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MUMIA/985: Drogen im industriellen Maßstab (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne 977
Drogen im industriellen Maßstab

Kleine Dealer und Konsumenten riskieren lange Haftstrafen.
Aber was ist mit »Big Pharma«?

von Mumia Abu-Jamal, September 2019


In den letzten Wochen haben wir von Vergleichsvorschlägen in Zivilprozessen gegen große Pharmakonzerne gehört, die Hersteller von Opioiden wie beispielsweise Oxycontin sind.

Opioide sind zum Teil synthetisch hergestellte Arzneimittel mit schmerzlindernden Eigenschaften. Oxycontin kam 1995 auf den Markt und zählte lange Zeit weltweit zu den Medikamenten mit den höchsten Umsätzen. Der Konzern Purdue Pharma, hinter dem die Eigentümerfamilie Sackler steht, soll sich nun mit den Behörden auf einen Vergleich in Milliardenhöhe geeinigt haben.

Dieses Unternehmen steht im Zentrum von Ermittlungen gegen eine Branche, die bei Zehntausenden Menschen in den USA eine Schmerzmittelabhängigkeit ausgelöst haben soll. Zusätzlich stehen die Hersteller dieser Medikamente laut Presseberichten im Verdacht, für eine hohe Zahl von Sterbefällen durch hohe Dosen der Opioide verantwortlich zu sein. Von etwa 70.000 Opfern jährlich allein in den USA ist die Rede. Kein Mann und keine Frau, der in den USA je wegen Mordes in der Todeszelle saß, musste sich für eine auch nur annähernd so hohe Zahl von Todesopfern verantworten. Außerdem hat es in diesem Land noch nie einen Geschäftsführer gegeben, der wegen der Produkte seines Unternehmens für solch hohe Opferzahlen haftbar gemacht worden wäre.

Diese Vorgänge regen einen ganz besonders auf, wenn man sich vor Augen hält, welche verheerenden Auswirkungen der sogenannte Krieg gegen die Drogen in den Vereinigten Staaten von Amerika hatte. In den letzten Jahrzehnten sind so viele Menschen wegen Drogendelikten verhaftet und verurteilt worden, dass in dieser Zeit der Begriff der »Masseninhaftierung« geprägt wurde.

Zumeist junge Männer, oft wie ihre Altersgenossen mit Kapuzenpullovern und Baseballmützen bekleidet, verkauften die Drogen in ihren Wohnvierteln oder den Ghettos der US-Großstädte. Dafür wurden sie von der örtlichen Polizei und Bundesagenten des FBI oder der Drogenbehörde »Drug Enforcement Administration« (DEA) derart grausam verfolgt, dass man von einem Krieg des Staates gegen seine eigenen Bürger sprechen muss. Dealer und Drogenabhängige wurden wie Staatsfeinde behandelt und von den Gerichten oft für Jahrzehnte ins Gefängnis geworfen. Nicht wenige Angeklagte sind in Wiederholungsfällen sogar zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Wie wird im Gegensatz dazu mit »Big Pharma« umgegangen, also mit Konzernen, die im industriellen Maßstab Drogen produzieren und Milliarden an Profiten machen, indem sie mit diesen als »Arznei« verharmlosten Drogen die USA überschwemmen?

Es ist eine Tatsache, dass in nur einem Jahr mehr US-Bürger an industriell gefertigten Opioiddrogen gestorben sind als US-Soldaten in zehn Jahren Vietnamkrieg! Während also kleine Drogendealer riskieren, für Jahrzehnte ins Gefängnis geworfen zu werden, behandelt der Staat die Taten der Großdealer in den Chefetagen der Pharmakonzerne wie Lappalien und geht nur mit Zivilklagen gegen sie vor. Seit wann ist das Töten Tausender Menschen ein Delikt, das man per Zivilrecht ahndet?

Wenn wir uns genau ansehen, was der »Krieg gegen die Drogen« in den USA angerichtet hat und wen er letztlich traf, dann müssen wir feststellen, dass dieser Krieg nichts mit dem Kampf gegen Drogen zu tun hatte, aber alles mit der staatlichen Repression gegen das einfache Volk, die Armen und Unterdrückten in den Ghettos und Barrios der Vereinigten Staaten von Amerika.


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 227 vom 30. September 2019

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
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Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2019

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