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FRAGEN/012: "Ich fühle mich als Ureinwohnerin, egal wo ich bin" - Interview mit Andrea Landry (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2013

Minderheiten: 'Ich fühle mich als Ureinwohnerin, egal wo ich bin' - Interview mit kanadischer Jugendvertreterin Landry

von Lucy Westcott


Bild: © Andrea Landry

Andrea Landry, Vertreterin indigener Jugendlicher
Bild: © Andrea Landry

New York, 27. Mai (IPS) - Indigene Jugendliche wollen auf dem Ständigen UN-Forum über indigene Angelegenheiten, das vom 20. bis 31. Mai am UN-Hauptsitz in New York stattfindet, ein Zeichen setzen. Vertreten werden sie in diesem Jahr von der 24-jährigen Franko-Kanadierin Andrea Landry, deren Name in der Sprache der Anishinaabe 'Frau mit Adlerherz' bedeutet.

"Viele Jugendliche lernen die Sprache ihrer Vorfahren über ein App", berichtet Landry im Gespräch mit IPS. Doch sei es ebenso wichtig, mit den Älteren zu sprechen, die ihr Wissen mündlich in Anishinaabe weitergäben.

Global betrachtet wird die Weltbevölkerung immer jünger. Von den rund sieben Milliarden Menschen ist mehr als die Hälfte unter 30 Jahre alt, wie ein 2012 veröffentlichter Bericht von 'Euromonitor International' hervorhebt. Die meisten Angehörigen dieser jungen Generation leben in Entwicklungsländern.

Landry, die im August ihr Master-Studium in Kommunikationswissenschaften an der Universität Windsor abschließen wird, sprach mit IPS über die Herausforderungen im Alltag junger Ureinwohner und die Rolle der Medien für den Erhalt ihrer Kultur.

IPS: Wie kamen Sie dazu, sich für die Rechte indigener Völker zu engagieren?

Andrea Landry: Mein Vater war beim Militär, und ich bin an verschiedenen Orten aufgewachsen. Ich besuchte die High School in Thunder Bay in Kanada, wo es nicht viele indigene Schüler gab. Alle paar Wochen holte meine Mutter mich und meine Schwestern ab und wir fuhren in unser Dorf Pays Plat First Nation zurück.

Meine Mutter brachte uns auch in Freundschaftszentren, um uns mit unserer Geschichte und Kultur vertraut zu machen. Sie hat uns ständig daran erinnert, wer wir sind. Vor drei Jahren begann ich mit meiner Arbeit bei der Nationalen Vereinigung der Freundschaftszentren ('National Association of Friendship Centres'). Insgesamt gibt es davon 119 in ganz Kanada. Ich bin im Vorstand und spreche mit Mitgliedern der kanadischen Regierung über Themen, die junge Indigene betreffen.

IPS: Wenn junge Indigene in die Städte ziehen, verlieren sie dann den Bezug zu ihrer Kultur?

Landry: Ich denke, das hängt von der Familie ab. Viele indigene Kinder wachsen bei Pflegeeltern auf. (Laut einem kürzlich veröffentlichten Pressebericht machen indigene Kinder unter 14 Jahren mehr als die Hälfte aller Kinder aus, die in Pflegefamilien kommen).

Selbst wenn dies der Fall ist, spüren sie die Anziehungskraft ihrer Kultur. Das steckt in einem drin. Ich fühle mich als Ureinwohnerin, egal wo ich bin. Die Freundschaftszentren in Kanada bieten die Chance, wieder eine Verbindung zu der eigenen indigenen Gemeinschaft herzustellen, da man mit den Älteren sprechen und die Sprache lernen kann.

In Thunder Bay, wo ich lebe, ist der Rassismus gegenüber Ureinwohnern verbreitet. Ich selbst bin ein Mischling. Weiße Mädchen meinen, ich sei zu braun und Indigene finden mich zu weiß.

In Kanada gibt es das 'Aboriginal People Television Network' (APTN), das Programme von Indigenen für Indigene anbietet. Auch finden sich indigene Publikationen, die aber weitgehend unbekannt sind. In den großen Mainstream-Medien sind wir unterrepräsentiert und vermissen eine solide Berichterstattung über die First Nations in Kanada.

IPS: Hilft das Internet indigenen Jugendlichen, mit ihrer Kultur in Verbindung zu bleiben?

Landry: Viele Jugendliche vom Volk der Anishinaabe lernen die Sprache über ein App. Die älteren Menschen unseres Volkes sind jedoch der Meinung, dass die jungen Leute lieber mit ihnen persönlich reden sollten. Social Media und das Internet sind gut, sollten aber nicht auf Kosten traditioneller Lehrmethoden gehen. Unsere Älteren vermitteln Sprache und Wissen mündlich. Das ist wichtig, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag.

IPS: Haben indigene Jugendliche in Kanada viele Möglichkeiten, sich in den Schulen über ihre Geschichte zu informieren?

Landry: Das Bildungssystem in Kanada bietet nicht die Möglichkeit, sich umfangreiche Kenntnisse über die indigenen Kulturen und Völker anzueignen. Während meines Master-Studiengangs ist mir nicht ein einziger Artikel untergekommen, der sich mit Indigenen beschäftigt hätte oder von einem indigenen Wissenschaftler verfasst worden wäre.

IPS: Vor welchen Herausforderungen stehen junge Indigene in aller Welt?

Landry: Junge Ureinwohner leiden überall unter ihrem niedrigen sozio-ökonomischen Status, einer hohen Arbeitslosigkeit, geringer Bildung und Isolation. Viele Gemeinschaften, vor allem im Nordwest-Pazifikraum, sind nur mit dem Flugzeug zu erreichen und liegen zweieinhalb Stunden von der nächsten Ortschaft entfernt.

Indigene sind auch Gesundheitsproblemen ausgesetzt und haben Schwierigkeiten, sich an westliche Speisen zu gewöhnen. Wir sind einfach nicht an Nahrungsmittel gewöhnt, die dick machen. Früher aßen wir Bären, Elche und Beeren, inzwischen verkehren wir bei McDonald's und Burger King.

Immer wenn über junge Indigene oder Indigene im Allgemeinen gesprochen wird, dominieren negative Bilder. Doch wenn ich in mein Dorf zurückkehre, spüre ich Liebe und Freundschaft - und die Verbindung ist offensichtlich. Wir haben zudem unterschiedliche Auffassungen von Erfolg. Aus westlicher Sicht ist Erfolg etwas Materielles, Finanzielles. Für uns bedeutet die Pflege unserer Kultur und unserer Gemeinschaften Erfolg. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://social.un.org/index/IndigenousPeoples.aspx
http://www.aptn.ca/
http://anishinaabemow.in/
http://www.canada.com/health/Tragic+number+aboriginal+children+foster+care+stuns+even+experts/8354098/story.html
http://www.ipsnews.net/2013/05/qa-i-feel-indigenous-no-matter-where-i-am-and-where-im-going/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2013