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FRAGEN/014: Verfolgung von Minderheiten - "Alle verdienen unsere Solidarität" (ai journal)


amnesty journal 01/2013 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Alle verdienen unsere Solidarität"

Ein Gespräch mit Heiner Bielefeldt, UNO-Sonderbeauftragter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, über die Verfolgung von Minderheiten und falsche Alibis.

Die Fragen stellte Anton Landgraf



Frage: Brennende Kirchen in Kairo, Bombenanschläge auf christliche Gemeinden im Irak: Die Nachrichten vermitteln den Eindruck, als wären Christen die am meisten verfolgte Religionsgruppe auf der Welt.

Heiner Bielefeldt: Zweifellos sind viele Christen in aller Welt von Verletzungen der Religionsfreiheit massiv betroffen, so etwa in Nigeria, Iran, Irak, Ägypten, China oder Eritrea. Die Gründe für die Verfolgung sind dabei so unterschiedlich wie die Länder, in denen sie stattfindet. Aber wo Christen bedrängt werden, werden typischerweise auch andere Religionsgruppen bedrängt. Im Irak stehen nicht nur Christen, sondern beispielsweise auch Jesiden massiv unter Druck. In Ägypten denken wir zu Recht an die Diskriminierung der Kopten, vergessen aber oft, dass dort beispielsweise die Bahai ebenfalls einen sehr schweren Stand haben. Erst recht gilt das für den Iran. Dort sind die Bahai wohl die am massivsten verfolgte Gruppe. Aber auch viele Christen, insbesondere Konvertiten, werden dort diskriminiert und teils verfolgt. Dabei ist es sinnvoll, innerhalb der Christen zu differenzieren: Es trifft oft besonders stark protestantische Gruppen, weil diese im Nahen Osten als westliche Missionskirchen gelten und oft mit dem verhassten Amerika assoziiert werden.

Das heißt, ein Schlagwort wie Christenverfolgung steht für sehr komplexe Phänomene. Wir sollten grundsätzlich von der Perspektive der Menschenrechte ausgehen: Solidarität verdienen alle verfolgten Menschen.

Frage: Es fällt auf, dass religiöse Verfolgung besonders häufig in islamisch geprägten Ländern vorkommt.

Heiner Bielefeldt: Tatsächlich zeigen sich in vielen islamischen Staaten in Sachen Religionsfreiheit schwere Defizite. Allerdings sollte man daraus nicht falsche Schlussfolgerungen ziehen und das Thema Religionsfreiheit in einen Kampf zwischen Kulturen umdeuten, wonach Christen grundsätzlich die Opfer und Muslime die Verfolger sind. Das führt in die Irre. In islamisch geprägten Gesellschaften werden auch viele Muslime wegen ihrer Religionsausübung verfolgt, wie im Iran beispielsweise. In den Gefängnissen sitzen nicht nur Bahais und Christen, sondern auch viele kritische Muslime.

Frage: Länder wie Pakistan verfolgen religiöse Abweichung besonders rigoros, unter anderem durch sogenannte Blasphemie-Gesetze.

Heiner Bielefeldt: Es gibt Blasphemie-Gesetze in vielen Staaten der Welt, insbesondere in islamisch geprägten Regionen. Pakistan ist ein drastisches Beispiel, weil so genannte Blasphemie sogar mit dem Tod bestraft werden kann. Der vermeintliche Tatbestand ist völlig vage definiert und gibt oft Anlass für Verdächtigungen jedweder Art. Gerade im Falle von Pakistan sollte man jedoch nicht vergessen, dass das Land einmal ganz anders war. Als 1948 über die Erklärung der Menschenrechte in der UNO diskutiert wurde, sprach sich der pakistanische Außenminister für eine dezidiert liberale Auslegung der Religionsfreiheit aus, einschließlich des Religionswechsels. Das wäre heute undenkbar. In den sechziger Jahren war Pakistan bei familienrechtlichen Reformen zugunsten von Frauen tonangebend. Auch heute gibt es in Pakistan Kreise, die sehr menschenrechtlich orientiert sind. Meine Vorgängerin, Asma Jahangir, die von 2004 bis 2010 UNO-Sonderberichterstatterin für Religionsfreiheit war, kam aus Pakistan.

Auf der anderen Seite steht die brutale Wirklichkeit der Blasphemiegesetzgebung, die ein Klima der Angst schafft - insbesondere natürlich bei Dissidenten und bei religiösen Minderheiten. Es gibt Politiker, die mit der Angst spielen, weil Ressentiments und Paranoia Mittel der politischen Mobilisierung sind. In Staaten mit schwachen öffentlichen Institutionen wird ein Spiel getrieben, das auf Kosten der Religionsfreiheit geht. Und autoritäre Regime haben immer Angst, dass sich soziale Gruppen, die jenseits ihrer Kontrolle sind, selbstständig organisieren.

Frage: Die Verfolgung von Andersgläubigen wird meistens religiös legitimiert. Ist Toleranz eine Auslegungssache?

Heiner Bielefeldt: Sicher ist es ein Unterschied, ob man religiöse Grundlagentexte offen oder ganz eng interpretiert, als sei jedes Komma heilig. Interpretatorische Spielräume innerhalb der Theologie zu verschaffen, ist ein sinnvolles Projekt. Theologische Faktoren spielen bei der Verfolgung Andersgläubiger daher sicher eine Rolle, aber sie spielen nicht die Hauptrolle.

Frage: Religion dient also eher als Alibi, um andere Motive zu verschleiern?

Heiner Bielefeldt: Das wird oft so sein. Religion wird vielfach von außen machtpolitisch instrumentalisiert, kann auch von innen her einen Machtanspruch produzieren, der für einen anderen Glauben keinen Raum lässt. Ich glaube, beides kommt vor.

Frage: Kürzlich hat ein Mohammed-Video extreme Reaktionen hervorgerufen. Welche Interessen spielen dabei eine Rolle?

Heiner Bielefeldt: Der Film will provozieren; er ist im Duktus kränkend und primitiv. Diejenigen, die ihn produziert haben, sollten sich bloß nicht als heldenhafte Vorkämpfer der Meinungsfreiheit gerieren; sie tragen dazu bei, die Meinungsfreiheit, die wir ja - einschließlich von Religionskritik, Satire und Karikaturen! - verteidigen müssen, in Misskredit zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es empörungsbereite Gruppen innerhalb des Islams, die jeden Anlass zur Polarisierung gern aufgreifen - sei es, um sich an kollektiven Akten der Erregung zu berauschen, sei es um gemäßigte und liberale islamische Gruppen unter Druck zu setzen und die eigene Gefolgschaft zu mobilisieren. Unverzeihlich sind natürlich die Akte der Gewalt, die da begangen worden sind, oder auch das Kopfgeld, das ein Mitglied des pakistanischen Kabinetts ausgesetzt hat. Ich möchte denjenigen Muslimen ein Kompliment aussprechen, die friedlich - teils mit Nicht-Muslimen zusammen - gegen das Video und zugleich auch gegen die Gewalt demonstriert haben. Diese Gruppen brauchen Unterstützung und öffentliche Anerkennung, an der es leider oft mangelt.

Frage: In Europa verkehren sich scheinbar die Rollen: Hier fühlen sich Muslime oft unterdrückt und diskriminiert.

Heiner Bielefeldt: Die Berufung auf das Christentum, die man bei islamophoben Bewegungen in Europa gelegentlich findet, bleibt meistens extrem oberflächlich. Auf den einschlägigen Websites werden oft einschlägige Koranverse sehr freundlichen Bibelversen gegenübergestellt, sodass der gewünschte Kontrasteffekt entsteht. Häufig werden Koranverse aber auch mit dem Grundgesetz und manchmal sogar mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verglichen, was unsinnig ist, weil es sich um völlig unterschiedliche Textgattungen handelt. Die Skepsis gegenüber dem Islam, die zur Islamophobie führen kann, verläuft heute primär nach dem Muster: Wir sind modern und die anderen sind Modernitätsverweigerer. Es geht mittlerweile nicht mehr so sehr nach dem alten Muster Abendland versus Morgenland, sondern Moderne versus Vormoderne, Aufklärung versus Aufklärungsverweigerung. Das erkennt man übrigens daran, dass diese Frage sehr stark an der Frauenthematik exemplifiziert wird: Wie hältst du es mit dem Kopftuch? Wie hältst du es mit der Burka, mit der Zwangsverheiratung? Beim Gender-Thema bilden wir uns ein, dass wir auf dem Stand der Post-Aufklärung angelangt sind, während die anderen angeblich auf Ewig in der Phase der Prä-Aufklärung verharren.

Frage: Damit wurde zum Beispiel das Burka-Verbot in Frankreich und in Belgien begründet.

Heiner Bielefeldt: Ich teile das Unbehagen gegenüber der Burka, ich finde es auch furchtbar, wenn ich Frauen sehe, die den Gesichtsschleier tragen. Dennoch muss ich sagen: Eine Gesetzgebung, wie sie in Frankreich erlassen worden ist, kann keine Abhilfe schaffen. Sie wird die Frauen noch mehr in die Isolation treiben. Sie ist in sich nicht glaubwürdig, weil sie einerseits die Frauen als Opfer definiert und die Strafdrohungen theoretisch an die Männer richtet, aber ersatzweise doch wieder die Frauen bestraft. Ich glaube nicht, dass das Strafrecht das richtige Mittel ist, um hier Emanzipation zu befördern.

Frage: Trifft das auch die Beschneidungsdebatte zu? Werden damit die religiösen Rechte eingeschränkt?

Heiner Bielefeldt: Das Thema Knabenbeschneidung ist schwierig. Auch in Menschenrechtskreisen treffen unterschiedliche Positionen aufeinander, weil wir es hier mit einem Geflecht partiell konkurrierender menschenrechtlicher Gesichtspunkte zu tun haben, das sich nicht ganz befriedigend auflösen lässt. Ich will hier nur einen Punkt aufgreifen: Der ätzend-verächtliche Ton, der in der Debatte vielfach gegen die Religionsgemeinschaften angeschlagen worden ist, hat mich entsetzt. Viele Juden und Muslime, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe, äußersten sich fassungslos und verbittert. Wir werden die Debatte fortsetzen müssen - aber hoffentlich auf der Grundlage von Fairness und Respekt.

Frage: Wie sieht die Praxis aus? Mit welchen Ländern haben Sie sich bereits beschäftigt?

Heiner Bielefeldt: Wichtig sind die sogenannten Fact-Finding-Missionen, also die offiziellen Länderinspektionsreisen. Sie erfordern einen langen Vorlauf und diplomatische Vorbereitung, die Staaten müssen ja mitspielen. Diese Reisen dauern zehn bis 20 Tage und münden anschließend in einen Bericht, der dem UNO-Menschenrechtsrat vorgetragen wird. Das schaffe ich nur zweimal im Jahr. Mehr könnte die UNO aber auch gar nicht finanzieren.

Frage: Sie besuchten im vergangenen Jahr unter anderem die Republik Moldau in Osteuropa. Was haben Sie dort untersucht?

Heiner Bielefeldt: Zum Beispiel, ob protestantische Minderheiten in dem sehr stark orthodox geprägten Land Zugang zu Friedhöfen haben. Wie ist es, wenn diese Minderheiten ihre Toten beerdigen wollen? Da gibt es manchmal Schwierigkeiten. Hinzu kamen Fragen zur Registrierung von religiösen Minderheiten. Ein Rechtsstatus ist entscheidend, um zum Beispiel Personal anzustellen oder Schulen zu unterhalten.

Wir sind durch das Land gefahren, haben lutherische Gemeinden und muslimische Splittergruppen besucht und uns mit jüdischen Vertretern getroffen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem alten Juden, der noch unter dem faschistischen Diktator Antonescu in einem Konzentrationslager einsaß. Die Menschen dort haben Unglaubliches mitgemacht: Den Faschismus, die Naziherrschaft, den Krieg, dann Stalin und den Realsozialismus, dann die Wende.

Frage: Wegen Ihrer Kritik wurden Sie von der orthodoxen Kirche heftig angegriffen.

Heiner Bielefeldt: Das Machtgebaren der moldawisch-orthodoxen Kirche liegt nicht darin begründet, dass orthodoxe Kirchen generell so auftreten. Vieles hängt an historischen Traumatisierungen aus der jüngsten Vergangenheit. Öffentliche Institutionen gelten außerdem als wenig vertrauenswürdig, sodass ein von staatlichen Institutionen geschaffener öffentlicher Raum, in dem sich Pluralismus angstfrei entfalten kann, noch schwach entwickelt ist. Ein Staat, in dem Korruption weit verbreitet ist, birgt zudem die Gefahr, dass auch Religionsgemeinschaften mafiöse Züge annehmen und sich in einer pluralistischen Gesellschaft nicht zurechtfinden können.

Frage: Sie besuchten auch Paraguay ...

Heiner Bielefeldt: Das spannendste Thema dort war der Besuch einer Mennoniten-Siedlung. Für mich als Deutschen bot sich eine geradezu surreale Situation: Alle Mennoniten sprachen ein gepflegtes Deutsch, das in den Schulen unterrichtet wird. Deutsch ist in diesen Siedlungen die dominante Sprache, obwohl die Menschen vor vielen Generationen aus Deutschland ausgewandert sind. Zunächst nach Russland und dann, als sie von Stalin verfolgt wurden, nach Paraguay. Dort haben sie schließlich ein florierendes Agro-Business aufgebaut. Die Schattenseite ist, dass eine Gruppe, die selber massive Verfolgung erleben musste, jetzt ihrerseits die indigene Bevölkerung unterdrückt. Ich verwende hier nicht den Begriff der Verfolgung, aber vieles läuft auf Formen religiöser Bevormundung hinaus. So gibt es faktisch wenig Alternativen zu den Bibelschulen der Mennoniten. Hier findet eine religiöse Bevormundung durch eine Gruppe statt, die meint, etwas Gutes zu tun. Sie hat aber nicht gelernt, auch religiöse Differenz, in diesem Fall die religiösen Ausdrucksformen der Indigenen, in angemessener Weise zu respektieren.


Heiner Bielefeldt ist Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg und seit Juni 2010 Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UNO-Menschenrechtsrats.Zuvor war er von 2003 bis 2009 Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.

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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2012/Januar 2013, S. 48-50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2013