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AKTION/1637: Urgent Action - Indonesien, schiitischer Gemeinschaft droht erneut die Vertreibung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-336/2012-4, AI-Index: ASA 21/036/2013, Datum: 13. November 2013 - mv

Indonesien
Schiitischer Gemeinschaft droht erneut die Vertreibung



MINDESTENS 168 ANGEHÖRIGE EINER SCHIITISCHEN GEMEINSCHAFT IN OST-JAVA

Mehr als 168 Angehörige einer schiitischen Gemeinschaft in der indonesischen Provinz Ost-Java laufen Gefahr, erneut aus ihren Behelfsunterkünften vertrieben zu werden. Bereits zweimal ist die aus dem Regierungsbezirk Sampang stammende Gemeinschaft rechtswidrig vertrieben worden.

Am 10. November versuchten die Behörden der indonesischen Provinz Ost-Java unter der Leitung des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten zusammen mit Angehörigen von Polizei und Militär rund 20 Familien einer schiitischen Gemeinschaft aus ihren Behelfsunterkünften in einer Wohneinrichtung in Sidoarjo in Ost-Java zu vertreiben. Man wollte sie in das Haji Sukolilo-Wohnheim in Surabaya bringen, in dem Muslime vor ihrer Pilgerreise nach Mekka untergebracht werden. Die schiitische Gemeinschaft sowie Menschenrechtsgruppen befürchten, dass die Aktion, mit der die Bewegungsfreiheit sowie der Zugang zur Außenwelt eingeschränkt werden, dazu dienen sollte, Druck auf die Angehörigen der Gemeinschaft auszuüben, um sie zu einer Konvertierung zum sunnitischen Islam zu veranlassen. Die SchiitInnen lehnen die Umsiedlung ab und würden es bevorzugen, mit angemessenem Schutz durch die zuständigen Behörden in ihre Häuser und zu ihrer Lebensgrundlage zurückzukehren.

Knapp 15 Monate nachdem die Gemeinschaft erstmals angegriffen und vertrieben wurde, werden die mehr als 168 SchiitInnen von den örtlichen Behörden weiterhin daran gehindert, in ihr Dorf zurückzukehren. Die SchiitInnen hatten in Karang Gayam, einem Dorf im Regierungsbezirk Sampang auf der indonesischen Insel Madura gelebt und wurden von dort im August 2012 vertrieben, nachdem ein schiitenfeindlicher Mob bestehend aus rund 500 Menschen mit Waffen und Steinen ihr Dorf angegriffen hatte. Ein Mensch kam dabei ums Leben, dutzende wurden verletzt, und 35 Häuser der schiitischen Gemeinschaft wurden in Brand gesetzt. Man brachte die SchiitInnen in Behelfsunterkünfte in einer Sportanlage in Sampang, die nur sehr spartanisch ausgestattet war. Dort lebten sie rund zehn Monate lang, bis sie am 21. Juni 2013 von den örtlichen Behörden erneut vertrieben und in die Wohneinrichtung in Sidoarjo in Ost-Java gebracht wurden. Die Gemeinschaft war zuvor in ihren Behelfsunterkünften in Sampang von den örtlichen Behörden eingeschüchtert und schikaniert worden. Wenn sie in ihre Häuser zurückkehren wollten, so die Behörden, müssten sie zum sunnitischen Islam konvertieren.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die indonesische Regierung hat mehrfach öffentlich zugesagt, den Schutz der Religionsfreiheit sicherzustellen und Fällen der religiösen Intoleranz nachzugehen. Dennoch halten die Behörden weiterhin an Gesetzen und Dekreten fest, die mit den Rechten auf Religions- und Meinungsfreiheit unvereinbar sind. So stellt Artikel 156(a) des indonesischen Strafgesetzbuchs Blasphemie unter Strafe. Diese Regelung ist in der Vergangenheit häufig dazu verwendet worden, Angehörige religiöser Minderheiten öffentlich als "Abweichler" zu verurteilen und als Kriminelle darzustellen. 2008 wurde in einem gemeinsamen Erlass des Ministers für religiöse Angelegenheiten, des Generalstaatsanwalts und des Innenministers (Nr. 3/2008) den Ahmadiyya die Verbreitung ihrer religiösen Aktivitäten und Lehren verboten.

In den vergangenen Jahren wurden religiöse Minderheiten in Indonesien, darunter Schiiten, Ahmadiyya und Christen, immer wieder Opfer von Drangsalierungen, Einschüchterungen und Übergriffen von nichtstaatlichen Akteuren. Diejenigen, die gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorgehen, werden nur selten bestraft und viele religiöse Minderheiten wurden durch gewaltsame Angriffe für mehrere Monate - einige sogar für mehrere Jahre -vertrieben.

Auch die schiitische Gemeinde aus dem Regierungsbezirk Sampang auf der Insel Madura war in der Vergangenheit bereits Einschüchterungen und Angriffen ausgesetzt. Am 29. Dezember 2011 wurden eine religiöse Stätte, ein Internat und mehrere Häuser in der Umgebung in Brand gesetzt. Die Polizei ergriff keine angemessenen Maßnahmen, um die Gemeinschaft zu schützen. Statt einzuschreiten und den Angriff abzuwehren, filmten einige BeamtInnen ihn mit ihrem Mobiltelefon. Schließlich wurde nur eine Person aufgrund der Angriffe angeklagt und zu drei Monaten Haft verurteilt.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stoppen Sie umgehend die drohende Vertreibung der schiitischen Gemeinschaft in Sidoarjo in Ost-Java.
  • Garantieren Sie eine sichere, freiwillige und würdevolle Rückkehr der schiitischen Gemeinschaft in ihre Häuser. Achten Sie darauf, dass dies in Absprache mit den Betroffenen geschieht und stellen Sie Unterstützung beim Aufbau von beschädigten oder zerstörten Häusern bereit.
  • Leiten Sie bitte umgehend Ermittlungen zu den Vorwürfen ein, die lokalen Regierungsbehörden zwängen SchiitInnen, ihrem Glauben abzuschwören, bevor sie in ihre Häuser zurückkehren dürfen.
  • Stellen Sie darüber hinaus sicher, dass alle an den Angriffen gegen die schiitische Gemeinschaft Beteiligten zügig in fairen Verfahren und ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen zur Verantwortung gezogen werden und die Betroffenen Entschädigung erhalten.

APPELLE AN

GOUVERNEUR VON OST-JAVA
Soekarwo
Jl. Pahlawan No. 110
Surabaya, East Java
INDONESIEN
(Anrede: Dear Governor / Sehr geehrter Herr Gouverneur)
Fax: (00 62) 31 355 7138

MINISTER FÜR RELIGIÖSE ANGELEGENHEITEN
Minister of Religion
Drs. H. Suryadharma Ali.
Jalan Lapangan Banteng Barat No. 3-4
Jakarta 10710
INDONESIEN
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 62) 21 3811436
E-Mail: pinmas@kemenag.go.id


KOPIEN AN

GENERALDIREKTOR FÜR MENSCHENRECHTE
Harkristuti Harkrisnowo
Ministry of Law and Human Rights
Jl. H.R. Rasuna Said Kav No. 4-5
Kuningan, Jakarta Selatan 12950
INDONESIEN
Fax: (0062) 21 525 3095

BOTSCHAFT DER REPUBLIK INDONESIEN
S.E. Herrn Eddy Pratomo
Lehrter Straße 16-17, 10557 Berlin
Fax: 030-4473 7142
E-Mail: info@indonesian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Indonesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 25. Dezember 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA-336/2012 (ASA 21/002/2013, 15. Januar 2013, ASA 21/043/2012, 26. November 2012, ASA 21/014/2013, 15. Mai 2013 und ASA 21/022/2013, 21. Juni 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • To immediately halt the threatened forced eviction of the Shi'a community in Sidoarjo, East Java.
  • To guarantee the safe, voluntary and dignified return of the Shi'a community to their homes, according to their wishes, and to provide assistance so as to enable them to rebuild the homes that were damaged or destroyed.
  • To investigate reports that central and local government officials are involved in the intimidation of Shi'a followers forcing them to renounce their faith.
  • To ensure that all those involved in the attack against the Shi'a community are speedily brought to justice in proceedings which meet international standards of fairness and without the imposition of the death penalty and that victims are provided reparations.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Im Juli 2012 wurde Tajul Muluk, ein religiöser Führer der SchiitInnen, festgenommen und vom Bezirksgericht von Sampang nach Artikel 156 (a) des Indonesischen Strafgesetzbuches wegen Blasphemie zu zwei Jahren Haft verurteilt. Seine Inhaftierung erfolgte nach Berichten, dass die Abteilung des indonesischen Ulema-Rats (MUI) in Sampang im Januar 2012 im Zusammenhang mit Tajul Muluks "abweichenden Lehren" eine Fatwa (religiöses Dekret) ausgerufen hatte. Das Hohe Gericht von Ost-Java hat seine Strafe in einem Rechtsmittelverfahren im September auf vier Jahre erhöht. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine bedingungslose und umgehende Freilassung.

Die indonesische Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf Religionsfreiheit. Indonesien ist Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). In Artikel 18 heißt es "dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen (.)" und "niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde".

Im Juli 2013 zeigte sich der UN-Menschenrechtsausschuss, ein unabhängiger Expertenkreis, der die Umsetzung des IPBPR überprüft, besorgt über das Scheitern der indonesischen Behörden, religiöse Minderheiten vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen. Der Ausschuss forderte die Behörden dazu auf, angemessene Schutzmaßnahmen für die Betroffenen einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Indonesien ist Vertragsstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Rechte (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights - ICESCR) und somit ist die indonesische Regierung verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Einzelne sein Recht auf angemessene Unterbringung (Artikel 11.1) sowie sein Recht auf ein größtmögliches Maß an körperlicher und seelischer Gesundheit (Artikel 12) wahrnehmen kann.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-336/2012-4, AI-Index: ASA 21/036/2013, Datum: 13. November 2013 - mv
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2013