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FRAGEN/015: "Es herrscht ein militärischer Stil" - Situation der Arbeiter in China (ai journal)


amnesty journal 01/2013 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Es herrscht ein militärischer Stil"

Interview von Ralf Rebmann



Große Unternehmen wie Apple und Samsung lassen ihre Smartphones und Tablets kostengünstig in chinesischen Fabriken produzieren. Dort werden die Rechte der Arbeiter regelmäßig missachtet. Ein Interview mit Li Qiang, Leiter der Organisation "China Labour Watch".


Frage: Im Oktober bestätigte das taiwanesische Unternehmen Foxconn, Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren beschäftigt zu haben. Wie lässt sich das erklären?

Li Qiang: Die Kinder und Jugendlichen wurden von den Schulen in die Fabriken geschickt, um ein Pflichtpraktikum zu machen. Die Schulen schließen mit den Unternehmen Verträge und erhalten für jeden Schüler eine Provision von 600 bis 1.500 Renminbi, das entspricht etwa 95 bis 240 US-Dollar. Sie versuchen daher, so viele Jugendliche wie möglich an die Fabriken zu vermitteln. Den Unternehmen kommt das entgegen, weil sie kurzfristig Arbeiter einstellen können - vor allem in der Hochsaison. Foxconn hat das offensichtlich ausgenutzt und gleichzeitig die Personalien der Schüler nicht richtig überprüft. Ähnliche Fälle gab es auch in anderen Fabriken. Wir haben durch unsere Recherchen bei dem Unternehmen HEG Electronics, einem wichtigen Zulieferer für Samsung, herausgefunden, dass dort ebenfalls Kinder beschäftigt waren. In dieser Branche ist das verbreitet, es gibt viele Beispiele.

Frage: Das Unternehmen Foxconn, das auch für Apple und Samsung produziert, stand mehrfach in der Kritik, die Rechte von Arbeitern missachtet zu haben. Unter welchen Bedingungen wird in den Fabriken gearbeitet?

Li Qiang: Foxconn beschäftigt in ganz China rund 1,2 Millionen Arbeiter und spielt für den chinesischen Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Die Angestellten arbeiten lange, oft mehr als zwölf Stunden am Tag. Überstunden werden nicht dokumentiert. Foxconn zahlt stattdessen eine Art Bonus, um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass die Stunden das vorgeschriebene Limit nicht überschreiten und die Arbeiter dafür entlohnt werden. Wenn sie sich jedoch weigern, Überstunden zu machen, müssen sie Sanktionen befürchten. Die Arbeiter dürfen jeden Monat höchstens einen oder zwei freie Tage nehmen. Die Löhne liegen knapp über dem Existenzminimum, das von den lokalen Behörden festgelegt wird. Hinzu kommt das Arbeitsklima bei Foxconn selbst: Es herrscht ein militärischer Stil, das Sicherheitspersonal agiert sehr streng, was zu Konflikten zwischen ihnen und den Arbeitern führt, wie bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen Ende September in Taiyuan, als Hunderte Arbeiter protestierten.

Frage: Welche Auswirkungen haben diese Bedingungen für die einzelnen Arbeiter?

Li Qiang: Aufgrund der langen Arbeitszeiten sind sie extrem ausgelaugt und müde. Die Kombination aus Erschöpfung, schwierigen Arbeitsbedingungen, militärischer Unternehmensführung und strengen Kontrollen setzt die Arbeiter unter psychischen Druck. Vor der Veröffentlichung des neuen iPhone 5 und des iPad wurde von den Arbeitern noch mehr Einsatz verlangt. Zudem hatten sich einige Kunden über die Qualität des neuen iPhone-Modells beschwert. Die Konsequenz war, dass die Vorgaben verschärft und die Arbeiter noch stärker unter Stress gesetzt wurden.

Frage: Wie kommt "China Labour Watch" an diese Informationen?

Li Qiang: Unsere Organisation hat ein Büro in der chinesischen Stadt Shenzhen. Wir schicken unsere Mitarbeiter "undercover" in die Fabriken, um dort zu arbeiten, Informationen zu sammeln und mit anderen Arbeitern zu sprechen. So erhalten wir Zugang zu Informationen aus erster Hand, die wir dann später in einem Bericht veröffentlichen. Es ist nicht immer einfach, mit den Arbeitern in Kontakt zu treten und mit ihnen über die Arbeitsbedingungen zu sprechen. Viele haben Angst vor Sanktionen seitens der Unternehmensführung. In manchen Situationen kommen sie jedoch auch selbst auf uns zu und suchen Hilfe und Unterstützung, um mit dem Arbeitgeber zu verhandeln.

Frage: Können sich die Arbeiter selbst für ihre Rechte einsetzen und sich zum Beispiel in Gewerkschaften organisieren?

Li Qiang: Bis vor kurzem wussten viele Arbeiter gar nicht, welche Rechte ihnen überhaupt zustehen. Die Arbeiter können sich weder an unabhängige Gewerkschaften als Ansprechpartner wenden, noch haben sie selbst das Recht auf eigenständige Tarifverhandlungen. Die Situation hat sich etwas geändert, weil immer mehr Organisationen und Aktivisten anfangen, sich für sie einzusetzen. Viele Arbeiter werden sich langsam ihrer Rechte bewusst, auch wenn es noch kein kollektives Bewusstsein gibt. Die Gewerkschaften, die gegenwärtig existieren, stehen alle unter dem Einfluss der Kommunistischen Partei und stellen deshalb keine wirkliche Vertretung der Arbeitnehmer dar.

Frage: Wieso verhindert das chinesische Arbeitsrecht nicht, dass Menschen unter solchen Bedingungen arbeiten müssen?

Li Qiang: Die chinesischen Arbeitsgesetze schützen die Rechte der Arbeiter, aber deren Anwendung wird sehr unterschiedlich gehandhabt. So verzichten lokale Behörden unter Umständen auf die Anwendung der Gesetze, um multinationale Unternehmen anzulocken, damit diese in der jeweiligen Region investieren. Wieso Foxconn und andere Unternehmen die Regeln nicht durchsetzen, ist eine schwierigere Frage. Klar ist jedoch, dass sie vor allem an niedrigen Lohnkosten interessiert sind und deshalb eher dazu tendieren, die Gesetze nicht aus eigenem Antrieb durchzusetzen.

Frage: Was fordert "China Labour Watch" von großen Unternehmen wie Apple und Samsung?

Li Qiang: Diese Unternehmen stehen an der Spitze der Produktionskette. Apple und Samsung haben das Geld und die Ressourcen, um die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter zu verbessern. Wir fordern, dass sie die Preise für die Produkte in den Zuliefererfabriken erhöhen. Dann ist es für diese Fabriken auch möglich, die Löhne der Arbeiter anzupassen. Wenn die Zulieferer nur einen marginalen Gewinn aus der Kooperation ziehen, ist es für sie schwierig, die Bedingungen dauerhaft zu verbessern.

Frage: Wie reagieren Apple und Samsung auf die Kritik von "China Labour Watch"?

Li Qiang: Weder das eine noch das andere Unternehmen hat sich bisher direkt dazu geäußert.

Fragen: Ralf Rebmann

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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2012/Januar 2013, S. 60-61
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2013