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NAHOST/252: Türkei - Druck auf Minderheiten steigt nach Militärputsch


Presseerklärung vom 25. Juli 2016

Türkei: Druck auf Minderheiten steigt nach Militärputsch

Liberale Glaubensgemeinschaft der Aleviten unter Generalverdacht


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) beobachtet mit Sorge, dass die streng islamische Regierung unter Präsident Recep Tayyib Erdogan nach dem gescheiterten Militärputsch den Druck auf die liberale Glaubensgemeinschaft der Aleviten und andere Minderheiten in der Türkei verstärkt. "Das System Erdogan stellt eine tödliche Gefahr nicht nur für oppositionelle Türken, sondern vor allem für diejenigen Volksgruppen dar, die sich dem islamistischen System nicht unterordnen wollen", sagte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Montag in Göttingen. "Auch wenn die überwiegende Mehrheit der Aleviten, Kurden und anderer Minderheiten eine Machtübernahme durch die türkische Armee strikt ablehnen, werden sie dennoch von der regierenden AKP-Partei unter Generalverdacht gestellt. Sie hatten zuvor schon Schwierigkeiten, denn das Alevitentum ist in der Türkei nicht als eigenständige Religion anerkannt. Jetzt wird allen Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft jedoch unterstellt, mit den Putschisten zu sympathisieren." Tausende Aleviten wurden inzwischen festgenommen oder verloren ihre Arbeit. Fast jeder vierte der 75 Millionen Staatsbürger der Türkei ist Alevit. Viele Türken, Kurden oder Araber bekennen sich zu dieser Religion.

In Istanbul, Izmir, Bursa, Çorum und Gaziantep wurden nach GfbV-Angaben am vergangenen Freitag mindestens zehn alevitische Kulturvereine verboten. Unmittelbar nach dem Putschversuch am 15. Juli hatten Erdogan-Anhänger in dem Istanbuler Stadtteil Gazi Aleviten attackiert. Auch in Antakya in der Provinz Hatay wurde an der syrischen Grenze ein Angriff auf die dortigen arabischsprachigen Aleviten gemeldet. Am 17. Juli stürmten Erdogan-Anhänger unter "Allahu-akbar-Rufen" (Deutsch: Allah ist groß) den überwiegend von Aleviten bewohnten Stadtteil Pasaköskü in der ostanatolischen Stadt Malatya. Die nun von Islamisten unterwanderte türkische Polizei bietet den Aleviten in der Regel keinen Schutz.

Auch in Deutschland treten Erdogan-Anhänger immer aggressiver auf. "Dabei spielen Erdogan-nahe Medien eine entscheidende Rolle", kritisierte Sido. "Sie hetzen gegen Aleviten, Kurden und andersdenkende türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger. Es wird versucht, kritische Stimmen mundtot zu machen." So veröffentlichte die türkischsprachige Tageszeitung "Sabah" bereits am 15. Juli mehrere Bilder des Bundesvorsitzenden der "Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V.", Ali Ertan Toptak, auf der Titelseite. Er ist Alevit und wurde in der Zeitung als "PKK-Mitglied" denunziert. Als Beweis werden die von Toprak selbst in sozialen Medien veröffentlichten Bilder angeführt, auf denen er u.a. mit dem kurdischen Politiker wie Selahattin Demirtas, dem Vorsitzenden der legalen demokratischen prokurdischen HDP, zu sehen ist. Toprak ist eine in Deutschland anerkannte Integrationsfigur. Seit Mai 2015 ist er zudem Präsident der "Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland" (BAGIV). Seit Mitte 2016 ist er als "Vertreter der Migranten" Mitglied im ZDF-Fernsehrat. In Deutschland sollen zwischen 700.000 und 800.000 Aleviten leben. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 25. Juli 2016
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2016

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