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NAHOST/181: Ägypten - »Die Massen auf den Straßen sind zu Massen hinter Gittern geworden« (ai journal)


amnesty journal 10/11/2015 - Das Magazin für die Menschenrechte

»Schritt für Schritt wird es besser«

von Andreas Koob


Fast zwei Jahre lang wurde der US-Staatsbürger Mohamed Soltan in einem ägyptischen Gefängnis festgehalten und misshandelt. Mit einem 16-monatigen Hungerstreik protestierte er gegen seine Haft. Nun durfte er in die USA ausreisen.


Mohamed Soltan ist seit Anfang Juni wieder in den USA. Der politische Aktivist saß 21 Monate in einem ägyptischen Gefängnis. Aus Protest gegen seine Haftbedingungen trat er in einen Hungerstreik, der 16 Monate andauerte. Bleibende Organschäden hat er nicht, aber sein Körper müsse sich erst wieder darauf einstellen, dass die Tortur vorbei sei, sagt der 27-Jährige: »Schritt für Schritt wird es besser, auch mit dem Schlafen.« Mohamed Soltan wurde im August 2013 festgenommen, als Sicherheitskräfte in das Haus seiner Familie eindrangen auf der Suche nach seinem Vater, einem bekannten Mitglied der Muslimbruderschaft. Als sie ihn nicht fanden, nahmen sie stattdessen den Sohn sowie drei seiner Freunde mit. Amnesty setzte sich mit einer »Urgent Action« für ihn ein. Auch die US-Regierung forderte eine Freilassung aus humanitären Gründen, denn Mohamed Soltan besitzt auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Mit einem Hungerstreik protestierte er gegen seine willkürliche Inhaftierung und die Haftbedingungen. Erst verweigerte er Fleisch, dann Kohlehydrate und schließlich auch Milchprodukte. Zur Strafe landete er in Einzelhaft.

Während seiner Haft wurde Mohamed Soltan wiederholt misshandelt. Gleich bei seiner Ankunft verprügelten ihn das Sicherheitspersonal und Mitgefangene zwei Stunden lang mit Stöcken, Peitschen und Gürteln. Über diese und andere Foltererfahrungen berichtete er nach seiner Freilassung der »New York Times«: Schlafentzug durch Dauerbeleuchtung und Blitzlicht, Selbstmordaufforderungen durch die Wärter, die auch Rasierklingen unter seiner Zellentür durchschoben, weitere Schläge. Einmal wurde ihm über Nacht ein krebskranker Mitgefangener zum Sterben in die Zelle gelegt.

Ein Gericht verurteilte Mohamed Soltan im April 2015 zu lebenslanger Haft. Ihm wurden die Finanzierung eines Sitzstreiks sowie die »Verbreitung falscher Informationen zur Destabilisierung des Landes« vorgeworfen. Dies sind nach internationalen Standards keine Straftaten, aber Mohamed Soltan ist nicht der einzige, der aufgrund solcher Anschuldigungen in Ägypten inhaftiert wurde. Viele der Protestierenden, die 2011 Hosni Mubarak aus dem Amt vertrieben, sind inzwischen inhaftiert, stellt ein Amnesty-Bericht fest: »Die Massen auf den Straßen sind zu Massen hinter Gittern geworden«. Offizielle Zahlen fehlen, aber Schätzungen gehen inzwischen von bis zu 41.000 Protestierenden aus, die inhaftiert, angeklagt oder verurteilt wurden.

Dass Mohamed Soltan nun wieder in Freiheit ist, hat er wohl der Tatsache zu verdanken, dass er die doppelte Staatsangehörigkeit besaß. Nach seiner Verurteilung legte er seine ägyptische Staatsbürgerschaft ab. Als Ausländer wurde er schließlich in die USA ausgewiesen, wo er aufgewachsen war und später Wirtschaft studiert hatte, bevor er für einen Job nach Ägypten ging.

Nicht nur seine drei Freunde sitzen noch in Haft, sondern auch sein Vater, der inzwischen zum Tode verurteilt wurde. Amnesty fordert die Behörden auf, alle Personen, die ausschließlich wegen friedlicher Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit inhaftiert wurden, bedingungslos freizulassen. Amnesty appelliert auch an die internationale Gemeinschaft, nicht den gleichen Fehler zu machen wie zu Zeiten Mubaraks, als sie Menschenrechtsverletzungen in Ägypten über Jahrzehnte duldete.

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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2015, S. 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2016

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