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EUROPA/227: CIA-Untersuchungsausschuß des EU-Parlaments - Interview


amnesty journal 4/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Die Sache ist zu heiß"
Ein Gespräch mit Wolfgang Kreissl-Dörfler, Mitglied des CIA-Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments

Interview: Anton Landgraf


FRAGE: Ist es nicht an der Zeit, dass sich die Bundesregierung bei Murat Kurnaz entschuldigt?

KREISSL-DÖRFLER: Das Verfahren im Deutschen Bundestag läuft noch. Am Ende dieses Prozesses wäre es aber sicherlich angebracht, wenn sich die Bundesregierung mit Herrn Kurnaz persönlich auseinandersetzt, so wie es die kanadische Regierung in einem ähnlichen Fall auch schon getan hat. Ich kann natürlich nicht für Außenminister Steinmeier sprechen, aber ich glaube, dass man mit Herrn Kurnaz fairer umgehen sollte.

FRAGE: Stattdessen werden im Untersuchungsausschuss des Bundestages weiterhin alte Vorwürfe aufgewärmt, die schon seit langem nicht mehr haltbar sind.

KREISSL-DÖRFLER: Ich halte diese Strategie für falsch und bin sehr enttäuscht darüber. Aber ich will mich in die Arbeit des Ausschusses nicht einmischen.

FRAGE: Der Sonderausschuss des Europäischen Parlaments hat die CIA-Flüge klar verurteilt. Welche Konsequenzen folgen daraus?

KREISSL-DÖRFLER: Der Abschlussbericht verurteilte zwar die Praxis, konnte aber auch keine Beweise finden, dass nationale Regierungen dabei aktiv mitgewirkt haben. In jedem Fall liegt jedoch nahe, dass illegale Praktiken auf europäischem Boden zumindest geduldet wurden. Da wir aber als temporärer Ausschuss über keine Rechtsmittel gegenüber den Mitgliedsstaaten verfügen, können wir nur Bewertungen abgeben und den Ball dann an die nationalen Parlamente zurückgeben. Diese müssen anschließend herausfinden, ob und in welchem Maße ihre Regierungen oder staatliche Stellen an diesen Vorkommnissen direkt oder indirekt beteiligt waren.

FRAGE: Wie haben die nationalen Regierungen auf den Bericht reagiert?

KREISSL-DÖRFLER: Zum Teil gar nicht, was ja auch eine Reaktion darstellt, zum Teil sehr erbost. Die polnische Regierung hat besonders heftig reagiert und den Bericht als Angriff auf ihre Souveränität gewertet. Auch in Rumänien und Bulgarien gab es große Empörung. Dort wurden die Befürworter als Landesverräter und Nestbeschmutzer beschimpft. In Deutschland hingegen hat sich niemand großartig darüber aufgeregt.

FRAGE: Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Reaktionen?

KREISSL-DÖRFLER: In den östlichen Beitrittsländern haben die Geheimdienste aufgrund der jüngsten Vergangenheit oft eine andere Wirkung als in Westeuropa. Viele sind dort noch von dieser Zeit traumatisiert, gleichzeitig gibt es aber auch noch viele Kontinuitäten. Deswegen ist die Haltung der Abgeordneten aus diesen Ländern sehr mutig. So hat der ehemalige rumänische Verteidigungsminister dem Bericht zugestimmt und damit Praktiken verurteilt, die vielleicht unter seiner Amtszeit geschehen sind. Bei dieser Stimmungslage ist es dann natürlich sehr heikel, wenn man sagt, wir haben keine Beweise, wollen aber auch nichts ausschließen. Es wäre vermutlich besser gewesen, auf solche halbgaren Aussagen zu verzichten und nur die Vorwürfe zu benennen, die wir auch klar belegen können.

FRAGE: Die Geheimdienste müssen besser kontrolliert werden, lautet eine zentrale Aussage des Berichts. Ist wenigstens diese Botschaft angekommen?

KREISSL-DÖRFLER: Die nationalen Regierungen lehnen das rundweg ab. Natürlich wollen wir nicht, dass das Europäische Parlament die Geheimdienste kontrolliert. Aber es muss eine stärkere Kontrollmöglichkeit durch die nationalen Parlamente geben. Was das Parlamentarische Kontrollgremium in Berlin macht, halte ich für viel zu beschränkt.

FRAGE: Wie kann eine Kontrolle aussehen?

KREISSL-DÖRFLER: Indem die Geheimdienste den parlamentarischen Kontrollgremien viel umfassender Bericht erstatten. Dafür müssen zum Beispiel die Abgeordneten des Bundestags kämpfen. Diese Forderung wird leider immer nur so lange erhoben, wie die Abgeordneten in der Opposition sitzen.

FRAGE: Welche Wirkung kann das Europäische Parlament überhaupt erzielen?

KREISSL-DÖRFLER: Wir sind vor allem eine moralische Instanz, die über eine beeindruckende demokratische Legitimation verfügt. Das zeigt natürlich Wirkung. Ohne uns wäre der Fall von Al Masri wohl nicht aufgedeckt worden. Die Untersuchungsmöglichkeiten sollten dennoch weiter gestärkt werden. Wir müssen aufklären und verfolgen, keine Frage, aber ganz klar nach rechtsstaatlichen Prinzipien.

FRAGE: Haben Sie in dem Ausschuss eine Antwort darauf gefunden, warum Murat Kurnaz damals als Sicherheitsrisiko gesehen wurde und eine Freilassung nach Deutschland verhindert werden sollte?

KREISSL-DÖRFLER: Ich kann mir diese Entwicklung nur aufgrund der damaligen Umstände erklären. Es gab enorme Spannungen zwischen Deutschland und den USA bis hin zu dem Eklat um den Irak-Krieg. Hinzu kam, dass einige Attentäter des 11. Septembers 2001 jahrelang als so genannte "Schläfer" in Deutschland gelebt haben. Es gab in dieser Zeit zahlreiche Anschläge und anderes mehr. In dieser Situation hat man sich natürlich gefragt, warum Murat Kurnaz ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt nach Pakistan fährt. Es war eine schwierige Gemengelage.

Deswegen verstehe ich nicht, wieso es heute so schwer fällt, das zuzugeben. In dem Sinne: Wir haben vielleicht Fehler gemacht, aber unter den damaligen Umständen konnten wir nicht anders handeln. Diese Geschichte heute einfach damit zu rechtfertigen, dass es sich bei Murat Kurnaz schließlich nicht um einen deutschen Staatsbürger handelt, finde ich unverständlich.

FRAGE: Sind heute die Wege aus Europa nach Guantánamo versperrt - so, wie Sie es in einer Rede vor dem Europäischen Parlament gefordert haben?

KREISSL-DÖRFLER: Die Möglichkeiten gibt es für Geheimdienste immer, aber es macht keiner mehr. Die Sache ist zu heiß geworden, da will sich niemand mehr die Finger daran verbrennen. Die CIA hat nie damit gerechnet, solche Schwierigkeiten zu bekommen. Ihre Agenten konnten sich gar nicht vorstellen, dass sich jemand um ihre Aktivitäten kümmert. Sonst hätten sie nicht mit ihren privaten Kreditkarten bezahlt und mit ihren Diensthandies telefoniert. Die dachten, sie könnten im Kampf gegen den Terror alles machen. Und dann kommt plötzlich die Staatsanwaltschaft in Mailand oder in München und will sie zur Rechenschaft ziehen. Damit ist es nun sicherlich vorbei.

Das schließt aber nicht aus, dass die USA mit Foltermethoden in anderen Ländern arbeiten. Es heißt ja immer, dass die Syrer am besten foltern. Und wer nach Ägypten geschickt wird, taucht in der Regel nie wieder auf.


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Wolfgang Kreissl-Dörfler

Der Abgeordnete im Europäischen Parlament war Mitglied im CIA-Untersuchungsausschuss, der die Verwicklung der EU-Staaten in illegale Gefangenenflüge der CIA klären sollte. Der Ausschuss legte Ende Januar seinen Abschlussbericht vor.


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Quelle:
amnesty journal, April 2007, S. 16-17
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2007