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GRUNDSÄTZLICHES/285: Zugriff verweigert (ai journal)


amnesty journal 12/2009/01/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Zugriff verweigert

Von Daniel Kreuz


Noch nie war die Welt so vernetzt wie heute, konnten Menschen aus verschiedenen Ländern so schnell und einfach miteinander in Kontakt treten. Die neuen Medien, allen voran das Internet, machen es möglich. Doch der freie Austausch von Informationen und Meinungen macht Regierungen nervös, die ihren Bürgern lieber vorschreiben wollen, über was und mit wem sie kommunizieren dürfen. Viele Staaten versuchen daher mit unterschiedlichen Methoden, die neuen Medien unter ihre Kontrolle zu bekommen.


Am Anfang stand ein Trinkspruch für mehr Gerechtigkeit. Zwei portugiesische Studenten stießen in einem Lissaboner Café auf die Freiheit an. Doch damals, Anfang der sechziger Jahre, herrschte in Portugal eine Diktatur, die keine Kritik duldete. Die zwei Studenten wurden verhaftet. Der englische Rechtsanwalt Peter Benenson forderte daraufhin in einem Zeitungsartikel die Leser dazu auf, sich für die Freilassung der zwei Portugiesen und anderer vergessener Gefangener einzusetzen. Dieser Appell war der Beginn von Amnesty International.

Auch knapp fünf Jahrzehnte später könnte der Artikel des Amnesty-Gründers fast unverändert veröffentlicht werden. Empörte sich Benenson damals über die Verhaftung zweier portugiesischer Studenten, könnte es heute die Festnahme eines regierungskritischen Bloggers oder Online-Aktivisten sein. Denn mittlerweile findet die Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die friedlich ihre Meinung äußern, und denjenigen, die sie daran hindern wollen, auch im World Wide Web statt.

Dies zeigt zum Beispiel die Verhaftung der Blogger Adnan Hajizade und Emin Milli, die seit Juli in Aserbaidschan im Gefängnis sitzen. Die beiden jungen Bürgerrechtsaktivisten hatten ihrem Unmut nicht in aller Öffentlichkeit in einem Café Luft gemacht, sondern auf ihren Websites mit einem satirischen Video. Es zeigt eine Person im Eselskostüm auf einer Pressekonferenz, die das schöne Leben in Aserbaidschan und die Esel-freundliche Regierung in höchsten Tönen lobt. Dabei werden in dem von Ilham Alijew regierten Land unabhängige und oppositionelle Journalisten regelmäßig schikaniert und tätlich angegriffen, eine regierungskritische Berichterstattung existiert kaum noch. Den Bloggern drohen nun fünf Jahre Haft.


93 Online-Aktivisten sitzen weltweit im Gefängnis

Autoritäre Regime dulden eben keinen Widerspruch, auch nicht in der Online-Welt, da sich dieser Protest schnell auch "offline" auf den Straßen manifestieren könnte. In vielen Ländern werden daher Chatrooms überwacht, Blogs gelöscht, Webseiten blockiert und Suchmaschinen gefiltert. Schon der Gebrauch von - Mobiltelefonen ist manch einer Regierung ein Dorn im Auge. Verantwortlich sind dafür in der Regel autoritäre Machthaber. Seit Beginn des "Krieg gegen den Terror" hat die Zensur des Internets aber auch in Demokratien stark zugenommen.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" sind zur Zeit mindestens 93 Online-Dissidenten inhaftiert. Trauriger Spitzenreiter dieser Statistik ist China mit 58 Festnahmen, gefolgt von Vietnam mit 17. Erst im Oktober wurden dort wieder acht Blogger zu Haftstrafen verurteilt, weil sie sich negativ über die Regierung geäußert hatten. Diese versucht mit verschiedenen Methoden, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Sie lässt sie von der Polizei überwachen, schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein und kontrolliert ihre Telefon- und Internetkommunikation. Amnesty sind Fälle bekannt, bei denen Online-Aktivisten völlig willkürlich in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen wurden. Themen wie Menschenrechte, Demokratie und andere als sensibel erachtete Fragestellungen dürfen im Internet nur eingeschränkt und unter strikter Einhaltung von Vorgaben behandelt werden.

Aber trotz dieser zahlreichen Schikanen in Vietnam denken die meisten Menschen bei dem Wort "Internetzensur" wohl nach wie vor als erstes an China. Und tatsächlich gilt das chinesische Zensursystem als das aufwändigste der Welt: 30.000 Mitarbeiter der Zensurbehörden wachen Tag und Nacht darüber, dass die digitale "Chinesische Mauer" unerwünschte Inhalte von außerhalb abwehrt und sich kritische Strömungen im Inland nicht ausbreiten können. Die konsequenteste Kommunikationsüberwachung findet sich jedoch nicht im Reich der Mitte, sondern in seinem Nachbarstaat Nordkorea. Denn das Regime von Kim Jong-Il unterbindet fast jegliche Kommunikation mit dem Ausland.


Nordkorea: Der stillste Ort auf dem Planeten

Im Idealfall nehmen Medien in einer Gesellschaft die Rolle als Korrektiv staatlichen Handelns ein, als vierte Gewalt im Staat. In totalitären Staaten wie Nordkorea werden unabhängige und kritische Stimmen aber vielmehr Opfer von Gewalt. Wem es gelingt, ausländische Nachrichten zu verfolgen und diese oder andere regierungskritische Informationen zu verbreiten, dem drohen bis zu zwei Jahre Arbeitslager oder bei schwereren Fällen bis zu fünf Jahre "Umerziehungslager". "Das Recht auf freie Meinungsäußerung existiert in Nordkorea nicht", erklärt Sam Zarifi, Asienexperte von Amnesty International. "Es ist wohl der stillste Ort auf dem Planeten."

Sämtliche Medien in Nordkorea werden von der Regierung kontrolliert. Sie sind "das Rückgrat einer riesigen Propagandamaschinerie", heißt es dazu in einem im Oktober veröffentlichten UNO-Bericht. In dem stalinistischen Überwachungsstaat sind alle Radios verplombt, so dass nur die offiziellen nordkoreanischen Sender empfangen werden können. Wer das Siegel beschädigt, wird automatisch als Staatsfeind angesehen und wegen des Hörens ausländischer Sender verurteilt.

Auch im World Wide Web kann die vom Hunger geplagte Bevölkerung der allgegenwärtigen Propaganda nicht entfliehen. Wobei World Wide Web der falsche Ausdruck ist, denn in Nordkorea gleicht das Internet eher einem Intranet, das neben einem E-Mail-Programm und einer zensierten Suchmaschine nur wenige sorgfältig ausgewählte Nachrichtenseiten bietet. Lediglich Ausländer und einige wenige Mitglieder der Regierung können dank einer Satellitenverbindung mit einem Server in Deutschland auf ein ungefiltertes Internet zugreifen.

Dem Rest der Bevölkerung ist jeder Kontakt mit ausländischen Medien verboten. Die Behörden verhaften jeden, der südkoreanische Magazine und Videos oder ein nicht genehmigtes Mobiltelefon besitzt. Kim Jong-Ils Regime nahm zwar 2002 das erste Mobilfunknetz des Landes in Betrieb - allerdings nur, um wenig später den Bürgern dessen Benutzung zu verbieten. Der Genuss dieses Privilegs bleibt der militärischen Elite vorbehalten. Der Schwarzmarkthandel mit chinesischen Mobiltelefonen blüht. Die Nordkoreaner können mit diesen Handys sogar online gehen. Dem Rest der Welt oder zumindest pro-demokratischen Inhalten kommen sie dadurch allerdings auch nicht näher, wie "Reporter ohne Grenzen" berichtet: Die chinesischen Mobiltelefone erlauben nur den Zugriff auf das bereits gefilterte chinesische Internet.

Kein Land der Welt ist so isoliert wie Nordkorea. Ein Zustand, um den manche Machthaber Kim Jong-Il beneiden dürften. Sie versuchen mit anderen Methoden, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Beispielsweise, indem man die Kosten für die Nutzung neuer Medien so hoch ansetzt, dass sie sich kaum jemand leisten kann, wie in Kuba.


Kuba: Flucht ins digitale Exil

Wer dieser indirekten Zensurmaßnahme entgehen möchte, braucht oft schlicht und einfach Glück. So wie Carlos Quintero(*): Der Kubaner vermietet Zimmer an Touristen und hat einen ausländischen Freund, der in Havanna arbeitet. Genügend Geld in harter Währung und sein Kontakt ermöglichen ihm den Zugang zum weltweiten Internet. Offiziell dürfen nur Ausländer, Journalisten, Politiker und hochrangige Akademiker zu Hause ins World Wide Web, und die wiederum haben das Recht auf Anschlüsse an drei verschiedenen Orten. Auf diesem Weg kommen vereinzelt "gewöhnliche" Menschen wie Quintero zu einem relativ ungefilterten Netzanschluss. 30 konvertible Pesos, also 30 US-Dollar, zahlt er monatlich seinem ausländischen Freund, damit er dessen Zugang von ein Uhr nachts bis fünf Uhr morgens benutzen kann. Die Behörden sollten das aber besser nicht erfahren.

Für die vielen Kubaner, die nicht an die konvertiblen Pesos kommen, sieht es schlecht aus mit der digitalen Freiheit. Seit Mai 2008 dürfen sie zwar die Anschlüsse in den Touristenhotels nutzen, doch das kostet rund fünf Dollar pro Stunde - etwa ein Drittel des durchschnittlichen Monatseinkommens. Die meisten müssen sich also, ob am Arbeitsplatz oder in den Universitäten, mit dem kostenlos zugänglichen nationalen Intranet begnügen. Dort können sie einen Mail-Account einrichten und auf Webseiten von Institutionen, Hochschulen oder Medien zugreifen, die von der Regierung kontrolliert werden. Beiträge, die das Regime kritisieren, sind dort nicht zu finden.

Folglich bewegt sich Kubas äußerst aktive Bloggerszene im digitalen Exil, sprich: auf internationalen Servern. Im Land selbst ist deren Webseite www.desdecuba.com, auf der zahlreiche Autoren kritische Texte und Filme über die kubanischen Verhältnisse veröffentlichen, gesperrt. So auch die Seite der Bloggerin Yoani Sánchez und ihres Projektes "Generación Y". Schon mehrmals durfte sie das Land nicht verlassen, um internationale Auszeichnungen entgegenzunehmen. Im Oktober dieses Jahres kritisierte Amnesty, dass die 34-Jährige nicht nach New York reisen durfte, wo man ihr den "Maria-Moors-Cabot-Journalistenpreis" überreichen wollte. Mitte November wurde sie von Geheimpolizisten überfallen und verprügelt. Bereits 2007, so berichtet "Reporter ohne Grenzen", sei der Cubanet-Korrespondent Oscar Sanchez Madan zu vier Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich mit einem internationalen Netzwerk verbunden habe.

Der Gebrauch des Internets, so stellte der Kommunikationsminister Boris Moreno klar, müsse der Revolution und den Prinzipien dienen, an die Kuba seit Jahren glaube. Dass sich ein Großteil der Bevölkerung mit dem nationalen Intranet zufrieden geben muss, hat nach Regierungsangaben mit der US-Wirtschaftsblockade zu tun. Durch das Embargo könne man sich nicht an das US-Unterseekabel anschließen und sei auf ein chinesisches Satellitensystem angewiesen. Und das stelle eben nur geringe Kapazitäten zur Verfügung.

Mit solchen Problemen haben Bürger in einer Demokratie in der Regel nicht zu kämpfen, wenn sie online gehen wollen. Doch auch in Ländern, die zumindest formell demokratisch sind, hat die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung zugenommen, wie das Beispiel Türkei zeigt.


Türkei: Zensur von YouTube, Facebook & Co.

Ende September 2009 erteilte das Amt für Telekommunikation (TIB) ohne Begründung die Anweisung, das interaktive Computerspiel "Farmville" auf Facebook zu sperren. User munkeln auf der Plattform, dass die Praxis, nach islamisch-konservativem Verständnis "minderwertige" Tiere wie Enten und Hasen an Mitspieler zu versenden, das Missfallen der Behörde erweckt habe. Gleichzeitig ermöglichen im Netz veröffentlichte Umgehungspfade die Ausschaltung fast jeglicher Internetzensur in der Türkei. Selbst Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erwiderte auf Kritik an der Zensur von YouTube vor einem Jahr, dass es doch Wege gäbe, diese zu umgehen, er mache das auch.

Seit Ende der neunziger Jahre bieten Provider Internetzugänge in der Türkei an. Etwa zehn Jahre lang gab es nur Zensur spezifischer oppositioneller Seiten, wie die der kurdischen Opposition. Als das Parlament im November 2007 ein neues Internetgesetz erließ, verfügte es, dass die Gerichte des Landes jede beliebige Webseite innerhalb von 24 Stunden blockieren dürfen.

Seither können lokale Strafgerichte des Landes Websites wegen etwa pädophiler oder pornografischer Inhalte, Verherrlichung von Drogen, Aufruf zum Selbstmord,.aber auch wegen Beleidigungen des Staatsgründers Atatürk blockieren. Die Videowebsite YouTube ist seit über einem Jahr kontinuierlich gesperrt. Auslöser waren animierte Videos, die Atatürk geschminkt und bauchtanzend zeigten. Auch das populäre Musikportal Last. FM und MySpace sind mittlerweile verboten. Selbst Google wird wegen der Google-Videos immer wieder sporadisch gesperrt.

Yaman Akdeniz, Gründer und Direktor von Cyber-Rights & Cyber-Liberties stellt fest, dass heute mehr als 6.000 Webseiten in der Türkei gesperrt sind. Nur ein Bruchteil der Fälle wurde im Gericht ausgehandelt. Meistens beruhen die Sperrungen auf administrativen Entscheidungen. In der Türkei entwickelt sich momentan allerdings auch über verschiedene Interessensverbände und eine breite akademische Lobby eine Bewegung zur Verteidigung des freiheitlichen Zugangs zum Internet. Mehrere Klagen werden vor türkischen Gerichten verhandelt und können in der nahen Zukunft eine Aufhebung der relativ willkürlichen Beschränkungen auslösen.

Beschränkungen, die nicht nur in der Türkei die Meinungs- und Informationsfreiheit gefährden. Etwa einem Drittel der Weltbevölkerung wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und der ungehinderte Zugang zu Informationen verwehrt. Die Freiheit hochleben zu lassen, kann immer noch gefährlich sein, egal ob in einem Café oder in einem Chatroom. Denn in vielen Ländern spucken zensierte Suchmaschinen bei Begriffen wie "Menschenrechte", "Demokratie" oder "Meinungsfreiheit" die gleiche Antwort aus: Null Treffer.


(*) Name von der Redaktion geändert


Der Autor ist Volontär beim Amnesty Journal.
Mitarbeit: Wolf-Dieter Vogel und Sabine Küpper


FEINDE DES INTERNETS

Keines der Menschenrechte darf so ausgelegt werden, dass dadurch ein anderes Menschenrecht verletzt wird. So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die Amnesty International als Grundlage ihrer Arbeit dient. Dies bedeutet, dass auch Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat. Sie darf nicht dazu benutzt werden, andere Rechte zu verletzten, auch nicht im Web. Was im "realen Leben" illegal ist, ist in der virtuellen Welt des Internets ebenfalls strafbar, beispielsweise Kinderpornografie oder Aufrufe zu Hass und Gewalt durch Rechtsextremisten oder Islamisten. Viele Regierungen geben vor, mit der Zensur des Internets gegen solche Delikte vorzugehen. Dies ist aber oft nur ein Vorwand. In Wahrheit zielen ihre Maßnahmen darauf ab, den Zugang zu unerwünschten politischen Inhalten zu verhindern und ihre Kritiker mundtot zu machen. In zwölf Ländern sind diese Schikanen und die Repression gegen Bloggerinnen und Blogger so massiv, dass sie laut "Reporter ohne Grenzen (ROG)" den Titel "Feinde des Internets" verdienen. Zu diesen "Feinden" zählt die Organisation Myanmar, China, Kuba, Ägypten, Iran, Nordkorea, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam. Neben der Überwachung und Kontrolle von Online-Informationen und Nachrichten werden in diesen Staaten unliebsame Internetnutzer systematisch verfolgt. "Diese Staaten haben das Internet zu einem Intranet gemacht, um damit die Bevölkerung am Zugang zu 'unerwünschten' Online-Informationen zu hindern", kritisiert ROG.


TEILHABE AM INTERNET

Die höchste Dichte an Internetanschlüssen findet sich in Nordamerika, Skandinavien, Saudi-Arabien, Japan und Australien. In diesen Ländern haben fast alle Einwohner einen Zugang zum Netz.

Hoch ist auch der Anteil in Mitteleuropa, Südostasien und Teilen Südamerikas. Hier verfügt etwa die Hälfte der Bevölkerung über einen Anschluss.

In vielen afrikanischen Ländern besitzt hingegen weniger als ein Prozent der Bevölkerung einen Internetanschluss.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2009/Januar 2010, S. 28-31
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2009