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MITTELAMERIKA/099: Eine kolumbianische Friedensgemeinde (ai journal)


amnesty journal 11/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ein Dorf sagt Nein
In der kolumbianischen Gemeinde San José de Apartadó wehren sich die Menschen dagegen, in den Konflikt zwischen Regierung und Guerilla hineingezogen zu werden.

Von Frauke Manninga


Ein Lächeln huscht über Gildardo Tuberquias Gesicht. Verschmitzt blickt er in Nohelia Tuberquias Richtung, als er sagt: "Sie bringen zwar immer wieder Menschen in unserer Gemeinde um, aber wir sind sehr produktiv, und es werden ständig Kinder geboren."

Es mag wie ein makabrer Scherz klingen. Aber dieser Humor hilft Gildardo und Nohelia Tuberquia, mit der täglichen Angst umzugehen. Beide kommen aus der kolumbianischen Friedensgemeinde San José de Apartadó in der Region Urabá, Department Antioquia. Nach Deutschland sind sie eingeladen worden, um stellvertretend für alle kolumbianischen Friedensgemeinden den Aachener Friedenspreis entgegenzunehmen.

"Bis 1996 war unser Leben sehr ruhig. Wir bewirtschafteten gemeinschaftlich unser Land und konnten uns gut versorgen. In unserem Dorf gab es eine Schule, Bars und kleine Läden. Was man eben in einem Dorf so hat." Heute liegt ihre Gemeinde mitten in umkämpftem Gebiet. Paramilitärs, staatliche Sicherheitskräfte und die Guerilla-Organisation FARC streiten sich um die Macht in einer Region, die reich an Bodenschätzen wie Öl, Erz und Kohle ist, deren fruchtbarer Boden sich für den Anbau von Bananen, Kakao und Yuka eignet und die zudem eine wichtige Transportroute für den Drogenhandel Richtung Zentralamerika ist. Gildardos Gesicht verdüstert sich: "1996 drangen Paramilitärs in die Region ein. Wir hörten schlimme Geschichten aus anderen Dörfern, wo sie Menschen mit Motorsägen die Köpfe abschnitten und auch Frauen und Kinder massakrierten. Sie zündeten Häuser an und töteten Tiere. Alle hatten Angst."

Um nicht zwischen die Fronten zu geraten, suchten sie Hilfe bei internationalen Organisationen und der Kirche. Auf deren Initiative schlossen sich 1997 mehrere Weiler in der Gemeinde San José de Apartadó zu einer Friedensgemeinde zusammen. Insgesamt existieren über 20 solcher Friedensgemeinden in ganz Kolumbien.

Trotz der Gewalt, die sie umgibt, versuchen sie, ein würdevolles, gewaltfreies Leben zu führen. Oberstes Prinzip ist dabei die Neutralität. "Jegliche Kontakte mit den Gewaltakteuren sind verboten. Wir geben keine Informationen an sie weiter, und wir verkaufen ihnen auch nichts, denn dann würde uns die Gegenseite sofort vorwerfen, mit ihren Feinden zu kollaborieren", erklärt Gildardo Tuberquia. Waffen sind in, den Dörfern ebenso verboten wie Alkohol und Drogen. Entscheidungen treffen die Mitglieder der Gemeinschaft kollektiv. Ein gewählter "Interner Rat" übernimmt Verantwortung innerhalb der Gemeinde, zum Beispiel, indem er bei Streitigkeiten schlichtet, und repräsentiert die Gemeinde nach außen. Tuberquia gehört dem Rat bereits sei 1998 an: "Ich war jung und unerfahren. Aber jemand musste diese Aufgaben übernehmen." Einige ältere Mitglieder des Rates waren zehn Tage nach der Erklärung zur Friedensgemeinde am 27. März 1997 von Paramilitärs getötet worden.

Seit sie öffentlich ihre Neutralität erklärt haben, nahmen die Angriffe gegen die Gemeinde eher noch zu. In den letzten Jahren kam es in den verschiedenen Weilern der Friedensgemeinde immer wieder zu Massakern an der Bevölkerung, die zum Großteil aus Bauern besteht. Insgesamt starben seitdem mehr als 170 Menschen oder wurden verschleppt und sind nie wieder aufgetaucht. Die Gemeinde beschuldigt in etwa 20 Prozent der Fälle die Guerilla-Organisation FARC, die Morde begangen zu haben. Für den Rest macht sie paramilitärische Gruppen verantwortlich, die häufig in Kollaboration mit den staatlichen Sicherheitskräften handeln. Zumindest unternehmen diese aber nichts zum Schutz der Gemeinden.

Im Gegenteil: Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe beschuldigt immer wieder Mitglieder der Gemeinde, der Guerilla anzugehören, bzw. mit ihr zusammenzuarbeiten. In Kolumbien ist dies ein Freifahrtschein für die Sicherheitskräfte, ungestraft Menschenrechtsverletzungen an den Bewohnern zu begehen.

Zu der stillschweigenden Zustimmung oder offenen Zusammenarbeit kommt eine fast hundertprozentige Straflosigkeit. Mitglieder der Gemeinde gaben zwar zahlreiche Zeugenaussagen zu Protokoll, mit deren Hilfe Strafprozesse hätten eingeleitet werden können. Nur in einem einzigen Fall kam es aber überhaupt zu einer Anklage gegen eine in die Tat verwickelte Person. In allen anderen Fällen passierte nichts, außer dass die Zeugen massiv bedroht und manchmal sogar umgebracht wurden.

Als die Bedrohungen gegen die Friedensgemeinde begannen, flohen viele Familie aus dem bedrohten Gebiet in andere Regionen. Inzwischen sind einzelne Familien wieder freiwillig in die gefährdeten Dörfer zürückgekehrt und haben sich der Friedensgemeinde angeschlossen.

Auf die Frage, ob sie angesichts der täglichen Bedrohung nicht auch einmal daran gedacht hat, ihre Heimat zu verlassen, entgegnet Nohelia Tuberquia: "1997 sind wir einmal in ein anderes Gebiet geflüchtet. Aber dort, wo wir hinkamen, konnten wir uns nicht ernähren. Daher sind wir wieder zurückgekehrt. Seitdem haben wir nie wieder daran gedacht, unser Land zu verlassen."

Dabei erschwert nicht allein die Angst vor der Gewalt das Leben in San José - oft verlassen die Bewohner das Dorf nur noch in großen Gruppen, meist auch in Begleitung eines Vertreters einer nationalen oder internationalen Organisation. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln fällt schwer. in der Vergangenheit blockierten Paramilitärs wiederholt für längere Zeit die Zufahrtsstraße und kontrollierten somit jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Das ursprüngliche Dorf San José mussten sie inzwischen aufgeben, nachdem die Polizei dort einen Posten eingerichtet hatte, der ein klares Ziel für Angriffe der Guerilla darstellt. Sie gründeten in der Nähe eine neue Siedlung, die weder über eine Schule, noch über ärztliche Versorgung verfügt.

Bis zum heutigen Tag hat sich trotz der internationalen Aufmerksamkeit die Lage in San José de Apartadó nicht verbessert. Obwohl durch den staatlichen Demobilisierungsprozess bis Ende 2006 offiziell 32.000 Paramilitärs entwaffnet wurden, sind in der Region von San José nach wie vor paramilitärische Gruppen mit Unterstützung der staatlichen Sicherheitskräfte aktiv. In diesem Jahr wurden bereits drei Gemeindemitglieder ermordet, ein Bauer just als Gildardo und Nohelia Tuberquia in Deutschland den Friedenspreis entgegennehmen.

Doch die beiden lassen sich nicht beirren: "Die Paramilitärs töten uns um des Tötens willen. Von staatlicher Seite haben wir keine Hilfe zu erwarten. Aber die internationale Aufmerksamkeit hilft uns. Ohne die Unterstützung nationaler und internationaler Organisationen gäbe es uns wahrscheinlich gar nicht mehr. Wir gehen hier nicht mehr weg. Und wenn sie uns töten, dann töten sie uns eben."


Die Autorin ist Sprecherin der Kolumbien-Ländergruppe von ai.

Weitere Informationen unter: www.amnesty-kolumbien.de


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Quelle:
amnesty journal, November 2007, S. 26-27
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2007