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INTERNATIONAL/214: Bäuerlicher Widerstand gegen Verlust von Ackerland (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bäuerlicher Widerstand gegen Verlust von Ackerland
Besuch des französischen Widerstandsprojektes Notre-Dame-des-Landes gegen Flughafenbau

Von Anne Emden und Romy Horn, junge AbL



Viel passierte in den Dezemberwochen 2015 während des UN-Klimagipfels in Paris: öffentlichkeitswirksame Aktionen und Proteste gegen die rigide und von der breiten Öffentlichkeit nicht gewollte Klimapolitik, Diskussionen im extra eingerichteten Raum für die Zivilgesellschaft, Gespräche mit Politiker/innen und vieles mehr. Wir waren als Teilnehmerinnen der Delegation von La Via Campesina für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit dabei und besuchten u. a. das Widerstandsprojekt in Notre-Dame-des-Landes (NDDL) in der Nähe von Nantes im Norden Frankreichs. Daran lässt sich beispielhaft die weltweite und nationale Problematik des schwindenden Ackerlandes erkennen. Eine Delegation von etwa 40 Campesinas und Campesinos (Bauern und Bäuerinnen) hatte die Gelegenheit, die Kraft des Widerstands für Bauernland einen Nachmittag lang mitzuerleben. Vor allem aber bedeutete dieser Besuch für die dort lebenden Menschen Unterstützung durch die Solidarität und den Austausch von gemeinsamen Landnahme-Erfahrungen auf den verschiedenen Kontinenten, für die symbolisch Fahnen der jeweiligen Organisationen übergeben wurden. "Auch wenn die Realität in der Landwirtschaft, im ökonomischen und politischen Kontext, auf den Kontinenten sehr verschieden ist - die Kämpfe, die für die Verteidigung des nährenden Landes, für die Ernährungssouveränität, die Freiheiten und die soziale Gerechtigkeit geführt werden, knüpfen aneinander an und wiederholen und verstärken sich gegenseitig." Diese Worte stammen von Mika Lice, einem französischen Bauern, der seit mehreren Jahren in Notre-Dame-des-Landes lebt und Landwirtschaft betreibt.

ZAD - Zone à defendre

Die Besonderheit dieses Ortes ist, dass sich hier über 40 Jahre hinweg das längste Widerstandsprojekt Frankreichs entwickelt hat, welches seit dem verschärften Vorgehen gegen die Bewohner und Aktivisten 2012 sehr stark von der zivilen Öffentlichkeit wahrgenommen und unterstützt wird. Hier widersetzen sich Bauern, Aktivisten, Anwohner, Hausbesetzer und viele andere dem Bau eines riesigen Flughafens, dem Aeroport du Grand Ouest, welcher nach Willen der Flughafengesellschaft VINCI und der lokalen Regierung ca. 1.650 Hektar fruchtbaren Ackerlandes verschlingen soll. Viele der Bauern und Besitzer dieses Landes haben bereits verkauft, aber vier schon seit Generationen dort lebende Familien begannen sich dem Flughafenbau zu widersetzen. Sie blieben nicht allein: Viele schlossen sich diesem Widerstand dauerhaft oder zeitweise aktiv an und leben nun in der so genannten ZAD (Zone à defendre), was so viel bedeutet wie "Zone, die geschützt und verteidigt werden muss".

Vereinnahmung von Ackerland

Doch dieser Kampf stellt nicht nur den Widerstand gegen ein einzelnes Projekt dar. Er vereint viele Geschichten und Gesichter auf allen Kontinenten: Ein südamerikanischer Bauer sagte während des Besuches: "Dieses Projekt ist ein Beispiel, welches für Ernährungs- und für territoriale Souveränität steht und uns weiter bringt als Agrobusiness, Neoliberalismus und Freihandelsabkommen, denn es kann die Menschen wieder mit und in ihrer Region verwurzeln." Eindrucksvoll hat sich an diesem Tag in den Erzählungen der Aktivisten der ZAD und der Delegierten von La Via Campesina gezeigt, wie ähnlich sich die Proteste, der Widerstand und der Kampf für den Zugang zu und die Sicherung von Land sind. Weltweit sind je nach Expertenmeinung zwischen zehn und 30 Prozent des Ackerlandes von Landgrabbing betroffen und das Gut Boden steht seit 2007/08 auch im besonderen Interesse nationaler und internationaler Investoren, wie im Bodenatlas von 2015 zu lesen ist. Auch in Deutschland werden im Zuge des "Strukturwandels" Pacht- und Kaufpreise für landwirtschaftlich genutzten Boden durch verschiedene Faktoren wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die EU-Agrarsubventionen, die Vergabepolitik der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) und die Versiegelung von fruchtbarem Ackerland für Industrie- und Wohnraum zunehmend in die Höhe getrieben.

Der äußere Druck nimmt zu

Während der äußere Druck auf NDDL im Dezember kurzfristig nachließ, weil eine Entscheidung zur Zwangsenteignung vertagt worden war - was wahrscheinlich mit der Klimakonferenz und den in Frankreich zu dieser Zeit stattfindenden Regionalwahlen in Verbindung gebracht werden kann - sehen sich die Bewohner seit Januar wieder mit verstärktem politischem Druck konfrontiert. Das Landgericht von Nantes hat am 25. Januar den Zwangsräumungsbescheid der Bauern und Einwohner von NDDL bestätigt. Davon ausgehend riefen und rufen die Bewohner der ZAD, die Confédération Paysanne und andere Unterstützergruppen in diesen Wochen vermehrt zu Aktionen auf. Wir verfolgen gespannt, wie es weitergehen wird in Notre-Dame-des-Landes, denn der Widerstand dort steht für zahlreiche weitere Kämpfe gegen soziale und ökologische Zerstörung und den Aufruf für Agrarreformen überall auf der Welt.


Weiterlesen:
AbL-Positionen zu Bodenrecht und -politik von 2014 auf

www.abl-ev.de

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2016

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