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EUROPA/213: Polen - In schlechter Gesellschaft (amnesty journal)


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte


In schlechter Gesellschaft

In Polen können Flüchtlinge kaum auf die Leistungen zurückgreifen, die ihnen rechtlich zustehen. Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat sich die Situation für Asylsuchende noch verschärft.

Von Maciej Fagasinski

Seitdem Polen als demokratischer Staat die Kerngedanken der Menschenrechte anerkannt hat, können Menschen dort Schutz vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen suchen. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde ratifiziert, und in der polnischen Verfassung ist festgelegt, dass "Ausländern, die in der Republik Polen Schutz vor Verfolgung suchen, Flüchtlingsrechte garantiert werden." Doch inzwischen hat der Beitritt zur Europäischen Union das Asylrecht und die Situation von Flüchtlingen in Polen stark verändert.

Flüchtlinge haben zwei unterschiedliche Möglichkeiten, in Polen Schutz zu suchen: Der Status als Flüchtling wird zuerkannt, wenn der Asylsuchende die Bedingungen der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt. Zum anderen kann ein so genannter "subsidiärer Schutz" beantragt werden. Diese Form des tolerierten Aufenthalts greift, wenn so genannte Abschiebehindernisse auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention bestehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Ausweisung in einen Staat erfolgen würde, der das Recht auf Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit verletzt, oder wenn einer Person Folter oder andere erniedrigende Behandlung drohen könnte. Auch Zwangsarbeit oder die Verwehrung des Rechts auf einen fairen Prozess fallen unter diese Bestimmung.

Der Flüchtlingsstatus kann beantragt werden, sobald polnisches Staatsgebiet betreten wird. Der Grenzbeamte verweist an den "Leiter des Büros für Rückführung und Ausländer", der für die Beratungen des Flüchtlings und die Ermittlung seines Status zuständig ist. Der Asylsuchende darf nur dann in eine bewachte Einrichtung gebracht werden, wenn er unbefugt polnisches Gebiet betritt, wenn er beispielsweise kein Visum hat oder anfallende Gebühren im Zusammenhang mit seinem Aufenthaltsrecht nicht bezahlen kann. In der Praxis wird allerdings jeder Asylsuchende sofort in ein solches bewachtes Flüchtlingslager überführt. Die ersten beiden Instanzen können in der Realität nicht in Anspruch genommen werden. Das gesamte Verfahren sollte nicht länger als ein Jahr dauern. Während dieser Zeit hat der Asylsuchende das Recht auf soziale und medizinische Betreuung und auf einen kostenlosen Polnischkurs.

Die Flüchtlinge sind dazu verpflichtet, während des gesamten Prozesses in Polen zu bleiben und alle Beweise zu erbringen, die dem Asylverfahren dienlich sind.

Wenn weder der Flüchtlingsstatus noch der subsidiäre Schutz eingeräumt werden können, hat der Flüchtling die Möglichkeit, den Flüchtlingsausschuss als zweite Instanz einzuschalten. Außerdem kann er nach einem negativen Bescheid des Flüchtlingsausschusses eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht einlegen, das dann die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung überprüft.

Integrationsprogramme sollten eigentlich sowohl anerkannten Flüchtlingen als auch denen, die zunächst nur unter dem subsidiären Schutz stehen, zuteil werden. Beide Gruppen haben das Recht auf soziale Sicherheit und medizinische Versorgung und sollten Zugang zu Arbeitsmarkt und Schulbildung haben. In der Praxis haben aber nur anerkannte Flüchtlinge die Möglichkeit, an Integrationsprogrammen teilzunehmen. Das muss sich ändern, denn die Asylsuchenden, deren Aufenthalt auf Grundlage der europäischen Menschenrechtskonvention toleriert wird, haben kaum eine Chance auf gesellschaftliche Integration.

Seit dem EU-Beitritt hat der Druck auf Polen stark zugenommen: Zum einen ist Polen das Land mit der längsten EU-Außengrenze. Dadurch finden vergleichsweise viele Grenzübertritte statt. Zum anderen hat die EU-Zuständigkeitsregelung für die Asylprüfung, das Dublin II Abkommen, in dem festlegt ist, welche Staaten zur Durchführung von bestimmten Asylverfahren verpflichtet sind, auf Polen einen großen Einfluss. Seit Inkrafttreten des Abkommens im März 2003 sind die polnischen Behörden für eine große Anzahl von Flüchtlingen zuständig, die über Tschechien nach Polen gelangten. Diese Menschen möchten eigentlich nach Deutschland oder Österreich, doch das Abkommen macht es ihnen unmöglich, ihren Antrag für das Land einzureichen, in dem sie leben wollen. Häufig hinterlegen sie ihren Antrag in Polen und verschwinden noch während des laufenden Verfahrens. Sie überqueren die Grenzen und bleiben illegal in Westeuropa. Auch nach Rückführungen versuchen diese Flüchtlinge oft, Polen wieder zu verlassen. Im Ergebnis bedeutet das, dass den Flüchtlingen kein Schutz gewährt werden kann.

Auch wenn diese Rahmenbedingungen nicht verändert werden können, müssen die Gesetze dringend verbessert werden. Die europäischen Bestimmungen haben die aktuelle Situation in Polen schwieriger gemacht. Gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten muss unbedingt ein neues Asyl-System erarbeitet werden, in dem die Verantwortung gerecht geteilt wird.

Der Autor ist EU-Beauftragter der polnischen ai-Sektion.


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DAS RECHT AUF EIN FAIRES VERFAHREN

An den Grenzen zur Europäischen Union spielen sich menschliche Katastrophen ab. Bei der Überfahrt über das Mittelmeer verlieren Menschen ihr Leben, und auch an den Grenzen im Osten werden Schutzbedürftige abgewiesen. Wenn sie in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, drohen ihnen dort neue Menschenrechtsverletzungen. Die EU reagiert auf diese Entwicklung mit einer Verstärkung der Grenzkontrollen. Die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern wird meistens dazu genutzt, die Verantwortung auf diese Länder abzuwälzen. Neue Rückübernahmeabkommen werden abgeschlossen, und die routinemäßige Zusammenarbeit mit Europol und der Grenzschutzbehörde FRONTEX wird vereinbart. Die EU versucht dabei, ihre völkerrechtliche Verpflichtung, den Schutzsuchenden einen Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewährleisten, das auch einen gerichtlichen Rechtsschutz enthält, zu umgehen. Wenn Menschenrechtsverletzungen drohen, müssen die Mitgliedsstaaten der EU sicherstellen, dass es nicht zu Kettenabschiebungen bis zurück in das Herkunftstand eines Schutzsuchenden kommen darf.


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 20
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2007