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ASIEN/202: Menschenrechtslage in Usbekistan schlecht - EU muß handeln


Pressemitteilung vom 10. Mai 2007

Menschenrechtslage in Usbekistan weiter schlecht - EU muss handeln


Berlin, 10. Mai 2007 - Einem verstärkten EU-Engagement zum Trotz werden in Usbekistan Menschenrechte unverändert schwer verletzt. Kritische Journalisten, Vertreter der Zivilgesellschaft und Oppositionelle in Usbekistan werden weiterhin verfolgt und in unfairen Prozessen abgeurteilt. Darauf hat amnesty international (ai) anlässlich des zweiten Jahrestags der Massentötungen in der usbekischen Stadt Andischan hingewiesen.

Vor der Sitzung des EU-Rats für Außenbeziehungen und Allgemeine Angelegenheiten am 14./15. Mai forderte ai Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als Präsidenten des EU-Ministerrats auf, bei der usbekischen Regierung auf eine unabhängige internationale Untersuchung der Vorfälle vom 12./13. Mai 2005 zu drängen. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei starben Hunderte zumeist unbewaffneter Zivilpersonen.

"Der Jahrestag von Andischan erinnert eindrücklich an die schlimme Menschenrechtslage in Usbekistan", sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von ai Deutschland. "Bemühungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, etwa in einem Menschenrechtsdialog mit Usbekistan, haben bisher nicht gegriffen. Staatsbeamte wenden systematisch und routinemäßig Folter an. Die Täter werden kaum zur Rechenschaft gezogen. Der Aufbau eines unabhängigen Justizwesens kommt nicht voran; Gerichtsverfahren entsprechen in der Regel nicht internationalen Standards, erfolterte Geständnisse sind als Beweismittel zugelassen."

In ihrem Schreiben an Steinmeier fordert ai die EU auf, sich einzusetzen für

o die sofortige und bedingungslose Freilassung der zahlreichen politischen Gefangenen

o die Abschaffung der Folter und Maßnahmen, die ihre zukünftige Anwendung verhindern;

o die strafrechtliche Verfolgung aller Menschenrechtsverletzungen


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ai-Briefing zur Lage von Menschenrechtsverteidigern in Usbekistan mit einer Reihe von Einzelfällen.

Dilmurod Muhiddinow

Auch das Verfahren gegen Dilmurod Muhiddinow von der Andischaner Menschenrechtsgruppe Ezgulik ("Wohltätigkeit") fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Muhiddinow wurde im Januar 2006 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Der Vorwurf lautete "versuchter Staatsstreich", Verteilung von Material, "das die öffentliche Ordnung gefährdet" sowie Beteiligung an "extremistischen, separatistischen, fundamentalistischen oder anderen verbotenen Organisationen". Muhiddinow und vier weitere Mitglieder von Ezgulik waren im Mai und Juni 2005 verhaftet worden, weil sie im Besitz einer Erklärung über die Ereignisse von Andischan waren, die die Oppositionspartei Birlik ("Einheit") herausgegeben hatte. Außerdem beschlagnahmte die Polizei in ihren Wohnungen Material zum Thema Menschenrechte. Ein Mitglied der Gruppe wurde später ohne Anklage wieder freigelassen. Gegen die anderen Mitangeklagten Muhiddinows wurden dreijährige Gefängnisstrafen auf Bewährung verhängt.


Mutabar Tadschibajewa

Mutabar Tadschibajewa, Leiterin der Menschenrechtsorganisation Ötyuraklar ("Feurige Herzen") aus Ferghana im Osten Usbekistans, wurde im März 2006 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wurde in 13 Punkten für schuldig befunden, darunter "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" sowie "Einsatz finanzieller Mittel ausländischer Regierungen, um die öffentliche Ordnung zu gefährden". Tadschibajewa hatte kaum Zeit, um sich auf ihre Verteidigung vorzubereiten. Gespräche mit ihrer Anwältin konnten nur unter Aufsicht bewaffneter Sicherheitskräfte stattfinden. Der Zugang zum Prozess war selbst für ihre Angehörigen stark eingeschränkt. Tadschibajewa musste während des Verfahrens in einem Käfig Platz nehmen, ihrer Anwältin war es nicht gestattet, den Zeugen der Anklage Fragen zu stellen. Im Mai 2006 verlor Mutabar Tadschibajewa auch das Berufungsverfahren. Pakete, die Tadschibajewa ins Gefängnis geschickt werden, kommen nicht an. Besuche ihrer Familie und AnwältInnen werden von den Behörden behindert. Da sie angeblich die Anstaltsregeln verletzt hatte, wurde Tadschibajewa zehn Tage lang in eine Strafzelle gesperrt und erhielt dort nicht einmal genug zu essen und zu trinken. Grund für den Arrest war eine Schere, die ihr offenbar jemand unter ihre Matratze geschoben hatte. Berichten zufolge hat sich ihr Gesundheitszustand stark verschlechtert. Eine Anwältin sah sich nicht imstande, die Menschenrechtlerin weiterhin rechtlich zu vertreten, nachdem sie und ihre Familie Drohungen erhalten hatten.


Umida Nijasowa

Umida Nijasowa, Journalistin und Mitglied der Menschenrechtsgruppe Veritas, wurde am 22. Januar 2007 im Südosten Usbekistans, nahe der Grenze zu Kirgisistan, verhaftet. Am 28. Januar wurde gegen sie Anklage wegen illegaler Überquerung der Grenze, Schmuggels und Verbreitung von Material, das die Sicherheit und öffentliche Ordnung gefährdet, erhoben. Am 1. Mai wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt. Beide Delikte können mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Umida Nijasowa war im Dezember 2006 von einem Menschenrechtsseminar in Kirgisistan zurückkehrt. Am Flughafen von Taschkent beschlagnahmte die Polizei ihren Pass und ihren Laptop, auf dem sich ein Bericht von Human Rights Watch über das Massaker von Andischan befand. Umida Nijasowa arbeitete für diese Organisation in Taschkent als Übersetzerin. Am Tag ihrer Verhaftung sollte sie eigentlich den beschlagnahmten Computer und ihre Papiere zurückerhalten.


Folter bleibt ungestraft

Auch Mitglieder der Menschenrechtsgesellschaft Usbekistans (HRS U) wurden in unfairen Prozessen zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Organisation, der eine offizielle Registrierung lange Zeit verweigert wurde, setzt sich für die Rechte von Bauern ein und prangert Korruption in staatlichen Behörden an. Strafrechtliche Verfolgung wegen Verleumdung Im Oktober 2005 wurden drei führende Mitglieder der HRSU aus der Region Samarkand verurteilt. Die vorgeschobenen Anklagen umfassten "Erpressung" und "Verleumdung".

Gegen Norboi Holschigitow, Landwirt und Mitglied der verbotenen Partei Ozod Dehkonlar ("Freie Bauern"), wurde eine zehnjährige Freiheitsstrafe verhängt, die beiden Lehrer Abdusattor Irsajew und Habibula Akpulatow wurden zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, den Leiter einer Kollektivfarm (Kolchose) illegaler Aktivitäten beschuldigt zu haben.

Außerdem hätten sie Unterschriften von 60 Farmarbeitern gesammelt, um ihre Vorwürfe zu unterstützen. Weitere Punkte der Anklage, wie "Bedrohung des Präsidenten", "versuchter Staatsstreich" sowie "Bildung illegaler Organisationen", wurden vom Gericht fallen gelassen. Berichten zufolge wurden die drei Menschenrechtler nach ihrer Verhaftung am 4. Juni 2005 gefoltert. Am 8. Juni 2005 versammelten sich Hunderte von Bauern aus Protest gegen die Anklage. Viele wurden daraufhin schikaniert und verfolgt, ebenso die Angehörigen der Menschenrechtler. Der Anwalt der drei Gefangenen soll seit der Übernahme des Mandats bereits zweimal von Polizeibeamten angegriffen worden sein, am 18. Juli 2005 sogar in seiner eigenen Wohnung.


Asam Farmonow und Alischer Karamatow

Asam Farmonow und Alischer Karamatow, führende Mitglieder der HRSU in der Stadt Gulistan, wurden im Juni 2006 wegen "Erpressung" zu einer Gefängnisstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach ihrer Verhaftung im April 2006 waren sie in das Untersuchungsgefängnis von Chawast gebracht worden, wo sie Berichten zufolge mit Knüppeln geschlagen und mit Gasmasken fast erstickt wurden. Sie wurden außerdem gezwungen, vorbereitete "Geständnisse" zu unterschreiben.

Im Prozess wurde ihnen ein Rechtsbeistand faktisch verweigert. Tolib Jakubow, der Leiter der Menschenrechtsgesellschaft Usbekistans, war zwar als Verteidiger registriert, der Prozesstermin wurde ihm jedoch nicht vorher angekündigt, so dass er keine Zeit hatte, die Verteidigung vorzubereiten. Asam Farmonow und Alischer Karamatow waren Klagen von Bauern über Amtsmissbrauch, Erpressung und Korruption nachgegangen. Vertreter lokaler Behörden sollen die Bauern daraufhin so unter Druck gesetzt haben, dass sie behaupteten, die Menschenrechtsverteidiger hätten die Bauern gegen die Staatsbeamten aufgestachelt.


Ulugbek Haidarow

Der Journalist Ulugbek Haidarow soll Berichten zufolge schwer gefoltert worden sein, und zwar sowohl vor, als auch nach seiner Verurteilung zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe wegen "Erpressung" im Oktober 2006. Er war im September 2006 an einer Bushaltestelle in Dschisach verhaftet worden, nachdem ihm eine Frau im Vorbeigehen etwas in die Tasche gesteckt hatte. Es handelte sich dabei um 400 US-Dollar, die er sofort auf den Boden warf, da er eine Falle befürchtete. Haidarows Frau, die ihn einige Tage später in Haft besuchte, berichtete, dass er krank und geschwächt sei. Er habe kaum sprechen können, da sein Gesicht halbseitig gelähmt gewesen sei. Im Prozess lehnte er einen unabhängigen Verteidiger ab und bat Angehörige und Menschenrechtsbeobachter, den Gerichtssaal zu verlassen. Dies ist als deutlicher Hinweis darauf zu verstehen, dass er massiv unter Druck gesetzt wurde. Nach seiner Verurteilung kam er in ein Gefängnis nach Nawoi. Dort wurden er und 14 weitere Gefangene laut Berichten gezwungen, schmerzhafte körperliche Prozeduren zu absolvieren. Sie wurden getreten und mit Knüppeln geschlagen. Jegliche medizinische Behandlung wurde verweigert. Im November 2006 wurde Ulugbek Haidarow freigelassen, nachdem ein Berufungsgericht das Urteil aufgehoben hatte. Eine ärztliche Untersuchung ergab, dass sein Fersenknochen gebrochen war.


Festnahmen, Internierungen und Überfälle

Einige MenschenrechtsverteidigerInnen wurden als Strafmaßnahme in psychiatrischen Anstalten interniert, andere wurden physisch angegriffen, festgenommen oder anderweitig verfolgt und bedroht.


Internierung in der Psychiatrie

Dschamschid Karimow, ein Journalist und Verwandter des Präsidenten Karimow, ist laut Berichten seit September 2006 in einer psychiatrischen Klinik interniert, nachdem er in Dschisach "verschwunden" war. Die lokalen Behörden gaben an, seinen Aufenthaltsort nicht zu kennen, erklärten jedoch gleichzeitig, dass Karimow bereits zuvor in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Seine Familie wurde von den Behörden bedroht. Ihre Telefonanschlüsse wurden stillgelegt, nachdem sie internationalen Organisationen mitgeteilt hatten, dass sein "Verschwinden" möglicherweise in Zusammenhang mit seiner journalistischen Arbeit stehe. Es wird vermutet, dass Karimow in einer geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik von Samarkand festgehalten wird. Er hatte anscheinend erwogen, das Land zu verlassen, nachdem er wegen seiner Arbeit für das Institute of War and Peace Reporting in London und internationale Webseiten schikaniert und verfolgt worden war.


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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 10. Mai 2007
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2007