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GRUNDSÄTZLICHES/267: Sportjournalisten - Kritiker werden ausgegrenzt (ai journal)


amnesty journal 06/07/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Kritiker werden ausgegrenzt"

Ein Gespräch mit dem Schweizer Sportjournalisten Urs Frieden.


FRAGE: Wäre es nicht die Aufgabe der Sportjournalisten, sich mit Themen zu befassen, die in Zusammenhang mit dem Sport stehen, beispielsweise mit Menschenrechtsverletzungen in China im Vorfeld der Olympischen Spiele?

URS FRIEDEN: Ja, diese Erwartung habe ich eigentlich immer gehabt. Leider gibt es nur ganz wenige Journalisten, die das auch machen. Ich habe als Sportchef der "Berner Zeitung" und als Vizesportchef von "Blick" und "Sonntagsblick" immer versucht, auch die Berichterstattung über das Umfeld des Sports zu fördern. Da sind mir die Grenzen rasch klar geworden. Einzelne haben diese Gelegenheit ergriffen, die meisten haben sich aber geweigert. Das wird allerdings auch von der Ressortaufteilung in den Zeitungen gefördert: Während der Bericht über das Fußballspiel im Sportteil erscheint, wird über die Ausschreitungen am Rande im Lokalteil geschrieben. Es wäre Aufgabe der Redaktion, dafür zu sorgen, dass diese zusammenhängenden Ereignisse nicht völlig voneinander getrennt in der Zeitung abgehandelt werden.

FRAGE: Hängt diese Abneigung der Sportjournalisten damit zusammen, dass sie sehr eng mit Sportfunktionären vernetzt sind? Besteht da eine Art Interessensgemeinschaft?

URS FRIEDEN: Ja, wenn beispielsweise die Schweizer Fußballnationalmannschaft an der Weltmeisterschaft teilnimmt, ist der ganze Journalisten-Tross zusammen und wird vom Medienbeauftragten des Fußballverbandes betreut. Alle sind im gleichen Hotel, alle werden gemeinsam zum Training und wieder ins Hotel gebracht. Wer ausschert, macht sich nicht unbedingt beliebt. Die anderen sehen es nicht so gern, wenn du nicht mit dem Strom schwimmst. Die besten Artikel zum Thema Doping finden sich oft nicht im Sportteil, sondern werden beispielsweise in Wochenendbeilagen geschrieben.

FRAGE: Die sind dann in dem Sinn nicht gefährlich, keine Konkurrenz?

URS FRIEDEN: Genau, sie werden von den Sportjournalisten auch nicht ernst genommen. Darum können sich Themen wie Doping im Radsport oder Korruption im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), oder jetzt das Abwiegeln der Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Peking 2008 so lange halten. Weil diejenigen Journalisten, die das anprangern müssten, Teil des Systems sind. Und diejenigen, die ausscheren, die kritische Bücher über das IOC oder die Fifa schreiben, wie Jens Weinreich von der "Süddeutschen Zeitung" oder der Engländer Matthew Jennings, die werden ausgegrenzt. Sie werden aus Pressekonferenzen rausgeführt oder gar nicht zugelassen und mit Prozessen eingedeckt.

FRAGE: Woher kommt denn dieser krampfhafte Versuch, Sport als etwas Politikfreies darzustellen? Wie die Geschichte der Olympischen Spiele zeigt, war Sport ja nie frei von Politik.

URS FRIEDEN: Das stimmt. Historisch gesehen war der Höhepunkt 1936, als sowohl Olympische Sommer- als auch Winterspiele in Deutschland durchgeführt wurden und Adolf Hitler im gleichen Jahr zweimal Gelegenheit hatte, seine Ideologien zu präsentieren. Spätestens seit damals müsste allen klar sein, dass Sport und Politik nicht zu trennen sind. Diese Reibungspunkte zwischen Sport und Politik hat es immer gegeben und es ist mir ein Rätsel, wie es immer wieder gelungen ist, so zu tun, als ob man das trennen könnte. Ausländische Studenten werden vor und während der Olympischen Spiele für zwei Monate aus China ausgewiesen. Zehntausende von Studenten - das ist eine weitere krasse Menschenrechtsverletzung. Das IOC sagt einmal mehr: "Das geht uns nichts an, das betrifft uns nicht." Das ist der blanke Hohn.

FRAGE: Jetzt sind die Probleme aber so groß, dass sie nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden können...

URS FRIEDEN: Ja, Berlin 1936 oder die Fußball-WM 1978 in Argentinien, als sich Spieler und Trainer geweigert haben, General Jorge Videla die Hand zu geben. Das hat es immer wieder gegeben. Aber von den Sportjournalisten kam nichts, sie haben weder Fakten gesammelt, noch aufgedeckt, begleitet oder bilanziert. Das haben immer andere gemacht. Es ist wichtig, dass Sportjournalisten Grenzbegehungen zu anderen Themen wagen: zu Politik, Rassismus im Fußball, Dopingmarkt, Magersucht im Sport. Es gibt ja auch auf Seiten der Funktionäre immer wieder Leute, die über den Sportbereich hinaus denken. Swiss-Olympic-Präsident Jörg Schild ist in Bezug auf Peking 2008 dadurch positiv aufgefallen, dass er immer wieder Druck auf das IOC ausgeübt hat. Da braucht es Sportjournalisten, die diese Aussagen aufnehmen und sie thematisieren.

FRAGE: Ist denn da so etwas wie eine Trendwende in Sicht? Bewegt sich etwas bei den Sportfunktionären?

URS FRIEDEN: Mit jedem weiteren ähnlichen Fall wie Tibet wird die Maxime, dass Sport und Politik nicht zusammengehören würden, unglaubwürdiger. Die alte Garde der Funktionäre, die diese Fahne noch hochhält, ist am Abdanken. Es kommen jüngere wie Michel Platini, Präsident des europäischen Fußballverbandes (Uefa), der 1993 gegen die palästinensische Fußballmannschaft spielte, bevor sie vom Weltfußballverband (Fifa) anerkannt wurde.

FRAGE: Muss die Uefa nicht auf internationale Befindlichkeiten Rücksicht nehmen?

URS FRIEDEN: Sie ist nicht an irgendwelche UNO-Beschlüsse gebunden. Da kann man ja das berühmte Beispiel der Ping-Pong-Diplomatie nehmen, das zeigte, dass der Sport vorangehen kann. An der Tischtennis-WM 1971 in Japan freundeten sich chinesische und US-amerikanische Tischtennisspieler an, was schließlich zu Einladungen für die Spieler nach China führte. Es folgten Einladungen an Kissinger und Nixon und letztlich kam es zu einer Verbesserung der politischen Beziehungen.


Interview: Jürg Keller

Urs Frieden (52) hat als Journalist bei der "Wochenzeitung" und als Sportjournalist beim Schweizer Fernsehen gearbeitet. Er war Sportchef der "Berner Zeitung" und stellv. Sportchef von "Blick" und "Sonntagsblick". 1996 gründete er den Verein Gemeinsam gegen Rassismus und war 1999 Mitbegründer von Football Against Racism in Europe (FARE). Seit November 2004 sitzt er für das Grüne Bündnis im Berner Stadtparlament.


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2008, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2008