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AKTION/528: Bilanz - 20 Wochen gegen 20 Atombomben (IPPNWforum)


IPPNWforum - Nr. 147, September 2016
Das Magazin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

20 Wochen gegen 20 Atombomben
IPPNW-Protestwoche in Büchel

von Sonja Siegel


Atomwaffen, so scheint es, sind ein Relikt aus grauer Vorzeit. Damals, während des Kalten Krieges, waren sie relevant. Jetzt sorgt man sich bloß noch darum, dass keine "falschen" Staaten Atomwaffen besitzen. Iran zum Beispiel. Dass neun Staaten über 15.000 Atomwaffen besitzen, zum Teil binnen weniger Minuten einsetzbar, alle hochpotent - wer will das schon wissen.


Genauso verhält es sich mit den etwa 20 US-amerikanischen Atomwaffen, die auf deutschem Boden in Büchel lagern. Idyllisch in der Eifel gelegen. Sie werden lieber nicht thematisiert. Kein Wunder, dass vielen Deutschen gar nicht bewusst ist, dass sie existieren - beziehungsweise, dass sie immer noch existieren. Denn eigentlich hat der Deutsche Bundestag am 26. März 2010 ihren Abzug beschlossen: "Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen."

Der Jahrestag des Beschlusses war Auftakt der Aktion: 20 Wochen gegen 20 Atombomben. Vom 26. März bis zum 09. August 2016 setzten 20 verschiedene Friedensorganisationen durch Dauerpräsenz, Mahnwachen und gewaltfreie Aktionen ein Zeichen gegen Atomwaffen allgemein und die in Büchel lagernden Atomwaffen speziell.

Ziel war, die Bundesregierung an den parlamentarischen Beschluss zu erinnern, die Atomwaffen abzuziehen. Denn danach sieht es auch sechs Jahre später nicht aus: Modernisierung statt Abrüstung. Bis 2020 sollen die rund 180 in Europa lagernden NATO-Atomwaffen durch neue, noch flexiblere und damit einsetzbare ersetzt werden.

US-amerikanische Atomwaffen lagern im Rahmen der nuklearen Teilhabe vermutlich seit 1957 im Fliegerhorst Büchel, der von der Bundeswehr betrieben wird. Nukleare Teilhabe bedeutet, dass auch Bundeswehr-PilotInnen in deutschen Tornados die US-amerikanischen Atomwaffen im Ernstfall abwerfen. Das heißt, sie trainieren exakt dieses Szenario in Büchel. Die ersten Atomwaffen wurden 1953 in Westdeutschland stationiert. Derzeit ist Büchel der einzige Standort in Deutschland, auf dem sich nukleare Waffen befinden.

Eine im März 2016 im Auftrag der IPPNW durchgeführte Forsa-Umfrage ergab, dass 85 Prozent der Bundesbürger den Abzug der Atomwaffen von deutschem Grund befürworten. Die Aufrüstung lehnt eine große Mehrheit ab. 93 Prozent sprechen sich für ein völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen aus. Biologische und chemische Waffen sind schon seit 1972 bzw. 1997 völkerrechtlich verboten.

Aktuell haben sich unter Führung Österreichs 127 Staaten im Rahmen einer Humanitären Selbstverpflichtung zusammengeschlossen und treiben einen Atomwaffen-Verbotsvertrag voran. Eine von Mexiko angestoßene Open-Ended Working Group wurde gebildet, die über Maßnahmen zur nuklearen Abrüstung berät - auch gegen Widerstand der Staaten, die Atomwaffen besitzen (USA, Großbritannien, Russland, Frankreich, Indien, China, Pakistan, Israel, Nordkorea) und Bündnispartner wie Deutschland, die nach wie vor gegen ein klares Verbot von Atomwaffen argumentieren.

Meilenstein für ein Atomwaffenverbot

In Genf hat sich am 19. August 2016 eine Sensation ereignet: Eine Mehrheit von UN-Staaten stimmte für eine Resolution, die Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot bereits im nächsten Jahr fordert. Deutschland votierte mit Nein. Hinter verschlossenen Türen hatte der deutsche Botschafter Michael Biontino mit anderen gleichgesinnten Ländern noch versucht, die Forderungen nach einem Verhandlungsbeginn für ein solches Verbot zu blockieren. Aber vergeblich. Eine deutliche Mehrheit von Staaten vertrat die Auffassung, dass die humanitären Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen so katastrophal sind, dass diese Waffen geächtet werden müssten, und zwar umgehend. Im Oktober wird der Resolutionsentwurf mit der Forderung für eine Aufnahme von Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot der UN-Generalversammlung in New York vorgelegt. Eine Mehrheit für diesen Vorstoß scheint gesichert. Damit die Zahl der Unterstützerstaaten aber noch steigt, müssen wir weiterhin Druck auf unsere Regierungen ausüben. Sammeln Sie Unterschriften für den Appell aus dem Gesundheitswesen: "Eine Welt ohne Atomwaffen ist eine Frage der Humanität".


Solange Atomwaffen nicht geächtet und nicht abgeschafft sind, ist Protest weiterhin unerlässlich! Es ist wichtig, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät. Hierfür sind Aufklärung, Mahnwachen, Lobbyarbeit etc. nötig. Überall in Deutschland und direkt vor Ort in Büchel, wie durch die aktuelle Aktionspräsenz.

Die IPPNW-Woche begann am Samstag, den 28. Juni 2016 mit einem Camp der IPPNW-Studierenden aus Berlin und Düsseldorf. Die Düsseldorfer Studierendengruppe hatte geplant, im nächstgelegenen Touristenort Cochem an der Mosel eine öffentliche Aktion zu veranstalten, um die BürgerInnen über die Kampagne zu informieren: Ein Apfelbaum sollte friedensymbolisch geschmückt werden. Leider spielte das Wetter nicht mit, sodass der Apfelbaum von den Studierenden selbst verziert und mit einem Kinderspaten, viel Motivation und Kraft auf die Friedenswiese gepflanzt wurde. Abends und nachts war es glücklicherweise trocken, sodass gemütlich gegrillt und bei Bier und Lagerfeuer die Atomstaatenversion von Werwolf gespielt werden konnte.

Der nächste Tag begann mit einem Training zu Zivilem Ungehorsam als Vorbereitung für die Sitzblockade am Montagmorgen. Die Anwesenden lernten Blockadesitze, Agieren in Bezugsgruppen, Konsensentscheidungen zu treffen und die eigenen Grenzen zu definieren. Anschließend fand eine große Mahnwache auf dem Kreisel direkt vor dem Haupttor statt. Etwa 50 Ärztinnen, Ärzte und Medizinstudierende aus verschiedenen Städten demonstrierten bei schwungvoller Musik und Friedensliedern sowie kulinarischen Leckereien gegen die Atomwaffen. Besonders erfreulich war, dass einige vorbeifahrende AnwohnerInnen ihre Zustimmung durch Winken und Hupen ausdrückten. Im Zuge der Mahnwache wurde auch ein IPPNW-Logo aus Schiffsstahl auf der Friedenswiese aufgestellt.

Seinen Abschluss fand das Auftaktwochenende der IPPNW-Woche am Montag früh mit der Blockade der Zufahrtswege zum Fliegerhorst durch zwanzig Aktivisten. Der Betriebsablauf wurde erheblich gestört und die Autos stauten sich kilometerweise zurück.

Der Fliegerhorst Büchel ist ein wichtiger Arbeitsgeber in der sonst wirtschaftsschwachen Region: Etwa 2.000 Arbeitsplätze bietet die Bundeswehr hier, darunter auch einige hundert zivile. Kein Wunder, dass der Protest gegen die Nuklearwaffen in Büchel nicht von jedem unterstützt wird: Neben einer unterschwelligen und deutlichen spürbaren Ablehnung einiger Ortsansässiger gab es während der IPPNW-Woche leider zudem zwei gewalttätige Angriffe auf die Friedenswiese, bei denen Friedensymbole zerstörten und Fahnen herunterrissen wurden. Der Apfelbaum steht noch. Anzeige gegen Unbekannt wurde erstattet.

Auch unter der Woche konnte die IPPNW Dauerpräsenz zeigen. Täglich fanden Mahnwachen statt. Am Samstag, den 2. Juli fand die IPPNW-Woche mit einer vierstündigen Blockade des Haupttors ihren Abschluss. Insgesamt beteiligten sich etwa 70 ÄrztInnen und Studierende an den vielfältigen Protestaktionen gegen die in Büchel stationierten Atomwaffen. Betreut und eingewiesen wurden sie vor Ort von Ernst-Ludwig Iskenius. Im Rahmen der Kampagne wurden auch dazu aufgerufen, eine Selbstverpflichtung zu unterzeichnen, einmal im Jahr nach Büchel zu kommen und sich mit den Zielen einer atomwaffenfreien Welt solidarisch zu erklären.

Unter den teilnehmenden Friedensorganisationen waren neben der IPPNW auch andere Friedensorganisationen, feministische, kirchliche und regionale Gruppen, wie z.B. DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen), die evangelische Kirche oder GAAA (Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen). 45 Gruppen waren in diesem Jahr insgesamt in Büchel. Die Aktion "20 Wochen gegen 20 Atombomben" endete mit einer Abschlussaktion am 09. August 2016, dem Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki.


Quellen:

http://www.atomwaffenfrei.de/buechel
http://www.atomwaffena-z.info
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomwaffen/forsaumfrage_Atomwaffen_2016.pdf

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Quelle:
IPPNWforum | 147 | September 2016, S. 18 - 19
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2017

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