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GRUNDSÄTZLICHES/301: Goldene Regel - Keine Waffen für Gräueltaten (ai journal)


amnesty journal 04/05/2012 - Das Magazin für die Menschenrechte

Goldene Regel: Keine Waffen für Gräueltaten

Amnesty International setzt sich für ein wirksames internationales Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels ein.

von Mathias John



Systematische Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Mord, Vergewaltigungen und schwerwiegende Verletzungen sind seit Jahren die fatale Folge eines unverantwortlichen und häufig unkontrollierten weltweiten Rüstungshandels. Waffenlieferungen heizen nicht nur Konflikte an, sie gefährden auch die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO, wie z.B. die Bekämpfung der Armut. Was mit den - in der Regel völlig legal - exportierten Rüstungsgütern geschieht, zeigte sich besonders drastisch während des "Arabischen Frühlings" Anfang 2011: Seit Jahrzehnten hochgerüstete Regime versuchten mit ihren Waffen, die Proteste zu unterdrücken und nahmen dabei einen hohen Blutzoll in Kauf. Dies setzt sich bis heute fort, wie die täglichen Schreckensmeldungen aus Syrien zeigen. Auch die Lieferanten scheinen kaum etwas gelernt zu haben - so liefert Russland trotz andauernder Menschenrechtsverletzungen weiter Waffen an Syrien.

Seit mehr als drei Jahrzehnten drängt Amnesty International nun schon Regierungen, die EU und internationale Organisationen, bessere Rüstungsexportkontrollen einzuführen, um die verhängnisvollen Auswirkungen des globalen Waffenhandels auf die Menschenrechte zu unterbinden. Im Laufe der Jahre gab es dabei durchaus einzelne Verbesserungen. So wurde beispielsweise ein europäischer Verhaltenskodex für den Waffenhandel entwickelt, der ein umfassendes Menschenrechtskriterium enthält und mittlerweile als sogenannter "Gemeinsamer Standpunkt" der Europäischen Union verbindlich ist. Das sogenannte "Wassenaar-Arrangement" der EU, benannt nach dem niederländischen Verhandlungsort, soll verantwortliche Rüstungsexportkontrollen und mehr Transparenz schaffen. Ein UNO-Aktionsprogramm richtet sich gegen den unrechtmäßigen Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen. Am Ende blieb aber die bittere Erkenntnis, dass viele Einzelaktivitäten nicht zu einem besseren Menschenrechtsschutz geführt haben.

Daher fordert Amnesty seit Mitte der neunziger Jahre verbindliche internationale Regelungen zur Rüstungsexportkontrolle, die mindestens die folgenden drei Eckpunkte enthalten müssen:

• Als zentrales Element die "Goldene Regel", die alle Rüstungstransfers verbietet, mit denen Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen verübt werden könnten oder die die Armutsbekämpfung gefährden

• Umfassende Anwendung auf alle konventionellen Rüstungsgüter wie Waffen(systeme), Munition, Komponenten, Rüstungselektronik und Überwachungstechnik, Technologien und Know-how

• Konsequente Umsetzungsvorgaben mit strikten Kontrollen und Transparenzvorgaben für alle Rüstungstransfers

Seit 2003 setzt sich Amnesty gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen im Rahmen einer weltweiten Kampagne für ein UNO-Abkommen über den Handel mit konventionellen Rüstungsgütern ("Arms Trade Treaty", ATT) ein - mit Erfolg: Schon im Jahr 2006 setzte die UNO-Generalversammlung eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines ATT ein. Schließlich begann 2009 der formelle Verhandlungsprozess, um das Abkommen zu erarbeiten. Im Juli 2012 sollen diese Verhandlungen auf einer großen UNO-Staatenkonferenz mit einem Vertragstext abgeschlossen werden, der anschließend der Generalversammlung vorgelegt werden soll.

Angesichts der katastrophalen Auswirkungen auf die Menschenrechte ist es höchste Zeit, dass sich die internationale Staatengemeinschaft zu ihrer Verantwortung bekennt und wirksame Kontrollen verabredet - schließlich liegt die primäre Verantwortung für den globalen Handel mit Waffen, Munition und anderen Rüstungsgütern bei den Staaten: Grundsätzlich benötigen Rüstungsfirmen für Exporte der von ihnen produzierten Waffen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung. Häufig sind die Rüstungsunternehmen sogar in staatlicher Hand oder staatlich beeinflusst - damit ist auch die Produktion von Waffen letztlich in der Hand der Regierungen.

Bei fast allen Rüstungsexporteuren ist eine skrupellose Exportpraxis an der Tagesordnung, denn Waffenlieferungen sind meist ein lukratives Geschäft und oft auch ein wichtiges Mittel der Außenpolitik. Verletzungen der Menschenrechte werden dabei gerne ignoriert oder sogar billigend hingenommen. Geliefert wird alles, was die Arsenale moderner Waffentechnik hergeben, einschließlich ganzer Produktionsanlagen und der für die Rüstungsproduktion notwendigen Lizenzen. Ergänzt wird die "Hardware" durch Überwachungselektronik und Fortbildungen für Militärs und andere Sicherheitskräfte.

Angesichts der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung von Rüstungstransfers ist es nicht verwunderlich, dass der bisherige Verhandlungsprozess zum ATT von teilweise tiefgreifenden Differenzen zwischen Unterstützern und Skeptikern gekennzeichnet war. Insbesondere die Frage der Einbeziehung von Menschenrechten führte zu heftigen Diskussionen, so dass hier noch weitere Überzeugungsarbeit zu leisten ist, um die "Goldene Regel" in einem künftigen ATT abzusichern. Ein weiterer Streitpunkt ist der Anwendungsbereich eines ATT. Während die skeptischen Staaten wie z.B. China oder die USA nur wenige Waffensysteme einbeziehen wollen, fordert Amnesty die Anwendung des Abkommens auf alle konventionellen Rüstungsgüter und Technologien, einschließlich der sogenannten Sicherheitstechnologie, die auf dem Weltmarkt angeboten werden. In der Regel unterscheidet man zwischen konventionellen Großwaffen und denjenigen, die verharmlosend als Kleinwaffen und leichte Waffen bezeichnet werden. Großwaffen umfassen im Wesentlichen Waffensysteme wie Kampf- und Schützenpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artilleriesysteme, Raketenwerfer und Raketen, Militärflugzeuge und -hubschrauber sowie Kriegsschiffe. Die sogenannten "Kleinwaffen" und "leichten Waffen" umfassen Pistolen, Revolver, Maschinenpistolen und Schnellfeuergewehre bis hin zu Maschinengewehren, Mörsern, tragbaren Raketenwerfern und Panzerfäusten - definitionsgemäß alles Waffen, die von ein oder zwei Personen verwendet und transportiert werden können. Ein weiteres Handelsgut auf dem weltweiten Rüstungsmarkt sind Produkte und Technologien, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt und verwendet werden können - sogenannte "dual-use"-Güter. In diesen Bereich fallen viele Komponenten, die in der zunehmend arbeitsteiligen Rüstungsproduktion dem Endprodukt Waffensystem zugeliefert werden, z.B. ein Motor, der Landmaschinen oder Schützenpanzer antreiben kann.

Ebenfalls umstritten ist die Frage von Regelungen zur Umsetzung, Dokumentation und Transparenz des ATT. Amnesty fordert, stringente und nachvollziehbare Umsetzungsmaßnahmen in das Abkommen aufzunehmen, die tatsächlich die notwendigen Exportkontrollen und Endverbleibsregelungen sicherstellen. Zudem müssten die Staaten zukünftig auch umfassend über die Exporte berichten, um die Anwendung der Regelungen auch für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Dann würde vielleicht auch endlich das ganze Ausmaß des internationalen Waffenhandels besser zu erfassen sein. Denn bisher wird die notwendige umfassende Transparenz durch die strenge Geheimhaltung der genehmigenden Staaten und der beteiligten Rüstungsfirmen verhindert, aber auch durch die Händler, die überwiegend im Graubereich zwischen legalen und illegalen Rüstungstransfers tätig sind.

Genaue Zahlen zu Produktion, Handelsströmen, Empfängern und "Endverbrauchern" fehlen. Insbesondere Transfers von sogenannten "dual use"-Gütern, die Bereitstellung von Produktionslizenzen oder Know-how, Ausbildungshilfen und andere Aspekte der Rüstungszusammenarbeit und militärischen Unterstützung bleiben weitgehend im Dunkel.

Größenordnungen und Trends, wie sie beispielsweise das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI für konventionelle Großwaffen oder der "Small Arms Survey" in Genf für sogenannte "Kleinwaffen" veröffentlichen, sind allerdings erschreckend. So ist nach Angaben von SIPRI der weltweite Handel mit Großwaffen zwischen 2001 und 2010 um rund ein Drittel gestiegen. Unter den sechs größten Waffenexporteuren weist China mit 185 Prozent die größte Steigerungsrate auf. Deutschland konnte seine Exporte in dem besagten Zeitraum um 175 Prozent steigern, die USA um 46 Prozent. Deutschland belegt in den SIPRI-Statistiken der vergangenen Jahre konstant den dritten Platz der weltweiten Rüstungsexporteure für Großwaffen. Aber auch beim Handel mit sogenannten "Kleinwaffen" und "leichten Waffen", die besonders häufig bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden, spielt Deutschland eine unrühmliche Rolle: Der "Small Arms Survey" zählt die Bundesrepublik zu den acht größten Exporteuren dieser Waffenkategorien. Aus den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung lässt sich ablesen, dass Deutschland zwischen 2005 und 2010 die Genehmigungen für Exporte von Handfeuerwaffen verdoppelt hat.

Von den sechs führenden Rüstungsexporteuren stehen mindestens drei (USA, Russland und China) einem Vertrag skeptisch bis ablehnend gegenüber. Großbritannien und Frankreich äußern sich zurückhaltend. Umso erfreulicher ist es, dass sich Deutschland bislang nachdrücklich für einen umfassenden und wirksamen ATT einsetzt. Allerdings muss sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie trotz ihres Einsatzes für einen ATT und trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu einer verantwortlichen Genehmigungspraxis menschenrechtlich kritische Exporte genehmigt, wie Schnellfeuergewehre für Mexiko, Maschinenpistolen für Ägypten und Bahrain oder Überwachungstechnologie für Saudi-Arabien.

Die Bundesregierung sollte auch im Sinne einer Unterstützung des ATT mit gutem Beispiel vorangehen und endlich ihre Genehmigungspraxis ändern - sie muss alle Rüstungstransfers verbieten, die Menschenrechte gefährden, über ihre Entscheidungskriterien öffentlich Rechenschaft ablegen und alle Transfers umfassend offenlegen. Dazu sollte sie auch ein transparentes System der Risikoabschätzung bezüglich der Menschenrechte einführen, wie es beispielsweise Amnesty vorgeschlagen hat.

Die Berichte von Amnesty und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigen, dass Waffenlieferungen in vielen Staaten zu einem Teufelskreis aus Militarisierung, Eskalation und Repression führen, der mit systematischen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Um das zu verhindern, muss die internationale Gemeinschaft endlich angemessene Rahmenbedingungen für strikte Rüstungsexportkontrollen schaffen. Zu oft werden bei Rüstungsexportentscheidungen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht nur nachrangig berücksichtigt.

Mit der UNO-Staatenkonferenz für ein internationales Abkommen über den Handel mit konventionellen Rüstungsgütern im Juli dieses Jahres besteht die historische Chance, endlich weltweit verbindliche, umfassende Standards zur Kontrolle von Rüstungstransfers zu verankern. Die letzten Vorbereitungsgespräche im Februar 2012 haben gezeigt, dass noch viele Hindernisse zu überwinden sind, um einen Wettlauf zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu verhindern. Umso wichtiger ist die öffentliche Unterstützung für ein Abkommen, das den notwendigen breiten Anwendungsbereich, die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen und Transparenzregeln und vor allem die "Goldene Regel" zum unmittelbaren Schutz der Menschenrechte enthält. Umfassender öffentlicher Druck kann entscheidend dazu beitragen, dass im Juli alle Delegierten ihre Hände für einen umfassenden ATT heben und damit den internationalen Schutz der Menschenrechte bei Rüstungstransfers verankern.


Der Autor ist Sprecher der Themengruppe Wirtschaft und Menschenrechte der deutschen Sektion von Amnesty International.


KASTEN

WAFFEN UNTER KONTROLLE

Unter diesem Motto startete Amnesty bereits 2003 gemeinsam mit Oxfam International und dem "Internationalen Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen" in mehr als 60 Ländern eine Kampagne gegen unkontrollierten Waffenhandel. Vorrangiges Ziel war damals bereits die strikte Kontrolle und Transparenz aller Rüstungstransfers durch ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen ("Arms Trade Treaty", ATT). Die Kampagne "Waffen unter Kontrolle" besteht als zivilgesellschaftliches Bündnis für einen umfassenden All bis heute fort. Einen Höhepunkt der Kampagne bildete die öffentliche Übergabe der größten Foto-Petition aller Zeiten an den damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Eine Million Menschen aus mehr als 160 Ländern forderten darin eine verbindliche Kontrolle des Waffenhandels (Aktion "Eine Million Gesichter"). Die Petition wurde am 26. Juni 2006 in New York überreicht. Der erste große Erfolg der Kampagne war der Beginn eines formellen Prozesses zur Prüfung eines ATT 2006. Im Dezember 2009 beschloss die UNO-Vollversammlung die Aufnahme von formalen Verhandlungen zu einem ATT.

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Quelle:
amnesty journal, April/Mai 2012, S. 22-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2012