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ASIEN/245: Vage Terror-Warnung vor Olympischen Spielen lanciert


Presseerklärung vom 25. April 2008

Vage Terror-Warnung vor Olympischen Spielen lanciert

Appell an Interpol: Lassen Sie sich nicht für Chinas Antiterror-Krieg missbrauchen!
Terrorvorwürfe gegen Uiguren sind übertrieben!


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am Freitag an Interpol appelliert, sich nicht für Chinas Antiterror-Krieg missbrauchen zu lassen, und Terrorvorwürfe Pekings gegen Uiguren als übertrieben zurückgewiesen. "Regelmäßig versuchen chinesische Behörden, Angehörige dieser muslimischen Volksgruppe zu diskreditieren und als "Terroristen" zu kriminalisieren", sagte der GfbV-Asienexperte Ulrich Delius. Doch alle Vorwürfe der vergangenen beiden Monate, Uiguren hätten Flugzeugentführungen vorbereitet und sich Feuergefechte mit chinesischen Sicherheitskräften geliefert, hätten sich als unglaubwürdig erwiesen.

Interpol-Chef Ronald Noble hatte am Freitag in Peking bei einer Sicherheitskonferenz erklärt, es sei "sehr wahrscheinlich", dass Terrorgruppen während der Olympischen Spiele im Sommer 2008 Anschläge planten. Chinas Behörden hatten daraufhin nochmals ihre Vorwürfe gegen Uiguren bekräftigt.

Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 diffamiere China uigurische Menschenrechtler systematisch als "Terroristen" und versuche immer wieder, die Verfolgung der Uiguren als Beitrag zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus darzustellen. Doch in der Provinz Xinjiang, die die Uiguren Ostturkestan nennen, würden nicht muslimische Extremisten, sondern Menschen bekämpft, die friedlich für ihre grundlegenden Menschenrechte eintreten, sagte Delius. Es sei ein hausgemachter Konflikt, der mit internationalem Terrorismus nichts gemeinsam habe.

Die rund zehn Millionen Uiguren im Nordwesten der Volksrepublik werden unter allen 55 ethnischen Minderheiten am meisten verfolgt. Mehr als 700 Uiguren wurden seit 1997 aufgrund des Vorwurfes des "Separatismus" und "Terrorismus" zum Tode verurteilt und hingerichtet.


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Terrorismus-Gefahr wird überschätzt - Auch friedliche Uiguren werden pauschal als Terroristen kriminalisiert

Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 bemüht sich die chinesische Führung, uigurische Menschenrechtler und Regierungskritiker pauschal als "Terroristen" und "Separatisten" darzustellen. Die Verfolgung dieser Kritiker wird als der Beitrag der Volksrepublik zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus präsentiert. Die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte und viele Regierungen in aller Welt haben diese Darstellung zwar zurückgewiesen. Doch im Vorfeld der Olympischen Spiele verbreitet Peking erneut fragwürdige Berichte über vereitelte "Terroranschläge".

In Chinas staatlich kontrollierten Medien werden Uiguren inzwischen mit Terrorismus gleichgesetzt. Dabei werden nicht nur Parteiführer mit ihren Warnungen vor Terroristen zitiert, sondern es wird auch ausführlich über Antiterror-Übungen von Ärzten, Polizisten, Milizionären und Militärs berichtet. So schüren die Behörden auch die Spannungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen.


Tote bei Razzia in Urumtschi

Am 18. Februar 2008 berichtete die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua erstmals von einer Razzia gegen eine uigurische "Terroristengruppe", bei der am 27. Januar 2008 zwei Personen in Urumtschi, der Hauptstadt der Region Xinjiang, getötet und weitere 15 Uiguren verhaftet worden seien. Fünf Feuerwehrleute seien bei der Razzia durch die Zündung selbst gebastelter Molotow-Cocktails verletzt worden, heißt es bei Xinhua (People's Daily, 18.2.2008). Sechs der Festgenommenen seien verwundet worden. Bei den Verhafteten habe man "Messer, Äxte und Bücher" sichergestellt, erklärten die Behörden (Reuters, 18.2.2008). Die Razzia sei veranlasst worden, um die Sicherheit der Olympischen Spiele zu gewährleisten.

Der geschilderte Waffenfund machte weltweit Schlagzeilen, doch die Glaubwürdigkeit des Berichts ist durch Recherchen eines AFP-Korrespondenten ernsthaft in Frage gestellt worden (AFP, 8.4.2008). Mehr als ein Dutzend Anwohner des beschriebenen Häuserblocks - unter ihnen sowohl Han-Chinesen als auch Uiguren - erklärten dem Journalisten, weder Schusswechsel noch Explosionen bemerkt zu haben. Es seien allerdings zwei Männer von Bewaffneten abgeführt und zu einem Lieferwagen gebracht worden. Wenn Schüsse gefallen wären, so hätte man sie sicherlich gehört, erklärt eine chinesische Anwohnerin, denn die Wohngegend sei ausgesprochen ruhig.

Noch mehr Verwirrung löste ein Bericht in der Hongkonger Zeitung "Tsingtao Daily" aus, der die Razzia auf den 4. Februar 2008 datierte und erklärte, bei dem Polizei-Einsatz seien 18 Uiguren getötet worden.


Vereitelte Flugzeugenführung oder Irreführung der Medien

Während der Sitzung des Nationalen Volkskongresses gab der Vorsitzende der Region Xinjiang, Nur Bekri, am 9. März 2008 bekannt, man habe zwei Tage zuvor eine Flugzeugentführung durch uigurische Terroristen vereitelt (Time, 10.3.2008). Eine mit einem pakistanischen Pass ausgestattete Uigurin habe versucht, eine Boeing 757 der China Southern Airline auf dem Linienflug CZ 6901 von Urumtschi nach Peking in die Luft zu sprengen. Sie sei auf der Toilette mit verdächtigen Flüssigkeiten gesehen und dann vom Bordpersonal überwältigt worden. Das Flugzeug sei in Lanzhou notgelandet. Der Steward, der die Frau entdeckte, und die Kabinencrew erhielten eine hohe Belohnung von den Behörden. Vier Personen seien nach der Landung abgeführt worden, hieß es in Berichten. Am 27. März präsentierten die Behörden schließlich ein so genanntes "Geständnis" der 19-jährigen Uigurin Guzalinur Turdi, die den geplanten Terroranschlag auf das Linienflugzeug zugegeben haben soll (Bernama,/ Associated Press, 27.3.2008).

Doch "Geständnisse" genießen in der chinesischen Rechtsprechung traditionell wenig Glaubwürdigkeit, da sie regelmäßig unter Zwang oder Folter erpresst werden. So bezweifeln denn auch Anti-Terror-Experten die Glaubwürdigkeit der geschilderten Umstände. So sei es unvorstellbar, dass ein Flugzeug nach einem geplanten Terroranschlag notlande und nach der Verhaftung der mutmaßlichen Täter einfach wieder starte, ohne dass alle Passagiere ausführlich verhört würden. Auch müsse das Flugzeug nach einem solchen Anschlag umfassend nach Spuren untersucht werden. Alles dies sei hier jedoch offensichtlich nicht erfolgt. Der Zwischenfall erinnere mehr an regelmäßig auftretende Probleme mit betrunkenen Passagieren, die bei einem Zwischenstopp das Flugzeug verlassen müssten. Auch sei es nicht nachvollziehbar, warum Uiguren nun gerade oberhalb einer menschenleeren Wüste das Flugzeug sprengen wollten. Echte Terroristen hätten dafür dicht besiedelte Gebiete ausgewählt. Überraschend sei auch die angeblich gewählte Art des Sprengstoffes. Kerosin oder Benzin werde normalerweise nicht von Terroristen für Sprengungen benutzt, erklärten Sicherheitsexperten. Auch sei irritierend, dass die chinesischen Behörden internationalen Terrorfahndern keine weiteren Detailinformationen über den vermeintlichen Anschlag zur Verfügung gestellt hätten, wenn ihnen andererseits doch so sehr daran gelegen sei, Uiguren des Terrorismus zu beschuldigen.

Westliche Botschaften baten die chinesischen Behörden, ihnen weitere Informationen über den Zwischenfall zur Verfügung zu stellen. Doch ihrer Bitte wurde nicht entsprochen (Stand 11. April 2008).

So lange Chinas Behörden keine weiteren stichhaltigen Beweise vorlegen, um ihren Vorwurf einer vereitelten Flugzeugentführung und Sprengung zu untermauern, bestehen ernsthafte Zweifel an der Schuld der Uigurin.


Gerüchte über Anschläge auf Busse

Mehrere Personen seien in Urumtschi festgenommen worden, weil sie Gerüchte verbreitet hätten, zwei Busse der Hauptstadt Xinjiangs seien von Uiguren in die Luft gesprengt worden, teilten chinesische Sicherheitsbehörden am 25. März 2008 mit. Das lokale Sicherheitsbüro ließ daraufhin verlauten, diese Gerüchte seien "völliger Unsinn" (Xinhua / Reuters, 25.3.2008).


Geplante Anschläge auf Olympia-Sportler?

Zwischen dem 26. März und 6. April sei eine konspirative Gruppe von 45 Uiguren festgenommen worden, die die Olympischen Spiele mit Selbstmordanschlägen und der Entführung von Olympia-Sportlern, Touristen und Journalisten sabotieren wollten, teilte das chinesische Innenministerium Anfang April mit (Los Angeles Times, 11.4. / Associated Press, 10./11.4.2008). Bei der Festnahme hätten die Behörden zehn Kilogramm Sprengstoff, acht Stangen Dynamit, zwei Zünder sowie terroristische Literatur sichergestellt. Offensicht hätten die Täter Bomben- und Giftgasanschläge gegen Hotels, Behörden und Militäreinrichtungen in Peking, Schanghai und anderen Städten vorbereitet. Ihr Ziel sei es gewesen, einen Abbruch der Olympischen Spiele zu erwirken, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums.

Auch in diesem Fall zeigen Chinas Behörden keine Initiative, ihre gesammelten Informationen ausländischen Sicherheitsdiensten und vor allem dem davon direkt betroffenen Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zur Verfügung zu stellen. So erfuhr das IOC von den Festnahmen aus den Medien und wurde auch in den nachfolgenden Tagen nicht von chinesischen Sicherheitsbehörden informiert (Agence France Press, 11.4.2008). Auch die Polizei in Urumtschi erklärte, nichts von Zusammenhängen der Verhaftungen mit der Olympiade zu wissen (The Telegraph, 10.3.2008).

China gab die Festnahmen auf dem Höhepunkt der Diskussion um Menschenrechtsverletzungen und die Olympiade in Peking bekannt. Wenn China den Verdacht ausräumen will, dass es mit dieser Veröffentlichung eine weitere kritische Medienberichterstattung über Menschenrechtsverletzungen an Uiguren und Tibetern abwenden wollte, dann muss es glaubwürdige Beweise für die bei der Olympiade geplanten Terroranschläge vorlegen.

Einer der festgenommenen Uiguren, Aji Maimaiti, habe gestanden, die Terroranschläge für die uigurische Bewegung "East Turkestan Islamic Movement (ETIM) vorbereitet zu haben, erklärten die Behörden. Seit Jahren klagt die chinesische Führung vor allem die ETIM an, mit Waffengewalt und Terroranschlägen für einen unabhängigen Staat Ostturkestan zu kämpfen. Antiterror-Experten und Menschenrechtler warnen hingegen vor einer Überschätzung dieser Bewegung, die auf chinesischen Druck hin nach den Terroranschlägen des 11. September von den USA und den Vereinten Nationen auf eine Liste der weltweiten Terrorbewegungen gesetzt wurde. ETIM war immer eine kleine Splittergruppe, die nach dem Tod ihres Anführers Hasan Mahsun, der im Jahr 2003 von pakistanischen Truppen getötet wurde, noch weiter an Bedeutung verlor. ETIM's tatsächliche oder vermeintliche Aktivitäten sollten auf jeden Fall nicht länger als Vorwand genutzt werden, um jede kritische Meinungsäußerung der Uiguren zu unterdrücken und um uigurische Menschenrechtler zu kriminalisieren.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 25. April 2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2008