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BERICHT/950: Straßburg - Haarsträubende Gerichtsverfahren gegen Gegner des Natogipfels (Gipfelsoli)


Gipfelsoli Infogruppe Presseverteiler - 06.05.2009

Haarsträubende Gerichtsverfahren gegen 5 Gegner des Natogipfels in Strasbourg

Pressemitteilung vom Legalteam Strasbourg und Gefangenensolidaritätsgruppen aus Frankreich und Deutschland


Am gestrigen Tage fand vor dem Großen Tribunal in Strasbourg die Hauptverhandlung gegen fünf Aktivisten statt, die im Rahmen der Gipfelproteste von der Polizei festgenommen wurden. Vier von ihnen saßen seit dem Nato-Gipfel im Gefängnis, sie hatten damals ein unwürdiges Schnellverfahren abgelehnt. Dieses Verfahren hätte nur eine unzureichende Verteidigung ermöglicht. Der 5. Angeklagte konnte aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen das Gefängnis bis zum Prozess verlassen.

Gegen diesen Franzosen aus Toulouse fand heute morgen der erste Prozess statt. Er war angeklagt, ein Schweizermesser mit lediglich 7 cm Länge bei sich gehabt zu haben. Der Staatsanwalt forderte 3 Monate Haft auf Bewährung und zusätzlich 300 Euro Geldstrafe. Der Richter kündigte eine Entscheidung für den 25. Juni an.

Am Nachmittag begann unter Teilnahme von mehr als 100 AktivistInnen, die vor dem Gerichtsgebäude ein Solidaritätspicknick veranstalteten, der Prozess gegen drei Männer aus Tours. Diese wurden auf einem Supermarktparkplatz verhaftet aufgrund des lächerlichen Vorwurfs, mit soeben gekauftem Terpentinersatz und Waschlappen Mollotowcocktails bauen zu können. Auch wenn dies mit diesen Materialien technisch unmöglich ist, kamen die Leute nach einem Monat Untersuchungshaft nur aufgrund von juristischen Formfehlern frei (mussten aber bis zum gestrigen Tage in Untersuchungshaft bleiben). Auch sieht das gestern gesprochene Urteil vor, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren erneut aufnehmen kann.

Als letztes wurde gestern gegen einen 29 jährigen Berliner verhandelt. Diesem warf die Staatsanwaltschaft einen Steinwurf vor. Ausserdem wurde ihm zur Last gelegt, bei der folgenden Verhaftung, einem Polizisten das Handgelenk gebrochen zu haben. Er erhielt eine Strafe von 6 Monaten ohne Bewährung. Zusätzlich soll er 1000 Euro Anzahlung leisten für die Untersuchungskosten des gebrochenen Handgelenks. Dieses Urteil kam zustande aufgrund von z. T. wiedersprüchlichen Aussagen. Selbst der betroffene Polizist beschrieb, dass er ausrutschte und sich dabei verletzte. Die Polizeizeugen machten vor Gericht einen unglaubwürdigen Eindruck, da alle behaupteten, den Aktivisten aus über 100 m Entfernung an seiner Haartracht innerhalb einer 700 Personen starken Gruppe erkannt zu haben, obwohl dieser eine Kopfbedeckung trug. Entlastende Zeugen wurden nicht zugelassen und auch der Angeklagte durfte nicht über alles, was vorfiel, aus seiner Sichtweise berichten.

Unabhängige Prozessbeobachter hatten bei allen Prozessen den Eindruck, das die offensichtlich zufällig herausgegriffenen Angeklagten reine Sündenbockfunktion hatten. Die gestrige Verhandlung war eine reine Farce. Den Richter schienen die Aussagen von Entlastungszeugen nicht zu interessieren, sein Urteil stand schon im Vorhinein fest. Man merkte auch deutlich, wie stark die Äusserung von Sarkozy, dass er persönlich für Höchststrafen sorgen wolle, Einzug in die Gerichtsstuben hielt. Kann da noch von richterlicher Unabhängigkeit gesprochen werden?

Ausserdem wird von Regierungskreisen mit medialer Unterstützung ein fester gewaltbereiter Zusammenhang konstruiert, der sich z. B. durch das Tragen schwarzer Kleidung manifestiert. Dieses wird in ihren Augen hauptsächlich als deutsches Phänomen gesehen, das dann für alle Ausschreitungen in Frankreich verantwortlich gemacht wird. Bei den Richtern fiel dieses auf fruchtbaren Boden, da nicht nur beim gestrigen Prozess, sondern auch während der Schnellverfahren auf die getragene Kleidung mehr Bedeutung gelegt wurde, als auf handfeste Beweise. Es fiel auf, das bei gleichem Tatvorwurf und gleicher Beweislage die deutschen Angeklagten härter bestraft wurden als die französischen. Die jetzt vor Gericht zu erkennende Ungleichbehandlung, die der auf den Gipfel folgenden französischen Regierungslinie folgte, mag auch mit der Überheblichkeit der deutschen Polizei zusammenhängen, die trotzig behauptete, die Anti-NATO-Proteste jederzeit im antidemokratischen Griff zu haben, während dessen in Frankreich der Protest sich nicht unterdrücken liess. Das Legalteam und die Solidaritätsgruppen aus Deutschland und Frankreich lassen sich nicht in diese nationale Kategorien spalten.

Uneingeschränkte Solidärität für alle Gefangenen!


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Quelle:
Pressemitteilung über den Verteiler der Gipfelsoli Infogruppe - 06.05.09
Pressemitteilung vom Legalteam Strasbourg und
Gefangenensolidaritätsgruppen aus Frankreich und Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2009