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EUROPA/431: Österreich - Für 22% sind Wohnkosten eine schwere Belastung


Amnesty International Österreich - Pressemitteilung vom 30. Januar 2023

Österreich:
Für 22% sind Wohnkosten eine schwere Belastung - Weckruf an die Regierung


Die Befragung zu sozialen Krisenfolgen der Statistik Austria zeichnet ein besorgniserregendes Bild. Sie zeigt deutlich, dass immer mehr Menschen in Österreich Gefahr laufen, sich kein sicheres Zuhause mehr leisten zu können. Politische Entscheidungsträger*innen aus Bund und Ländern müssen jetzt dringend handeln und unser Recht auf Wohnen besser schützen.

Laut Befragung der Statistik Austria, durchgeführt im dritten Quartal 2022, sind für 22% der Befragten die Wohnkosten eine schwere Belastung. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, in den vergangenen zwölf Monaten Einkommensverluste erlitten zu haben. Das sind hochgerechnet 2,3 Millionen Menschen in Österreich. 30% der 16- bis 69-Jährigen erwarteten innerhalb der kommenden drei Monate Zahlungsschwierigkeiten bei der Begleichung ihrer Wohnkosten.

Wohnkostenbelastung steigt insbesondere bei vulnerablen Gruppen

Die Befragung der Statistik Austria beschäftigt sich insbesondere mit der Situation von Personen mit Risikofaktoren. Dazu zählen Menschen mit geringem Haushaltseinkommen, Menschen in von Arbeitslosigkeit betroffenen Haushalten, Alleinerziehende und deren Kinder sowie Personen in Mehrkind-Haushalten. Die letzte veröffentlichte Befragung im dritten Quartal 2022 zeigt auf: Bei all diesen vulnerablen Gruppen - ausgenommen Personen aus Mehrkind-Haushalten - hat die subjektive Wohnkostenbelastung im Vergleich zu den Befragungen in den vorangegangenen Quartalen nochmals deutlich zugenommen.

Almosen

Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben - dazu gehört leistbarer und sicherer Wohnraum. Aktuell ist es jedoch so: Wohnen wird als Luxusgut oder gar Investitionsmöglichkeit betrachtet; die Unterstützung bei Wohnungs- und Obdachlosigkeit hingegen als Almosen, worauf Menschen nur unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch haben. Beides ist falsch und muss dringend geändert werden. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht, zu dessen Achtung, Schutz und Erfüllung sich Österreich völkerrechtlich verpflichtet hat. Allerdings fehlt der politische Wille, dies vollständig umzusetzen und nachhaltige Konzepte auf den Tisch zu legen, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Und das, obwohl sich die Regierung in der Erklärung von Lissabon 2021 öffentlich dazu bekannt hat, Obdachlosigkeit in Österreich bis zum Jahr 2030 zu beenden. Ein Ziel, dass angesichts der Ergebnisse der jüngsten Statistik-Austria-Befragung umso drängender und wichtiger ist.


WOHNKOSTEN
22% der Befragten sehen die Wohnkosten als eine schwere Belastung.

EINKOMMENSVERLUSTE
1/3 der Befragten gab an, in den vergangenen zwölf Monaten Einkommensverluste erlitten zu haben.

ZAHLUNGSSCHWIERIGKEITEN
30% der 16- bis 69-Jährigen erwarteten innerhalb der kommenden drei Monate Zahlungsschwierigkeiten bei der Begleichung ihrer Wohnkosten.


Die derzeitige Lösung ist für viele keine

Die derzeitige Lösung ist das System der Wohnungslosenhilfe, das oft unzureichend ist und sich von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Betroffene müssen häufig einen Parcours aus Behördenwegen und Antragsformularen durchlaufen, um endlich Zugang zur Wohnungslosenhilfe zu bekommen. Klar ist: So funktioniert der Schutz der Menschenrechte nicht. Unterstützungsleistungen wie Almosen zu verteilen und das System so aufzubauen, dass Menschen davon ausgeschlossen werden - weil sie die strengen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen - ist zu wenig. Dazu kommt: Bürokratische Hürden, komplizierte Antragsformulare und unklare Zuständigkeiten hindern die Menschen daran, Unterstützungsleistungen zu beantragen oder diese rechtzeitig zu bekommen. Passende Angebote vor allem für Frauen oder Jugendliche finden die Betroffenen viel zu selten.

Es scheint, als würde das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit die Politik nicht interessieren. Das erklärt auch, warum es keine umfassenden Zahlen und Statistiken über Wohnungs- und Obdachlosigkeit gibt und noch immer nicht unter Einbeziehung von Betroffenen und Expert*innen an einer Lösung gearbeitet wird. Dabei dürfen wir uns wohl auch selbst an der Nase nehmen: Die Stigmatisierung der Betroffenen - unter dem Motto "selbst schuld" - führt dazu, dass Wohnungslosigkeit von vielen Menschen als individuelles Versagen gesehen und der Staat nicht ausreichend in die Pflicht genommen wird. Es braucht ein Umdenken. Denn die Ursachen für Wohnungs- und Obdachlosigkeit liegen nicht beim Einzelnen, sondern in strukturellen Versäumnissen Österreichs, Armut wirksam vorzubeugen und leistbaren Wohnraum für alle sicherzustellen.

Schritte in die richtige Richtung

Österreich hat eine völkerrechtliche Verpflichtung, die es einzuhalten gilt. Wohnen muss als Menschenrecht grundrechtlich verankert und vor allem mit einem Rechtsanspruch auf Wohnungslosenhilfe umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm Maßnahmen zur Schaffung von leistbarem Wohnraum festgelegt. Diese Maßnahmen nun dringend umzusetzen, ist notwendig, um derzeit fehlenden leistbaren Wohnraum zu schaffen. Dieser Mangel stellt nämlich eine strukturelle Ursache für Wohnungs- und Obdachlosigkeit dar. Auch die meisten der Regierungsabkommen auf Landesebene enthalten Punkte zum Thema Wohnungslosenhilfe. Beispielsweise enthält das Tiroler Regierungsabkommen den Ausbau von Unterstützung für Menschen, die wohnungs- oder obdachlos sind. Das steirische Abkommen besagt, die Steiermark stehe dafür, dass "jeder Mensch ein Dach über dem Kopf hat"; und Wien hat eine eigene Strategie zum Thema Wohnungslosenhilfe. Bleibt zu hoffen, dass sich die Bundesländer auch untereinander austauschen - zu lernen gibt es schließlich noch einiges, damit endlich alle Menschen in Österreich ihr Recht auf ein menschenwürdiges Zuhause verwirklichen können.


"SO GEHT'S UNS HEUTE" - BEFRAGUNG DER STATISTIK AUSTRIA

Die Befragung der Statistik Austria zu sozialen Krisenfolgen ist online abrufbar:
https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Soziale-Krisenfolgen-BerichtW4-2022.pdf

Weitere Informationen zu den Befragungen:
https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/soziale-krisenfolgen

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Quelle:
Amnesty International Österreich
Lerchenfelder Gürtel 43/4/3, 1160 Wien
Telefon: (+43 1) 78008 | Fax: (+43 1) 78008-44
E-Mail: office@amnesty.at
Internet: https://www.amnesty.at

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. Januar 2023

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