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NAHOST/093: Systematische Anwendung von Folter in Ägypten (ai journal)


amnesty journal 6/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Sieben Monate wie sieben Jahre
Ein neuer ai-Bericht belegt die systematische Anwendung von Folter in Ägypten.

Von Ali Al Nasani


"Man ließ mich lange neben den Folterkammern sitzen, um die Schreie der Gefolterten zu hören, ihre Seufzer und ihr Heulen, damit ich psychisch zusammenbreche. Und tatsächlich erlitt ich epileptische Anfälle und fiel in Ohnmacht." Was Abu Omar über seine Erlebnisse in ägyptischen Gefängnissen berichtet, ist nach Erkenntnissen von amnesty international kein Einzelfall. Im jüngsten ai-Bericht "Missbrauch im Namen der Sicherheit" wird die alltägliche Folterpraxis als systematisch beschrieben. Etwa 18.000 Häftlinge werden in so genannter Administrativhaft festgehalten, ohne dass Anklage gegen sie erhoben wird. Einige von ihnen befinden sich bereits seit mehr als zehn Jahren in Haft - trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung, sie freizulassen.

Obwohl die Menschenrechtsverletzungen seit vielen Jahren dokumentiert sind, schieben einige Länder im "Kampf gegen den Terror" Verdächtige nach Ägypten ab. Diese Überstellungen verletzen internationales Recht, dem gemäß niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem ihm Folter, Misshandlung oder "Verschwindenlassen" drohen. Die in dem jüngsten ai-Bericht dokumentierten Beispiele von Folter an Abgeschobenen waren in jedem einzelnen Fall vorhersehbar. Einer davon ist Abu Omar, der im Februar 2003 in Mailand entführt und vermutlich mit einem CIA-Flug nach Kairo überstellt wurde. Danach "verschwand" er für 14 Monate. "Die Verhöre dauerten sieben Monate. Sieben Monate vergingen wie sieben Jahre. Ich erlitt Folter und Schmerz. Zeitungen und Zeitschriften waren verboten, ebenso Radio, Fernsehen oder Familienbesuche. Es war eine unerträgliche Hölle."

Insbesondere seit den Bombenattentaten in ägyptischen Tourismuszentren im Jahr 2005 gehen die Sicherheitskräfte mit besonderer Härte gegen vermeintliche Islamisten vor. Muhammad Ahmed und Ashraf Youssef, die nach den Anschlägen verhaftet worden waren, starben kurz darauf im Gefängnis. Ihre Verletzungen lassen darauf schließen, dass sie zu Tode gefoltert wurden. Bis heute haben die ägyptischen Behörden die Umstände ihres Todes nicht aufgeklärt.

Aber auch Gefangenen ohne politischen Hintergrund drohen Folter und Misshandlung. Im November 2006 wurde der Taxifahrer Emad Al-Kabir, der einen Streit zwischen seinem Cousin und einem Polizisten schlichten wollte, festgenommen und zu drei Monaten Haft wegen "Widerstandes gegen die Staatsgewalt" verurteilt. In dieser Zeit wurde er geschlagen, misshandelt und vergewaltigt.

ai fordert die ägyptischen Behörden auf, alle Haftzentren zu benennen und für Anwälte sowie die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ebenso sollen nationale und internationale Experten jederzeit Zugang zu den Haftzentren haben. Vorwürfe von Folter und Misshandlung müssen unparteiisch und zeitnah untersucht werden und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus soll Ägypten das Zusatzprotokoll zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung unterzeichnen.

Eine Verbesserung der Situation ist nicht in Sicht. Der 1981 über das ganze Land verhängte Notstand ist weiter in Kraft, ungeachtet der Forderung zahlreicher Menschenrechtsgruppen und anderer Organisationen nach seiner Aufhebung. Darüber hinaus verabschiedete das Parlament im März dieses Jahres eine Verfassungsänderung, die einige Notstandsparagraphen in ständiges Recht umwandelte.


Der Autor ist Nahost- und Nordafrika-Koordinator der deutschen ai-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Juni 2007, S. 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2007