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AKTION/463: Reaktionen und Erfolge - Oktober/November 2009


amnesty journal 12/2009/01/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge - Oktober/November 2009

Spanien, Tunesien, Türkei, Uruguay, Uganda, Saudi-Arabien
Ausgewählte Ereignisse vom 1. September bis 4. November 2009
Simbabwe: Erfolg für Menschenrechtsaktivistin
Australien: Asylsuchende müssen nicht mehr für ihre Internierung zahlen
Mexiko: Nach drei Jahren unschuldig in Haft endlich wieder frei
Briefe, die helfen
Mongolei: Todeskandidat begnadigt

Ausgewählte Ereignisse vom 1. September bis 4. November 2009

SPANIEN

Das spanische Haftsystem beschränkt die Rechte von Inhaftierten wie kein anderes in Europa. Wer in Spanien in Polizeigewahrsam gerät, kann bis zu fünf Tage festgehalten werden. Während dieser Zeit haben Inhaftierte kein Recht darauf, einen Anwalt oder Arzt ihres Vertrauens zu sehen. Auch Familien oder Freunde erfahren nichts über den Verbleib. Steht der Festgenommene unter Terrorismus-Verdacht, kann die sogenannte Incommunicado-Haft auf bis zu 13 Tage ausgedehnt werden. Amnesty forderte ein Ende der Praxis: Die Incommunicado Haft öffne Missbrauch Tür und Tor und verletze die internationalen Menschenrechtsabkommen.


TUNESIEN

Sie hatten friedlich demonstriert und mussten dafür mehr als anderthalb Jahre ins Gefängnis: Nun sind 68 tunesische Häftlinge wieder in Freiheit, nachdem Präsident Zine El-Abidine Ben Ali sie Anfang November begnadigt hatte. Sie waren verurteilt worden, weil sie sich 2008 in der Bergbauregion von Gafsa an Protesten gegen steigende Arbeitslosigkeit beteiligt hatten. Die Regierung setzte damals Sicherheitskräfte ein, die die Kundgebungen mit exzessiver Gewalt auflösten. Mindestens zwei Menschen wurden getötet.


TÜRKEI

"Es war wie eine zweite Geburt", sagt Mohsen Abdolkhani über seine Freilassung. Der Iraner hatte gemeinsam mit Hamid Karimnia in der Türkei Asyl beantragt. Ihr Gesuch wurde abgelehnt, anschließend wurden die beiden Männer aber noch über ein Jahr lang in einem sogenannten "Gasthaus" im westtürkischen Kirklareli festgehalten. Rechtswidrig, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im September feststellte. Nach monatelangem Einsatz von Amnesty kamen die iranischen Flüchtlinge im Oktober schließlich frei. Amnesty begrüßte die Entwicklung zeigte sich aber weiter besorgt über die rechtswidrige Internierung hunderter Menschen in den sogenannten Gästehäusern.


URUGUAY

Während der Diktatur von 1973 bis 1985 verschwanden mehr als 230 Menschen in Uruguay, viele Menschenrechtsverletzungen sind bis heute nicht aufgeklärt. Im Oktober wurde nun der frühere Militärdiktator Gregorio Alvarez zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Alvarez trage die Verantwortung für Dutzende Morde an Gegnern der Militärherrschaft, so das Gericht. Ein weiterer Angeklagter muss wegen Totschlags in 29 Fällen für 20 Jahre hinter Gitter. Beide Urteile wurden trotz eines Amnestiegesetzes für Militärs und Polizisten gefällt. Amnesty fordert die Annullierung des Gesetzes.


UGANDA

Anfeindungen gehören für Schwule und Lesben in Uganda zum Alltag. In Gefängnissen werden homosexuelle Häftlinge immer wieder Opfer von Gewalt und Folter. In dem ostafrikanischen Land machen Kirchen und Anti-Schwulen-Gruppen seit Monaten Front gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Auch die Medien machen mit und klagen Einzelne öffentlich der Homosexualität an. Im Oktober wurde sogar ein Gesetzentwurf ins ugandische Parlament eingebracht, wonach "schwere Homosexualität" künftig mit dem Tod bestraft werden soll. Amnesty rief das ugandische Parlament dazu auf, den Gesetzentwurf umgehend zurückzunehmen.


SAUDI-ARABIEN

Don't talk about Sex: Ein saudi-arabisches Gericht hatte die Journalistin Rosanna Al-Yami zu 60 Peitschenhieben verurteilt, weil ein Protagonist ihrer Sendung über sein Sexualleben gesprochen hatte. Das Vergehen der 22-jährigen Rosanna Al-Yami bestand darin, die Sendung vorbereitet zu haben. Nur wenige Tage nach dem Urteil begnadigte der saudische König Abdullah bin Abdul Aziz die Journalistin. Amnesty begrüßte die Entscheidung, forderte aber, auch die anderen Beteiligten zu begnadigen. So war etwa der Gast der Sendung Anfang Oktober zu fünf Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt worden.


Einsatz mit Erfolg

Weltweit beteiligen sich viele tausend Menschen mit Appellschreiben an den "Urgent Actions" und "Briefen gegen das Vergessen" von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen folgende Beispiele:


Simbabwe: Erfolg für Menschenrechtsaktivistin

"Ich bin so erleichtert", sagte die prominente Menschenrechtsverteidigerin Jestina Mukoko, nachdem sie von der Entscheidung erfahren hatte. "Zum ersten Mal seit dem 3. Dezember 2008 kann ich wieder ein normales Leben führen." Der Oberste Gerichtshof von Simbabwe hatte Ende September das Verfahren gegen Mukoko eingestellt. Der Leiterin des "Zimbabwe Peace Projects" (ZPP) war vorgeworfen worden, "Personen zu rekrutieren und auszubilden, um die Regierung zu stürzen". Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass die Regierung die Vorwürfe erfunden hatte, um Mukoko und andere Menschenrechtsaktivisten und Regimegegner einzuschüchtern.

"Wir begrüßen diese Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs von Simbabwe", erklärte Irene Khan, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. "Die Regierung muss alle Anklagen gegen Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten fallen lassen, die lediglich Gebrauch von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gemacht haben."

Jestina Mukoko war am 3. Dezember 2008 aus ihrer Wohnung entführt worden. Sie wurde von den simbabwischen Behörden illegal in Haft gehalten und gefoltert. Nach drei Monaten kam sie auf Kaution frei. Sie musste jedoch ihren Pass abgeben und sich jede Woche bei der örtlichen Polizeiwache melden. Amnesty hatte sich unter anderem mit "Urgent Actions" intensiv um ihre Befreiung bemüht.

In einem Brief an Amnesty International bedankte sich Mukoko für die Unterstützung: "Zu wissen, dass es Menschen gibt, die uns in unserem Kampf unterstützen, hat uns Trost und Kraft gegeben."


Australien: Asylsuchende müssen nicht mehr für ihre Internierung zahlen

Stress, Sorgen und Schulden: Mit diesen Problemen sahen sich in den vergangenen 17 Jahren viele Asylsuchende konfrontiert, die in Australien Schutz vor Gewalt und Verfolgung suchten. Auf dem fünften Kontinent wurden Asylsuchende und Flüchtlinge, die ohne gültige Papiere eingereist oder deren Visa abgelaufen waren, bis zur Klärung ihrer Fälle in zumeist abgelegenen Lagern interniert. Die Haft konnte sich oft jahrelang hinziehen. Die Unterbringungskosten in Höhe von teilweise bis zu 180.000 Euro wurden den Asylsuchenden in Rechnung gestellt - auch denjenigen, deren Asylantrag erfolgreich war. Premierminister Kevin Rudd beendete die Internierungspraxis im vergangenen Jahr, und auch mit den horrenden Schulden soll nun Schluss sein: Der Senat verabschiedete im September einen entsprechenden Gesetzentwurf, der die bestehende Regelung abschafft. Zudem wurden 338 Asylsuchenden ihre Schulden in einer Gesamthöhe von knapp fünf Millionen Euro erlassen.

Amnesty International begrüßte das neue Gesetz als einen wichtigen Schritt, um die australische Asylpolitik humaner zu machen. Die Organisation hatte die Praxis, dass ohnehin schon traumatisierten Menschen ein hoher Schuldenberg aufgebürdet wurde, stets als "unbegreiflichen Vorgang" kritisiert.


Mexiko: Nach drei Jahren unschuldig in Haft endlich wieder frei

Das vermeintliche Verbrechen wog schwer. Die 46-jährige Jacinta Francisco Marcial, Mutter von sechs Kindern, soll sechs Agenten des mexikanischen Bundeskriminalamtes entführt haben. Dafür wurde sie zu einer Strafe von 21 Jahren verurteilt. Doch seit dem 17. September ist sie nun wieder frei - drei Jahre nach ihrer Verurteilung ordnete ein Richter ihre Freilassung an, nachdem der Generalstaatsanwalt die Vorwürfe gegen sie fallen gelassen hatte.

"Die mexikanische Regierung hat eingesehen, dass der Prozess und die Strafe gegen diese Frau durch nichts zu rechtfertigen sind", sagte ein Sprecher von Amnesty nach der Entscheidung. "Sie haben Jacinta Francisco Marcial und ihrer Familie drei Jahre gestohlen. Nichts kann diese Zeit zurückbringen." Amnesty fordert nun, dass die Vorkommnisse untersucht werden und die Frau eine Haftentschädigung erhält. Die Organisation ist überzeugt, dass sie nur wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts und ihres sozialen Status festgenommen wurde - Marcial ist Angehörige der Ethnie der Otomi, die zur verarmten Bevölkerung Mexikos zählt. Ein faires Verfahren hat Marcial nie erhalten. Die Bundespolizisten hatten ausgesagt, im März 2006 während einer Razzia gegen Raubkopierer auf dem Markt von Santiago Mexquititlán von ihr und anderen Standbesitzern als Geiseln gehalten worden zu sein. Der einzige Beweis für diesen Vorwurf bestand allerdings aus einem Foto in einer Lokalzeitung, auf dem sie hinter einer Gruppe von Demonstranten zu erkennen war. In ihren ursprünglichen Aussagen hatten die Polizisten sie nicht einmal erwähnt. Erst einen Monat später, nachdem das Foto erschienen war, wurde sie bezichtigt, an dem vermeintlichen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein.

Während der Verhandlung musste keiner der Beamten erscheinen, um die Aussagen zu bekräftigen oder Marcial zu identifizieren. Damals sprach sie nur sehr wenig Spanisch. Ihr wurde aber weder ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt, noch klärte sie der ihr zugeteilte Pflichtverteidiger über ihre Rechte auf. Amnesty erklärte Jacinta Francisco Marcial im August zur gewaltlosen politischen Gefangenen und verlangte von den mexikanischen Behörden ihre sofortige und bedingungslose Freilassung.


Briefe, die helfen

Täglich werden Menschen weltweit festgenommen, bedroht, gefoltert, getötet. Amnesty International startet daher jeden Monat sogenannte "Briefe gegen das Vergessen" (siehe S. 76f.). Sie geben den Gefangenen Hoffnung und zeigen den Verantwortlichen, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen nicht in Vergessenheit geraten sind. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Amnesty 36 solcher Appelle, davon waren 17 erfolgreich. Dies entspricht einer Erfolgsquote von fast 50 Prozent. Vier Gefangene wurden freigelassen, in acht Fällen wurden Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen aufgenommen. Zweimal wurden Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt und verurteilt bzw. es wurde Anklage gegen sie erhoben. Ausführlichere Informationen finden Sie auf www.amnesty.de/bgdv-erfolge.


Mongolei: Todeskandidat begnadigt

Dem mongolischen Staatsbürger Buuveibaatar droht nicht mehr die Hinrichtung. Präsident Tsachiagiin Elbegdordsch begnadigte den 33-Jährigen Mitte Oktober und wandelte das Todesurteil in eine Haftstrafe um. Buuveibaatar war im August 2008 schuldig gesprochen worden, den neuen Partner seiner Ex-Freundin ermordet zu haben. Sein Vater behauptete, dass Buuveibaatar aus Notwehr gehandelt habe. Amnesty International begrüßte die Entscheidung des Präsidenten und forderte die mongolische Regierung zugleich auf, ein Moratorium für die Todesstrafe zu verhängen und alle anhängigen Todesurteile in Haftstrafen umzuwandeln.

Die Todesstrafe gilt in der Mongolei als Staatsgeheimnis. Familien werden im Vorfeld nicht über die Vollstreckung einer Hinrichtung benachrichtigt, und der Leichnam wird ihnen nicht übergeben. Im vergangenen Jahr wurden in der Mongolei mindestens fünf Menschen hingerichtet. Buuveibaatars Vater hat Amnesty International einen Brief geschrieben und sich bei allen Beteiligten für die Unterstützung seines Sohnes bedankt.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2009/Januar 2010, S. 6-8
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2009