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BERICHT/857: Erklärung zum 4. Todestag Oury Jallohs (ILMR)


InternationaIe Liga für Menschenrechte - 6. Januar 2009

Presseerklärung zum 4. Todestag Oury Jallohs

von der Internationalen Liga für Menschenrechte, dem Afrikarat, dem Flüchtlingsrat Berlin und dem Migrationsrat Berlin-Brandenburg


Die Internationale Liga für Menschenrechte fordert eine umfassende Aufklärung der Umstände, die zum Verbrennungstod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam führten.

Vor genau vier Jahren, am 7. Januar 2005, verbrannte der aus Sierra Leone stammende und in der Bundesrepublik Schutz und Asyl suchende Oury Jalloh in Zelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau. Am 8. Dezember 2008 wurden die angeklagten Polizeibeamten frei gesprochen. Wie der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff es ausdrückte, war der Prozess "schlicht und ergreifend gescheitert".

Der lange Zeit verschleppte Strafprozess gegen die beiden Polizisten wurde erst nach massivem Druck der schwarzen Community und der Initiative Im Gedenken an Oury Jalloh möglich. In dem 22 Monate dauernden Prozess mit 60 Verhandlungstagen ging es allerdings keineswegs primär um die Aufklärung der Umstände, die zum Tod von Oury Jalloh geführt hatten. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Rekonstruktion der letzten Minuten und Sekunden unmittelbar davor. Deshalb ging es letztlich nur noch um die Frage, ob die Angeklagten möglicherweise fahrlässig gehandelt bzw. sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht hatten (oder nicht).

Das Gericht hatte sich, der Anklage folgend, von Anbeginn auf Selbsttötung festgelegt. Oury Jalloh, so die unwahrscheinliche und im Prozess nicht bewiesene These, habe die feuerfeste Matratze selbst angezündet - obwohl er auf dieser von den Polizisten an Händen und Füßen fixiert worden war. Die systematische Untersuchung der Möglichkeit eines Fremdverschuldens am Tod Oury Jalloh war damit frühzeitig verbaut, wenn nicht sogar von vorneherein ausgeschlossen.

Man konnte im Laufe des Verfahrens den Eindruck gewinnen, dass die Lügen und widersprüchlichen Aussagen von Polizeizeugen sowie die Manipulationen und verschwundenen Beweise nicht lediglich das Werk einzelner Polizisten seien, sondern der Vertuschung der Brandursache und der Irreführung des Gerichts durch die Polizei dienten. Richter Steinhoff stellte folglich am Ende fest: "Sie - dieses Corps der Polizeibeamtinnen und Beamten, die Leitung eingeschlossen - alle haben dem Rechtsstaat geschadet". Allerdings ignorierte das Gericht die vielen Indizien, die auf andere Todesursachen hätten hinweisen können.

Das Gericht ging sogar so weit, zum Ende des Prozesses der Familie Jalloh 5.000 Euro anzubieten, die dem Hauptangeklagten als Auflage aufgebürdet werden sollten, wenn sie mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden wären. Was die Eltern zutiefst als Beleidigung empfanden, drückte der Bruder von Oury Jalloh offen aus: Das Gericht will "Wahrheit gegen Geld tauschen". Fragwürdig bleibt überdies auch, mit welcher Absicht der Richter der Familie auf diese Weise noch zum Ende des Verfahrens die Möglichkeit zur Revision zu verbauen versuchte.

Zweifel am Willen zur Wahrheitsfindung und folglich auch am Umgang der Polizei, der Staatsanwalt- und Richterschaft mit der Pflicht zur rigorosen Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in Sachen Rassismus, kommen unweigerlich auf. Dies umso mehr als der Fall Oury Jalloh für die Behandlung von Flüchtlingen, ImmigrantInnen und Minderheiten durch staatliche Institutionen keineswegs einzigartig ist.

Institutioneller und struktureller Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Bereich Justiz und Polizei, wurden daher wiederholt auch von internationalen Gremien in deutlicher Form kritisiert. Zuletzt im August 2008 vom UN-Ausschuss zur Beseitigung der rassistischen Diskriminierung (CERD). Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wies in ihrem dritten Bericht zu Deutschland gleichfalls auf Erscheinungen des Rassismus in Staat und Gesellschaft hin. Ebenso die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats.

"Nicht nur die Polizei ist eine Antwort angesichts dieser eklatanten Menschenrechtsverletzung schuldig, sondern die Bundesrepublik Deutschland insgesamt", so die Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin.

Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt die Forderung der schwarzen Community und der Initiative im Gedenken an Oury Jalloh, zur Aufklärung der Umstände, die zum Tod von Oury Jalloh führten, eine unabhängige internationale Expertenkommission einzusetzen.



Eine gemeinsame Presseerklärung von:

Afrikarat, Diakon Alimamy L Sesay (Vorsitzender)
Migrationsrat Berlin Brandenburg, André Degbeon (Sprecher)
Flüchtlingsrat Berlin, Jens-Uwe Thomas
Internationale Liga für Menschenrechte, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin)


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Quelle:
Presseerklärung vom 6. Januar 2009
InternationaIe Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2009