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AKTION/224: Offener Brief an Frau Merkel - Beschützen Sie unsere Flüchtlingskinder!


Presseerklärung vom 30. September 2011

OFFENER BRIEF DER GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER

Beschützen Sie unsere Flüchtlingskinder!
Appell der Gesellschaft für bedrohte Völker an die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

anlässlich des "Tags des Flüchtlings 2011" appelliert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, die Flüchtlingskinder in Deutschland zu schützen, statt Jahr für Jahr sehr viele von ihnen ihren Verfolgern oder Vertreibern auszuliefern. Durch ihre Abschiebung nehmen sie immer wieder Flüchtlingskindern, die seit sechs, acht, oder gar 15 Jahren unter uns leben, Heimat und Sprache und deportieren sie ins Nichts.

In der bundesdeutschen Öffentlichkeit beklagen Viele unser kinderloses Deutschland. Unsere Flüchtlingskinder aber sind zumeist hier geboren und aufgewachsen, sprechen Deutsch als Muttersprache, oft mit regionalem Akzent. Unsere Gesellschaft hat sie längst zu Deutschen gemacht. Dennoch werden ihnen langfristiger Aufenthalt und Einbürgerung versagt. Sie sind mit ihren Eltern Kriegs-, Völkermord- oder Verfolgungssituationen oder unerträglicher Diskriminierung entkommen.

Für die Integration dieser Kinder haben Lehrer, Sozialarbeiter, Geistliche, christliche Gemeinden, Flüchtlingsräte, Menschenrechtler und viele andere Bürger gekämpft und sich engagiert, haben für ihre Eingliederung unendlich viel materiell und ideell geleistet. Unnachsichtig verschleudern viele deutsche Minister, Senatoren und Abgeordnete dieses eingesetzte "Kapital".

Während in unserem Land zu recht bis heute von Verbrechen der Vergangenheit die Rede ist, vergessen oder verdrängen wir oft genug, dass auch wir Deutschen in unserer Mehrheit entweder selber noch Flüchtlinge, Vertriebene oder Spätaussiedler sind oder mit einem Eltern- oder Großelternteil von diesen abstammen.

Wir schämen uns, dass bei gnadenlosen Abschiebungen immer wieder Väter von Müttern, Eltern von Kindern oder Geschwistern getrennt werden, dass man selbst Schwerstkranke, Schwangere, Alte und traumatisierte Kriegsopfer ins Ungewisse "deportiert".

Wir appellieren dringend an Sie, alles zu tun, dass man diesen unter uns aufgewachsenen und oft auch hier geborenen Flüchtlingskindern und ihren Eltern nicht länger die Heimat nimmt, sie einbürgert und alles unternimmt, um sie zu integrieren und auszubilden. Das würde unserem Land gut tun.


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Das Schicksal von Edmond Gashi (21)
geb. am 04.10 1989 in Uslar, zuletzt wohnhaft in Kreiensen

Am 15. März 2011 wurde ihm mitgeteilt, dass am 23. März 2011 seine Abschiebung in den Kosovo erfolgen sollte. Dieser bevorstehenden Abschiebung hat er sich entzogen. Seine Gründe hierfür waren Angst und Verzweiflung.

Edmond Gashi (21) hat sein ganzes Leben in Deutschland verbracht, er ist nie im Kosovo gewesen, hat keinerlei Beziehungen dorthin; kennt dort niemanden. Der Kosovo ist für ihn ein fremdes Land. Es gibt für ihn keine Lebensperspektiven dort. Seine Eltern gehören zur Volksgruppe der Roma und stammen aus dem Kosovo. Die Familie ist 1988 von dort geflohen und lebt seither in Deutschland. Die Familie hat in der Heimat alles verloren.

Edmond Gashi ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Deutschland ist sein Heimatland, und Deutsch ist seine Muttersprache. Über albanische Sprachkenntnisse verfügt er nur in geringem Maße. Er ist hier gut integriert. Edmond Gashi hat nach Beendigung der Schule in zwei Betrieben im Großraum Köln gearbeitet. Seit November 2009 war er bei der Firma Synco in Emlichheim als Produktionshelfer in der Kunststoffherstellung beschäftigt. Diese Tätigkeit hat er bis zum 14. März 2011 ausgeübt.

Durch die für den 23. März 2011 anberaumte Abschiebung war es ihm nicht möglich, diese berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Sein Anstellungsbetrieb, die Firma Synco, hatte ihm im März 2011 ein Zwischenzeugnis ausgestellt, das seine Arbeitsleistung in diesem Betrieb positiv würdigt. Nach Auskunft der Firma ist diese bereit, Edmond Gashi wieder einzustellen, sobald ihm eine Arbeitserlaubnis erneut erteilt wird.

Edmond Gashi leidet an Schuppenflechte, die mit einer chronisch entzündlichen Erkrankung der Gelenke und Sehnen einhergeht (Psoriasisarthritis). Im ärztlichen Befund heißt es dazu: "Es sind regelmäßige klinische, laborchemische und radiologische Kontrollen notwendig und i. A. muss dauerhaft eine rheumatologische Basistherapie verabreicht werden. Andernfalls kommt es im Verlauf der Erkrankung häufig zu dauerhaften Bewegungseinschränkungen und irreversiblen Gelenkzerstörungen." Eine solche medizinische Versorgung ist unter den derzeitig gegebenen Umständen im Kosovo nicht gegeben.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 30. September 2011
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2011