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AKTION/865: Urgent Action - Belarus - Drohende Hinrichtungen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-348/2011, AI-Index: EUR 49/025/2011, Datum: 2. Dezember 2011 - kf/ns

Belarus
Drohende Hinrichtungen

Der letzte Henker in Europa - Aktion zum Internationalen Aktionstag gegen die Todesstrafe 2011


Herr DZMITRY KANAVALAU
Herr ULADZSLAU KAVALYOU

Die belarussischen Behörden dürfen Dzimitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou keinesfalls hinrichten. Die beiden Männer wurden am 30. November nach einem Verfahren, das den internationalen Standards für faire Prozesse nicht entsprochen hatte, zum Tode verurteilt. Dzmitry Kanavalau wurde schuldig gesprochen, terroristische Anschläge begangen und Sprengstoffe hergestellt zu haben, die mit einer Reihe von Bombenanschlägen vom 11. April in Belarus in Verbindung stehen. Der letzte am 11. April diesen Jahres in Minsk. Uladzslau Kavalyou wurde der Beihilfe und Unterlassung der Informationspflicht gegenüber der Regierungsbehörden für schuldig befunden.

Beide Urteile ergingen durch den Obersten Gerichtshof von Belarus. Die einzige Möglichkeit für die Familien der beiden Männer weitere Rechtsmittel einzulegen, ist, ein Gnadengesuch beim Präsidenten einzureichen. Dies kann innerhalb von zehn Tagen nach dem Gerichtsurteil erfolgen. Werden die Gnadengesuche abgelehnt, könnten Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou bereits wenige Minuten nach der Entscheidung des Präsidenten hingerichtet werden.

Amnesty International hat ernste Zweifel an der Fairness des Gerichtsverfahrens. Uladzslau Kavalyou zog seine Aussage während des Gerichtsverfahrens mit der Begründung zurück, er habe sie unter Druck abgeben müssen. Er berichtete, dass man ihm während der Verhöre mit Erschießung gedroht habe. Darüber hinaus sagte er, dass die Schreie von Dzmitry Kanavalau im Nebenraum zu hören waren. Die Mutter von Uladzslau Kavalyou gab an, dass beide Männer während der Befragung geschlagen wurden.

Die schnelle Festnahme von Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou lässt an den Ermittlungen zweifeln. Beide Männer wurden am 12. April, einen Tag nach dem Anschlag, festgenommen. Noch bevor sie verhört worden waren, erklärte der Präsident, dass sich zwei Männer des Anschlags schuldig bekannt hatten. Damit wird der Grundsatz ihrer Unschuldsvermutung verletzt.

Es gibt keinen gerichtsmedizinischen Nachweis dafür, dass die Verurteilten an dem Anschlag beteiligt waren. Ebenso wenig konnten Sprengsatz-Spuren an ihnen nachgewiesen werden. Laut Experten sei es für die beiden auch nicht möglich gewesen, Sprengsätze in dem Keller hergestellt zu haben, wie es in ihren Anklagen heißt. Offiziellen Berichten zufolge wurden sie anhand von Überwachungsmaterial von Sicherheitskameras überführt, auf das sich die Staatsanwaltschaft während des Prozesses maßgeblich stützte. Dieses Beweismaterial wurde jedoch erst Tage nach der Inhaftierung der beiden beschlagnahmt und ihr Anwalt erhebt den Vorwurf, dass das Material manipuliert worden ist.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Fall von Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou hat in Belarus großes Aufsehen erregt, da bei der Explosion am 11. April 15 Menschen ums Leben kamen und Hunderte verletzt wurden, und das ganze Land schockiert war.

Die Schnelligkeit und Art sowohl der Ermittlungen als auch des Gerichtsverfahrens geraten zunehmend in die öffentliche Kritik. Beide zum Tode Verurteilten wurden innerhalb von wenigen Stunden nach der Explosion festgenommen und ihr Verfahren genügte den internationalen Standards für faire Prozesse in vielerlei Hinsicht nicht.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bitte Sie höflich, Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou zu begnadigen.

- Zudem bin ich sehr erschrocken über die Berichte, aus denen hervorgeht, dass Folter und andere Misshandlungen angewandt wurden, um Geständnisse zu erzwingen. Bitte untersuchen Sie diese Folter- und Misshandlungsvorwürfe.

- Ich möchte Sie außerdem bitten, ein neues Verfahren für Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou einzuleiten, das den internationalen Standards für faire Prozesse entspricht, insbesondere unter Beachtung des Rechts auf wirksamen Rechtsbeistand.

- Bitte erlassen Sie unverzüglich ein Hinrichtungsmoratorium in Übereinstimmung mit der Resolution 63/168 der UN-Generalversammlung, die am 18. Dezember 2008 verabschiedet wurde.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Alyaksandr Lukashenka
ul. Karla Marxa, 38
220016 Minsk
BELARUS
(korrekte Anrede: Dear President Lukashenka / Sehr geehrter Herr Präsident)
Fax: (00 375) 17 226 06 10 oder
(00 375) 17 222 38 72
E-Mail: contact@president.gov.by

GENERALSTAATSANWALT
Alyaksandr Koniuk
Internatsionalnaya str. 22
220050 Minsk,
BELARUS
(korrekte Anrede: Dear General Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 375) 17 226 42 52
Email: info@prokuratura.gov.by


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER REPUBLIK BELARUS
S. E. Herrn Andrei Giro
Am Treptower Park 32
12435 Berlin
Fax: 030-5363 5923
E-Mail: berlin@belembassy.org oder
info@belarus-botschaft.de


Im Falle, dass die Faxnummern zeitweise nicht verfügbar sind, senden Sie bitte eine E-Mail.

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Belarussisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 13. Januar 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on President Lukashenka to grant clemency to Dzmitry Kanavalau and Uladzslau Kavalyou.

- Expressing your serious concerns about the allegations that torture and other ill-treatment were used to obtain confessions from Dzmitry Kanavalau and Uladzslau Kavalyou and calling on the Belarusian authorities to open an investigation into allegations that Dzmitry Kanavalau and Uladzslau Kavalyou were tortured or ill-treated.

- Calling for Dzmitry Kanavalau and Uladzslau Kavalyou to be retried in proceedings which comply with international fair trial standards, especially with regard to his right to effective legal counsel.

- Calling on President Lukashenka to establish an immediate moratorium on the use of the death penalty, in line with UN General Assembly resolution 63/168, adopted on 18 December 2008.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Laut einer Studie des Independent Institute of Socio-Economic and Political Studies (IISEPS) vom September glauben nur 21,2 Prozent der BelarussInnen, dass die Explosion in Minsk im April von "einem einzigen Terroristen und seinem Helfer" ausgeführt wurde. 32,4 Prozent geben an, dass das Verbrechen ihrer Meinung nach auf Befehl ausgeführt worden sei und 36,7 Prozent glauben, dass andere Personen für die Explosion verantwortlich seien.

In Belarus kam es zu einer noch nie da gewesenen öffentlichen Welle an Kritik, und es wurden Petitionen zur Verhinderung der Hinrichtung von Dzmitry Kanavalau und Uladzslau Kavalyou gestartet. Bis heute haben bereits über 50.000 Personen unterschrieben.

Amnesty International wendet sich bedingungslos gegen die Todesstrafe, da sie die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen ist und einen Verstoß gegen das Recht auf Leben darstellt. Belarus ist das letzte Land in Europa und der ehemaligen Sowjetunion, das die Todesstrafe vollstreckt. Das belarussische Justizsystem weist zudem Mängel auf. Beispielsweise werden Gefangene und Familienangehörige häufig nicht im Vorfeld über die Hinrichtung informiert und manchmal sogar erst Monate später. Amnesty International kritisiert die fortdauernde Anwendung der Todesstrafe durch die belarussischen Behörden. Obwohl die Regierung in öffentlichen Erklärungen mitteilte, dass man sich um die Abschaffung der Todesstrafe bemühe, werden nach wie vor Todesurteile verhängt und Exekutionen vollstreckt. Im Jahr 2010 wurden zwei Männer hingerichtet und 2011 war es mindestens ein Mann.

In Belarus informiert man Gefangene in der Todeszelle nicht im Vorfeld über ihre Hinrichtung. Sie werden in der Regel wenige Minuten, nachdem man ihnen mitgeteilt hat, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt wurde, hingerichtet. Man bringt sie in einen Raum, in dem ihnen in Anwesenheit des Gefängnisdirektors, des Staatsanwalts und eines weiteren Mitarbeiters des Innenministeriums mitgeteilt wird, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt wurde und das Todesurteil nun vollstreckt wird. Dann werden sie in einen angrenzenden Raum gebracht. Dort zwingt man sie, sich hinzuknien und schießt ihnen in den Hinterkopf. Die Familienangehörigen des Gefangenen werden erst Tage oder Monate nach der Hinrichtung informiert.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-348/2011, AI-Index: EUR 49/025/2011, Datum: 2. Dezember 2011 - kf/ns
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2011