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AKTION/666: Urgent Action - Haiti - Rechtswidrige Zwangsräumungen in Haiti


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-156/2011, AI-Index: AMR 36/006/2011, Datum: 27. Mai 2011 - pn

Haiti
Rechtswidrige Zwangsräumungen in Haiti


300 OBDACHLOSE FAMILIEN

Seit dem 23. Mai wurden offenbar im Rahmen umfassender einer scheinbar groß angelegten Aktion von Zwangsräumungen im Großraum Port-au-Prince mehr als 300 durch das Erdbeben obdachlose Familien aus zwei provisorischen Lagern in Delmas vertrieben. Hunderte weitere Personen sind in den kommenden drei Monaten unmittelbar von Zwangsräumungen bedroht.

Am 23. Mai vertrieben zuständige Behörden in Delmas gemeinsam mit Angehörigen der haitianischen Polizei Familien, die sich auf der als "Place Carrefour Aéroport" bekannten Flughafenkreuzung zwischen Route de Delmas und Avenue Toussaint Louverture provisorisch niedergelassen hatten. Am 25. Mai wurden 144 Familien ebenfalls von lokalen Behörden, die mit Angehörigen der Polizei zusammenarbeiteten, aus dem Lager "Assistance Plus" an der Route 3 de Delmas vertrieben. Die Betroffenen teilen das Schicksal tausender HaitianerInnen, die durch das Erdbeben im Jahr 2010 obdachlos wurden und gezwungen waren, provisorische Unterkünfte zu errichten, wo immer dies möglich war. Bisher waren vor allem Binnenflüchtlinge, die auf Privatgrundstücken kampieren, von Zwangsräumungen bedroht und betroffen. Der Bürgermeister von Delmas kündigte jedoch an, in den kommenden drei Monaten jeden zu "evakuieren", der sich auf öffentlichen Plätzen in Delmas niedergelassen hat. Damit wolle er Haitis Bemühungen unterstützen, das Land für InvestorInnen und TouristInnen wieder attraktiv zu machen.

Der Bürgermeister von Delmas ordnete die Zwangsräumungen der oben genannten Lager an, ohne die Betroffenen im Voraus benachrichtigt oder zu dem Vorhaben konsultiert zu haben. Angehörige der zuständigen Behörden und der Polizei, die mit dem Bürgermeister zusammenarbeiteten, rissen Zelte und Planen nieder, die den Familien als Unterkunft dienten. Als die Behörden eintrafen, hatten einige BewohnerInnen das Lager bereits verlassen, um ihren täglichen Aufgaben nachzugehen. Als sie zurückkehrten, fanden sie ihr provisorischen Obdach zerstört vor. Ihr persönliches Hab und Gut wurde ebenfalls zerstört oder beschlagnahmt.

Die haitianischen Behörden stellten den vertriebenen Familien keine alternativen Unterkünfte zur Verfügung. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge wurde seitens der zuständigen Behörden von Delmas kein rechtliches Verfahren eingeleitet, das als Grundlage für die Vertreibung der Binnenflüchtlinge von öffentlichen Plätzen dienen könnte. Probleme wie Sicherheitsmängel und unangemessene Lebensbedingungen in den provisorischen Lagern können nicht durch Zwangsräumungen gelöst werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Das provisorische Lager auf der "Place Carrefour Aéroport" zählte zu den 245 in Delmas registrierten Binnenflüchtlingslagern. Die Stadt Delmas beherbergt die höchste Anzahl an Binnenflüchtlingen (fast 250.000, Stand: Januar 2011) und hat die meisten Lager. Sie ist gleichzeitig die Stadt mit den meisten Vertriebenen. Laut der UN?Abteilung für die Koordination und Verwaltung von Lagern "United Nations' Camp Coordination and Camp Management" (CCCM) wurden in Delmas zehn Räumungen registriert, von denen insgesamt etwa 27.000 Personen betroffen waren. Derzeit leben in Haiti 680.000 Menschen in über 1.000 Lagern und mehr als 70% davon wird mit Zwangsräumung gedroht oder eine Räumung steht ihnen unmittelbar bevor. In den meisten Fällen geschehen diese Vertreibungen ohne die notwendige rechtliche Grundlage.

Am 12. Januar 2010 kam es in Haiti zu einem verheerenden Erdbeben, bei dem 1,5 Millionen Menschen ihre Häuser und Wohnungen verloren. Das Epizentrum lag in der Nähe von Port-au-Prince. Über Nacht entstanden überall, wo sich Platz fand, improvisierte Lager, unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Flächen handelte. 16 Monate nach dem Erdbeben sind die Lebensbedingungen in den meisten Lagern trotz massiver humanitärer Hilfe nach wie vor besorgniserregend. Die Errichtung von Notunterkünften für die zehntausenden betroffenen Familien kommt nur sehr langsam voran. Räumungen verschlimmern die Zwangslage haitianischer Familien, die keinen Zugang zu alternativen Unterkünften haben, noch zusätzlich, insbesondere da die Regenzeit und die Wirbelsturmsaison bevorstehen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Stellen Sie sicher, dass Zwangsräumungen von Binnenflüchtlingslagern in Delmas und anderen Städten in Haiti eingestellt werden, bis angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung stehen.

- Ich bitte Sie eindringlich, Zwangsräumungen nur durchzuführen, sofern eine rechtliche Grundlage vorliegt, eine vorherige Benachrichtigung und Beratung mit den Betroffenen stattgefunden hat und alternative Unterkünfte angeboten werden können.

- Ich verweise auf die UN-Richtlinien für Binnenflüchtlinge, in denen es heißt, dass Binnenflüchtlinge das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich Unterkunft und Grundversorgung besitzen und vor willkürlicher Vertreibung geschützt werden müssen.


APPELLE AN

PRESIDENT
Monsieur Michel Martelly
Palais National
Rue Magny
Port-au-Prince
HAITI
(korrekte Anrede: Monsieur le Président, Sehr geehrter Herr Präsident)
Fax: (00 202) 745 7215
(über die haitianische Botschaft in den USA)
E-Mail: communications@presidentmartelly.ht

GENERALDIREKTOR DER HAITIANISCHEN POLIZEI
Monsieur Mario Andrésol
Directeur Général de la Police Nationale d'Haïti
(korrekte Anrede: Monsieur le Directeur Général/ Sehr geehrter Herr Generaldirektor)
E-Mail: marioandresol@yahoo.fr


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER REPUBLIK HAITI
S.E. Herrn Jean Robert Saget
Uhlandstraße 14, 10623 Berlin
Fax: 030-8855 4135
E-Mail: haitbot@aol.com oder
ambahaiti@aol.com (Sekretariat)


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 8. Juli 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY IN FRENCH OR YOUR OWN LANGUAGE:

- Urge authorities to halt any further evictions of people from IDP camps in Delmas and other municipalities in Haiti until such time as adequate alternative accommodation can be provided.

- Urge the authorities to ensure that no one is being evicted without due process, adequate notice, consultation and ensuring that all of those affected have access to adequate alternative accommodation.

- Remind them that UN Guiding Principles on Internally Displaced Persons state that such persons have the right to an adequate standard of living, including basic shelter and housing, and protection against arbitrary displacement.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-156/2011, AI-Index: AMR 36/006/2011, Datum: 27. Mai 2011 - pn
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2011