mohamed Zaki Barakat
Office of the Public Prosecutor
Supreme Court House, 1 "26 July" Road, Cairo, ÄGYPTEN
(Anrede: Dear Counsellor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 202) 2 577 4716 oder
(00 202) 2 575 7165
(nur während der Geschäftszeiten, MEZ +1)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S. E. Herrn Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy
Stauffenbergstraße 6-7, 10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 18. September 2013 keine Appelle mehr zu verschicken. Weitere Informationen zu UA-196/2013 (MDE 12/040/2013, 26. Juli 2013 und MDE 12/041/2013, 1. August 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on them to immediately grant Mohamed Morsi and all nine aides access to their families, lawyers and doctors.
  • Urging the Egyptian authorities to disclose immediately the whereabouts of the five aides of Mohamed Morsi whose place of detention remains unknown.
  • Urging them to release the five aides unless they are promptly charged with recognizably criminal offences and tried before civilian courts, in full compliance with international fair trial guarantees.
  • Calling on them to ensure that anybody who is charged is detained only if the detention is ordered and supervised by an independent court and they are held in a lawful place of detention.
  • Calling on them to protect all those deprived of their liberty from torture and other ill-treatment.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

In den darauffolgenden Tagen nahmen die Sicherheitskräfte Hunderte AnhängerInnen von Mohammed Mursi in Gewahrsam unter dem Vorwurf, Gewalt angezettelt oder gewaltsame Handlungen begangen zu haben. Unter diesen befanden sich auch zahlreiche Mitglieder der Muslimbruderschaft, eine Bewegung, der Mohammed Mursi politisch nahesteht. Darunter befinden sich prominente Führungspersönlichkeiten der Muslimbruderschaft und ihrer politischen Partei, der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Mindestens neun führende Mitglieder der Muslimbruderschaft bzw. ihnen nahestehender Gruppen wurden ebenfalls festgenommen. Zu ihnen gehören der ehemalige geistige Führer der Muslimbrüder Mohamed Mahdi Akef; seine Stellvertreter Khairat al-Shater und Rashad Bayoumi; der Vorsitzende der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei Saad al-Katatni; sowie der Anwalt Abdelmonim Abdelmaqsud, der für die Muslimbruderschaft arbeitet. Man geht davon aus, dass die Männer derzeit im Hochsicherheitsgefängnis von Alaqrab ("der Skorpion") südlich von Kairo, etwa zwei Kilometer von der Gefängnisanlage Tora entfernt, festgehalten werden. Am 3. August gaben die Behörden bekannt, dass gegen Khairat al-Shater, Rashad Bayoumi und den obersten geistigen Führer der Muslimbrüder Mohamed Badie am 25. August ein Gerichtsverfahren wegen "Anstiftung zur Gewalt" im Zusammenhang mit Zusammenstößen in der Umgebung der Zentrale der Muslimbruderschaft in Kairo eingeleitet werde. Einige Mitglieder bzw. Anhänger der Muslimbruderschaft waren möglicherweise an der Anstiftung zur Gewalt oder an gewaltsamen Handlungen selbst beteiligt. Amnesty International ist dennoch besorgt, dass andere Mitglieder bzw. Anhänger der Muslimbruderschaft nur wegen ihrer Verbindungen zu der Gruppierung und der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verfolgt werden. Amnesty International hat die ägyptischen Behörden aufgefordert, alle Inhaftierten entweder freizulassen oder sie einer international als Straftat anerkannten Handlung anzuklagen und in einem fairen Verfahren vor Gericht zu stellen. Die Organisation hat zudem an die Behörden appelliert, alle diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur deshalb in Haft sind, weil sie friedlich von ihren Rechten auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit Gebrauch gemacht haben.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-196/2013-2, AI-Index: MDE 12/042/2013, Datum: 7. August 2013 - bs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
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Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2013