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EUROPA/406: Polizei Hannover diskriminiert rußlanddeutsche Minderheit


Presseerklärung vom 2. August 2007

Untersuchungskommission gefordert:

Polizei Hannover diskriminiert russlanddeutsche Minderheit - auch jüdische Aussiedler polizeilich erfasst


Eine detaillierte Untersuchung in Sachen ethnischer und religiöser Diskriminierung und der Erhebung problematischer statistischer Daten durch die Polizei in Hannover, hat der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, am Donnerstag von den Fraktionen des Stadtrates von Hannover gefordert. Anlass seines Schreibens sind Behauptungen des Polizeipräsidenten der niedersächsischen Landeshauptstadt, Hans-Dieter Klosa, denen zufolge die Zahl der Russlanddeutschen unter den Tatverdächtigen auf 6,5 Prozent gestiegen sei. Außerdem hat der Menschenrechtler aus sicherer Quelle erfahren, dass auch jüdische Aussiedler polizeilich erfasst werden. Seit Anfang des Jahres notiert die Polizei Staatsangehörigkeit und Geburtsort Tatverdächtiger.

"Wenn die Polizeibehörden nur nach dem Geburtsortsprinzip vorgehen, erfassen sie alle ehemaligen oder gegenwärtigen Bürger der früheren UdSSR. Besonders erschreckend ist dabei die Tatsache zu werten, dass Klosa bei einem Gespräch mit dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Aussiedlerbeauftragten Christoph Bergner Mitte Juli vier angeblich besonders gravierende Fälle von "Aussiedlerkriminalität" vorlegte, von denen es sich bei dreien um jüdische Aussiedler handelt", schrieb Zülch. "Wir stellen die Frage an den Stadtrat von Hannover und seine Fraktionen, wieso jetzt auch noch jüdische Aussiedler statistisch erfasst werden. Die Fraktionen haben laut Presseberichten und nach unserer Kenntnis die Pläne Klosas, möglicherweise russische "Prügelpolizisten" gegen Russlanddeutsche in Hannover einzusetzen, nicht verurteilt, sondern offensichtlich begrüßt, sieht man von der Fraktion der "Linken" ab. Deshalb drängt sich die Frage an den Polizeipräsidenten auf: Planen Sie den Einsatz von Polizisten aus dem autoritär regierten Russland jetzt auch gegen jüdische Aussiedler, die ebenso wie viele meist junge Russlanddeutsche erst unvollkommen oder noch gar kein Deutsch sprechen?"

Seltsam sei es auch, dass die Gesamtzahl der deutschen Aussiedler aus den GUS-Staaten bei Klosa wesentlich niedriger ausfalle, als sie real im Raum Hannover sei. Denn die 20 Jahrgänge der Russlanddeutschen, die inzwischen in Deutschland geboren wurden, seien nicht erfasst. Es werde jedoch mit der niedrigeren Zahl gearbeitet, offenbar um eine überproportional hohe Kriminalität nachzuweisen, kritisierte Zülch. Ebenso wenig berücksichtigt habe der Hannoveraner Polizeipräsident die demographischen Fakten: Der Anteil der Jugendlichen und Kindern sei bei der russlanddeutschen Minderheit besonders hoch, und Jugendliche neigten eher zu Gesetzesübertretungen als ältere Menschen. "Deshalb sind die Zahlen, bei 3,74 Prozent Bevölkerungsanteil der Russlanddeutschen machten sie etwa 6,5 Prozent der Tatverdächtigen aus, aus der Luft gegriffen." Zudem reagiere die Polizei Informationen auf Hannover zufolge sehr häufig bei Vorfällen, in die russischsprachige Jugendliche verwickelt seien, wesentlich härter, als wenn es sich um fließend deutsch sprechende mutmaßliche Täter handele. Auch so würden die Statistiken verfälscht.

Die GfbV rate dringend davon ab, Kriminalitätsstatitiken über einzelne ethnische, religiöse oder soziale Gemeinschaften zu veröffentlichen und sie kollektiv gegen deren Angehörige zu wenden.


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Anhang:
Wortlaut des Schreibens der GfbV an Generalstaatsanwaltschaft Celle

Generalstaatsanwaltschaft Celle
Frau Oberstaatsanwältin Dr. König
Schlossplatz 2
29221 Celle

Göttingen, 03.08.2007
Geschäftsnummer 2 Zs 1377/07

Sehr geehrte Frau Oberstaatsanwältin Dr. König,

für die Gesellschaft für bedrohte Völker, eine internationale Menschenrechtsorganisation, unternehme ich jetzt den dritten Anlauf, Sie dazu zu bewegen, auf unsere Strafanzeige gegen den Polizeichef von Hannover, Hans-Dietrich Klosa, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Staatsanwaltschaft und Polizei Hannover nach sechswöchigen Ermittlungen wegen eines vermeintlichen Betruges von 0,25 Euro gegen einen Geschäftsmann eine 26-seitige Akte anlegte (die HAZ vom 24.07.2007 gibt Ihnen auf Seite 13 ausführliche Auskunft über diesen Fall, über den auch Oberstaatsanwalt Thomas Klinge informieren kann).

Sie haben sich bei der erneuten Ablehnung - wie zuvor Frau Staatsanwältin Gresel - sozusagen auf das "gesunde Volksempfinden" berufen und die Darlegung von Frau Gresel bekräftigt, wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Diffamierungen einer Gruppe nicht als solche erkennt, wäre es für sie keine. Das ist angesichts deutscher und europäischer Geschichte eine skurrile und makabre Entscheidung.

Nun wird es Ihnen doch möglicherweise am Herzen liegen, in einem Land, in dem ethnische und religiöse Minderheiten, Behinderte und Homosexuelle kollektiv verfolgt und zu nicht geringen Teilen vernichtet wurden, in einem Land, in dem 15 Millionen Menschen wohnen bzw. ihre Nachkommen, die als ethnische deutsche Gruppe ebenfalls kollektiv verfolgt und als Vertriebene und Flüchtlinge ihre Heimat verloren haben, gegen die kollektive Herabsetzung, Verleumdung und Bedrohung der russlanddeutschen Volksgruppe Hannovers Maßnahmen zu ergreifen.

Zur Erinnerung: Herr Klosa hatte verkündet, die "russischen Spätaussiedler" seien "eine Klientel, die durch Gewaltbereitschaft auffällt". Weiter hält er daran fest, dass es um energisches und entschlossenes Auftreten gehe, "denn Freundlichkeit

führe beim Umgang mit Spätaussiedlern leider oft nicht zum Ziel". Bei verschiedenen Aussagen hieß es dann, es sei umstritten, ob Polizisten aus Iwanowo Schlagstöcke oder Revolver bei sich tragen dürften. Es wäre schon sehr interessant von Ihnen zu hören, ob Polizisten, die aus Staaten kommen, wo Foltern und Prügeln in Polizeiwachen durchaus an der Tagesordnung sind, gegen deutsche Staatsbürger eingesetzt werden dürfen, nur weil sie aus den GUS-Staaten kommen. Heißt das, dass künftig Deutsche türkischer

Abstammung von türkischen Polizisten und Flüchtlinge aus Darfur und anderen Teilen des Sudans von sudanesischen Polizisten "betreut" werden sollen? Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, dass Russlanddeutsche in Russland, wie in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion dank des sowjetischen Regimes 500.000 Todesopfer durch Erschießungen, Zwangsarbeit, Deportation und Verhungern in Konzentrationslagern zu beklagen haben? Wissen Sie, dass diese Menschen bis in die frühen 60-er Jahre dort auch unter besonderem Polizeiregime standen? Meinen Sie auch, dass diese Menschen nun durch Polizisten bestraft werden sollen, die aus einem Land kommen, das sich immer mehr den autoritären Verhältnissen der Vergangenheit zuwendet? Finden Sie nicht, dass es sinnvoller wäre, statt nur sechs von 1500 mehr Polizeibeamte und möglicherweise psychologische Jugendbetreuer aus der russlanddeutschen Volksgruppe Hannovers anzustellen?

Unabhängig davon, begrüßen wir, dass Herr Klosa wenigstens seine erste Aussage dahin modifiziert hat, dass er jetzt davon spricht, dass die große Mehrheit der Russlanddeutschen gesetzestreu sei. Trotzdem macht die Zurücknahme einer Diffamierung diese nicht hinfällig. Außerdem ist die Beleidigung der Volksgruppe über die Medien wohl der Mehrheit der Hannoveraner zu Ohren gekommen.

Schließlich weisen wir Sie darauf hin, dass Herr Klosa in dem Gespräch mit Staatssekretär Christoph Bergner aus dem Innenministerium diesem vier besonders schwerwiegende Fälle von Straftaten vorlegte, von denen drei jüdische Aussiedler aus den GUS-Staaten betraf. Das heißt, Herr Klosa produziert seine statistischen Angaben durch die Erhebung von Daten, die einfach auf dem Geburtsortprinzip beruhen. Somit werden alle mutmaßlichen oder angeblichen Täter nach dem Prinzip GUS und nicht nach der russlanddeutschen Abstammung gesammelt. Solche Angaben auf den Tisch zu legen bzw. zu veröffentlichen ist ein weiterer Akt kollektiven Rassismus. Vielleicht überrascht uns Klosa noch mit kollektiven Anschuldigungen gegen die jüdischen Aussiedler, wenn er weiter Daten nach angeblichen ethnischen Kriterien sammelt.

Insofern fordern wir Sie noch einmal auf, wegen möglicher Straftaten, insbesondere wegen Volksverhetzung, Störung des Öffentlichen Friedens und wegen Beleidigung zu ermitteln.

Mit freundlichem Gruß,
gez. Tilman Zülch

PS: Wir erlauben uns, den Wortlaut dieses Schreibens an die Medien weiterzugeben.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 2. August 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2007