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MUMIA/1012: Fall eingefroren (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 02.03.2020

Fall eingefroren
USA: Berufungsverfahren von Mumia Abu-Jamal »ausgesetzt«.
Entlassung von Bezirksstaatsanwalt gefordert

Von Jürgen Heiser


Im Berufungsverfahren des US-Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal hat der Oberste Gerichtshof Pennsylvanias am vergangenen Montag eine Entscheidung getroffen, die erneut zeigt, dass in diesem Fall das »Mumia-Ausnahmerecht« die Regel ist. Lapidar heißt es in dem halbseitigen Beschluss, »alle anhängigen Angelegenheiten in Erwartung weiterer Maßnahmen dieses Gerichts« seien »ausgesetzt«. Zudem werde in Kürze ein »Special Master«, eine Art »Jurist mit Sonderaufgaben«, ernannt, der das Verfahren »untersuchen und diesem Gericht Empfehlungen geben« solle. Mit anderen Worten: Dem seit Ende 1981 um seine Freiheit kämpfenden politischen Gefangenen wurden seine Rechte per sofortigem Vollzug für unbestimmte Zeit entzogen.

Und was soll der »Special Master« ausrichten? Vor zwei Jahren kam ein Dokumentarfilm in die Kinos, der die Arbeit des US-Anwalts Kenneth Feinberg beleuchtete, der als ein solcher »Special Master« für die US-Regierung »diffizile Probleme« verhandelt. »Playing God«, lautet der vielsagende Titel des Films. Die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine nahm sich damals in ihrer Onlineausgabe kritisch der US-Rechtsinstitution des »Special Masters« an und nannte den Begriff einen »Euphemismus für einen, der den Mächtigen die Drecksarbeit abnimmt«.

Wird das auch die Aufgabe des »Special Master« in Abu-Jamals Fall sein? Es scheint so, denn laut dem Philadelphia Inquirer soll diese angeblich »neutrale« Instanz ermitteln, ob der Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia, Lawrence »Larry« Krasner, sich in einem »Interessenkonflikt« befindet und ob er bei den »Berufungen im Fall des verurteilten Polizistenmörders« Abu-Jamal nicht mehr tätig sein dürfe.

Das jedenfalls verlangt Maureen Faulkner, die Witwe des 1981 unter bis heute gerichtlich nicht aufgeklärten Umständen getöteten Polizeibeamten Daniel Faulkner. Für sie und den rechten Berufsverband »Fraternal Order of Police« (FOP), mit dem sie seit Jahrzehnten Stimmung für die Todesstrafe und gegen »Cop Killer« macht, kann es nur einen Täter geben: Mumia Abu-Jamal. Auch wenn längst klar ist, dass er nicht Mörder, sondern Opfer des bekanntermaßen gewaltbereiten Daniel Faulkner war, dem seine Uniform erlaubte, seinen rassistischen Hass gegen Schwarze auszuleben.

Die Entscheidung des »Pennsylvania Supreme Court« folgt einem Antrag, den Maureen Faulkner im vergangenen November stellte. Noch schieben die Richter jedoch die »endgültige Entscheidung über die Begründetheit von Faulkners Antrag« auf. Sie hatte gefordert, der Gerichtshof möge in Abu-Jamals Fall umgehend »Bezirksstaatsanwalt Krasner ablösen« und »den Generalstaatsanwalt mit der Handhabung der Berufungsanträge« beauftragen. Als Grund gab Faulkners Anwalt George Bochetto an: Krasner sei einer von mehreren »Bewegungsanwälten« gewesen, die »Protestierende verteidigten, die während des Republikanischen Nationalkonvents 2000 in Philadelphia wegen Übergriffen auf die Polizei und Vandalismus verhaftet wurden«. Diese Demonstranten seien »auch Unterstützer Abu-Jamals« gewesen, »die seine Freilassung gefordert« hätten.

Was Faulkner und die FOP so gegen Krasner aufbrachten, war Abu-Jamals Erfolg nach langen Jahren des zähen juristischen Kampfs: Ende 2018 räumte Richter Leon Tucker vom Staatsgericht in Philadelphia ihm das Recht ein, abgelehnte Berufungsanträge der Jahre 1998 bis 2014 vor dem Obersten Gerichtshof neu verhandeln zu lassen. Wogegen nach einigem Zögern sogar der neugewählte Bezirksstaatsanwalt Krasner keine Rechtsmittel mehr einlegte. Das war allerdings eine bemerkenswerte Wendung nach Jahrzehnten der Beweismanipulationen durch seine Vorgänger und nach einem Interessenkonflikt des Exchefanklägers Ronald Castille, der dann 1998 als Richter eben jenes Gerichtshofs Abu-Jamals Berufungsantrag ablehnte, sich aber nicht für befangen hielt.

Für die FOP war Krasners Einlenken ein Verrat. Wütende Polizisten marschierten vor dessen Amtsgebäude auf und forderten seinen Rücktritt. FOP-Anwalt Bochetto behauptete vergangenen Montag laut Nachrichtenagentur AP, Krasner und Abu-Jamal seien »offenbar froh darüber, Seite an Seite durch das Gerichtsverfahren zu marschieren«. Die »ethische Krise«, nämlich das Leid seiner Mandantin, könne »niemals juristisch gelöst werden«, wenn »dieses Gericht jetzt nicht handelt«. Vom Beschluss des Gerichtshofs schien selbst Bochetto überrascht, denn er nannte ihn nicht nur »sehr bedeutsam«, sondern auch »ungewöhnlich«. Als »Special Master« erwarte er nun jemanden »mit erheblicher staatsanwaltlicher Erfahrung«, der alle »Aktivitäten Krasners durchleuchten« müsse.


URL des Artikels:
https://www.jungewelt.de/artikel/373623.free-mumia-abu-jamal-fall-eingefroren.html

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Quelle:
junge Welt vom 02.03.2020, Seite 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2020

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