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NEWSLETTER/083: Solidar-Werkstatt Österreich - Werkstatt Rundbrief 3/2012 - 21.02.2012



Werkstatt-Rundbrief Nr. 3/2012 - 21.02.2012
Solidar-Werkstatt für ein solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich

Themen:
(1) EU-Fiskalpakt löst das größte Spar- und Belastungspakets der Nachkriegsgeschichte aus
(2) Griechenland praktiziert EU-Vertrag: Sozialabbau plus Aufrüstung
(3) ACTA: EU-Kommission will Handelsvertrag trotz Protesten unverändert durchziehen -
      nächster Aktionstag gegen ACTA am 25. Februar!
(4) Syrien/Libyen

      a) "Viele kleine Steine können den größten Machtapparat zum Stillstand bringen" - Interview mit Johanna Weichselbaumer
      b) "Gesundes Misstrauen" - Interview mit Joachim Guilliard
(5) Veranstaltungen & Aktionen
(6) Weitere Hinweise
(7) Termine
(8) Neue Facebook-Seite "Neoliberalismus und Rassismus bekämpfen - Raus aus der EU!"
(9) LeserInnenbriefe/Gastkommentare/Diskussion





Das aktuelle Zitat:

"Man gibt Technokraten einfach das Heft in die Hand und sagt: Demokratie ist nicht so wichtig. Ihr müsst erst einmal das Richtige machen und wir wissen schon, was das Richtige ist. Das sagen uns die Europäer und der IWF. In der Sekunde, wo ich - wie das jetzt in Griechenland passiert - dem Parlament auch noch die Budgethoheit wegnehme, haben die Parlamente so gut wie gar keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungsfindung in einem Land. Das ist tatsächlich hart an der Grenze dessen, was man noch Demokratie nennen kann."

Prof. Dr. HANS-JOACHIM VOTH lehrt Wirtschaftsgeschichte an der Universität Pompeu Fabra (UPF) in Barcelona. Nach seiner Promotion in Oxford arbeitete Voth für die Unternehmensberatung McKinsey. Er ist Mitglied des Centre for Research in International Economics (CREI) an der UPF, zit. nach: Der Standard, 14.2.2012)



(1) EU-Fiskalpakt löst das größte Spar- und Belastungspakets der Nachkriegsgeschichte aus

Das von der Regierung vorgelegte 26,5-Milliarden Spar- und Belastungspaket 2012 - 2016 ist asozial und zukunftsfeindlich; letztlich läuft es auf eine weitere Senkung von Löhnen und die Demontierung des Systems der Sozialversicherung hinaus. Der wirkliche Grund für dieses Belastungspaket ist nicht, weil die Verschuldung oder das Defizit explodiert, geschweige denn, dass es ein probates Mittel dagegen wäre. Der wirkliche Grund ist die vorauseilende Unterwerfung unter den EU-Fiskalpakt, der im März auf EU-Ebene beschlossen und dann in den nationalen Parlamente ratifiziert werden soll.

Jetzt Widerstand leisten gegen Sozialabbau und EU-Fiskalpakt!

Das Gesamtvolumen dieses sog. "Konsolidierungspakets" beträgt 26,5 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2016. Im Jahr 2016 soll damit ein "Konsolidierungsvolumen" von über 9 Milliarden Euro (rd. 2,5% des BIP) gegenüber 2011 erreicht werden. Die Regierung selbst nennt es das "größte Konsolidierungsprogramm der Zweiten Republik", das notwendig geworden sei zur "Umsetzung der Schuldenbremse", die der zukünftige EU-Fiskalpakt verlange. "Ich bin stolz", freut sich Finanzministerin Maria Fekter und auch ihr Vor-Vorgänger, der momentan ansonsten nicht viel zu lachen hat, darf sich freuen. Denn Grasser heißt jetzt Faymann. Der Kanzler jubiliert ganz im Stil des früheren blau-schwarzen Finanzministers: "Wir werden 2016 zum ersten Mal seit 50 Jahren ein Nulldefizit haben."

Für den Großteil der Menschen in diesem Land gibt es freilich nicht den geringsten Grund zur Freude.

Zwei Drittel ausgabenseitig

Die ÖGB- und AK-Führung stimmte im Vorfeld der sogenannten "Schuldenbremse" zu, mit der Begründung, dass man bei der Erstellung des Budgets der Schuldenbremse einnahmenseitig die "Giftzähne ziehen" werde. Sprich: Nicht die ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen usw. sollen über verstärkten Sozialabbau zur Kasse gebeten werden, sondern die Reichen und Vermögenden über höhere Steuern. Sollten die ÖGB-Funktionäre im Nationalrat jemals wirklich ernsthaft an ihre eigenen Argumente geglaubt haben, so zeigt dieser Budgetentwurf, dass sie damit hochkant gescheitert sind. Finanzministerin Fekter jubelt, dass 74% ausgabenseitig "konsolidiert" werden und nur 26% über höhere Steuern. Diese Berechnung lässt sich zwar nicht ganz nachvollziehen, weil auch zusätzliche Einnahmen über die Sozialversicherung lukriert werden. Aber sicher ist: Zwei Drittel gehen zu Lasten der öffentlichen Ausgaben, maximal ein Drittel kommt über zusätzliche Einnahmen. Bei den zusätzlichen Einnahmen sind zudem zwei große Brocken (die Finanztransaktionssteuer und Abgeltungssteuer der Schweiz) in keiner Weise gesichert bzw. ausverhandelt. Nimmt man diese beiden Posten aus der Rechnung, dann kommt man den Berechnungen der Finanzministerin schon wieder sehr nahe.

87% auf Kosten der Masse der Bevölkerung

Eine solche Struktur muss die ärmeren Bevölkerungsgruppen, die ungleich stärker auf den Sozialstaat angewiesen sind, ungleich härter treffen, als die wohlhabenderen. Noch dramatischer sind daher Ergebnisse, klopft man die Einsparungen bzw. Einnahmen danach ab, ob sie die Masse der Bevölkerung oder tatsächlich die obersten Einkommenklassen betreffen. Es gibt zwar einige vernünftige Maßnahmen, z.B. die Besteuerung von Umwidmungsgewinnen, den (bis 2016 befristeten) Solidarzuschlag für Spitzeneinkommen, die (sanfte) Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage in der Sozialversicherung und die Beschränkung der Verlustabschreibung bei der Gruppenbesteuerung von Kapitalgesellschaften. In Summe macht das gut 13% des Belastungspaketes aus. Die restlichen 87% schlagen mehr oder weniger auf die Masse der Bevölkerung durch. Auch in dieser Hinsicht sind die ÖGB- und AK-VertreterInnen völlig gescheitert.

Massive Lohn- und Pensionssenkungen

Die mit Abstand größten Brocken sind die Einsparungen bei Pensionen und Arbeitsmarkt (über 7 Milliarden); davon wiederum schlagen am meisten die geplanten Realeinkommensverluste von PensionistInnen zu Buche (2,6 Mrd.). 2013 sollen die PensionistInnen 1% Realeinkommensverluste hinnehmen, 2014 dann 0,8%. Das multipliziert sich dann in den Folgejahren entsprechend fort. Diese Pensionssenkungen sind nichts anderes als Lohnraub. Denn Pensionen sind keine sozialen Almosen, sondern erarbeitete Einkommen. Auch PensionistInnen haben damit Anspruch nicht nur auf Inflationsausgleich, sondern auf Beteiligung am Produktivitätswachstum, weil sie mit ihrer früheren Arbeit dafür ihren wirtschaftlichen Beitrag geleistet haben.

Auch die öffentlichen Bediensteten, in ihrer Masse alles andere als GroßverdienerInnen, kommen unter die Räder. 2013 soll es eine Nulllohnrunde, also massive Reallohnverluste geben, in den Folgejahren "moderate" Erhöhungen, also auch unter der Inflationsrate. In Summe will man damit über eine Milliarde einsparen. SPÖ und ÖVP erweisen sich damit als brave Umsetzer des "Euro-Plus-Paktes" (2011), der den Euro-Staaten "Lohnzurückhaltung" im öffentlichen Sektor auferlegt. Zudem wird über den Einstellungsstopp die Qualität der öffentlichen Dienste verschlechtert.

Mehr Schikanen für Ältere - höhere Arbeitslosigkeit für die Jungen

Für ältere ArbeitnehmerInnen werden durch verschiedene Verschlechterungen beim Zugang zur Pension (z.B. bei Korridorpension bzw. "Hacklerregelung") die Schikanen der letzten "Pensionsreformen" fortgesetzt. Schon jetzt gehen ein Drittel der ArbeitnehmerInnen aus der Arbeitslosigkeit in die Pension. Es ist absehbar, dass dieser Anteil weiter wachsen wird. Die Kündigungspönale von EUR 110,- wird wohl kaum einen Arbeitgeber von Kündigungen abhalten. Eine ähnliche Zunahme von Schikanen ist zu erwarten, wenn die Menschen von der I-Pension zum AMS umdirigiert werden.

Die hinter diesem Spar- und Belastungspaket stehende Politik ist klar: Nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen werden bekämpft. Selbsternannte "PensionsexpertInnen", die ihr Leben lang nie aus dem warmen Büro rausgekommen sind, erklären Dachdeckern, Bauarbeitern, PflegehelferInnen und SchichtarbeiterInnen, dass es ja überhaupt kein Problem ist, bis 65 zu arbeiten. Hier will man offensichtlich doppelt sparen: Arbeitslose sind billiger als PensionistInnen, und die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung haben ohnehin durchschnittlich eine um fünf Jahre kürzere Lebenserwartung als die höheren, erst recht wenn man sie in den letzten Jahren ihrer Erwerbstätigkeit durch Arbeitslosigkeit und/oder Leistungsdruck mürbe macht. Warum die Menschen gesünder werden sollen, wenn in diesem Belastungspaket gleichzeitig bei der Gesundheit gespart wird, konnten die Großkoalitionäre auch nicht schlüssig erklären. Immerhin sollen nicht näher aufgegliederte 1,4 Milliarden bei der sozialen Krankenversicherung und einige weitere Gesundheitsmilliarden über den Weg der Länder gestrichen werden. Schon jetzt laufen auf Länderebene massive Kürzungsprogramme im Gesundheitsbereich.

Aber nicht nur ältere, auch junge Menschen werden betroffen sein. Der AMS-Vorstand Johannes Kopf hat bereits öffentlich angekündigt, dass dieses Sparpaket zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen führen wird. Dabei lag Ende 2011 die Arbeitslosigkeit der 20-24-Jährigen mit 10,5% bereits deutlich über dem Durchschnitt.

Sparen bei Zukunftsinvestitionen

Auch bei ökologische Zukunftsinvestitionen wird gespart. Zwar müssen mit Fug und Recht gewisse ÖBB-Tunnelprojekte angezweifelt werden, dass aber insgesamt um fast eine Milliarde bei Investitionen in die Schieneninfrastruktur gespart wird, ist angesichts der drohenden Klimakatastrophe einfach unverantwortlich. Wie dringend der Investitionsbedarf beim Öffentlichen Verkehr ist, zeigt alleine, dass es in Österreich auf Grund der maroden Schieneninfrastruktur 222 Langsamfahrstrecken gibt (zum Vergleich: in der Schweiz sind es sieben!).

Die geplanten Einschnitte bei den Förderungen gefährden die soziale Infrastruktur. Zu befürchten ist etwa, dass z.B. die Förderung des öffentlichen Wohnbaus weiter einknicken wird, sodass die Mieten noch rascher ansteigen werden (in den letzten 10 Jahren lag die Teuerung im Wohnbereich bereits beim doppelten der durchschnittlichen Inflation).

Aufbereitung der Privatisierung des Pensionssystems

Alarmieren sollten auch die nun einsetzenden sog. "Strukturreformen" bei der Pensionsversicherung. Mit der Einrichtung eines sog. "Pensionskontos" setzt die Regierung Maßnahmen, die die zukünftigen Pensionen weiter senken und eine Privatisierung des Pensionssystems erleichtern. Dass auch entsprechender Druck in diese Richtung von ganz oben erzeugt wird, bestätigt ein bislang weitgehend unbeachteter Passus des sog. EU-Six-Pack, mit dem im Vorjahr der EU-Stabilitätspakt verschärft worden war. Dort heißt es: "Bei der Bewertung der Einhaltung des Defizit- und Schuldenstandskriteriums und in den nachfolgenden Schritten des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit werden die Kommission und der Rat die Umsetzung von Rentenreformen, bei denen ein Mehrsäulen-System eingeführt wird, zu dem eine gesetzliche, vollständig kapitalgedeckte Säule gehört, und die Nettokosten der von der öffentlichen Hand finanzierten Säule angemessen berücksichtigen. Besonders zu berücksichtigen sind die Merkmale des im Zuge der Reform geschaffenen Altersvorsorgesystems insgesamt und vor allem die Frage, ob es zur langfristigen Tragfähigkeit beiträgt, ohne dabei die Risiken für die mittelfristige Haushaltslage zu erhöhen."

Mit dem sog. "Pensionskonto" können die zukünftigen Pensionsansprüche in die Staatsschuld eingerechnet werden, um den Druck zur Privatisierung der Pensionssystem zu verstärken. Die EU-Kommission macht in ihrem jüngsten "Weißbuch zu Pensionen" nicht nur Werbung für die Anhebung des Pensionsalters auf 72, sie propagiert auch unverhohlen den Ausbau der privaten "kapitalgedeckten Pensionsvorsorge". Dabei hat sich gerade in der tiefen Finanzkrise seit 2008 dramatisch gezeigt, dass diese privaten Pensionsfonds enorm krisenverschärfend wirken und viele Menschen innerhalb kürzester Zeit um großer Teile ihrer Privatpensionen gebracht wurden, während sich gerade das staatliche Umlageverfahren als krisenresistent erwies.

"Zwei Jahre vor 1933"

Wenn auch nicht in der Dimension, so doch in der Richtung beschreitet dieses Belastungspaket den "griechischen Weg": Abwürgen der Konjunktur durch Abwürgen der öffentlichen Nachfrage, sinkende Massenkaufkraft und steigende Arbeitslosigkeit. Damit werden die Schulden letztlich nicht sinken, sondern - siehe Griechenland - weiter steigen, eine Spirale nach unten kommt in Gang. Wohin diese bereits einmal geführt hat, deutet Erhard Glötzl, früherer Direktor der Linz AG an: "Es ist nicht nur 5 Minuten vor 12, es ist bereits zwei Jahre vor 1933."

Widerstand - Volksabstimmung für Selbstbestimmung!

Dieses Belastungspaket ist asozial, zukunftsfeindlich; letztlich läuft es auf eine weitere Senkung von Löhnen und die Demontierung des Systems der Sozialversicherung und steigende Arbeitslosigkeit hinaus. Es ist empörend, dass führende Vertreter von ÖGB, Arbeiterkammer und PensionistInnen-Vertretungen bereits ihre Zustimmung signalisiert haben. Was treibt Euch, so über die Interessen Eurer Mitglieder drüberzufahren? Was treibt Euch zu dieser Liebdienerei gegenüber Regierung und EU, die Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten ist? Der wirkliche Grund für dieses Belastungspaket ist nicht, weil die Verschuldung oder das Defizit explodiert, geschweige denn, dass es ein probates Mittel dagegen wäre. Der wirkliche Grund ist die vorauseilende Unterwerfung unter den EU-Fiskalpakt, der im März auf EU-Ebene beschlossen und dann in den nationalen Parlamenten ratifiziert werden soll. Dieser EU-Fiskalpakt stellt Ländern, die sich nicht freiwillig per "Schuldenbremse" dem strengen Brüsseler Sozialabbauregime unterordnen, die budgetäre Zwangsverwaltung in Aussicht. In der Lakaienlogik von Kanzler Faymann: "Wer sich an die Vorgaben des Paktes hält, bleibt souverän". Sprich: Wenn wir uns selbst entmündigen, bleibt uns die Entmündigung durch die EU-Kommission erspart. Wer selbst die Axt an den Sozialstaat legt, dem wird das nicht mehr von Brüssel verordnet.

Wer dieser Alternative von Selbst- und Fremdentmündigung nichts abgewinnen kann, den/die rufen wir auf: Leisten wir gemeinsam Widerstand gegen Sozialabbau und EU-Fiskalpakt! Volksabstimmung für Selbstbestimmung!

Bitte unterstützen: Online-Aktion für einen Volksabstimmung über Schuldenbremse und neue EU-Budgetdiktate



(2) Griechenland praktiziert EU-Vertrag: Sozialabbau plus Aufrüstung

Immer mehr Menschen in Griechenland hungern. Im aktuellen Etat für 2012 sollen die Sozialleistungen wiederum um 9% gesenkt werden, gleichzeitig will man die Militärausgaben um 18% anheben. Griechische Gewerkschaften fordern den EU-Austritt und Streichung aller Schulden.

Auf Druck der EU wird die griechische Wirtschaft derzeit in Grund und Boden gespart. Dadurch hat sich die Arbeitslosigkeit seit 2009 verdoppelt, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 30%. Das Land erlebt die größte Hungerkatastrophe seit dem 2. Weltkrieg. 544.800 Menschen leben in Haushalten ohne einen Euro Einkommen. Regelmäßig pilgern inzwischen 250.000 GriechInnen zu den Ausgabestellen der Suppenküchen. (1) Das Bildungsministerium lässt mittlerweile Essengutscheine an den Schulen verteilen, weil immer öfter unterernährte Kinder im Unterricht entkräftet umkippen.

Alleine im aktuellen Etat für 2012 sollen die Sozialausgaben um weitere 2 Milliarden bzw. 9% gesenkt werden. Die laufenden Ausgaben für Militär und Rüstung sollen dagegen 2012 um 200 Millionen auf dann 1,3 Milliarden Euro erhöht werden: ein Plus von 18,2 Prozent. (2). Die Triebkräfte, die sowohl hinter Sozialabbau als auch hinter Aufrüstung stecken, sind dieselben: Denn das griechische Militär kauft in erster Linie bei deutschen und französischen Rüstungsunternehmen. Merkel und Sarkozy können also unmittelbar die sog. EU-Hilfsgelder" für die die Griechen bluten müssen in die Kassen ihrer Konzerne umlenken. Sozialabbau und Aufrüstung sind außerdem die konsequente Umsetzung des 2009 beschlossenen EU-Lissabon-Vertrages. Dieser neue EU-Vertrag erhebt nämlich sowohl neoliberale Wirtschaftspolitik (wörtlich: "offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb") als auch die Verpflichtung zur permanten Aufrüstung in Verfassungsrang. Im Artikel 42, Abs. 3, Vertrag über die Europäische Union, heißt es im Wortlaut: "Die EU-Staaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern."

Einmal mehr wird klar, warum viele Menschen in Griechenland nur mehr einen Ausweg aus der Misere sehen, wenn Griechenland aus der EU austritt. So rief Giortgos Perros von der linken Gewerkschaft ÖAME am 19. Oktober 2011 bei einer Großkundgebung auf: "Es reicht, lasst uns dieses Verbrechen stoppen, wir haben die Kraft dazu! Im Interesse aller Werktätigen gibt es nur eins: Austritt aus der EU und Streichung aller Schulden." (3)

Quellen:
(1) Wiener Zeitung, 17.1.2012
(2) Tiroler Tageszeitung, 8.1.2012
(3) Junge Welt, 20.10.2011



(3) ACTA: EU-Kommission will Handelsvertrag trotz Protesten unverändert durchziehen - nächster Aktionstag gegen ACTA am 25. Februar

Von den Regierungen der USA, Japans und der EU-Kommission wurde ACTA hinter verschlossenen Türen ausgedealt. Bei ACTA geht es darum, dass Konzerne geistiges Eigentum für ihre Superprofite monopolisieren, dass sich Zensur und Spitzelei im Internet ungehemmt ausbreiten, dass Menschen, die Informationen im Internet frei verbreiten, rasch kriminalisiert werden können. Die Proteste gegen ACTA gehen am 25. Februar weiter.

Warum ist ACTA so gefährlich?

Internetnutzer müssen befürchten, dass Anbieter künftig stärker kontrollieren, was durch ihre Leitungen geht. Denn ACTA sieht vor, Provider für Verstöße ihrer Netznutzer haftbar zu machen. Eine solche Regelung hätte weit reichende Konsequenzen für den freien Informationsaustausch. Provider würden damit gezwungen, eine Infrastruktur für Überwachung, Bespitzelung und Zensur aufzubauen. Nach dem ACTA-Regelwerk wären sie dazu verpflichtet, jeden Urheberrechtsverstoß zu melden und dessen Verursacher durch Preisgabe der IP-Adresse zum Zwecke einer möglichen juristischen Verfolgung zu identifizieren. Wie sehr verschiedene Überwachungsinstrumente bald ineinander greifen könnten, zeigt sich daran, dass die deutsche Verwertungsgesellschaft für "geistiges Eigentum" GEMA bereits den Zugang zu den Daten aus der Vorratsdatenspeicherung gefordert hat. Die Vorratsdatenspeicherung verpflichtet alle Telekommunikationsunternehmen, elektronische Verbindungsdaten mindestens ein halbes Jahr zu speichern.

ACTA kann von Rechteverwertern der Film-, Musik-, Software- und Pharmaindustrie zum urheberrechtlichen Schutz jeder Idee, Information oder eines Begriff eingesetzt und so deren unlizenzierter Gebrauch kriminalisiert werden. Beispielsweise wäre es demnach schon eine Straftat, den Mitschnitt einer Privatparty auf das Videoportal Youtube hochzuladen, wenn im Hintergrund ein "geschützter" Musiktitel zu hören ist.

Auch das Leben von Menschen bedroht

Bedroht sind aber nicht nur die Freiheit von Information und Privatsphäre, ACTA gefährdet auch das Leben von Menschen. So weisen Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" darauf hin, dass ACTA auch die Produktion und den Transport billiger nachgeahmter Medikamente (Generika) bedroht, von denen Leben und Gesundheit von Millionen Menschen, insbesondere in Entwicklungsländern, abhängen, z.B. lebensrettende Generika zur AIDS-Behandlung. Zollbehörden der Länder, die das Abkommen unterschrieben haben, können künftig diese Transporte stoppen und beschlagnahmen. Begründung: Es handele sich um Fälschungen. Dadurch entstehen erhebliche Risiken für die Versorgung armer Länder mit Arzneimitteln. Die dadurch entstehende Rechtssicherheit könnte die Produktion von Generika erheblich verteuern oder überhaupt dazu führen, dass sie vom Markt genommen werden. (Siehe auch http://www.jungewelt.de/2012/02-11/015.php?sstr=acta)

"Misslich, dass sich die Diskussion von den Freihandelsaspekten weg zu den Grundrechten verschoben habe"

Am 11. Februar sind europaweit zehntausende Menschen gegen ACTA auf die Straße gegangen, auch in Österreich waren es viele tausend. Die EU-Kommission hat diese Proteste zwar zunächst weggewischt und sie "als Ergebnis unzureichender Informationspolitik" abgetan. Tatsächlich aber werden die Kommissare nervös. Es sei "misslich, dass sich die Diskussion von den Freihandelsaspekten weg zu den Grundrechten verschoben habe", wird die EU-Kommission im Internetportal heise-online zitiert. Dankenswerterweise haben sie damit preisgegeben, worum es ihnen wirklich geht: Schutz von Eigentums- statt von Menschenrechten. Erich Moechl hat recherchiert, wie eng die EU-Kommission mit den Interessen der Großindustrie verbandelt ist und nun hektisch versucht, die Inhalte von ACTA EU-weit durchzusetzen. ACTA dient dabei als juristischer Andockpunkt für weitere EU-Richtlinien und Verordnungen. So ist ACTA bereits in eine EU-Verordnung eingeflossen, noch bevor es auf EU-Ebene beschlossen worden ist.

"Krieg gegen das in seiner Kommunikation freie Internet"

Die deutsche Anwaltskanzlei Ferner-Alsdorf kommt dabei in einer juristischen ACTAAnalyse zum Schluss, dass es sich bei ACTA um einen Meilenstein in einem großangelegten strategischen Plan handle, der mit anderen internationalen Handelsabkommen akkordiert sei. "Es soll der Durchsetzung der Rechte nach dem bisherigen Muster dienen, und in diesem (Denk-)Muster ist die 'digitale Welt' ein Problem, das angegangen werden muss... Das Feindbild ist deutlich: Das 'digitale Umfeld'. Mit dieser Prämisse kann nichts gutes dabei heraus kommen - der Grundgedanke von ACTA ist der Grundgedanke des Kriegs gegen das in seiner Kommunikation freie Internet, somit der gegen die Bürger. Insoweit kann man ACTA für Europa durchaus als Büchse der Pandora betrachten." (zit. nach http://fm4.orf.at/stories/1694113/ )

ACTA ist ein weiterer Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit, wie auch die Vorratsdatenspeicherung, die sog. "Antiterror"-Gesetze der §§ 278 ff und wie der geplante EU-Fiskalpakt, mit dem die gewählten Parlamente in der Budgetpolitik durch EU-Kommission und EUGH entmündigt werden sollen. Je menschenfeindlicher die Politik der Mächtigen wird, desto mehr wollen sie uns kontrollieren und entmündigen. Daher: Stoppen wir ACTA, ACTA darf nicht ratifiziert werden! Der Aktionstag am 11. Februar war erst der Anfang!

Weitere Demonstrationen finden am Samstag, 25.2.2011 in allen österreichischen Landeshauptstädten statt. Weiter erzählen, hinkommen! Gemeinsam gegen diese weitere Maßnahme zur Überwachung unserer Privatsphäre ein Zeichen setzen. Zu den Details.




(4) Syrien/Libyen

a) "Viele kleine Steine können den größten Machtapparat zum Stillstand bringen"

Interview mit Johanna Weichselbaumer, Aktivistin der Solidar-Werkstatt aus Alkoven (OÖ), über ihre Motivation, eine Anklageschrift gegen die Drahtzieher des NATO-Angriffs auf Libyen zu verfassen.

Werkstatt-Blatt: Du hast eine Anklageschrift gegen die NATO-Kriegsverbrecher verfasst und willst diese nun an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag abschicken. Was sind deine Hauptbeweggründe?

Johanna: Ich habe mit tiefer Erschütterung von Anfang an die hinterlistige, kalt berechnende Vorbereitung und Durchführung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Westmächte und ihrer Kumpane in Libyen mitverfolgt.

Je mehr ich die wirklichen Hintergründe herausgefunden habe, desto bewusster ist mir geworden, mit welch abscheulichen Mitteln die herrschenden Machteliten ihre unstillbare Gier nach politischer und wirtschaftlicher Macht um jeden Preis durchsetzen. Angefangen vom Aufbau einer Lügenpropaganda über die von ihnen instrumentalisierten Medien bis zum Sturz der ihnen unbequemen Regierung und sogar bis zur unterschwelligen Genehmigung und bewusst gesteuerten Förderung eines bestialischen Lynchmordes wie im Falle des Staatsoberhauptes Muammar al-Gaddafi, und der Hinrichtung dessen Sohnes Motassim. Diese völkerrechtswidrigen Gräueltaten werden in den Palästen der Westmächte mit Freuden wahrgenommen. Man beglückwünscht sich gegenseitig für die hervorragende Kriegsführung, ist doch kein einziger NATO-Soldat getötet worden... Über die zigtausenden libyschen Zivilisten, die im Bombenhagel getötet wurden, wird ein Grabtuch der Verleugnung und Verschwiegenheit gebreitet. Diese Verrohung und geistige Rückentwicklung unserer herrschenden Politiker machen mir Angst. Für mich sind die in der Anklageschrift Angeführten Kriegsverbrecher Nummer 1, d.h. die Machthaber Frankreichs, Großbritanniens und der USA sowie die Verantwortlichen in NATO und EU.

Kein Punkt in der UN-Charta ist ihnen heilig, wenn es darum geht , ihr Ziel zu erreichen. Die von ihnen erzwungenen Resolutionen (laut NATO-Chef Rasmussen bald auch ohne) werden bis zur absoluten Unterjochung des betreffenden Landes und zur ungehinderten Freigabe für ihre hemmungslosen Raubzüge missbraucht. Dies alles geschieht unter dem heuchlerischen Vorwand, die Zivilbevölkerung zu schützen, die sie dann massenweise töten, und gestützt auf die Riesenlüge, die Demokratiebewegung in Libyen zu unterstützen, wo sie doch unsere Demokratie immer radikaler abbauen und selbst diktatorischere Züge annehmen.

Werkstatt-Blatt: Wie wir ja wissen, ist es eine Illusion, dass der IStGH ein Strafverfahren gegen diese von dir angeführten Angeklagten einleiten würde, geschweige denn einen Haftbefehl ausstellen würde. Im IStGH sind ja auch Personen installiert, die unter dem Druck der Westmächte eben gerade diesen Hauptschuldigen freundlich gesinnt sind. Warum willst du trotz dieser Aussichtslosigkeit die Anklageschrift dorthin absenden?

Johanna: Diesbezüglich mache ich mir sicher keine Illusionen. Trotzdem ist es ein winzig kleines Steinchen, das ich zwischen die Zahnräder dieser grausamen Maschinerie fügen kann. Meine bildliche Vorstellung diesbezüglich ist, dass viele kleine Steine den stärksten Machtapparat blockieren, ruinieren und schließlich zum Stillstand bringen können. Es ist zumindest ein Versuch, der Gerechtigkeit einen entschiedenen Stoß in die richtige Bahn zu versetzen. Ich hätte das Gefühl, innerlich zu verkrüppeln, wenn ich diesem ganzen Verbrechen nicht aktiv etwas entgegensetzen könnte. Mich besorgt, dass auch bei uns in Österreich kein großer Aufschrei mehr hörbar war. Der Gedanke ist beängstigend, dass sich die Menschen durch die immer rascher werdende Abfolge von Angriffskriegen schon an solche Grausamkeiten gewöhnt haben und sich Resignation, Lethargie und innere Abgestumpftheit breitmachen. Diese Haltung ist meines Erachtens gefährlich, weil es die Kriegstreiber bestärkt und ihnen Tür und Tor noch weiter öffnet. Je geringer der Widerstand und die hörbare Ablehnung, desto skrupelloser werden die Vorgangsweisen der Machthaber in jeder Beziehung.

Werkstatt-Blatt: Gehört nicht die österreichische Bundesregierung aufgrund ihres Verhaltens in diesem Krieg auch verurteilt?

Johanna: Auf alle Fälle! Das Verhalten der Faymann-Regierung war eine riesige Schande für Österreich: angefangen von der lautstarken Unterstützung in den EU-Gremien für den Angriffskrieg über die Genehmigung der Durchfuhr und des Überflugs von Kriegsgerät bis hin zur Entsendung von zwei Offizieren in das EUFOR-Libya-Hauptquartier nach Rom, um für den Abmarschbefehl für die österreichischen EU-Battlegroups-SoldatInnen nach Libyen bereitzustehen. Nicht einmal ein leiser Hauch von Kritik an dem grausamen Kriegsablauf und den Vertragsbrüchen seitens der Westmächte war zu hören. Mit der direkten und indirekten Kriegsbeteiligung hat die Bundesregierung auch gröbstens gegen das Neutralitätsgesetz verstoßen.

Ich möchte die österreichische Bevölkerung aufrufen, diesen behutsamen, aber umso hinterhältigeren Abbau der Neutralität mit allen Kräften zu stoppen. Es muss uns bewusst sein, dass keinem Politiker in unserer Bundesregierung das Wohl der Bevölkerung am Herzen liegt, sondern dass unsere Regierungsvertreter nur mehr mit weichen Knien und ergeben alle Verträge, Gesetze und Richtlinien der EU-Diktatur befolgen.

Wir müssen uns aus dieser Zwangsjacke, die immer straffer gezogen wird, befreien und dies ist nur durch den Austritt aus der EU möglich.

Zur Anklageschrift


b) "Gesundes Misstrauen" Interview mit Joachim Guilliard

Anfang Dezember 2011 organisierte die Solidar-Werkstatt mit dem Friedensaktivisten und Journalisten Joachim Guilliard aus Heidelberg drei Veranstaltungen zum Thema "Warum Libyen bombardiert" wurde. Das WERKSTATT-Blatt hat mit ihm darüber gesprochen.


WERKSTATT-Blatt: Was waren Deiner Meinung nach die wesentlichen Motive für den NATO-Krieg gegen Libyen?

Joachim: Zum einen wollte man durch die Ausschaltung des langjährigen Feindes, Muammar Gaddafi, und dem Ende, der von ihm geführten "Dschamahirija" (Volksherrschaft) eine Öffnung der weitgehend staatlich kontrollierten Wirtschaft und des Bankwesens durchsetzen. Die Kriegsallianz strebt vor allem natürlich eine profitablere Beteiligung westlicher Konzerne an der Öl- und Gasförderung sowie die Kontrolle über die libyschen Ressourcen an. Trotz diverser Zugeständnisse Libyens, hatten sich die hohen Erwartungen in die Liberalisierung der libyschen Wirtschaft, die mit der Annäherung Libyens an den Westen verbundenen waren, nicht erfüllt.

Zum anderen war Libyen unter Gaddafi auch geostrategisch ein erheblicher Störfaktor. Beispielsweise widersetzte sich der Revolutionsführer dem Lieblingsprojekt von Nicholas Sarkozy, der "Mittelmeerunion" und nannte sie einen "neo-kolonialen Trick" um die arabische und afrikanische Einheit zu zerstören. Vor allem aber stand das libysche Engagement für die afrikanische Einheit und Unabhängigkeit diametral den Bemühungen der alten Kolonialmächte und den USA gegenüber, die Dominanz über die ehemaligen Kolonien zu bewahren bzw. den Einfluss auf dem Kontinent auszuweiten. Libysche Gelder halfen zahlreichen afrikanischen Ländern durch viele große und noch mehr kleinere Projekte sich vom Westen unabhängig zu machen. Hinzu kam der Aufbau dreier unabhängiger afrikanischer Finanzinstitute durch die Afrikanische Union, für deren Gründung bis Februar 2011 libysche Gelder die Basis bildeten: die Afrikanische Investmentbank, der Afrikanische Währungsfonds und die Afrikanische Zentralbank. Da die Entwicklung dieser Institute es den afrikanischen Ländern ermöglichen würde, sich der Kontrolle von Weltbank und Weltwährungsfond (IWF), die nach wie vor als Instrumente neokolonialer Herrschaft fungieren, zunehmend zu entziehen, stellen sie eine unmittelbare Bedrohung des westlichen Einflusses auf dem schwarzen Kontinent dar. Ohne libysche Unterstützung werden sie nun wohl erst einmal ein kümmerliches Pflänzchen bleiben.

WERKSTATT-Blatt: Wie hat sich der Krieg auf die Lage der Bevölkerung in Libyen ausgewirkt? Mit welchen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen ist unter den neuen Machthabern zu rechnen?

Joachim: Die Auswirkungen sind natürlich wie bei jedem Krieg und Bürgerkrieg verheerend. Der vergleichsweise hohe Lebensstandard den Libyer bisher genossen haben, ist auf längere Sicht dahin.

Die 9.700 Luftangriffe der NATO und die monatelangen Kämpfe am Boden haben große Teile der Infrastruktur zerstört oder beschädigt. Die Versorgung war schon bald nach Kriegsbeginn praktisch zusammengebrochen und ist auch heute noch nicht wieder richtig hergestellt.

Genaue Daten über die aktuelle Lebensverhältnisse gibt es nicht, da sich keine der zuständigen Institutionen nachforscht, wie sich der Krieg zum "Schutz der Zivilbevölkerung" auf dieselbe ausgewirkt hat. Die Libyen-Mission der UNO ist ein kompletter Ausfall, auf ihrer Homepage findet man im Unterschied zu den Missionen in anderen Ländern keine Berichte zur humanitären Situation, zur Sicherheitslage und zu Menschenrechtsverstößen, sondern bezeichnender Weise nur zwei Statements des sogenannten "Nationalen Übergangsrats".

Insbesondere fehlen verlässliche Informationen über die Zahl der Opfer. Vertreter des Übergangsrats sprechen von 30.000 Toten und 50.000 Verwundeten. Da hierbei aber nur von "Märtyrern" die Rede ist, die ihr "heiliges Blut für ein neues Libyen gaben" wurden dabei wohl nur die Opfer unter den Bevölkerungsteilen gezählt, die hinter den Aufständischen standen.

Die weitere Aussichten sind düster. Das Land wird von hunderten rivalisierenden Milizen kontrolliert, die jede auf ihre Art gegen Personen in ihrem Gebiet vorgeht, die als Gaddafi-Anhänger gelten. Zigtausende wurden gefangengenommen oder aus ihren Wohnungen vertrieben. Besonders schlimm sind schwarze Libyer und verbliebene afrikanische Arbeitsmigranten betroffen, sowie die Einwohner der Städte, die sich auch nach dem Fall von Tripolis weiter gegen die NATO und die Rebellen verteidigten.

Der Übergangsrat hat eine Liberalisierung der Wirtschaft angekündigt. Freie Gesundheitsversorgung und Bildung, subventioniertes Wohnen etc. werden damit wohl der Vergangenheit angehören. Verlierer werden vor allem die Frauen sein, die bisher eine für arabische Verhältnisse sehr weitgehende rechtliche Gleichstellung genossen. Unter den Aufständischen dominieren islamistische Kräfte und der Übergangsrat hat angekündigt, dass in Zukunft wieder die Scharia Grundlage jeglicher Gesetzgebung sein wird. Das wäre das Ende des recht fortschrittlichen Familienrechts, wie des gleichberechtigen Zugangs zu Bildung und Berufen.

Trotz der nach wie vor sehr unsicheren Verhältnisse sind westliche Konzerne bereits in großer Zahl ins Land geeilt - voran natürlich französische, britische, US-amerikanische und italienische - und verhandeln über neue Abkommen im Öl- und Gassektor oder bemühen sich um Aufträge für den Wiederaufbau. Angesichts der 150 Mrd. Dollar Auslandsguthaben Libyens, die nun wieder freigegeben werden, geht es dabei, wie es der Guardian ausdrückte, um einen "ziemlich großen Pott". Die Verfügungsgewalt über dieses gewaltige, in knapp vier Jahrzehnten angesammelte Vermögen der libyschen Nation, geht nun in die Hände eines durch nichts legitimierten zusammengewürfelten Kreises von Leuten über, die ihre Position im Wesentlichen der NATO verdanken. Was mit den bisher schon freigegebene 18 Milliarden Dollar geschah, entzieht sich jeglicher öffentlichen Kontrolle.

Das gesamte Auftragsvolumen im kommenden Jahrzehnt, summiert über alle Bereiche, vom Ölsektor bis zur Wiederherstellung von Wohnungen, wird vom britischen Handelsministerium auf 250 Milliarden Euro geschätzt. Es besteht die große Gefahr, dass sich unter den nun herrschenden Bedingungen amerikanische und europäische Firmen - wie im Irak - mit Milliardenbeträgen die Taschen füllen, ohne eine adäquate Gegenleistung zu hinterlassen.

WERKSTATT-Blatt: Die Medien in den westlichen Staaten haben diesen Krieg weitgehend kritiklos propagiert, welche Bewertung dieses Krieges gab es in anderen Weltteilen?

Joachim: Eine völlig konträre. Außerhalb Europas und Nordamerikas glaubte kaum jemand, dass die NATO zum Schutz der Zivilbevölkerung bombardiert. Die meisten waren überzeugt, dass es wieder einmal um das Öl geht und die Unterwerfung eines unbotmäßigen Regimes. Während westliche Medien vom "Sieg des Volkes" über Gaddafi faselten, wurde der Krieg in Lateinmarika, Afrika und Asien überwiegend als "imperiales Verbrechen" verurteilt. 200 prominente afrikanische Künstler, Wissenschaftler und Politiker prangerten z.B. in einer gemeinsamen Erklärung Frankreich, die USA und Großbritannien als "Schurkenstaaten" an, und bezeichnen deren Politik als "ernsthafte Gefahr einer neuen Kolonialisierung" des Kontinents.

WERKSTATT-Blatt: NATO-Chef Rasmussen hat den Krieg gegen Libyen als "einen der erfolgreichsten Operationen in der Geschichte der NATO" und als "Modell" für zukünftige westliche Kriegsinterventionen bezeichnet. Droht in Syrien bald eine Wiederholung dessen, was wir in Libyen erlebt haben?

Joachim: Die NATO hatte die Gegenwehr in Libyen zwar stark unterschätzt, musste den Krieg immer wieder verlängern und schließlich doch massiv eigene Kräfte, in Form von Spezialeinheiten, einsetzen, um den Durchbruch zu erzwingen. Aber schließlich konnte die "Operation vereinigte Beschützer" mit der Liquidierung von Revolutionsführer Gaddafi doch noch erfolgreich abgeschlossen werden. Und das zu verhältnismäßig geringen Kosten: Offiziell kostete der Luftkrieg nur knapp zwei Milliarden Dollar und es gab keine Verluste unter den eigenen, regulären Truppen.

Kein Wunder, dass der Krieg nun sowohl von der NATO wie auch von vielen westlichen Think Tanks als erfolgreiches Modell für zukünftige militärische Interventionen gesehen wird. Auch die SPD-Nahe Friedrich-Ebert-Stiftung verkauft ihn als Vorbild für Einsätze im Rahmen des neuen UNO-Konzepts "Verantwortung zum Schutz".

Dabei ist es noch völlig offen, wie es in Libyen weitergeht. Viele Experten gehen davon aus, dass die NATO-Staaten angesichts des Chaos und der anhaltenden Gewalt doch noch "boots on the ground" setzen müssen, also wie in Afghanistan reguläre Truppen als "Stabilisierungskräfte" entsenden müssen. Auch in Afghanistan stellten ja zunächst die einheimischen Verbündeten der Nordallianz, unterstützt von Spezialeinheiten der NATO, die Bodentruppen. Erst Wochen später wurden die ersten regulären Truppen zum Schutz einer neu eingesetzten Regierung eingesetzt, die - wie die libysche - nur vom Ausland anerkannt war. - Wie's weiterging ist bekannt.

In der Tat besteht die Gefahr, dass das in Libyen erprobte Modell auch in Syrien angewandt wird. Allerdings ist der Widerstand Russlands gegen eine Intervention wesentlich stärker. Russland hat in Syrien seinen einzigen Marinestützpunkt im Mittelmeer und auch China hat offensichtlich kein Interesse daran, dass sich das Machtgefüge in der Region zugunsten der NATO verschiebt. Auch die NATO-Strategen sehen zudem die große Gefahr, dass der Krieg in dieser hochexplosiven Region nicht auf Syrien begrenzt werden kann. Vieles deutet daraufhin, dass die USA und die EU-Staaten vorerst versuchen, das Regime zu stürzen, in dem man das Land wirtschaftlich stranguliert und mittels bewaffneter Contra-Gruppen destabilisiert, die von ihnen ausgerüstet, beraten und unterstützt werden. An sich gibt es im Land selbst eine wesentlich stärkere fortschrittliche Opposition als in Libyen, die sich auch klar gegen jegliche äußere Einmischung ausspricht. Es steht aber zu befürchten, dass auch hier die genuine Protestbewegung, mit ihren von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützten konkreten Reformforderungen, bereits von Kräften usurpiert wurde, die im Verein mit den westlichen Mächten das Assad-Regime durch ein pro-westliches ersetzen wollen. Wie im Fall von Libyen ist auch die Berichterstattung über Syrien einseitig bis verlogen.

WERKSTATT-Blatt: Warum war es Deiner Meinung nach so schwierig, hier bei uns Menschen gegen den Libyen-Krieg zu mobilisieren?

Joachim: Die Propaganda hat natürlich gewirkt. Viele, auch in der Linken, glaubten, die Ereignisse in Libyen wären eine Fortsetzung des "Arabischen Frühlings" und sahen nicht oder sehr spät, dass der Aufstand in Libyen sehr schnell einen anderen Charakter annahm, ganz andere Kräfte die Führung übernahmen. Auch wenn die meisten nicht für den Krieg waren, aufgrund des Bildes das man vom "Diktator" Gaddafi und dem Gesellschaftsystem Libyens hatte, blieb die Motivation, sich aktiv dagegen zu stellen gering. Die Dämonisierung funktionierte in Rekordzeit. In weniger als einem Monat wurde Gaddafi von einem exzentrischen Partner zum fürchterlichsten Tyrannen.

Diese Geschwindigkeit war natürlich für die Friedensbewegung ebenfalls ein Problem. Es dauerte seine Zeit, bis wir der Propaganda einigermaßen fundierte Gegeninformationen entgegensetzen konnten, sowohl in Bezug auf die Stichhaltigkeit der Vorwürfe mit den Kriegen gerechtfertigt wurde als auch auf die Motive oder die gesellschaftlichen Verhältnisse in Libyen.

WERKSTATT-Blatt: Was müssen wir als Friedensbewegung daraus lernen?

Joachim: Im Grunde das, was uns auch die vorangegangenen Kriege lehrten: Gesundes Misstrauen - basierend auf den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte - gegenüber der Politik der westlichen Regierungen, Skepsis gegenüber Berichten über Länder, die im Visier des Westens stehen.

Wir müssen anhand der bisherigen Interventionen grundsätzlich klar machen, dass bei aller Sympathie für fortschliche Kräfte in solchen Ländern, eine Intervention von außen noch nie Fortschritt brachte, sondern im Gegenteil nur Zerstörung, Chaos und anhaltende Gewalt sowie einen Ausverkauf der heimischen Wirtschaft und Ressourcen.

Es ist daher - auch im Hinblick auf drohende neue Kriege - sehr wichtig, den Krieg gegen Libyen aufzuarbeiten, die Verbrechen und ihre Folgen zu dokumentieren und publik zu machen.




(5) Aktionen & Veranstaltungen

Einladung zum Sozialgipfel Reloaded
Sozialgipfel Reloaded - Wir zeigen an...!
Motto: Achtung Gefährdung! Wir im Sozial-, Gesundheits-, Elementar- und Erwachsenenbildungs-Bereich zeigen an...!
Mi, 21. März 2012 16.00 bis ca. 20.30h (Anmeldung bereits ab 15.30h), Im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien
Um Anmeldung bis zum 18. März 2012 wird gebeten - direkt HIER.




(6) Weitere Hinweise:

NACHHÖREN - Werkstatt-Radio auf Radio FRO
Die Februar-Sendung mit dem Schwerpunkt "Volksabstimmung für solidarische Selbstbestimmung" kann hier nachgehört werden!
Die nächsten Sendetermine: 19. März, 19 - 20 Uhr <((( psst! Weitersagen!
Empfangsgebiet: Großraum Linz auf 105.0 MHz, Im LIWEST-Kabel auf 95,6 MHz, Weltweit via Livestream unter www.fro.at/livestream

WERKSTATT-Blatt (guernica) - Zeitung der Solidarwerkstatt
Für Mitglieder und AbonnentInnen stellen wir auf Spendenbasis gerne mehrere Exemplare zum Weiterverteilen zur Verfügung!
Abonnement des WERKSTATT-Blatts zu verschenken. Ein 10-Nummern-Abo gibt es für Euro 9,- und ein 5 Nummern-Abo Euro 5,- ein Probeexemplar schicken auch wir gerne kostenlos zu.
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Überblick über die aktuelle Ausgabe hier

Parlamentarische BürgerInnen-Initiative "Pflege in die Sozialversicherung!" hier ONLINE unterstützen!

Online-Petition: Stoppt die Vorratsdatenspeicherung http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/BI/BI_00037/index.shtml#tab-Zustimmungserklaerung

Glosse: "Über der Gürtellinie"
Unter der Rubrik "Gastbeiträge": eine Reihe mit Glossen des Musikers/Autors Herwig Strobl unter dem Titel "Über der Gürtellinie" Zu den Glossen




(7) Termine

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(9) LeserInnen-Briefe/Diskussionen/Gastkommentare

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Quelle:
Werkstatt Rundbrief Nr. 3/2012 - 21.02.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2012